Symbol für ein freies Afrika
Klaus Eichner, Lentzke
Zum 50. Jahrestag der Ermordung von Patrice Lumumba
"Weder Brutalität noch Grausamkeit oder Folter werden mich zwingen, um Erbarmen zu bitten, dann lieber mit erhobenem Kopf sterben, mit einer unerschütterlichen Überzeugung und einem vollen Vertrauen auf die Zukunft meines Landes."
(Aus einem Brief von Patrice Lumumba an seine Frau Pauline, Mitte Januar 1961)
In den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts kam es zu einem bedeutenden Aufschwung der Nationalen Befreiungsbewegung. Zu diesem Zeitpunkt war Belgisch-Kongo in Äquatorialafrika unter belgischer Kolonialherrschaft. Bei Wahlen im Mai 1960 erwies sich die Kongolesische Nationalbewegung (Mouvement National Congolais – MNC) als stärkste politische Kraft von über hundert Parteien und errang 36 von 137 Parlamentssitzen. In einem demokratischen Verfahren wurde am 23. Juni 1960 das Kabinett von 21 Regierungsmitgliedern mit sieben Ministern der MNC gebildet und als Regierungschef Patrice Lumumba bestätigt. Am 30. Juni 1960 proklamierte Lumumba die Unabhängigkeit der Republik Kongo von der belgischen Kolonialherrschaft. Dabei rechnete er mit deutlichen Worten mit der ehemaligen Kolonialmacht Belgien ab und prangerte die Ausbeutung und Versklavung seines Volkes an. Lumumba kündigte Nationalisierungen und die Aufhebung der Konzessionen für belgische Konzerne an.
Diese Entwicklung stieß auf den heftigen Widerstand imperialistischer Kreise.
Bereits eine Woche später, am 8. Juli, besetzten belgische Fallschirmjäger strategisch wichtige Punkte des Landes. Drei Tage danach verkündete ein von den Kolonialherren vorgeschickter Multimillionär, Moise Tschombé, die Abspaltung der südlichen Republik Katanga (Shabe) und stellte eine Söldnerarmee auf. Katanga ist die rohstoffreiche Bergbauprovinz der Republik Kongo mit ergiebigen Vorkommen an Kupfer, Zinn, Kobalt, Uran, Eisenerz und Kohle sowie Gold, Silber und Diamanten. Insbesondere die kongolesischen Uranvorkommen waren für die Kernwaffenproduktion der USA unverzichtbar.
Ministerpräsident Lumumba erbat von den Vereinten Nationen Hilfe gegen die Sezessionsbestrebungen. UN-Generalsekretär Dag Hammarskjöld entsandte ein UNO-Kontingent, in dem die Schlüsselpositionen durch Vertreter der ehemaligen Kolonialmächte und Führungspersonen aus NATO-Staaten besetzt waren. Lumumba wehrte sich dagegen und forderte den Abzug aller nichtafrikanischen Verbände. Gleichzeitig orientierte er als Ersatz für ausbleibende westliche Hilfe auf eine wirtschaftliche Annäherung an die Sowjetunion, einschließlich der Lieferung von Militärgütern. Daraufhin griffen die UNO-Truppen direkt in die Auseinandersetzungen ein, besetzten den Rundfunksender und die Flugplätze des Landes.
Im November 1960 kam es zum Militärputsch. Lumumba stellte sich unter den Schutz afrikanischer UNO-Truppen.
Am 3. Dezember 1960 wurden Patrice Lumumba, der Senatsvizepräsident Joseph Okito und der Informationsminister Maurice Mpolo festgenommen und an Tschombé in Katanga ausgeliefert. Im Zusammenspiel mit der CIA übernahmen am 17. Januar 1961 Spezialagenten des belgischen Geheimdienstes Lumumba und seine Mitgefangenen, ermordeten sie bestialisch, zerstückelten und vernichteten die Leichen. Sie wollten nach Aussagen eines der Mörder kein "Märtyrergrab" entstehen lassen.
Der scheinbar innenpolitische Konflikt im Kongo wurde maßgeblich von außen geschürt und gesteuert. Neben den traditionellen Einflüssen der belgischen Kolonialmacht (die Maßnahmen der belgischen Militärs liefen unter der Codebezeichnung "Opertion Barracuda") war insbesondere der US-Imperialismus am Erhalt dieser geostrategischen Position – und vor allem an der Eindämmung bzw. Zurückdrängung der nationalen Befreiungsbewegungen interessiert.
Dazu bot die Eisenhower-Administration ihr bewährtes Instrumentarium – den Geheimdienst CIA – auf.
Aber die Hintergründe wurden mehr als 40 Jahre lang geheimgehalten oder vertuscht. Selbst der Untersuchungsausschuß des US-Kongresses, der 1975 mehrere CIA-gesteuerte Mordanschläge aufdeckte, fand zu diesem Zeitpunkt keine Beweise über die Verstrickung der CIA (bzw. durfte solche Beweise nicht finden).
CIA-Operation WIZARD
In der gleichen Woche (Juli 1960) als die belgischen Fallschirmjäger im Kongo einfielen, sandte CIA-Direktor Allan Dulles den CIA-Residenten in Brüssel, Lawrence (Larry) Devlin, nach Leopoldville zur Aktivierung und Führung der dortigen CIA-Einsatzkräfte. Insbesondere sollte Devlin prüfen, welche verdeckten Aktionen zur Beseitigung von Patrice Lumumba möglich wären.
