Staatsräson? Antikommunismus!
Wolfgang Gehrcke, Berlin
Die Bundesregierung stuft 1951 die KPD, FDJ, Nationale Front, VVN und die Vereinigung der Sowjetfreunde als verfassungswidrig ein
Ich beginne mit einem Erlebnis: Als ich noch Mitglied des Bundestages war, wollte ein guter Bekannter von mir an einer Plenumssitzung teilnehmen. Dazu musste ich ihn beim Pförtner abholen, das war üblich. Mein Gast hatte eine ältere DDR-Windjacke mit den entsprechenden Aufnähern an, darunter auch eine FDJ-Sonne. Der Sicherheitsdienst verweigerte ihm den Zugang mit der Begründung, verfassungsfeindliche Embleme (gemeint war das FDJ-Abzeichen) hätten im Bundestag nichts zu suchen. Ich war stinksauer, die »Verhandlungen« kamen nicht vom Fleck, ich musste zu meiner Rede ins Plenum, so endete die Sache mit einem »Kompromiss« in Form einer Nagelschere, mit der mein Besucher das FDJ-Abzeichen fein säuberlich von seiner Jacke abtrennte. Das war ein Déjà-vu-Erlebnis, auf das ich am Ende des Artikels zurückkomme. Auch bei der diesjährigen LL-Demo hat der gleiche »Tatbestand«, das Zeigen des FDJ-Emblems, zu Konfrontationen geführt. Laut Einigungsvertrag bleiben in Westdeutschland die antikommunistischen und Kalte-Kriegs-Verbotsurteile bestehen, in Ostdeutschland sollen sie nicht gelten.
1990, als der Kanzler der Einheit und die deutsche Elite West vor Kraft kaum noch gehen konnten, wurde die Präambel des Grundgesetzes der alt-BRD um einen triumphalistischen Satz ergänzt: Die Deutschen hätten nun »in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands vollendet«, heißt es dort. Vollendet? Meinte wohl eher: Hingekriegt mit dem Vertrag über die Herstellung der Einheit, veröffentlicht im Bundesgesetzblatt auf 356 Seiten, mit dem sich für die Menschen der DDR bis auf Datum und Uhrzeit alles änderte und im Westen zunächst alles weiterlief und blieb, wie gehabt. Auch ohne die vollmundige »Vollendung« hätte, etwas bescheidener, »Einheit« nur wachsen können, wenn sich in beiden Teilen Deutschlands ungefähr gleich viel geändert hätte, einschließlich einer gemeinsam erarbeiteten und »in freier Selbstbestimmung« in einer Volksabstimmung verabschiedete Verfassung. Das ist bekanntlich alles nicht geschehen, die Bundesrepublik West hat in ihrer Verfasstheit und in ihrer Rechtsprechung nichts von dem revidiert, was eindeutig dem Kalten Krieg geschuldet war; dazu gehört die Bundeswehr (Wiederbewaffnung), die NATO-Mitgliedschaft (Westbindung) und Antikommunismus als Staatsräson (KPD-Verbot und dessen Folgen).
Konsequenzen des Kalten Krieges
Am 27. Februar 1951 stufte die Bundesregierung die KPD, FDJ, Nationale Front, die Vereinigung der Sowjetfreunde als verfassungswidrig ein, das war der erste Schritt zum Verbot, das dann auch noch der DFD (Demokratische Frauenbund Deutschlands) und einige Landesverbände des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands traf. Ihnen allen wurde in einer Reihe von Gerichtsurteilen und Anordnungen der Innenminister der Länder noch vor dem KPD-Verbot die Legalität abgesprochen. Sie waren in den Augen der schrecklichen Juristen nichts weiter als Vorfeldorganisationen der KPD.
Sie alle verfochten entschieden die Einheit Deutschlands. Legendär der Ausspruch von Max Reimann, KPD-Vorsitzender und einer von zwei Vertretern seiner Partei im Parlamentarischen Rat: »Sie, meine Damen und Herren, haben diesem Grundgesetz, mit dem die Spaltung Deutschlands festgelegt ist, zugestimmt. Wir unterschreiben nicht. Es wird jedoch der Tag kommen, da wir Kommunisten dieses Grundgesetz gegen die verteidigen werden, die es angenommen haben.« Obwohl die Adenauer-Regierung die »Einheit Deutschlands« als Interesse und inniges Herzensanliegen vor sich hertrug, stellte sie die Weichen in Richtung Spaltung. Die wurde besiegelt durch die Wiederbewaffnung und endlich den NATO-Beitritt der BRD. Bei der Durchsetzung dieser Ziele störten die KPD und all jene Organisationen enorm, die gegen die Wiederbewaffnung, gegen die Westbindung mobilisierten und für ein ungeteiltes, neutrales Deutschland eintraten.
