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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Rede / Antrag / Diskussionspapier

Ellen Brombacher, Berlin, Sprecherin der Basisorganisation 321, und andere

 

Rede auf der Hauptversammlung DIE LINKE. Berlin-Mitte am 7. Oktober 2023

Im Zusammenhang mit dem diesjährigen Berliner Ostermarsch gab es in unserem Bezirks­verband ernst zu nehmende Meinungsverschiedenheiten. Der Berliner Friedenskoordina­tion wurde von der Mehrheit unseres Bezirksvorstandes angelastet, rechtsoffene Struktu­ren beteiligten sich an der Organisation des Ostermarsches. Vier Mitglieder des Bezirks­vorstandes legten hierzu ein Minderheitenvotum ein.

Ausgehend von diesen Differenzen habe ich mich im Auftrag meiner Basisorganisation mit einer Einschätzung des Berliner Ostermarsches im April an unsere Bezirksvorsitzenden Martha und Falk gewandt. Ausgehend hiervon fand Anfang Mai 2023 ein sehr sachliches, respektvolles Gespräch zwischen Martha und mir statt, in dessen Ergebnis zwei Dinge ver­einbart wurden:

1. Im Herbst findet ein Treffen von Aktivistinnen und Aktivisten des Bezirksverbandes Ber­lin-Mitte statt mit dem Ziel, sich darüber zu verständigen, wodurch friedenspolitische Bündnisarbeit charakterisiert werden sollte und wodurch nicht. Dazu gehört auch die Frage, was rechtsoffen ist und was nicht.

2. Des Weiteren vereinbarten wir, dass ich in Vorbereitung dieser Debatte ein Diskussions­material erarbeite. Selbiges liegt Euch mit den Konferenzmaterialen vor, unter der Über­schrift »Überlegungen zur friedenspolitischen Bündnisarbeit«.

Liebe Genossinnen und Genossen, am 4. Oktober 2023 trafen sich 20 Genossinnen und Ge­nossen, vorwiegend Mitglieder des Bezirksvorstandes und Sprecherinnen und Sprecher von Basisorganisationen, zu einem zweistündigen Meinungsaustausch. Vorweg sei gesagt, dass das von mir vorgelegte Diskussionsmaterial zur friedenspolitischen Bündnisarbeit durchgän­gig akzeptiert wurde. Die Diskussion verlief lebhaft, teils kontrovers und doch kulturvoll.

Übereinstimmung gab es darüber, dass in Zeiten erhöhter Kriegsgefahr die Friedensbewe­gung gestärkt werden müsste, diese aber zersplittert sei. Rechte dominierten derzeit die Straße.

Worin bestand die wesentliche Differenz? Wenn es in Strukturen der Friedensbewegung aktive Kontakte mit rechten Kräften gäbe, oder mit solchen, die bereit sind, mit Nazis in bestimmten Fragen zusammenzuwirken, so wäre es angebracht, wegzubleiben, meinte eine Minderheit. Die Mehrheit der Diskutanten lehnte rechtsoffene Strukturen ebenfalls ab, meinte jedoch, dass man die Auseinandersetzung innerhalb dieser Strukturen führen müsse.

Abgelehnt wurde von der Mehrheit der Genossinnen und Genossen auch, ideologische Dif­ferenzen z.B. mit Mitgliedern der Berliner Friedenskoordination (Friko) dadurch aus der Welt zu schaffen, dass neue Bündnisse gegründet werden. Spaltung helfe nur den Bellizisten.

In der Diskussion wurde nicht zuletzt darauf hingewiesen, dass der Begriff rechts und rechtsoffen inflationär gebraucht wird und nicht selten denunziatorisch. Es sei wichtig, zu definieren, was unter dem Begriff Nazi zu verstehen ist. Ich habe das, ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit, wie folgt versucht: Nazis sind Leute, die völkische Einstellun­gen mit der Bereitschaft verbinden, Gegner dieser Einstellung mit Terror zu unterdrücken. Ideologische Hauptmethode der Nazis ist es, Sündenböcke zu finden, damit im Ergebnis von Rassismus, Nationalismus und Chauvinismus Völkisches dominiert und Antikapitalisti­sches verhindert wird. Wir müssen zu diesen Fragen und Begriffen in die Sachdiskussion kommen.

Weitgehende Übereinstimmung gab es darüber, dass bei Demonstrationen keine Gesin­nungsprüfung der Teilnehmer stattfinden kann, dass aber rechte Bekundungen z.B. mittels Losungen zu unterbinden sind. Das ist im Einzelfall zu entscheiden, da das nicht immer einfach ist. Entscheidend sei es, dass keine rechten Kräfte als aktiv Agierende in friedens­politischen Strukturen geduldet werden dürfen.

