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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

rbb, Honduras und das Recht auf Information

Gerhard Mertschenk, Berlin

 

"In der Berichterstattung über den Militärputsch in Honduras läuft derzeit einiges schief. Noch lange nach dem Staatsstreich berichteten deutschsprachige Medien von der ‚Festnahme’ des gewählten Präsidenten Manuel Zelaya. Beim Rundfunk Berlin-Brandenburg stört eher, was nach dem Putsch nicht berichtet wird." So kommentierte das Internetportal www.Amerika21.de am 3. Juli 2009 die mediale Widerspiegelung der Ereignisse und veröffentlichte zugleich unter der Überschrift "Recherchehilfe für den rbb" einen offenen Brief des Geschäftsstellenleiters der Alexander-von-Humboldt-Gesellschaft, Gerhard Mertschenk, an die Redaktion des rbb, den wir hier zusammen mit der Antwort der rbb-Redakteurin Rosemarie Fischer und einer Entgegnung dokumentieren.

 

Email an rbb inforadio vom 2. Juli 2009:

Sehr geehrte Damen und Herren, nachdem ich mich schon einmal an Sie wegen falscher Tatsachenbehauptung gewandt habe (Sie behaupteten, Hugo Chávez habe die Erdölindustrie verstaatlicht), sehe ich mich wieder veranlaßt, mich an Sie zu wenden.

Tagelang haben Sie ausführlich über Repressionsmaßnahmen der iranischen Regierung gegen Demonstranten wegen eines mutmaßlichen Wahlbetruges berichtet. Warum berichten Sie nicht in gleichem Maße über das brutale Vorgehen der bewaffneten Kräfte der Putschisten gegen Demonstranten in Honduras?

Zwar brachten Sie am Montagvormittag (29.6.) einmal einen Bericht der Mittelamerika-Korrespondentin über Honduras, in dem korrekterweise davon gesprochen wurde, daß Auslöser des Putsches war, daß am 28.6. bei den Wahlen auch darüber abgestimmt werden sollte, ob bei den nächsten Wahlen auch Wahlen für eine Verfassunggebende Versammlung abgehalten werden sollen.

Soviel Demokratieankündigung war gewissen Kräften zu demokratisch, weshalb sie den Putsch durchführten.

Trotz des Berichts Ihrer Korrespondentin meldeten Sie aber in den Nachrichten fälschlicherweise, Zelaya strebe eine Wiederwahl an und "man" befürchte eine Diktatur. Hört Ihre Nachrichtenredaktion nicht einmal die Berichte Ihrer eigenen Korrespondenten, bevor die Nachrichten abgefaßt werden?

Ich bin Ihnen gerne bei der Recherche behilflich und übermittle nachfolgend zu Ihrer Information einige Fotos und Berichte, damit Sie über die Repression der Putschregierung (ein Putsch ist wohl sogar mehr als Wahlbetrug) berichten und zur Einhaltung der Menschenrechte aufrufen können. Aussagen von Politikern hierzu gibt es zuhauf. Ich verweise auch auf die Fragestunde im Bundestag am 1.7. Herr Polansky kann Ihnen sicherlich beim Übersetzen spanischer Quellen behilflich sein.

Ich hoffe, daß Sie Ihrer Pflicht als öffentlich-rechtliche Anstalt zu ausgewogener Berichterstattung nachkommen.

Gerhard Mertschenk, Alexander-von-Humboldt-Gesellschaft e.V., Sprecherrat Venezuela Avanza

 

Antwort-Email von Frau Fischer/rbb am 2. Juli 2009:

Sehr geehrter Herr Mertschenk, vielen Dank für Ihre Mail. Wir haben mitnichten nur am Montag über die Ereignisse und deren Hintergründe in Honduras berichtet. Unsere Korrespondentin Anne-Katrin Mellmann (mit Sitz in Mexiko) war die erste, die am Wochenende die Hörer der ARD ausführlich informierte. Seitdem berichtet sie täglich in Beiträgen und Kommentaren von der Entwicklung nicht nur in Honduras selbst, sondern auch darüber, was dies für die Politik der anderen mittelamerikanischen Staaten bedeutet, welche Stellung die USA und internationale Organisationen in dem Konflikt beziehen. Sicher berichten wir quantitativ weniger als über die Wahlen und deren Folgen im Iran, was zum einen der Größe des Landes aber auch der geopolitischen Bedeutung geschuldet ist.

Wenn am Beginn der Entwicklung die Nachrichten und die Berichterstattung der Korrespondentin nicht völlig konform liefen, so lag das daran, daß die Agenturen das Ereignis sehr unterschiedlich einschätzten. Da aber niemand direkt vor Ort war – weder die Agenturkorrespondenten noch unsere Korrespondentin – war es schwierig, sich eine objektive Meinung zu bilden. Das Internet aber ist – das werden Sie sicher zugeben – keine objektive Quelle. Trotzdem haben sie Recht, die Information zwischen Nachrichten und der Hintergrundberichterstattung sollte im Tenor möglichst übereinstimmen.

