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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Überlegungen zum 60. Jahrestag der Gründung der VR China

Rolf Berthold, Berlin

 

Am 1. Oktober 1949 wurde auf dem Tian An Men - Platz in Beijing mit einem feierlichen Zeremoniell vor 300.000 Einwohnern, Angehörigen der Volksbefreiungsstreitkräfte, Mitgliedern der KP Chinas, Vertretern des neuen China aus vielen Landesteilen von Mao Zedong die Gründung der VR China proklamiert. Beijing war bereits am 31. Januar 1949 ohne bewaffnete Kämpfe befreit worden. Die Hauptstadt des Guomindang-Regimes, Nanjing, wurde am 23. April besetzt. Die Reste dieses Regimes hatten sich nach Taiwan abgesetzt.

Am Vorabend des 1. Oktober 1949 hatte die Politische Konsultativkonferenz des Chinesischen Volkes, das provisorische Parlament, eine Reihe wichtiger Beschlüsse gefaßt: Staatsbezeichnung ist "Volksrepublik China", Hauptstadt ist Beiping, das mit Wirkung vom 1. Oktober 1949 in Beijing (nördliche Hauptstadt) umbenannt wurde. Weitere Beschlüsse betrafen die Staatsflagge, die Nationalhymne und die Einführung der modernen Zeitrechnung. Beschlossen wurde auch das "Gemeinsame Programm der Politischen Konsultativkonferenz des chinesischen Volkes" (provisorische Verfassung). Am Abend des 30. September wurde der Grundstein für das Denkmal für die Helden des Volkes auf dem Tian An Men - Platz gelegt.

Der Sieg der chinesischen Revolution beendete die über einhundertjährige Ausbeutung und Unterdrückung durch den Imperialismus und die mit ihm verbündeten feudalistischen Herrscher (in der bürgerlich-demokratischen Revolution 1911 wurde zwar die Kaiserdynastie abgeschafft, aber der halbfeudale, halbkoloniale Zustand der Gesellschaft blieb unverändert). Die reaktionäre Herrschaft der Tschiang-Kaischek-Clique wurde zerschlagen.

Der Sieg der Revolution des chinesischen Volkes, so heißt es offiziell, ist nicht nur der größte Sieg in der chinesischen Geschichte, sondern er ist auch von weltweiter Bedeutung. Er ist nach der Oktoberrevolution und dem Sieg im 2. Weltkrieg das wichtigste Ereignis der Weltgeschichte. Er hat in einem großen Land mit einem Viertel der Menschheit die Ostfront des Imperialismus endgültig durchbrochen und das Antlitz der Welt verändert. Er hat die Kräfte des Friedens, der Demokratie und des Sozialismus in der Welt gestärkt, die unterjochten Nationen und Völker im Kampf um ihre Befreiung ermutigt.

Die VR China trat nicht sofort in die sozialistische Entwicklung ein. Unmittelbar nach Gründung der VR China beschritt das Land den Weg der Überwindung der Folgen des jahrzehntelangen Bürgerkrieges und der japanischen Aggression im II. Weltkrieg. Es stand zuerst die Aufgabe, die "Neudemokratische Revolution" zu vollenden.

Erst nach Lösung der Aufgaben zur Beseitigung der halbfeudalen, halbkolonialen Gesellschaftsstrukturen konnte in der ersten Hälfte der 50er Jahre schrittweise der Übergang zur sozialistischen Umgestaltung eingeleitet werden.

In der ersten Phase der Entwicklung der VR China wurden bedeutende Erfolge auf allen Gebieten der gesellschaftlichen Entwicklung erreicht. Die innere Ordnung wurde hergestellt, Bildung und Gesundheitswesen entwickelt, die Wirtschaft vorangebracht und das Lebensniveau des Volkes sichtbar verbessert. Das chinesische Volk hat einen großen Beitrag zum Kampf gegen die USA-Aggression in Korea geleistet. Schwere linke Fehler führten zu Bildung der Volkskommunen, dem Großen Sprung und dann zur Katastrophe der Kulturrevolution. Nach dem Ableben von Mao Zedong und dem Ende der Kulturrevolution hat die KP Chinas eine prinzipielle Auseinandersetzung mit den begangenen Fehlern geführt. Die Verantwortung Mao Zedongs wurde klar benannt. Aber es wurde betont, daß die notwendige ernste und prinzipielle Kritik an den Fehlern Mao Zedongs nicht zur völligen Verurteilung führen darf. Denn das würde bedeuten, die gesamte Geschichte des revolutionären Kampfes zu negieren.