Sich gegen Denunziationen, man sei rechtsoffen, berechtigt zu wehren dürfe nicht dazu füh­ren, aus dem Blick zu verlieren, dass die Rechten selbstverständlich danach streben, die Friedensbewegung zu unterwandern. Beiden Tendenzen müsse Einhalt geboten werden: Sowohl der Tendenz, unverhältnismäßig und unverantwortlich den Begriff Rechts zum Zwecke der Denunziation zu instrumentalisieren als auch der Tendenz, die rechten Bestre­bungen, in der Friedensbewegung Fuß zu fassen, zu negieren oder zumindest zu unterschät­zen. Es gab weitgehende Übereinstimmung, dass der weiteren Zersplitterung der Friedens­bewegung nur Einhalt geboten werden kann, wenn beide Tendenzen bekämpft werden.

Die Diskussion vom 4. Oktober wurde von allen als ein notwendiger Anfang des Ringens um gemeinsame Positionen in dieser so elementaren Frage gesehen und wir verständigten uns auf folgende Punkte:

1. Die heutige Hauptversammlung wird über die Veranstaltung vom vergangenen Mitt­woch informiert und den Delegierten wird das eingangs erwähnte Positionspapier zur Kenntnis gegeben.

2. Der Bezirksvorstand strebt ein Gespräch mit den Vertretern der Berliner Friedenskoor­dination an.

3. Das Positionspapier wird am 24. November dem Landesparteitag vorgelegt, verbunden mit dem Beschlussantrag, darüber in den Berliner Bezirks- und Ortsverbänden und den Basisorganisationen des Landesverbandes zu diskutieren.

 

 

Antrag an die 2. Tagung des 9. Landesparteitages

Einreicherinnen und Einreicher: 9. Hauptversammlung der LINKEN Berlin-Mitte

Das Diskussionspapier »Überlegungen zur friedenspolitischen Bündnisarbeit« wird den Bezirks- und Ortsverbänden sowie den Basisorganisationen übermittelt, mit der Bitte, sich zu dem Papier zu verständigen und damit die Meinungsbildung zu dieser Thematik im Landesverband zu befördern.

Begründung: Im Zusammenhang mit der Bewertung des Berliner Ostermarsches gab es im Bezirksverband der LINKEN Berlin-Mitte weitgehende Meinungsverschiedenheiten. Doch wir waren gemeinsam gewillt, diese kulturvoll zu diskutieren.

Ausgehend hiervon wurde für den 4. Oktober 2023 eine Debatte zu Grundsätzen friedenspoliti­scher Bündnisarbeit vorbereitet, an der 20 Genossinnen und Genossen, vorwiegend Bezirksvor­standsmitglieder und BO-Sprecherinnen und -sprecher teilnahmen. In diesem Rahmen wurde auch das Papier »Überlegungen zur friedenspolitischen Bündnisarbeit« diskutiert.

Die Debatte am 4. Oktober 2023 verdeutlichte die Notwendigkeit, sich über bündnispolitische Grundsätze auszutauschen und die Möglichkeit, dies in sachlicher Art und Weise zu tun. Daraus resultiert der Beschluss der Hauptversammlung der LINKEN Berlin-Mitte vom 7. Oktober 2023, dem Landesparteitag vorzuschlagen, diese Debatte im gesamten Landesverband zu führen und dazu auch das Diskussionspapier »Überlegungen zur friedenspolitischen Bündnisarbeit« zu nutzen.

 

 

Überlegungen zur friedenspolitischen Bündnisarbeit

Diskussionspapier

1. In der LINKEN und unter Linken ist eine schon seit längerem schwelende Debatte ent­brannt. Wenn es um derartig Existenzielles wie den Frieden ginge, seien alle willkommen, die diesen reinen Herzens wünschten, sagen die einen. Nazis seien nie willkommen, sagen die anderen.

2. So weit, so gut. Nazis sollten wirklich nirgendwo willkommen sein, wo Humanisten ein Anliegen vertreten. Aber heißt das, dass humanistische Anliegen irreversibel beschädigt würden, nähmen auch nur einige Nazis an einer Demonstration oder Kundgebung teil? Ja, sagen die einen; nein die anderen. Wo sich diese – im Übrigen bei den einen wie den ande­ren vorhandene – antidialektische Sichtweise durchsetzt, ist eines gewiss: Nazis bestim­men, ob man als Antifaschistin oder Antifaschist an einer Demonstration teilnehmen darf oder nicht. Sie – die Nazis – müssen einfach nur da sein und einige Linke müssen nur »Achtung, Querfront!« rufen und jedes fortschrittliche Anliegen hat sich erledigt. Aus nicht durchdachtem Antifaschismus wird wohlkalkulierte Nazidominanz.

