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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Signal auf Krieg

Prof Dr. Anton Latzo, Langerwisch

 

Betrachtungen zur Aggression des faschistischen Deutschland gegen die Tschechoslowakei

 

Am 15. März 1939 wurde die Aggression des faschistischen Deutschland gegen die Tschechoslowakei abgeschlossen. Das gesamte Restgebiet Böhmen und Mähren wurde durch den Einmarsch deutscher Truppen besetzt. Schon am 16. März traf Hitler in Prag ein und erklärte das besetzte Gebiet zum Protektorat Böhmen und Mähren. Die bürgerliche Tschechoslowakei hatte aufgehört zu existieren.

Die Vertreter der bürgerlichen Tschechoslowakei, Präsident Hacha und Außenminister Chvalkovsky, wurden am 14. März nach Berlin zitiert, wo in der Nacht vom 14. zum 15. März 1939 der letzte Teil der Münchener Kapitulation (siehe "Mitteilungen der KPF" Nr. 9/2013, S. 9f.) stattgefunden hat. Ihnen wurde von Hitler mitgeteilt, dass er den deutschen Truppen den Befehl zum Einmarsch und zur Besetzung Böhmens und Mährens gegeben hat. Die Vertreter der tschechoslowakischen Regierung mussten ein Dokument unterschreiben, das die endgültige Liquidierung der nationalen und staatlichen Unabhängigkeit der Tschechoslowakischen Republik besiegelte.

Die deutsche Regierung setzte durch eine Note vom 17. März 1939 die anderen Regierungen von der Errichtung des Protektorats über Böhmen und Mähren in Kenntnis. Darin begründete sie diesen aggressiven Akt mit der Behauptung, dass "die böhmisch-mährischen Länder ein Jahrtausend lang zum Lebensraum des deutschen Volkes gehörten". Die Tschechoslowakei wurde als ein "künstliches Gebilde" charakterisiert. Dieses sei "der Herd einer ständigen Unruhe ..." und habe "seine innere Lebensunfähigkeit erwiesen und ist deshalb nunmehr der tatsächlichen Auflösung verfallen ... Es entspricht daher dem Gebot der Selbsterhaltung", hieß es im Erlass über die Errichtung des Protektorats, "wenn das Deutsche Reich entschlossen ist, zur Wiederherstellung einer vernünftigen mitteleuropäischen Ordnung entscheidend einzugreifen ..., den wahren Interessen der in diesem Lebensraum vorhandenen Völker zu dienen …, das nationale Eigenleben des deutschen und des tschechischen Volkes sicherzustellen ..." (Zitiert nach: Geschichte der Diplomatie, 3. Band/Teil 2, Berlin 1948, S. 318f)

Die Reaktion der Sowjetunion

Die Sowjetunion war die einzige Großmacht, die die aggressive Politik des faschistischen Deutschlands und die Politik des Münchener Verrats anprangerte und aktiv für die Interessen des tschechoslowakischen Volkes eintrat.

In ihrer Note vom 18. März 1939 wies sie darauf hin, dass die zur Begründung und Rechtfertigung der Liquidierung der Tschechoslowakischen Republik angeführten "politisch-historischen Konzeptionen" nicht als gültig anerkannt werden könnten.

Die sowjetische Regierung sehe keine verfassungsmäßigen Grundlagen, die ein Staatsoberhaupt berechtigen würden, ohne die Zustimmung seines Volkes dessen selbständige staatliche Existenz aufzuheben, wie es der tschechoslowakische Präsident Hacha getan habe, als er die Berliner Urkunde vom 15. März unterschrieb. Da jede Willensäußerung seitens des tschechischen Volkes fehle, könne die Besetzung des Landes durch die deutschen Truppen und die Verwandlung der Tschechoslowakei in ein deutsches Protektorat "nicht anders eingeschätzt werden denn als willkürlich, gewaltsam und aggressiv". Auf dieser Grundlage lehne es die Sowjetunion ab, die Einverleibung der Tschechei in das Deutsche Reich anzuerkennen. Die sowjetische Regierung vertrat den Standpunkt, dass die Handlungen der deutschen Regierung "nicht nur keine den allgemeinen Frieden bedrohende Gefahr abwenden, sondern, im Gegenteil, solch eine Gefahr geschaffen und gesteigert und damit die politische Stabilität in Mitteleuropa gestört, die Elemente des bereits früher geschaffenen unruhigen Zustandes verstärkt und dem Sicherheitsgefühl der Völker einen neuen Schlag versetzt haben". In der Note wurde auch darauf hingewiesen, dass die angeführten Standpunkte in vollem Maße auch für die Veränderung des Status der Slowakei Gültigkeit haben. (Prawda vom 20. März 1939. Zit. nach: Geschichte der Diplomatie, 3. Band/Teil 2, Berlin 1948, S. 319)