Sechs Wochen später, am 18. August 1960 schickte Devlin ein Telegramm an die CIA-Zentrale mit folgenden Aussagen:
"Kongo erlebt klassische kommunistische Machtübernahme … Egal, ob Lumumba tatsächlich Kommunist ist oder kommunistische Interessen bedient … möglicherweise nur noch wenig Zeit für Maßnahmen zur Verhinderung eines zweiten Kuba."
Am gleichen Tag informierte Dulles den nationalen Sicherheitsrat über den Inhalt des Telegramms. Daraufhin wandte sich Präsident Eisenhower an Dulles und erklärte kategorisch, Lumumba müsse beseitigt werden. Das CIA-Projekt "Wizard" wurde geboren.
Im Antworttelegramm des CIA-Direktors an Devlin heißt es u.a.:
"Wir sind der Überzeugung, daß seine Beseitigung dringendes und vorrangiges Ziel sein muß und daß dies unter den gegebenen Bedingungen von allerhöchster Priorität ist. Daher möchten wir Ihnen größere Vollmacht geben." [Zitiert in: Tim Weiner: CIA – Die ganze Geschichte; S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main, 2008, S. 226]
Die CIA stellte umfangreiche Finanzmittel zur Verfügung und bezahlte z.B. acht der führenden kongolesischen Politiker (u.a. Präsident Kasavubu, Armeechef Mobutu, Außenminister Bomboko und den Gewerkschaftsführer Adoula), die am Sturz der Regierung Lumumba aktiv beteiligt waren. Die Sondereinsatzgruppe des nationalen Sicherheitsrates autorisierte am 1. September die Zahlungen, am 5. September setzte Präsident Kasavuba Patrice Lumumba als Ministerpräsident ab. Zur endgültigen Absicherung dieses Staatsstreiches putschte das Militär unter Führung von Mobutu am 14. September 1960.
Am 27. Oktober bestätigte der Nationale Sicherheitsrat der USA (NSC) erneut 250.000 US-Dollar, um Scheinwahlen zur Legalisierung des Mobutu-Regimes zu finanzieren.
Nach der Ermordung von Lumumba flossen auf Anweisung des NSC weitere 500.000 US-Dollar zur Finanzierung politischer Aktionen und militärischer Ausrüstungen in den Kongo.
Die Afrika-Abteilung der CIA-Zentrale entsandte Spezialisten vor Ort, u.a. den Chefchemiker der CIA, Sidney Gottlieb und den Operationsspezialisten Michael Munroney.
Dieser ließ Lumumba in eine vorbereitete Falle laufen. Lumumba wurde am 28. November das Entkommen aus dem von UNO-Truppen bewachten Lager ermöglicht; am 3. Dezember geriet er in einen vorbereiteten Hinterhalt und wurde festgenommen.
Nachdem man im Januar 1961 Lumumba mit seinen Kampfgefährten auf Weisung des CIA-Spezialisten Munroney an das Militär in Katanga ausgeliefert hatte, wurden sie in der Nacht vom 17. zum 18. Januar 1961 am Stadtrand von Elisabethville bestialisch ermordet.
Zum CIA-Einsatzstab im Kongo gehörte auch der unter diplomatischer Tarnung (2. Botschaftssekretär) operierende Frank Carlucci. Dessen Erfahrungen im subversiven Kampf wurden bei späteren Einsätzen in Sansibar, 1964 beim Militärputsch in Brasilien und nicht zuletzt ab Januar 1975 als Botschafter der USA in Portugal beim Abwürgen der "Nelkenrevolution" erweitert. Das brachte ihm 1977 den Posten eines stellvertretenden CIA-Direktors und mit dem Amtsantritt von Reagan die Aufgabe als stellvertretender Verteidigungsminister der USA ein.
Einer der führenden Einflußagenten der CIA war der Stabschef und spätere Oberkommandierende der kongolesischen Streitkräfte, Joseph Sese Seko Mobuto.
Er übernahm nach der Ermordung von Patrice Lumumba und einigen Jahren innenpolitischer Wirren am 24. November 1965 durch einen von der CIA finanzierten Militärputsch endgültig die Macht in Kongo und baute das Land, von ihm in Zaire umbenannt, zu einem Stützpunkt für CIA-Operationen gegen afrikanische Länder mit antikapitalistischer Orientierung aus. Mobuto, einer der weltweit brutalsten und korruptesten Diktatoren, wurde der entscheidende Verbündete der USA im Kampf gegen die nationale Befreiungsbewegung in Afrika. Sein blutiges Regime endete erst 1997. Bis dahin waren mehr als drei Million Menschen Opfer von Repressionen und Bürgerkriegen.
In der ganzen fortschrittlichen Welt protestierten Hunderttausende gegen die Ermordung von Patrice Lumumba und schworen, sein Vermächtnis fortzusetzen. In Moskau wurde die Universität der Völkerfreundschaft nach ihm benannt. Eine Straße in Leipzig, an der das Herder-Institut zur Ausbildung ausländischer Studenten lag, wurde ihm zu Ehren in Patrice-Lumumba-Straße umbenannt. Diese und andere Ehrungen wurden in den letzten Jahren beseitigt.
Aber wir werden seine Ehre als Vorkämpfer der afrikanischen Unabhängigkeitsbewegung nach wie vor hochhalten.
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