Vor 35 Jahren – der Mord an Olof Palme
Prof. Dr. Gregor Putensen, Greifswald
In der Nacht zum Monatsbeginn März 1986, einem Wochenende, erfuhr die Welt, dass Schwedens Premier Olof Palme nach einem Kinobesuch am späten Abend des 28. Februar 1986 auf dem Heimweg zu Fuß in die Stockholmer Altstadt Opfer eines Mordanschlags geworden war. Seine Leibwächter hatte er Freitagabend vor der Filmvorstellung großzügig nach Hause entlassen. Er verstarb, von zwei Pistolenkugeln getroffen, noch am Tatort in den Armen seiner leicht verletzten Frau, Lisbeth Palme, am Sveavägen, einer ansonsten stets belebten Magistrale der schwedischen Hauptstadt.
Die Suche nach Mörder und Mordmotiv
Der damals 59-jährige Vorsitzende der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SAP), lenkte zweimal als Ministerpräsident – von 1969 bis 1976 und nochmals von 1982 bis zu jenem Tag 1986 – die Geschicke seines blockpolitisch allianzfreien Landes. Trotz einer ganzen Reihe von plausiblen Vermutungen und Spekulationen konnte der Mord nicht mit zuverlässiger Endgültigkeit aufgeklärt werden. Verschiedenen innenpolitischen (bis hin zu einschließlich schlicht kriminellen) Verdachtsmomenten sowie international durchaus denkbaren Spuren war im Verlauf der zurückliegenden Jahrzehnte nachgegangen worden. Zum Kreis der hypothetischen, aber denkbaren Mordmotive wurde in der Sphäre der Innenpolitik der politische Hass nicht präzise zu ortender Gruppierungen in Polizei und Militär gezählt. Mit Blick auf die internationalen Beziehungen schien andererseits aufgrund der strikten Antiapartheid-Positionen Schwedens im Zuge der Entkolonisierungsprozesse eine Rachespur des südafrikanischen Geheimdienstes denkbar. Wegen der überdeutlich markierten Distanz Palmes gegenüber der USA-Aggression in Vietnam überwog jedoch in den Vermutungen der Öffentlichkeit und mancher Medien der Verdacht einer Beteiligung der CIA an der Tat. Im Frühjahr 2020 war von der Palme-Mord-Ermittlungsgruppe nach erneuter Sichtung aller Akten und Tatumstände nachträglich ein bereits 2002 verstorbener, seinerzeit bekannter, hasserfüllter rechtsorientierter Mitarbeiter der in unmittelbarer Nähe zum Tatort gelegenen Scandia-Versicherung mit »an höchste Wahrscheinlichkeit grenzender Sicherheit« als Attentäter ausgemacht worden. Nunmehr sind alle schwedischen Ermittlungsaktivitäten mit dem öffentlich im Namen der Palme-Familie durch den ältesten der drei Söhne des ermordeten Politikers, Joakim Palme, erklärten Einverständnis eingestellt worden.