Um uns ein authentisches Bild von den Ereignissen vor Ort zu machen, ist unsere Korrespondentin übrigens auf dem Weg nach Honduras. Sie werden in den nächsten Tag also ganz aktuell und direkt aus Tegucigalpa informiert!

Mit freundlichen Grüßen, Rosemarie Fischer, Bereichsleiterin Politik und aktueller Hintergrund

 

Email an rbb inforadio am 5. Juli 2009:

Sehr geehrte Frau Fischer, vielen Dank für Ihre erklärenden Worte. Sie haben ohne Zweifel Recht, daß die Agenturen das Ereignis sehr unterschiedlich einschätzten. Das hängt natürlich von der jeweiligen Interessenlage ab. Eindeutig wurde aber von allen maßgeblichen Organisationen – UNO, OAS, SICA – der Putsch als illegal verurteilt und betont, daß Zelaya der rechtmäßige Präsident sei. RBB behauptete dagegen in den Nachrichten, Zelaya strebe eine Wiederwahl an und es bestünde die Gefahr einer Diktatur.

Eine solche Aussage impliziert zumindest indirekt eine Rechtfertigung des Putsches. Den Widerspruch zwischen eigenem Korrespondentenbericht und Nachrichtenmeldung mit der Abwesenheit von Korrespondenten vor Ort zu begründen halte ich für eine sehr fadenscheinige Begründung im Nachhinein. Ohne in eine wahrscheinlich fruchtlose Diskussion mit Ihnen eintreten zu wollen, möchte ich einige Aussagen in Ihrer Antwort kommentieren.

Es mag durchaus sein, daß die ARD-Korrespondentin Anne-Katrin Mellmann als erste die Hörer der ARD informierte. Verstecken Sie sich bitte aber nicht hinter der ARD. Ich habe mich konkret auf die Informationslage in rbb inforadio bezogen. Mir ist durchaus bekannt, daß der Deutschlandfunk beispielsweise weitaus ausgewogener berichtet als RBB. Mit der Übernahme und Ausstrahlung des Features "Mediale Kreuzzüge" (http://www.dradio.de/ dlf/sendungen/dasfeature/878690/) könnten Sie zum Beispiel Ihren Fauxpas gegen Hugo Chávez etwas wiedergutmachen.

Sie (inforadio) haben viel über Honduras berichtet? Am 2.7. kam in den Nachrichten um 16:20 Uhr unter Berufung auf den schwedischen Außenminister die Meldung, daß die EU-Länder ihre Botschafter zurückgerufen hätten, daß die USA ihre militärische Zusammenarbeit suspendiert hätten und das die OAS drei Tage Frist eingeräumt habe für die Wiedereinsetzung Zelayas, ansonsten drohe der Ausschluß. Dieselbe Meldung kam in der Schleife um 17:20 Uhr. In den anderen Nachrichten kein Wort zu Honduras. Auch keine Berichte über Repressionsmaßnahmen der Putschisten.

Jetzt, am 4. 7., informierten Sie über den Austritt Honduras aus der OAS. Aber weiterhin kein Wort zu den Repressionsmaßnahmen gegen friedliche Demonstranten. Erst ab dem 5. 7. haben Sie begonnen, häufiger über Honduras zu berichten. So meldeten Sie in den Nachrichten um 10:40 Uhr die beabsichtigte Rückkehr Zelayas und daß Honduras nach Kuba das zweite Land sei, das von der OAS ausgeschlossen worden sei. Diese Meldung wiederholten Sie in den Nachrichten um 12:00 Uhr. Rein formal stimmt das zwar, aber "zufällig" vergaßen Sie zu erwähnen, daß der Ausschluß Kubas rückgängig gemacht wurde – pikanterweise just auf der OAS-Generalversammlung Anfang Juni in San Pedro Sula in Honduras.

Eine solche Berichterstattung kann ich nur als tendenziös bezeichnen: Kuba und die Putschisten in Honduras auf eine Stufe zu stellen.

Die erwähnte OAS-Generalversammlung Anfang Juni 2009 wurde übrigens von der honduranischen Außenministerin Patricia Rodas geleitet, die von den Putschisten ebenfalls entführt und außer Landes gebracht wurde.

Um 11:00 Uhr brachten Sie (inforadio) die Warnung vor einer Rückkehr Zelayas in sein Land. Bezeichnenderweise ohne den Hinweis, daß es sich um den rechtmäßigen Präsidenten handelt. Um 11:20 Uhr meldeten sie den Ausschluß von Honduras aus der OAS, weil die Wiedereinsetzung Zelayas bis zum Ablauf der Frist nicht erfolgt sei. Aber weiterhin kein Wort zu den Massendemonstrationen in Honduras zur Unterstützung Zelayas und der Gewaltmaßnahmen gegen die Demonstrationen, über die Verhängung des Ausnahmezustandes und die Aufhebung grundlegender Menschenrechte.