Versetzen wir uns einen Moment zurück in jene Zeit: Der Krieg war gerade sechs Jahre vorbei, die BRD noch nicht einmal zwei Jahre alt, von einer »Normalität« im Alltagsleben konnte noch keine Rede sein. Nie wieder Krieg, kein deutsches Militär, Enteignung der Großindustriellen waren durchaus massenpopuläre Forderungen. Um das genaue Gegenteil politisch durchzusetzen und als (Teil-)Staat von der Gesellschaft akzeptiert zu werden, musste die Gegenseite dämonisiert werden. Allgemein waren das die Kommunisten, auf der staatlichen Ebene die Sowjetunion und die »Sowjetzone« und im Inneren die KPD.
Um die »Gefahr des Kommunismus« erfolgreich abzuwehren, schuf die Adenauer-Regierung ein System aus Repression und Verfolgung zur möglichst vollständigen Unterdrückung jeglicher Formen politischer Betätigung, die sie als »kommunistisch« brandmarkte.
Das begann im September 1950 mit dem sogenannten Adenauer-Erlass. Er forderte dazu auf, Mitglieder von als verfassungsfeindlich eingestuften Organisationen aus dem öffentlichen Dienst zu entlassen. Namentlich genannt wurden darin elf eher linke und zwei rechte Organisationen. 1951 folgte das erste Strafrechtsänderungsgesetz, das mit den Mitteln des Strafrechts den Staat und seine Organe schützen sollte. Es führte wieder die Straftatbestände Hochverrat, Landesverrat ein, neu hinzu kam die Staatsgefährdung. Die erwies sich als besonders dehnbar. Unter »Staatsgefährdung« wurden nicht in erster Linie Taten verstanden, die auf Umsturz oder Gefährdung der öffentlichen Ordnung zielten wie z.B. politische Morde, Attentate, Aufstandsversuche, geheime Waffenlager, Entführungen oder sonstige Gewalttaten. In dieser Zeit sahen die Herrschenden die Gefahr eher in Massenbewegungen, die es ja gab, vor allem gegen die Wiederbewaffnung, Aufrüstung, Westbindung. Selbst Franz-Josef Strauß, eine zentrale Figur der Wiederbewaffnung, führte seinen ersten Wahlkampf mit dem Satz: »Wer noch einmal ein Gewehr in die Hand nimmt, dem soll die Hand abfallen.« Doch schon ab 1950 bereitete das »Amt Blank« eher im Geheimen die Wiederbewaffnung vor. Es zog alte Militaristen, die selbst Nazis waren, magisch an. Im Jahr 1955 wurde die Bundeswehr gegründet. 1959 waren von 14.900 Bundeswehroffizieren 12.360 bereits in der Reichswehr oder Wehrmacht zu Offizieren ernannt worden, 300 Offiziere entstammten der Waffen-SS. Bewerber aus dem Nationalkomitee Freies Deutschland wurden abgelehnt.
Druck aus den USA
In den Gründungsjahren der Bundesrepublik waren auch die Westmächte in Europa gegen ein militärisch gerüstetes Deutschland mit eigener Armee. Der Druck in diese Richtung kam einzig aus den USA; und von der Regierung Adenauer und ihren Hintermännern in der deutschen Industrie. Dabei war die Bewegung gegen die Wiederbewaffnung groß und stark, Kommunistinnen und Kommunisten darin mit einem gewissen Einfluss. Das machte den Herrschenden Sorge. Und so kam der Straftatbestand »Staatsgefährdung« zum Großeinsatz. Hierunter wurden Formen gewaltloser politischer Betätigung erfasst, bei der nicht näher festgestellt werden musste, wie und warum sie den Staat gefährden sollten; es reichte, wenn eine als verfassungsfeindlich eingestufte Organisation sie beeinflusste. So konnte auch das Verteilen von Flugblättern bestraft werden. Einer Gesinnungsjustiz war Tor und Tür geöffnet. Heinrich Hannover verteidigte schon damals Antimilitaristen, Kommunisten, Demokraten. Auch für ihn, der sich mit allen Verfahrenstricks beider Seiten gut auskannte, war es nicht vorauszusagen, »ob ein bestimmtes politisches Verhalten strafbar ist oder nicht, da es lediglich einer politischen Wertung – um nicht zu sagen, einer willkürlichen Entscheidung – des Richters bedarf, um aus einem irgendwie gearteten Verhalten eine Förderung kommunistischer Ziele zu machen.« [1] Seinem Kollegen Diether Posser, auch er verteidigte Kommunisten, später wurde er Justizminister in NRW, platzte einmal im Gerichtssaal der Kragen: »Wenn sie alle unsere Beweisanträge zurückweisen, würde ich es ehrlicher finden, unsere Mandanten durch Verwaltungsakt ins KZ einzuweisen, statt uns Anwälte als rechtsstaatliches Dekor zu mißbrauchen.« [2]
Auf die Erklärung zur Verfassungswidrigkeit der KPD und anderer Organisationen folgte die Beweisaufnahme. Für die KPD zog sie sich von 1951 bis 1956 hin, sie endete bekanntermaßen mit dem Verbotsurteil. Nach zwölfjähriger Illegalität und Verfolgung unter den Nazis, konnte sie in Westdeutschland nur sechs Jahre tätig sein, bis sie durch die Erklärung der »Verfassungsfeindlichkeit« in den Geruch des nicht Legalen kam und endlich fünf Jahre später ganz verboten zu werden. In dieser Zeit wurden bis zu 200.000 staatliche Ermittlungsverfahren eingeleitet und sieben- bis zehntausend Menschen zu zum Teil mehrjährigen Gefängnis- und Zuchthausstrafen verurteilt.