In dem Buch über die Geschichte der KP Chinas heißt es: "Wenn man das gesamte Leben Mao Zedongs betrachtet, hat er sich des Namens eines großen Marxisten würdig erwiesen, er war ein großer proletarischer Revolutionär, Stratege und Theoretiker. Er leistete einen wichtigen Beitrag für die Gründung und Entwicklung der KP Chinas und der Volksbefreiungsarmee Chinas, für die Befreiung aller Nationalitäten Chinas, für die Errichtung der VR China. In der zweiten Hälfte seines Lebens führte er die Partei und das Volk im Widerstand gegen Bedrohung und Druck von außen, bei der Verteidigung der Unabhängigkeit des Landes, bei der Schaffung der Grundlagen des Sozialismus in China und der Erkundung des Weges des sozialistischen Aufbaus in China. Diese bedeutenden historischen Verdienste und der schöpferische Geist sind voll und ganz anzuerkennen. Seine Fehler bei der Suche des Weges, insbesondere der ernste Fehler der ‚Kulturrevolution’ hatten zur Folge, daß China beim Aufbau des Sozialismus große Umwege ging und bittere Lehren ziehen mußte. Die Hauptverantwortung für die ‚Kulturrevolution’, diesen allumfassenden, lang anhaltenden ‚linken’ Fehler trägt Mao Zedong".

Um das gesamte gesellschaftliche Ausmaß und Problem zu verdeutlichen, hier einige Zahlen über die Korrekturen nach der "Kulturrevolution":

Bis 1982 wurden 3 Millionen Kader und zahlreiche gemaßregelte demokratische Persönlichkeiten und Intellektuelle rehabilitiert. Bis 1982 war die Rehabilitierung der zu Unrecht Gemaßregelten im Wesentlichen beendet.

Gleichzeitig wurden einige von der Geschichte hinterlassene Fragen gelöst: 1979 erhielten Großgrundbesitzer, reiche Bauern, ehemals als Konterrevolutionäre und Saboteure Eingestufte, welche über viele Jahre gesetzestreu waren, ihre Bürgerrechte zurück. Mit dieser Entscheidung erhielten mindestens 20 Millionen Menschen ein neues politisches Leben. 700.000 Händler und kleine Handwerker erhielten ihren Status als Werktätige zurück.

Bis 1980 wurde für 540.000 fälschlicherweise als "Rechte" eingestufte Personen diese Bezeichnung gestrichen. "Linke" Fehler in der Arbeit mit nationalen Minderheiten und Gläubigen wurden korrigiert.

Die VR China befindet sich heute nach Überwindung der schweren Fehler der Volkskommunen, des Großen Sprunges und insbesondere der "Kulturrevolution", nach der strategischen Korrektur 1978 mit der Politik der Reformen und Öffnung nach außen und der Konzentration auf die Entwicklung der sozialistischen Produktivkräfte in der Anfangsphase des Sozialismus.

Die VR China ist heute ein Land, das bei der Lösung der noch vorhandenen sozialen Fragen und der Verbesserung des Lebens des Volkes beispielgebende Fortschritte erzielt, das immer sichtbarer als Faktor des Friedens, der internationalen Stabilität und der Lösung globaler Probleme mit friedlichen Mitteln wirkt. China ist heute ein Staat mit großer internationaler Autorität, es engt zunehmend die Spielräume der imperialistischen Mächte zur Durchsetzung ihrer hegemonistischen Politik ein. China ist ein bedeutendes Entwicklungsland mit dem zunehmend anerkannten Anspruch, ein alternatives Entwicklungsmodell zum heutigen krisengeschüttelten Kapitalismus zu verkörpern. Das chinesische Volk tritt mit bemerkenswerten Schritten aus der Situation eines armen Volkes heraus. Bis zum Jahr 2020 soll das Sozialsystem flächendeckend und die Armut in Stadt und Land vollständig beseitigt sein.

Artikel 1 der Verfassung der VR China, die 1954 beschlossen wurde, lautet: "Die Volksrepublik China ist ein sozialistischer Staat der demokratischen Diktatur des Volkes, geführt von der Arbeiterklasse und gegründet auf dem Bündnis der Arbeiter und Bauern. Das sozialistische System ist das grundlegende System der Volksrepublik China. Jeglichen Organisationen und Individuen ist es verboten, das sozialistische System zu sabotieren."

Die Führung der KP Chinas hat die Erarbeitung eines eigenen Weges, der den konkreten Bedingungen Chinas entspricht, besonders betont. Die Strategie der Partei zur Errichtung des Sozialismus chinesischer Prägung ist als Theorie Deng Xiaopings in die Geschichte der KP Chinas eingegangen. Die KP Chinas betont ständig, daß ihre Politik auf den Grundprinzipien des Marxismus-Leninismus beruht und diese Prinzipien auf die konkreten Bedingungen Chinas anwendet.

Ein wesentlicher Bestandteil der Strategie des Sozialismus chinesischer Prägung ist die Formulierung über die Anfangsetappe des Sozialismus. Diese Entwicklungsphase wird als lange Periode bezeichnet, in der noch zahlreiche Elemente nichtsozialistischer gesellschaftlicher Verhältnisse vorhanden sind. Das gibt aber niemandem das Recht, der VR China den Status eines sozialistischen Staates abzusprechen. Ohne die sozialistischen Machtverhältnisse wäre es ja niemals möglich gewesen, die halbkolonialen und halbfeudalen Verhältnisse zu brechen, das stockreaktionäre Regime Tschiang Kaischeks hinwegzufegen, dem Land nach Jahrhunderten ununterbrochener Kriege endlich Frieden zu schaffen. Der weithin sichtbare wirtschaftliche Aufschwung, die beeindruckenden Ergebnisse in Bildung, Wissenschaft und Technik, das gewachsene Lebensniveau des Volkes, die gestiegene Lebensqualität, waren nur unter sich entwickelnden sozialistischen Bedingungen möglich. Der Prozeß der sozialistischen Entwicklung ist lang, er ist nicht ohne Schwierigkeiten zu beschreiten, und es gibt auch nicht wenige Störversuche. Niemand in China spricht davon, daß der Sozialismus in China schon vollendet ist.

