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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Voltaire

Horsta Krum, Berlin

 

Als er am 21. November 1694 geboren wurde, gaben ihm die Anwesenden keine Chance. Den Überlebenskampf gewann er durch seine unglaubliche Zähigkeit, die ihn sein Leben lang prägte.

Er hieß François-Marie Arouet. Als er sechs Jahre alt war, starb seine Mutter, eine gebil­dete, litearisch-philosophisch interessierte Frau aus adliger Familie. Sein Vater, ein angesehener Jurist, gehörte dem gut situierten Bürgertum an. Sein letztgeborenes Kind, den kleinen, schmächtigen François-Marie, gab er in in das vornehme Jesuiten-Collège Louis-le-Grand.

Ein großer Teil des Unterrichts bestand in Latein. Fein gedrechselte Verse unterschiedli­chen Inhalts begleiteten den Alltag. François-Marie dichtete gut; beispielsweise formu­lierte er einen so ergreifenden Vers für einen invaliden Bettler, dass der Dauphin dem Armen reichlich Almosen gab. Aber meist waren seine Verse von »frühzeitiger unan­ständiger Frechheit, der eine erstaunliche Sprach- und Versgewandtheit zu Gebote« stand. [1]Seine adligen Klassenkameraden akzeptierten ihn, und zusammen gestalteten sie sich einen möglichst angenehmen Alltag »Die Anstalt war nicht schlecht«, urteilte er später, »aber auch nicht besser, als diese Jesuitenanstalten eben waren.« Er vermisste Mathematik und vernünftige Philosophie; »ich wusste Latein und dummes Zeug.« [2]

Trotzdem wusste er, dass er der jesuitischen Schulbildung viel verdankte und dass auf sie die Anfänge seiner späteren brillianten Schriften (beispielsweise »Candide«) und Theaterstücke (wie »Oedipe«) zurückgingen.

Im Dienst der Aufklärung

Unmöglich können Voltaires Werke und sein Leben auf wenigen Seiten beschrieben werden. So sind diese Zeilen nur ein kleiner Hinweis auf den großen Voltaire und regen vielleicht an, etwas von ihm zu lesen.

Sein Leben bewegte sich in Extremen. Der Schüler Arouet dichtete für einen Bettler und ließ es sich mit adligen Söhnen gut gehen. Der erwachsene Voltaire saß gefangen in der Bastille – und an der Tafel des französischen Königs in Versailles oder des Preußen­königs in Sanssouci. Manchmal schmeichelte Voltaire den Großen, doch konnten sie niemals vor seiner beißenden Kritik sicher sein.

Als er 24 Jahre alt war, wurde sein erstes Theaterstück »Oedipe« auf der Bühne gespielt, 45-mal hintereinander – ein sensationeller Erfolg. Damit trat »die französische Tragödie in den Dienst der Aufklärung«, so Klemperer. [3] Eine kleine Episode erregte das Kopfschütteln einiger Zuschauer und auch Außenstehender – lebten doch die gepfleg­ten Zusammenkünfte der reichen Nichtstuer von Klatsch und Tratsch. Die meisten Zuschauer aber reagierten begeistert: Der junge Dichter François-Marie Arouet trat im Stück auf als Schleppenträger des Oberpriesters. Damit ironisierte er sich selber und den Klerus.

Diese kleine Episode ist typisch für ihn und macht ihn liebenswert: Bei allem Spott und den Vorwürfen, die er gegenüber den Großen und seinen direkten Gegnern erhob, konnte er sich auch über sich selber lustig machen. Diese Theateraufführung bedeutet eine Etappe in seinem Leben: Er ändert seinen Namen. Die Buchstaben »Arouet l(e) j(eune) ergeben VOLTAIRE, wobei V in den alten Sprachen mit U austauschbar war und J mit I.