3. Anscheinend ein Dilemma. Aber nur deshalb, weil die einen denunzierend aus der Teil­nahme von ein paar Nazis machen, die Demonstration sei rechtsoffen, und die anderen so tun, als existierten Querfrontbestrebungen der Nazis gar nicht. Das ganze Gerede über letzteres sei nur Denunziation. Die gibt es zweifellos, und nicht zu knapp; bar jeglicher Redlichkeit. Allerdings: Dass es Denunziation gibt, bedeutet nicht, dass gar nicht existiert, was in zweifelsfrei denunziatorischer Absicht unterstellt wird.

4. Weder machen einige anwesende Nazis eine Demonstration zu einer rechtsoffenen, noch lässt sich leugnen, dass an Querfrontbestrebungen gearbeitet wird. Absolute Urteile helfen auch hier ebenso wenig weiter, wie Absolutheitsansprüche zumeist nicht zu Erkenntnisgewinnen beitragen.

5. Die Teilnahme von einer Handvoll Nazis macht eine Demonstration nicht zu einer rechtsoffenen, wenn der Demo-Aufruf – z.B. im Falle einer Friedensdemonstration – klare antikapitalistische, antiimperialistische, internationalistische und antifaschistische Aussa­gen enthält. Und zum Antifaschismus gehören immer die internationale Solidarität und die uneingeschränkte Ablehnung jeglicher Form von Rassismus. Lässt die Bündnisbreite so deutliche inhaltliche Konturen nicht zu, so müssen zumindest entscheidende Protagonis­ten einer solchen Demonstration öffentlich entsprechende klare Worte finden. Wird auf diese konzeptionelle Klarheit verzichtet, können sich Rechte zur Teilnahme ermuntert füh­len und dann wird eine Demo rechtsoffen; nicht durch eine Handvoll Nazis, sondern durch mangelndes antifaschistisches Gespür der Organisatoren.

6. Von diesem Mangel an Gespür ist es nur ein kleiner Schritt, zwielichtige Figuren mit in Organisationsstrukturen zur Vorbereitung und Durchführung von Demonstrationen aufzu­nehmen. In dem Moment wird die inhaltliche Hoheit in einem in der Sache fortschrittlichen Bündnis mit Figuren geteilt, die zwar selbst nicht unbedingt Nazis sind oder werden, die aber keine Probleme haben, gemeinsam mit Nazis zu agieren. Sie sind eine Art Querfront-Brückenbauer. Solcherart Konstellationen niemals zuzulassen, ist keine taktische Frage. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um die für Nazis strategische Frage – sie wissen um das Maß an Geschichtsvergessenheit – dass in Deutschland der Faschismus unter »Linken« rehabilitiert werden soll.

7. Für links-humanistische Bündnisse muss gelten:

- Rechtsoffene Strukturen dürfen nicht Teil des Bündnisses sein.

- Rechte Symbole dürfen auf den Demos nicht geduldet werden.

- Bündnisaufrufe müssen erkennbar antifaschistischen Charakter haben.

Darauf zu verzichten, um eine mehr als fragwürdige Breite zu gewährleisten, bedeutet, einer tödlichen Prinzipienlosigkeit Raum zu geben.

8. Zugleich darf nicht zugelassen werden, auf richtige Forderungen zu verzichten, – z.B. die Verurteilung der Embargopolitik gegen Russland oder die Forderung nach Friedensver­handlungen im Ukrainekrieg –, nur weil Rechte solche Forderungen aus taktischen Grün­den auch gerade stellen.

9. Wenn diese Grundsätze Maxime der Bündnisarbeit sind, muss man sich um die paar Nazis, die trotzdem kommen, nicht unbedingt scheren, denn dann kann man mit handfes­ten Argumenten die allgegenwärtigen Denunziationen zurückweisen.

Der o.g. Antrag lag allen Delegierten des Landesparteitages vor, wurde durch Ellen Brombacher in der Generaldebatte eingebracht, aber nicht abgestimmt, da das Papier durch die Landesgeschäftsstelle bereits an alle Bezirksverbände versandt worden war.

 

 

Mehr von Ellen Brombacher in den »Mitteilungen«: 

2023-12: DIE LINKE nach dem Augsburger Parteitag

2023-10: Zynische Instrumentalisierung

2023-09: Wider den russischen Zeitgeist