Die Niederlage des Sozialismus in der UdSSR und den europäischen sozialistischen Ländern haben die KP Chinas zu einer gründlichen Überprüfung der eigenen Politik veranlaßt. Die Veränderung der gesamten internationalen Lage, des internationalen Kräfteverhältnisses haben die VR China mit schwierigen Fragen konfrontiert. Die Ereignisse in China Anfang und Mitte 1989 standen ja zeitlich und hinsichtlich der Absichten und Zielstellung mit den darauf folgenden Ereignissen in Europa im Zusammenhang.

Nach den Ereignissen in der Sowjetunion und den europäischen sozialistischen Ländern stand die VR China vor einer schwierigen Situation. Konzentriert kam das in der Rede von Jiang Zemin Anfang 2000 zum Ausdruck: "Unsere Partei wird niemals auf den Platz des Verlierers geraten, wenn sie von Anfang bis Ende ein getreuer Vertreter der Forderung nach Entwicklung fortgeschrittener gesellschaftlicher Produktivkräfte Chinas, der fortschrittlichen Kultur Chinas und der grundlegenden Interessen der überwiegenden Mehrheit des chinesischen Volkes ist".

In dieser knappen Formulierung sind viele Elemente enthalten, die das ganze Spektrum der Politik der KP Chinas umfassen. Hier nur einige dieser Elemente: Die Entwicklung der Produktivkräfte muß kompromißlos an erster Stelle stehen, es muß eine dem Kapitalismus überlegene Wirtschaft geschaffen werden. Dies betrifft den wissenschaftlich-technischen Stand, Umweltschutz und Ressourcenschonung, Entwicklung der Wirtschaft unter dem Gesichtspunkt der Erhaltung der Lebensbedingungen auf der Erde. Gestaltung einer ideologischen Arbeit, die nicht durch Fehler zu politischen Problemen führt. Den Mensch in den Mittelpunkt stellen, die sozialen Fragen lösen, die sozialistische Demokratie und das sozialistische Rechtswesen entwickeln; Kein Pluralismus auf ideologischem Gebiet, keine Übernahme des westlichen politischen Systems, das sind Maxime ihrer Politik. Die Vertiefung der Reform der politischen Strukturen erfordert eine korrekte politische Richtung. Die Partei darf sich nicht vom Volk lösen. Auf dem XVI. Parteitag 2002 hieß es: "die größte Gefahr für die Partei nach der Machtergreifung liegt in der Loslösung von den Massen".

Auf dem XVII. Parteitag 2007 wurde formuliert: "Der Weg des Sozialismus chinesischer Prägung beinhaltet die Errichtung eines reichen und starken, demokratischen, zivilisierten und harmonischen modernen sozialistischen Landes unter Führung der Kommunistischen Partei Chinas".

Die Außenpolitik wurde auf dem XV. Parteitag folgendermaßen formuliert: In allen internationalen Angelegenheiten werden wir von den grundlegenden Interessen des chinesischen Volkes und der Völker der Welt ausgehen. China wird keinerlei Druck von außen nachgeben, sich mit keiner Großmacht und keinem Staatenblock verbünden, keinen militärischen Block errichten, sich nicht am Wettrüsten beteiligen und keine militärische Expansion betreiben. Niemals werden wir unser eigenes Gesellschaftssystem und unsere eigene Ideologie anderen aufzwingen und auch unter keinen Umständen akzeptieren, daß irgendein Land uns sein Gesellschaftssystem und seine Ideologie aufzwingt.

Zunehmend wird die Entwicklung in China von anderen Entwicklungsländern als gesellschaftliche Alternative betrachtet, als Ausweg auch für sie aus der aktuellen Krise des Spätkapitalismus. China ist das erste große Entwicklungsland, das erfolgreich Rückständigkeit und Armut überwindet.

Den bevorstehenden 60. Jahrestag kann die VR China mit einer beeindruckenden Bilanz und zuversichtlich begehen. Wir haben guten Grund, dem chinesischen Volk und der KP Chinas zum 60. Jahrestag der Gründung der VR China unsere Glückwünsche und die besten Wünsche für die weitere erfolgreiche Entwicklung auf sozialistischem Weg auszusprechen.

Rolf Berthold war langjähriger Botschafter der DDR in China. Siehe auch: "Bücherbord".

 

 

Mehr von Rolf Berthold in den »Mitteilungen«: 

2008-07: China geht seinen Weg

2007-12: Zum XVII. Parteitag der KP Chinas, 15.-21. Oktober 2007