Zur Haltung Großbritanniens und Frankreichs

Die französische Regierung beauftragte ihren Botschafter in Berlin gegen die "flagrante Verletzung des Buchstabens und des Geistes des im September vergangenen Jahres in München abgeschlossenen Abkommens" zu protestieren. (H.J. Hajek, Signal auf Krieg, Berlin 1960, S. 209)

Die britische Regierung setzte die deutsche Regierung davon in Kenntnis, dass Großbritannien "die Ereignisse der vergangenen Tage als vollständige Verwerfung des Münchener Abkommens und Verleugnung seines Geistes betrachte, in welchem sich die Beteiligten verpflichtet hatten, bei der friedlichen Lösung zusammenzuarbeiten". Die Aggression wurde als "deutsche militärische Aktion" charakterisiert, die in der Tschechoslowakei "Veränderungen" herbeigeführt habe. (Ebenda, S. 210)

Die britische Stellungnahme war noch schwächer als die Frankreichs. Beide verzichteten darauf, die Völkerrechtswidrigkeit und Gefährlichkeit der Aggression des faschistischen Deutschland für den Frieden der Völker in Europa und für deren Existenz aufzudecken. Ihr Grundbestreben bestand darin, den Geist der Münchener Politik, der mit der Hoffnung verbunden war, eigene politische und wirtschaftliche Interessen und antisowjetische und antikommunistische Ziele zu verwirklichen, zu neuem Leben zu erwecken.

Sie hofften, das unter dem Deckmantel der "Nichteinmischung" und der "Beschwichtigung" erreichen zu können. In Wirklichkeit bedeutete die "Politik der Nichteinmischung" eine Begünstigung dieser und der folgenden Aggressionen der vom Faschismus beherrschten Länder. Spätestens jetzt wurde deutlich, dass die Politik der britischen und französischen Regierungen nicht von den Bemühungen um Frieden bestimmt war. Sie waren an einem Krieg gegen die Sowjetunion interessiert, der alle Kriegsteilnehmer schwächt und erschöpft. Das eigene Potenzial sollte erhalten und vermehrt werden, um eigene Vorherrschaftspläne zu verwirklichen. Es bewahrheitete sich, was Klement Gottwald im Namen der Kommunistischen Partei am 11. Oktober 1938 im Ständigen Ausschuss der Nationalversammlung feststellte. "Die Klasseninteressen der reaktionären Großbourgeoisie in England und Frankreich sind es gewesen, die in München befohlen haben, das Regime Hitlers auf Kosten der Tschechoslowakei zu retten.

Die Klassenkräfte der reaktionären Großbourgeoisie in der Tschechoslowakei sind es gewesen, die den Auftrag gaben, zu kapitulieren und die Interessen des Staates, der Republik und des Volkes den Klasseninteressen des großbürgerlichen Abschaums zu opfern."

Die Tschechoslowakei wurde dem faschistischen Deutschland in der Hoffnung geopfert, sich selbst "freizukaufen", und die übereinstimmenden antisowjetischen und antikommunistischen Ziele zu verwirklichen. Man ermunterte den faschistischen Aggressor zum Überfall auf die UdSSR, um das erste Land, das den Aufbau des Sozialismus in Angriff genommen hatte, zu zerschlagen und so eine "Neuordnung" Europas zu verwirklichen.

Zur Position der Komintern

Die Komintern entlarvte diese imperialistische Verschwörung. Die "Münchener Politik" wurde als eine Politik der Schande charakterisiert. Sie entlarvte das tiefere Wesen imperialistischer Außenpolitik überhaupt.