Von existenziellen Folgen wie hohen Geldstrafen, Rentenverlusten, Passentzug, Untersuchungshaft sowie Verlust des Arbeitsplatzes waren nicht nur Kommunistinnen und Kommunisten direkt betroffen, sondern zahlreiche Friedensbewegte, Gewerkschafter und, das ist besonders bedrückend, Verfolgte des Naziregimes. »Wer sich in diesem Land als Sozialist oder Pazifist bekannte und Widerstand gegen die Remilitarisierung und die Restauration der alten Machtverhältnisse leistete«, so der Rechtsanwalt Heinrich Hannover, »wurde verdächtigt, Bundesgenosse Stalins und seiner Terrorclique zu sein ...« Es habe eine »kollektive Gehirnwäsche« stattgefunden, die, so Hannover weiter, nur funktionieren konnte, »weil noch die alten, von der Goebbels-Propaganda erzeugten Feindbilder und Denkblockaden virulent waren, an die man, nunmehr unter demokratischem Vorzeichen, anknüpfen konnte.« [3]
Die Opfer des KPD-Verbots und des »Radikalenerlasses« rehabilitieren!
Von Januar 1972 an spielte die »Verfassungsfeindlichkeit« wieder eine verhängnisvolle Rolle. Die Regierung Brandt und die Ministerpräsidenten der Länder einigten sich auf den »Radikalenerlass«. In den folgenden Jahren wurden ca. 3,5 Millionen Bewerber und Bewerberinnen für Berufe im öffentlichen Dienst überprüft. Der Verfassungsschutz erhielt den Auftrag zu entscheiden, wer als »Radikaler«, als »Extremist« oder als »Verfassungsfeind« zu gelten habe. Personen, die »nicht die Gewähr bieten, jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einzutreten«, wurden aus dem öffentlichen Dienst entfernt oder gar nicht erst eingestellt. Die Überprüfungen führten bundesweit zu 11.000 Berufsverbotsverfahren, 2.200 Disziplinarverfahren, 1.256 Ablehnungen von Bewerbungen und 265 Entlassungen. Betroffen waren Kommunistinnen, Kommunisten, andere Linke, Mitglieder der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes VVN-BdA und Gewerkschafter, Gewerkschafterinnen, in Bayern auch Mitglieder der SPD und Friedensbewegte.
Weder die Menschen und ihre Familien, die unter dem KPD-Verbot gelitten haben, noch die von Berufsverbot Betroffenen wurden bislang rehabilitiert. In kommenden Jahr 2022 jährt sich zum 50. Mal der »Radikalenerlass«, die Berufsverbote; ein wichtiger Anlass, die Folgen des Kalten Krieges und der antikommunistischen Grundtorheiten öffentlich zu machen, sie zu beenden und den Betroffenen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.
Zum Schluss noch einmal zu mir und dem Erlebnis mit meinem Gast und dem FDJ-Abzeichen. Das hat mich wohl deshalb so heftig getroffen, weil mir so etwas auch schon passiert war. Als Jugendlicher war ich Mitglied der SPD-nahen Jugendorganisation Falken. Sie hatten und haben als Zeichen ihrer Zugehörigkeit ein blaues Hemd mit einem roten Falken als Aufnäher. Das Hemd sieht dem FDJ-Hemd zum Verwechseln ähnlich. Meine Genossinnen und Genossen und ich sind 1962 zum Kölner SPD-Parteitag gefahren, um gegen eine drohende Zustimmung der SPD zur NATO zu protestieren. Wir wurden von der Polizei festgenommen und nach Stunden mit dem »Kompromiss« in Form einer Nagelschere zum Abtrennen des Aufnähers freigelassen. Kurz danach bin ich in die illegale KPD eingetreten. Die Leerstelle aber, die jener Aufnäher hinterlassen hatte, war noch deutlich zu sehen, als ich das Hemd meiner Enkeltochter gab, als sie zu den Falken ging.
Und jetzt singe ich in Gedanken das Brecht-Lied: Am Grunde der Moldau wandern die Steine, es liegen drei Kaiser begraben in Prag. Das Große bleibt groß nicht und klein nicht das Kleine. Die Nacht hat zwölf Stunden, dann kommt schon der Tag … Die zwölf Stunden waren wohl noch nicht um als wir glaubten, sie seien es.
Anmerkungen:
[1] Vgl. Rolf Gössner, Die Vergessenen Justizopfer des Kalten Krieges. Verdrängung im Westen – Abrechnung im Osten? Berlin 1998, S. 152.
[2] Robert Allertz, »Ich will meine Akte!« Wie westdeutsche Geheimdienste Ostdeutsche bespitzeln. Berlin, 2017, S. 139.
[3] Ebd., S. 139 f.
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