Durch dieses Theaterstück erreichte er drei Dinge, die er sich bereits als Schüler vorge­nommen hatte: Ruhm, Reichtum und Aufnahme in die feine Gesellschaft. Trotz mancher Niederlagen war er überzeugt, dass seine Schriften zu den besten des Jahrhunderts zählten. Sein Streben nach Reichtum versteckte er nicht hinter scheinbar moralischen Begründungen wie manche seiner Zeitgenossen, sondern sprach es offen aus, als er sich an einem riskanten Finanzgeschäft beteiligte, das sich als Fehlspekulation erwies: »Ich habe so viele Männer der Literatur arm und verachtet gesehen, dass ich seit lan­gem beschlossen hatte, ihre Zahl nicht zu vermehren. Man muss in Frankreich Amboss oder Hammer sein.« [4]

Reichtum – oder besser: einen auskömmlichen Wohlstand – sicherte ihm zeitweise sein Vater. Aber der achtete sehr auf den Lebenswandel seines jüngsten Sohnes und war mit dessen literarischen Neigungen nicht einverstanden. Als François-Marie mit sech­zehn Jahren das Jesuiten-Collège verließ, sprach der Vater von Enterbung und erreichte so, dass sein Sohn die Juristen-Ausbildung durchlief und eine Zeitlang in einer Kanzlei arbeitete. Aber nur eine Zeitlang, bis er sich ganz und gar dem Schreiben widmete und den Versuchen, Aufnahme zu finden in die feine Gesellschaft. Das gelang, musste aber immer wieder neu erkämpft werden. Auch die Geldzuwendungen der Gönner nach der erfolgreichen Aufführung des »Oedipe« reichten, wie später auch, nur für begrenzte Zeit, zumal Voltaires Lebensstil nicht eben bescheiden war.

Neidische Adlige mit großem Namen ließen ihn immer wieder spüren, dass er aus einer anderen Klasse stammte. Nachdem Voltaire seinen Namen gewechselt hatte, sprach ihn ein Adliger mit altem, wohlklingendem Namen an und fragte Voltaire anzüglich nach seinem Namen. Voltaire antwortete, dass er zwar keinen großen Namen mit sich schleppe, aber dem Ehre zu machen wisse, den er führe.

Diese Szene spielte sich unter Zeugen ab, sodass Voltaire mit seinem Spott den Adligen bloßgestellt hatte. Der rächte sich und ließ seinen Gegner durch seine Diener verprü­geln – eine gesellschaftliche Katastrophe für Voltaire, die seine Versuche, zur feinen Gesellschaft zu gehören, zunichte machte. Er gab sich mit halb-kriminellen Raufbolden ab, lernte von ihnen und nahm Fechtunterricht, um seinen Gegner zum Duell zu for­dern. Die feine Gesellschaft ließ ihn kurzerhand in die Bastille einliefern. Die kannte er bereits, wurde diesmal als Ehrengast behandelt und nach einigen Monaten entlassen – mit der Auflage, eine Reise nach England anzutreten.

Frankreich, England und Preußen

Mit dieser Reise öffnete sich ihm eine andere Welt. Schnell fand er Anschluss an die Vornehmen, lernte schnell Englisch und hielt sich abwechselnd auf dem Lande und in London auf, wo er viele Theateraufführungen besuchte. Er bewunderte Shakespeare, »der in einem Jahrhundert der Unwissenheit lebte, nicht einmal Latein verstand und kei­nen Lehrer hatte als sein Genie«. [5]Nach seiner Rückkehr konnte Voltaire einige Neue­rungen für das französische Theater behutsam durchsetzen.

