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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Vom Hinterhof zum Vorgarten – 200 Jahre Monroe-Doktrin

Gerhard Mertschenk, Berlin

 

Als der fünfte USA-Präsident, James Monroe, am 2. Dezember 1823 die Leitlinien formu­lierte, die als nach ihm benannte Doktrin in die Geschichte eingingen, war das die Wider­spiegelung einer neuen Qualität des Selbstbewusstseins der USA. Zu diesem Zeitpunkt war die Konsolidierung des Staatsterritoriums – sprich Raub/Aneignung des Landes der Prärieindianer – so gut wie abgeschlossen. Zwar standen die endgültige Unterwerfung der Prärieindianer, der Sezessionskrieg und die Aneignung der Hälfte des mexikanischen Staatsgebiets noch bevor, aber angesichts des Unabhängigkeitsprozesses in den Kolonien in Lateinamerika fühlte man sich schon so stark, die Gelegenheit nutzen zu können, um den europäischen Mächten Schranken aufzuzeigen. Dabei darf man nicht vergessen, dass die USA sich selber erst 1776 vom britischen Kolonialjoch losgelöst hatten. Mit der Monroe-Doktrin verbaten sich die USA jegliche Einmischung europäischer Länder auf dem amerikanischen Kontinent. Ein Verstoß gegen diesen politischen Grundsatz würde von den USA als feindselige Handlung angesehen werden und hätte unweigerlich ein Eingreifen der USA zur Folge. Im Gegenzug verzichteten die USA großzügig auf eine Einmischung in Kon­flikte in Europa. Die Kurzformel, auf die die Monroe-Doktrin reduziert wird, lautete dement­sprechend: »Amerika den Amerikanern«, wobei mit »Amerikanern« selbstverständlich die US-Amerikaner gemeint waren. (Dazu eine Anmerkung: Aufgrund der Abstammung von aus Afrika verschleppten Sklaven werden farbige Einwohner Amerikas gemeinhin als Afroame­rikaner bzw. nach spezieller Nationalität Afrokolumbianer usw. genannt. Logischerweise müssten die hellhäutigen US-Bürger als Euroamerikaner bezeichnet werden, und die Bezeichnung »Amerikaner« dürfte nur den originären Völkern zustehen.)

Die USA nahmen und nehmen für sich das Recht in Anspruch, jederzeit in jedem lateinamerikanischen Land zu intervenieren, wenn sie es für nötig erachten. Die vielfältigen USA-Interventionen in Lateinamerika in den vergangenen 200 Jahren haben gezeigt, dass diese Politik von den USA skrupellos umgesetzt wird. Dabei muss man sich immer vor Augen halten, dass es sich bei der Monroe-Doktrin um einseitig von den USA definierte Prinzipien handelt, die kein Völkerrecht darstellen. Da die traditionellen militärischen Inter­ventionen wegen Imagebeschädigung international nicht mehr gut ankommen, wird auf andere »nicht kriegerische« Einmischungen neuerer Art in Form von US-finanzierten Stif­tungen, NGO und Separatisten zurückgegriffen. Zu den »nicht kriegerischen« Mitteln gehö­ren auch die Wirtschaftssanktionen gegen Nationen, die sich nicht den USA-Maßstäben unterwerfen wollen, sondern für Gleichberechtigung und gemeinsames Handeln zum Woh­le aller in einer multipolaren Welt eintreten.

Der Monroe-Doktrin haftete immer der negative Beigeschmack von angemaßter Vorherr­schaft an, weshalb Barack Obama es im November 2013 sogar für opportun hielt, seinen Außenminister John Kerry die Monroe-Doktrin offiziell für tot erklären zu lassen, um dadurch seinen Heiligenschein als progressiver und verständnisvoller Präsident gegenüber den lateinamerikanischen Ländern noch heller leuchten zu lassen.

Donald Trump hingegen betonte 2018 vor der UN-Vollversammlung, dass die USA jedes Eindringen »expansionistischer ausländischer Mächte« (womit China und Russland gemeint waren) in die westliche Hemisphäre zurückweisen würden. Dabei bezog er sich ausdrück­lich auf James Monroe. Sein damaliger Sicherheitsberater John Bolton bekräftigte das mit der Versicherung: »Die Monroe-Doktrin lebt«.