Solche Informationen kämen nur aus dem Internet und seien damit nicht objektiv, meinen Sie. Wie viele Meldungen über Iran kamen aus dem Internet und wurden in rbb inforadio gebracht? Da war das Internet objektiv? Bei Iran wurde sogar betont, daß das Internet die einzige Informationsquelle sei, da die Regierung Korrespondenten an der Arbeit hindere. In Honduras haben die Putschisten Radio- und Fernsehsender besetzt sowie Zeitungen geschlossen. Kein Wort darüber im rbb inforadio. Sie entscheiden also, wann das Internet objektiv ist und wann nicht?

Was von Ihnen kommt, ist also objektiv, weil es von Ihnen kommt: Chávez hat die Erdölindustrie verstaatlicht, Zelaya strebt eine Wiederwahl an und es wird eine Diktatur befürchtet. Das nennen Sie dann in Ihrer propagandistischen Reklame "Nachrichten mit Hintergrund". Und wenn dann nachgewiesen wird, daß etwas nicht wahr ist, wird es damit beschönigend erklärt, daß bedauerlicherweise "falsch formuliert" worden sei oder "es laufe nicht ganz konform". Welch ein Zufall, daß diese Fehler immer in ein und dieselbe Richtung gehen.

Die Fotos, die ich Ihnen als Belege für das brutale Vorgehen der bewaffneten Kräfte zusandte, seien nicht objektiv, weil sie aus dem Internet stammen? Anders als übers Internet konnten sie nicht an die Außenwelt übermittelt werden (wie im Falle Irans). Diese Fotos – wie auf ihnen klar ersichtlich – stammen von AP Associated Press. Für AP wird es interessant sein zu erfahren, daß Sie AP als nicht objektiv einstufen. Hatten Sie nicht die Abwesenheit von Korrespondenten vor Ort beklagt, wodurch eine objektive Meinungsbildung erschwert werden würde? Und wenn dann aber Fotokorrespondenten vor Ort sind, nehmen Sie sie nicht zur Kenntnis und erklären die Fotos für nicht objektiv. Eine für mich eigenartige Logik.

Sie begründen die nicht so umfangreiche Berichterstattung über die Lage in Honduras damit, daß Honduras ein kleines Land und nicht von geopolitischer Bedeutung sei. In kleinen Ländern können also Menschenrechte verletzt werden, ohne daß sich rbb inforadio verpflichtet fühlt, darüber zu berichten. Ein (wohl nicht nur) für mich interessantes Kriterium. Honduras hat keine geopolitische Bedeutung? Es ist doch wohl sicherlich von großer geopolitischer Bedeutung, wenn aufgezeigt wird, daß es in Lateinamerika, dem so genannten Hinterhof der USA, nicht mehr möglich ist, einen militärischen Staatsstreich durchzuführen, daß selbst die USA, die andere Putsche wie in Guatemala oder den gegen Präsident Allende in Chile unterstützt haben, dieses Mal sich – zumindest in Worten, die Wirtschaftshilfe läuft weiter – vom Putsch distanzieren.

Allein die Haltung der OAS zeigt, wie sich das Kräfteverhältnis in Lateinamerika geändert hat. Und das soll nicht von geopolitischer Bedeutung sein? Sie entscheiden also, was von geopolitischer Bedeutung ist. Und damit hört Ihre angebliche Objektivität schon auf. Schon die Auswahl, was gebracht oder nicht gebracht wird, impliziert Subjektivität, die von den angelegten Kriterien bestimmt wird. Diese geopolitische Bedeutung ist Ihnen aber offensichtlich nicht genehm, und deshalb wird darüber "objektiv" nicht berichtet.

Die privaten Radio- und Fernsehsender verfolgten während des Putsches 2002 in Venezuela eine ähnliche Taktik. Während Tausende auf den Straßen dem Putsch ein Ende bereiteten, wurde aufgrund der Anweisung des Besitzers nichts darüber gesendet. Zensur? Keineswegs, es war die freie Entscheidung eines freien Unternehmers. ...

Getreu der so häufig in rbb inforadio wiederholten Aufforderung an die Hörer: "Verlangen Sie viel für Ihre Gebühren, verlangen Sie Leidenschaft … fordern Sie Ihr Recht auf Information ein" kann ich Ihnen versichern, daß ich Ihnen als kritischer Hörer erhalten bleibe.

Mit freundlichen Grüßen, Gerhard Mertschenk, Quelle: http://www.amerika21.de/blog.

 

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