Der Vergleich, den Voltaire zwischen England und Frankreich anstellte, fiel für Frank­reich nicht eben schmeichelhaft aus. Über die englische Regierung schrieb er, dass sie »nicht auf Glanz berechnet« sei. Besonders hart war seine Kritik an der katholischen Kirche. Auch mochten es seine Landsleute nicht, dass er auf die Newtonsche Gravita­tionslehre aufmerksam machte und die Pockenimpfung empfahl. Seine »Philosophi­schen Briefe« über England und Frankreich konnten in Frankreich nur heimlich gedruckt werden. Die Regierung ließ sie beschlagnahmen und durch den Henker öffentlich zer­reißen und verbrennen. Der Verleger saß in der Bastille. Voltaire, 39-jährig, entzog sich der Verhaftung und flüchtete nach Lothringen, wo ihn die Marquise de Chatelet in ihrem abgelegen Schlösschen Cirey aufnahm. Die 27-jährige Marquise war außerge­wöhnlich intelligent, belesen und kannte sich vor allem in Naturwissenschaften aus. Mit ihr zusammen führte Voltaire physikalische Experimente aus, zusammen verfassten sie Schriften über Newton. Die sechzehn Jahre in Cirey waren die glücklichsten für Voltaire und auch für sie. Nur gelegentliche Eifersucht trübte diese Zeit, wenn Voltaire kurzfris­tig nach Potsdam/Berlin reiste, um einer Einladung des Preußenkönigs Friedrich II. zu folgen. Der hatte bereits brieflichen Kontakt mit Voltaire hergestellt, konnte ihn aber erst einladen, nachdem 1740 sein brutaler und herrschsüchtiger Vater Friedrich Wil­helm I. gestorben war.

Der Tod der Freundin stürzt Voltaire in tiefe Verzweiflung. Freunde helfen, indem sie mit ihm in die Pariser Theaterwelt eintauchen. Aber Voltaire möchte weg; er nimmt die Ein­ladung des Preußenkönigs an, auf Dauer nach Potsdam/Berlin zu kommen. An seine Freunde schreibt er: »Eine Stunde am Tag widme ich dem König, um seine Werke in Prosa und Versen ein wenig abzurunden. Den Rest des Tages habe ich für mich, und der Abend schließt mit einem angenehmen Souper.« [6] Aber so harmonisch diese Sätze klin­gen, das Verhältnis verschlechtert sich: Beispielsweise versucht Voltaire, seiner Regie­rung einen Gefallen zu tun, und fragt Friedrich nach seinen Kriegsplänen aus; der Preu­ßenkönigs entdeckt in Voltaire »den geheimen Agenten«. Besonders missfällt dem König, dass Voltaire gegen einen jüdischen Juwelier einen Prozess führt, der großes öffentliches Aufsehen erregt. Lessing dichtet einen Spottvers: Voltaire sei ein noch grö­ßerer Schelm als der Jude.

Das Zerwürfnis war so groß, dass Voltaire Preußen verließ. Auf der Rückreise wurde er in Frankfurt verhaftet, in der Pfalz dagegen großartig aufgenommen. Später versöhnten sich der König und Voltaire und blieben in ständigem Briefkontakt.

In Paris drohte Voltaire noch immer Haft; so kaufte er 1758 ein Grundstück in Ferney an der Schweizer Grenze. Damit begann eine verhältnismäßig ruhige Zeit, während der Voltaire angefangene Werke vollendete, neue verfasste – und in Paris Unruhe stiftete, etwa mit seinen juristischen Werken [7].

Schwerkrank kehrt er nach Paris zurück, wo er enthusiastisch gefeiert wird. Da er nicht auf dem Schindanger beerdigt werden will, trotzt er dem Klerus ein »ordentliches« Begräbnis ab durch eine Art Beichte. Am 30. Mai 1778 stirbt er – ein Jahr vor dem Sturm auf die Bastille, der die Französische Revolution einleitet.

Schade, dass wir, die östlichen Nachbarn Frankreichs, keinen Voltaire gehabt haben! Nahe stand ihm Heinrich Heine. Aber der hielt es nicht aus in seinem Heimatland, sondern ging nach Frankreich.


Anmerkungen:

[1] Victor Klemperer, Voltaire, Berlin 2004, S. 13.

[2] Zitiert nach David Friedrich Strauß, Gesammelte Schriften, Band 1, Bonn 1878, S. 9.

[3] Klemperer, S. 18.

[4] Strauß, S. 37. Brecht formuliert das in der »Dreigroschenoper« so: »Und wenn einer tritt, dann bin ich es; und wird einer getreten, bist du's.«

[5] Strauß, S. 42.

[6] Ebd., S. 97.

[7] In einem der nächsten Hefte soll Voltaire noch besser zu Worte kommen, mit seiner bekanntesten juristi­schen Schrift »L’Affaire Calas« und dem dazugehörigen »Traité sur la Tolérance« von 1763.

 

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