Vertrauen zurückgewinnen
Ellen Brombacher, Berlin
Diskussionsbeitrag auf dem Berliner Landesparteitag am 26. November 2011
Liebe Genossinnen und Genossen, spätestens mit der Vorentscheidung über die Wiederauflage einer rot-schwarzen Berliner Koalition, war – vor allem aus unserer Partei – mehrfach zu hören, die Wähler würden alsbald merken, was es bedeute, daß Rot-Rot abgewählt wurde. Vermutlich haben jene, die so argumentieren, nicht Unrecht. Aber auch ein anderes Argument macht die Runde: Die LINKE könne wohl kaum glaubwürdig gegen eine Politik opponieren, die sie in den vergangenen zehn Jahren aktiv betrieben hat. Auch diese Sichtweise kann nicht ohne weiteres entkräftet werden. Beide Positionen stellen allerdings eine ziemliche Realitätsverkürzung dar: Hier wird darauf gesetzt, daß die zu erwartenden sozialen Erfahrungen unter Rot-Schwarz unsere Sünden vergessen machen werden. Dort darauf, die LINKE könne tun, was sie will: Ihre Glaubwürdigkeit würde sie nicht zurückgewinnen. Die zwei scheinbar entgegengesetzten Herangehensweisen haben eine Gemeinsamkeit: In beiden wird auf die Forderung nach einer schonungslosen Analyse der zehn Regierungsjahre von PDS und LINKEN verzichtet. In einem Falle, weil sie durch bevorstehende Erfahrungen ersetzt werden soll, und im anderen, weil eine solche Analyse ohnehin nichts bewirken würde. Nicht nur die Genossinnen und Genossen der KPF sind der Auffassung, daß es aber gerade einer solchen Analyse bedarf, vor allem, um durch Offenheit Vertrauen zurückzugewinnen. Und da gibt es mit dem heutigen Referat von Klaus Ansätze für Offenheit. Die dürfen nicht taktischer Natur sein. Wenn ich aber einige Reaktionen auf den heutigen Diskussionsbeitrag von Thomas Licher nehme, so bin ich nicht ohne Befürchtungen.
Unmittelbar nach den Berliner Wahlen haben Carsten Schulz, Rim Farha und ich erste Überlegungen zu den Wahlergebnissen vom 18. September vorgelegt. Und es gibt – veröffentlicht im 2005 erschienenen Sammelband "Warum, für wen, wohin" – eine prinzipielle Einschätzung von Carsten und mir "2006 erneut Rot-Rot in Berlin?" Beide Papiere könnten zu einer Analyse beitragen.
Liebe Genossinnen und Genossen, mir geht es weder darum, hier zu betonen, daß wir alles schon lange gewußt und auch gesagt haben, noch um irgendeine Form des Wundenlekkens. Es geht – für die Zukunft – um die Beantwortung von mindestens zwei Fragen. Erstens: Wie ist das miserable Wahlergebnis von 2006 zu erklären, welches nie wirklich bewertet wurde, wahrscheinlich, weil wir dennoch wieder mitregieren durften? Und zweitens: Woran lag es, daß unsere Umfragewerte 2010 besser geworden waren und im Verlaufe dieses Jahres wieder in den Keller sackten? Es wäre in diesem Kontext wenig hilfreich, und Klaus hat das in seinem heutigen Referat auch nicht getan, die in der Gesamtpartei in den Monaten vor den Abgeordnetenhauswahlen geführten, teils unproduktiven Debatten höher zu bewerten als eigene Versäumnisse in zehn Jahren Regierungsbeteiligung. Meine Position zu den zwei aufgeworfenen Fragen in der Kürze, die ein Fünfminutenbeitrag erzwingt: Begonnen mit der unsäglichen Präambel des Koalitionsvertrages und über viele politische Entscheidungen hinweg – besonders der ersten Legislaturperiode – haben wir uns der SPD weitgehend angepaßt und damit nicht zuletzt Mitglieder unserer Partei und beträchtliche Wählerscharen verprellt. In der zweiten Wahlperiode waren wir um mehr Eigenständigkeit bemüht, und das zahlte sich zunächst einmal aus. Dann kam der Novemberparteitag 2010. Mehrere Anträge, die verlangten, die LINKE solle im Volksentscheid den Wassertisch unterstützen, wurden weggebügelt. Das Unterschriftensammeln für den Entscheid in Geschäftsstellen unserer Partei war nicht erwünscht. Und so manches Parteimitglied, das in diesem oder jenem Bezirksvorstand nachfragte, wie es sich beim Volksentscheid verhalten solle, bekam zur Antwort: Am besten, zu Hause bleiben. Mit diesem Vorgehen haben wir noch verbliebenes Vertrauen, welches uns außerparlamentarische Bewegungen, weit über den Wassertisch hinaus, entgegenbrachten – zunächst in Größenordnungen verspielt. Oder denken wir an die Delegation der Henselkiez-Bewohner, die zum Novemberparteitag kam. Verzweifelte Menschen hofften auf ein Signal der Solidarität. Doch der vorliegende, solidarisch formulierte Beschlußantrag wurde nicht behandelt, angeblich, weil am Parteitagsmorgen Form- und Sachfehler festgestellt worden waren. Eine unglaubhafte Sache. Ähnlich Halbherziges wiederholte sich 2011 auf dem März-Parteitag. Die nicht gesendeten Signale der Solidarität signalisierten somit beinahe automatisch das Gegenteil: Den Mangel an Solidarität. Da brachte dann auch ein Wahlplakat nichts mehr, auf dem versprochen wurde: "Mieter vor Wild-West schützen" zu wollen. Dieses Plakat hat uns im übrigen so mancher Sympathisant im Westen übel genommen. Und besonders für den Osten gilt nach meiner Überzeugung: Nicht das Glückwunschschreiben an Fidel anläßlich seines fünfundachtzigsten Geburtstages hat uns primär Stimmen gekostet, sondern die Reaktion von Klaus auf dieses Schreiben. Sehr viele Mitglieder unserer Partei sind mit dem sozialistischen Kuba äußerst solidarisch – zu Recht. Und noch etwas: Es ist unbegreiflich, wie man am Tag nach dem Erfurter Parteitag die Forderung stellen kann, den Wahlparteitag auf Bundesebene vorzuziehen, ohne offenkundig je darüber nachgedacht zu haben, daß dies nach einer solchen Wahlschlappe für die Landesebene in Betracht gezogen werden könnte. Ich sage das hier nicht, um nachzutreten. Ich sage das hier, um für die Zukunft mehr Sensibilität einzufordern, gerade auch im Umgang mit der Basis der Partei.
Mehr von Ellen Brombacher in den »Mitteilungen«:
2011-11: Erste Einschätzung des Parteitages
2011-11: Einzelfallprüfung definitiv ablehnen