Streichelzoo für Medien
Walter Ruge, Potsdam
Zum Ritual des bürgerlichen Blätterwaldes gehört seit einiger Zeit, sich geradezu fürsorglich um DIE LINKE zu sorgen, es ist wie ein Pflegedienst, der mit guten Ratschlägen, Prognosen, Prophezeiungen und Weisungen dem Patienten zur Hilfe eilt – die Zeiten des Frontal-Angriffs mit "Roten Socken" sind vorbei, zum alten Thema werden neue Wege beschritten; Zweifel, spitzfindige Fragen und ein heraufbeschworener Spaltpilz sind gefragt – so wird in den Redaktionsstuben "öffentliche Meinung" am Fließband produziert.
Da fällt uns die "Berliner Zeitung" zum Jahresausklang (30. Dezember 2010) in die Hände; hieran läßt sich generell die Anatomie dieses Feldzuges nachgestalten. Einer der Pfleger der LINKEN, Holger Schmale, läßt seinen Gedanken breiten Lauf, geizt nicht mit tiefsinnigen Analysen. Der Redaktion war diese Flut etwas weitläufig, sie wurde kurzerhand halbiert, um eine Hälfte als "Meinung" (Seite 3) und die Fortsetzung dann unter "Politik" (Seite 4) zu präsentieren.
Der Autor eröffnet uns, "daß die ostdeutschen Reformer, jene, die die alte PDS in ihren letzten Jahren geprägt haben, zum Gegenschlag ausholen". Oder "Die Arbeitsteilung mit seiner Kovorsitzenden Gesine Lötzsch – sie für den Osten, er für den Westen – ist gefährlich für die Partei (!). Das gilt auch für die weiteren (!) Doppelspitzen. Das ist das eigentliche Versagen dieser Führung." (Hervorhebungen: W. R.) "Die zugeflogenen linksradikalen, trotzkistischen Elemente, die dem Denken der alten PDS durchaus nahe stehen", sie alle "benötigen Bündnispartner aus dem Westen, fragt sich nur, wer das sein könnte. Klaus Ernst wohl kaum." Es ist wie nach einem Fußballspiel, wo die Sportreporter aus ihren Sprechkabinen über das Schicksal des Coach entscheiden. Bleibt nachzufragen: In welcher Partei hat Holger Schmale so eifrig recherchiert? Bestimmt nicht an der "Basis".
Die Genossen, die vehement gegen die endlose Personaldebatte, für eine Sachdebatte, eine Programmdebatte plädieren, geben der "Personaldebatte" ständig neuen "Stoff", u.a. "erklären" sie gegenüber der "Berliner Zeitung", der "Süddeutschen Zeitung", gegenüber dem "Spiegel", dem "Focus", der "Mitteldeutschen Zeitung", was an dieser LINKEN marode sei – es sind Personen. Im theoretischen Gewand begeben sich diese Propheten unsicher auf noch frisch gebohnertes Parkett eines programmatischen Denkansatzes. Hier sollen Namen vermieden werden, eben um von der Personaldebatte endlich wegzukommen. Also, eine unserer brillantesten Gestalten – die davor warnen, "wieder eine Personaldebatte zu führen" – fabuliert fast im selben Satz davon, daß eine "Kultur des Mißtrauens betrieben" wird; wagt sich aber in den Strudel der Programmdebatte: "Wollen wir eine Friedenspartei sein oder eine pazifistische Partei? Eine Weltanschauungspartei oder eine Programmpartei? Eine Sozialstaatspartei oder eine moderne sozialistische Partei" – ob die ignorierte Basis diese Tautologie bis zum Herbst ausdiskutiert, ist offen, weil es eine irreführende, demagogische Fragestellung ist. Somit liegen die Probleme weniger in den Redaktionsstuben der Medien, sondern in der eitlen Selbstdarstellung gewisser Leute in Chefetagen der LINKEN.
Potsdam, den 1. Januar 2011
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