Herkunft und politischer Aufstieg
Olof Palme, geboren 1927 als Sohn einer bürgerlich gehobenen Stockholmer Familie (Vater – Direktor einer Versicherung, Mutter – Abkömmling Livländischen Adels), war bereits in seiner Kindheit mehrsprachig (Schwedisch, Deutsch und Französisch) aufgewachsen, sein Abitur legte er mit insgesamt sehr gutem Prädikat ab. Nach Beendigung seines Wehrdienstes wurde er zum Fähnrich ernannt. In den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg studierte er zunächst in den USA und beendete sein Studium in Stockholm als Jurist. Zum Sozialdemokraten wurde Palme nach eigenem Bekenntnis vor allem durch das persönliche Erleben der großen sozialen Widersprüche während seiner Studienzeit in den USA, die ihn bei seinen Rundreisen durch das Land nachhaltig beeindruckten. Als besonders prägend für ihn erwiesen sich die Begegnungen mit dem Sozialdemokraten und damals führenden Theoretiker Ernst Wigfors. Dessen Wohlfahrtsstaats-Konzeption von einem »Volksheim Schweden« fand im späteren Wirken Olof Palmes im Verlauf vieler innenpolitischer Konflikte ihre unverkennbare Widerspiegelung. Sein politisches und nicht zuletzt sein besonderes rhetorisches Talent, das durch sein in den USA erworbenes exzellentes Englisch komplettiert worden war, erlaubten ihm eine ungewöhnliche Karriere. Noch in jungen Jahren fand er Zutritt zu und die Betrauung mit vielfältigen hochrangigen Funktionen auf der Ebene gesellschaftlicher und schließlich staatlicher Führungstätigkeiten. Zunächst gehörte dazu u. a. auch seine Aufgabe als Vertreter Schwedens in der Zentrale des Internationalen Studentenbundes in Prag, die er vor dem Hintergrund der Zuspitzung des Kalten Krieges zwischen Ost und West in diskreter Kooperation mit dem Geheimdienst seines Landes zu koordinieren wusste. Im Sinne seiner anerzogenen und dazugewonnenen antikommunistischen Grundüberzeugungen hatte er sich in diesem Kontext auch nicht davor gescheut, durch Scheinheirat eine tschechische Staatsbürgerin außer Landes zu bringen. Über verschiedene Funktionen und Vertrauensposten sowohl in der Regierungskanzlei als auch in den Führungsgremien der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei des Landes wurde Olof Palme erstmals 1958 als Parlamentsabgeordneter der SAP in den schwedischen Reichstag gewählt. In den 60er Jahren bekleidete er verschiedene Ministerposten, von denen jedoch seine Rolle als Kommunikationsminister besondere Hervorhebung verdient. Erstmals war er als Mitglied der schwedischen Regierung mit den USA in Konflikt geraten. Nachdem er den amerikanischen Krieg nicht nur verbal in immer deutlicherer Übereinstimmung mit der schwedischen Massenbewegung für Frieden in Vietnam kritisiert hatte, führte er selbst im Sommer 1968 an der Seite des Botschafters der Demokratischen Republik (Nord-)Vietnam den Demonstrationszug in Stockholm für die Beendigung des Aggressionskrieges der USA an. Nach hierauf empörten Protesten der US-Administration hatte jedoch dieser demonstrative Akt Olof Palmes nach eingehender Debatte als offizielle Position der Regierung unter Ministerpräsident Tage Erlander seinen billigenden Rückhalt erfahren. Im September 1969 übernahm Olof Palme 42-jährig nach seiner Wahl zum SAP-Vorsitzenden zugleich das Amt als schwedischer Regierungschef.
Palmes Erkenntnis: Globales Überleben durch friedliche Koexistenz
Olof Palme stand nunmehr an der Spitze eines Landes, das seit 1814 dank zunächst günstiger Konstellationen zwischen den großen Mächten während des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vom grausamen Geschehen der Weltkriege verschont wurde. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs richteten sich die Bestrebungen Schwedens realpolitisch darauf, während des Kalten Krieges zwischen Ost und West außerhalb einer denkbaren militärischen Auseinandersetzung zu verbleiben. Trotz stets klar bekundeter westlicher Systemzugehörigkeit und latenter Verbindungen der militärischen Spitze des Landes zu den USA galt als außenpolitische Maxime die Formel von einer »Bündnisfreiheit in Friedenszeiten zwecks Neutralität im Kriegsfall«. Als wirtschaftlich zwar stärkster Staat Nordeuropas, musste Schwedens Bourgeoisie wie die der anderen nordeuropäischen Nachbarländer historisch frühzeitig einsehen, dass ihr aufgrund des geringen Potenzials im Vergleich zu den imperialistischen Hauptmächten eine militärische Veränderung des Kräfteverhältnisses zu eigenen Gunsten nicht zu Gebote stand. Allerdings nutzte Schweden bis zum großen gesellschaftlichen Umbruch in Osteuropa 1989-91 (ähnlich wie Finnland) seine spezifische Stellung in der westlich-kapitalistischen Arbeitsteilung für eine auffälligere Profilierung seiner außenpolitischen Positionen in Richtung einer friedlichen Koexistenz der gegensätzlichen Gesellschaftssysteme. Unter Palme erfuhr die Außenpolitik seines Landes eine klare Hinwendung zu den Entwicklungsländern, vor allem gegenüber den Problemen des Entkolonisierungsprozesses. Herausragende Beispiele waren hierfür die innerhalb Schwedens politisch keineswegs unwidersprochene Verurteilung der Apartheidpolitik in Südafrika, die Unterstützung für die Befreiungsbewegungen in Afrika und Indochina (FNL; diplomatische Anerkennung der DRV 1971) sowie das Treffen Olof Palmes bei seinem Staatsbesuch 1975 in Cuba mit Fidel Castro. In Hinblick auf die Staaten des Warschauer Paktes, insbesondere gegenüber der UdSSR und der DDR, markierte er zunächst unter Verweis auf die dort vermeintlich menschenrechtlich unerträglichen Defizite kategorische Ablehnung näherer zwischenstaatlicher Beziehungen (Ungarn 1956, Berliner Mauer 1961, Intervention 1968 in der CSSR). Angesichts der militärisch wachsenden Spannungen im Zuge der Atomraketenkrise nach dem Brüsseler NATO-Ratsbeschluss von 1979 zwischen den USA und den Staaten des Warschauer Paktes mit der Tendenz zu drastisch sinkenden Vorwarnzeiten ergriff Olof Palme eine beispielhafte Initiative. Weitgehend frei von ideologischen Ambitionen gründete er die Kommission für Internationale Abrüstung. Diesem Schritt lag seine Erkenntnis zugrunde, dass im Fall eines zwischen den Militärblöcken mit Kernwaffen ausgetragenen Krieges auch für ein neutrales Schweden so gut wie keine Überlebenschancen bestanden. In die Arbeit dieses Gremiums und die dort zu treffenden abrüstungspolitischen Aussagen war es ihm gelungen, maßgebliche Politiker und Spitzenwissenschaftler nicht nur aus den USA und der Sowjetunion, sondern auch aus dem Kreis der blockfreien und neutralen Länder, einzubeziehen. Der 1982 an die ganze Welt gerichtete Bericht dieses schon bald gängig als »Palme-Kommission« bezeichneten Gremiums forderte im Namen des dramatisch gefährdeten Überlebenserfordernisses für die Menschheit allem voran die Einstellung des atomaren Wettrüstens. Gestützt auf die Überlegungen und Konzepte zur Schaffung kernwaffenfreier Gebiete (so u. a. vom ehemaligen polnischen Außenminister A. Rapacki und vom finnischen Präsidenten U. Kekkonen für ein atomwaffenfreies Nordeuropa) setzte sich Olof Palme für die Errichtung eines 150 km breiten, sich durchgängig von Nord bis Süd erstreckenden kernwaffenfreien Korridors in Europa ein. Ganz offenkundig waren diese existenziellen Gefahrenmomente für die europäische Sicherheit Grund genug dafür, die in den Anfängen seiner Regierungszeit geäußerten Aversionen des schwedischen Sozialdemokraten und Regierungschefs gegenüber staatssozialistischen Ländern zu Gunsten einer sicherheitspolitischen Realpolitik zurückzustellen. Davon zeugte im Juni 1982 auch sein Besuch in der DDR. Nach seinem Treffen mit dem DDR-Staatsratsvorsitzenden bekundete Olof Palme: »Mit Honecker bekam ich sehr guten Kontakt. Ich glaube, dass er aufrichtig Abrüstung will.«
Mit Olof Palmes Tod hatte Ost und West, ebenso der globale Süden einen großen Staatsmann verloren. Sein politisches Format fehlt für die noch größer gewordenen Herausforderungen heutiger Weltpolitik.
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