James Monroe hatte allerdings schon einen Vorreiter. Bereits der dritte USA-Präsident, Thomas Jefferson, hatte erklärt, dass die USA eine Hemisphäre bräuchten, um Stabilität zu erreichen, zu prosperieren und ihre Großartigkeit abzusichern. Und diese Hemisphäre war natürlich Lateinamerika. Ganz aktuell findet sich diese Auffassung wieder in den Äußerun­gen der Generälin Laura Richardson, Oberkommandierende des für Lateinamerika zustän­digen Südkommandos der US-Streitkräfte. Vor dem Atlantik-Rat erwähnte sie am 19. Janu­ar 2023 unter anderem die vielen Bodenschätze in Lateinamerika, die für die Sicherheit der USA wichtig seien. In ihrer Begeisterung sprach sie nicht einfach von Bodenschätzen, die dort vorhanden sind, sondern sagte mehrmals »wir haben« dort – eine offenherzigere Enthüllung des Inhalts der Monroe-Doktrin ist wohl kaum denkbar.

Die auf die Monroe-Doktrin folgenden weiteren USA-Doktrinen – Roosevelt-Doktrin 1901: Politik des großen Knüppels (big stick) und Truman-Doktrin 1947: Politik der Eindämmung des Kommunismus [containment policy] – dehnten den Anspruch der USA auf die ganze Welt aus und beruhen auf dem ideologischen Fundament, demzufolge die USA eine Aus­nahmestellung in der Welt innehaben. Die »Amerikaner« verstehen sich als auserwähltes Volk, dessen Werte und Institutionen einerseits allen anderen überlegen sind, und sie andererseits gerade deshalb die Pflicht haben, diese Werte zum Wohle der gesamten Menschheit weltweit zu verbreiten. Diese Auffassung wird unter dem Schlagwort »manifest destiny« (offensichtliches oder unabwendbares Schicksal) zusammengefasst und besagt, dass die USA einen göttlichen Auftrag zur Expansion hätten. Es handelt sich also um ein religiös-politisch-ideologisch begründetes Sendungsbewusstsein, bei dem die eigenen, gottgegebenen Werte zum Ziel und Ideal der gesamten Menschheit erklärt werden.

Diese Grundeinstellung findet auch darin ihren Ausdruck, dass führende USA-Politiker – unter anderen Madeleine Albright, Barrack Obama, Hillary Clinton, George W. Bush, Marco Rubio, Joe Biden, Jeb Bush – von den USA als der einzigen unentbehrlichen Nation der Welt sprechen, keine andere Nation könne diese Rolle übernehmen, und das schließe die Gestaltung der globalen Institutionen mit ein. Alle anderen Völker sind demnach entbehr­lich und haben keine Daseinsberechtigung, wenn sie sich nicht den USA-Werten unterwer­fen. Das ist die Geisteshaltung, die hinter der aggressiven USA-Großmachtpolitik steht. Donald Trump stellte neben seinen bekannten Losungen »America first« und »Make Ameri­ca great again« auch klar: »Die extreme Linke arbeitet aktiv darauf hin, unsere gottgegebe­nen Rechte auszulöschen.« Es bleibt also weiterhin bei der Selbstwahrnehmung der USA als »God's own country«.

Die Monroe-Doktrin wurde im Laufe der Jahre immer wieder neu interpretiert und bleibt ein wichtiger Bestandteil der US-Außenpolitik. Sie spielt auch eine Rolle im beginnenden Wahlkampf in den USA. In dem Bestreben, sich als verständnisvoller Politiker darzustellen und sich von den Republikanern, speziell von Trump, abzugrenzen, enthüllte Joe Biden auf einer Pressekonferenz am 19. Januar 2023 beiläufig den wahren Unterschied zwischen ihm und Trump. Dieser spreche von Lateinamerika als dem Hinterhof der USA, während er darauf bestehe, dass alles, was südlich der mexikanischen Grenze liegt, Washingtons Vor­garten ist.

Sind nun die USA ihres Hinterhofs verlustig gegangen? Keine Sorge, in Lateinamerika weiß man schon, wer der neue Hinterhof des USA ist. So schrieb z.B. die Kommunistische Partei Chiles, dass »der nordamerikanische Imperialismus und sein neuer Hinterhof, die Europäi­sche Union, auf eine Konfrontation hinarbeiten, die in einem Atomkrieg mit katastrophalen Konsequenzen für das Überleben der Menschheit enden kann«.

Angesichts der Unterwürfigkeit der EU gegenüber der USA-Politik, wobei selbst gegen eige­ne Interessen agiert wird, sollte uns diese Einschätzung aus einem Erdteil, der seit 200 Jah­ren unter der Monroe-Doktrin zu leiden hatte, zum Nachdenken anregen und sie eingedenk des Umgangs der USA mit ihrem Hinterhof als Warnung verstehen lassen.

(Zuerst veröffentlicht im Juli 2023 in Cuba Sí Revista 2/2023, Seite 6, siehe https://cuba-si.org/revista)

 

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