Die KI orientierte die kommunistischen Parteien zugleich darauf, die Widerstandsbewegung gegen die faschistischen Aggressoren zu verstärken. In dem Dokument "Die neue Lage in der Tschechoslowakei und die Aufgaben der Partei" vom 14. Juni 1939 stellte das Sekretariat des EKKI fest, dass die Hitlerfaschisten in der annektierten Tschechoslowakei eine Vernichtungspolitik gegenüber einem ganzen Volk betrieben. Aufgabe der Kommunistischen Partei sei es, "den Widerstand des Volkes auf allen Gebieten zu organisieren". Dazu hieß es weiter: "Die Grundlinie für die Partei ist, dass der Kampf mit voller Kraft gegen die hitlerische Fremdherrschaft als den Hauptfeind konzentriert sein muss. Daraus geht die Linie des breitesten Zusammenschlusses der Kräfte des Volkes in einer einheitlichen nationalen Front von der Arbeiterschaft über die Bauernschaft und die kleinbürgerlichen Schichten der Städte bis zu jenen bürgerlichen Elementen hervor, die durch den Druck der deutschen Gewalt gewillt sind,von der bisherigen kapitulantenhaften und gleichgeschalteten Haltung abzurücken und mit dem Volke gemeinsam die Position des Widerstandes gegen die deutsche faschistische Vergewaltigung zu beziehen". (Zitiert nach Die Kommunistische Internationale, Kurzer historischer Abriß, Berlin 1970, S. 544)

Kontinuität in der Expansionspolitik

Deutschland hatte seine aggressive Außenpolitik u.a. mit dem provokativen Anspruch begründet, in die "Wiederherstellung einer vernünftigen mitteleuropäischen Ordnung entscheidend einzugreifen". Angepasst an die jeweiligen internationalen Bedingungen war dieses Konzept über das ganze Jahrhundert hinweg zentraler Bestandteil der Außenpolitik des deutschen Imperialismus.

Schon im 1. Weltkrieg wurden die Ziele in den "Kriegsziel-Richtlinien" von Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg vom 9. September 1914 wie folgt formuliert: "Es ist zu erreichen die Gründung eines mitteleuropäischen Wirtschaftsverbandes durch gemeinsame Zollabmachungen, unter Einschluss von Frankreich, Belgien, Holland, Dänemark, Österreich-Ungarn, Polen und eventl. Italien, Schweden und Norwegen. Dieser Verband wohl ohne gemeinsame konstitutionelle Spitze, unter äußerlicher Gleichberechtigung seiner Mitglieder, aber tatsächlich unter deutscher Führung, muß die wirtschaftliche Vorherrschaft Deutschlands über Mitteleuropa stabilisieren".

Nach dem 1. Weltkrieg ging es zunächst um eine möglichst rasche Regenerierung des Kapitalismus, die es ihm ermöglichen sollte, die Expansionspolitik erneut aufzunehmen. Dabei wurden die imperialistischen Ziele und die Politik durch Antisowjetismus und Antikommunismus zusätzlich verschärft und als Begründung für die künftigen aggressiven Handlungen des deutschen Imperialismus eingesetzt. Die Ergebnisse sind bekannt.

Nach dem 2. Weltkrieg musste eine erneute Phase der Regeneration eingelegt werden. Anfang der 1990er Jahre formulierte der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl in seiner Regierungserklärung am 30. Januar 1991 vor dem Deutschen Bundestag: "Deutschland hat mit seiner Geschichte abgeschlossen, es kann sich offen zu seiner Weltmachtrolle bekennen und soll dies ausweiten". Sein späterer Außenminister Klaus Kinkel präzisierte: "Nach außen gilt es etwas zu vollbringen, woran wir zweimal zuvor gescheitert sind: im Einklang mit unseren Nachbarn zu einer Rolle zu finden, die unseren Wünschen und unserem Potenzial entspricht". (FAZ vom 19. März 1993)

Diese Aussagen verdeutlichen nicht nur die Ziele, sie weisen zugleich auf Kontinuität in der Außenpolitik des deutschen Imperialismus hin. Dabei stört es die Hauptakteure nicht, dass eine solche Politik sowohl dem Grundgesetz als auch den völkerrechtlichen Verpflichtungen der BRD widerspricht.

 

Mehr von Anton Latzo in den »Mitteilungen«:

2013-11: Die Teheraner Konferenz

2013-09: 75 Jahre seit Abschluss des Münchener Abkommens

2013-07: Deutsche Bagdadbahnpolitik - damals und heute