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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Ravensbrück: Ein Appell an heutige und kommende Generationen

Prof. Dr. Nina Hager, Berlin

 

Nördlich von Berlin, etwa 90 Kilometer vom Stadtrand entfernt, liegt Fürstenberg/Ha­vel. Fährt man durch Fürstenberg weiter in Richtung Norden, so kommt man in den Ortsteil Ravensbrück; vor Oktober 1950 noch ein eigenständiges Dorf. Hier, am östli­chen Ufer des Schwedtsees, steht das Denkmal »Die Tragende«. Im Wesentlichen gestaltet vom Bildhauer und Kommunisten Will Lammert (1892-1957). Nach dessen Tod wurde die Skulptur von Fritz Cremer und Hans Kies vollendet. Im See ruht noch heute die Asche Tausender ermordeter, verhungerter, an Entkräftung gestorbener Frauen.

Die künstlerische Idee für »Die Tragende« hatte nach Aussagen früherer Häftlinge einen realen Hintergrund: Ungeachtet des strengen Verbots der SS hatte die jüdische Kom­munistin Olga Benario-Prestes (1908-1942), Blockälteste im jüdischen Block 11, eine beim Appell bewusstlos zusammengebrochene Gefährtin aufgenommen und vor aller Augen in das Krankenrevier getragen. [1]

»Günstig« für Zwangsarbeit und Tod

1952 beschloss das ZK der SED die Errichtung von Gedenkstätten in den früheren Kon­zentrationslagern Buchenwald, Sachsenhausen und Ravensbrück. Im Mai 1954 wurde das Architektenkollektiv der Gedenkstätte Buchenwald beauftragt, auch die Gesamtge­staltung in Ravensbrück zu übernehmen. Vor 65 Jahren, am 12. September 1959, wur­de die »Nationale Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück« eingeweiht. Sie umfasste zunächst nur einen kleinen Teil des früheren KZ-Geländes. Der andere wurde bis zu deren Abzug von sowjetischen bzw. GUS-Truppen militärisch genutzt. Zur Einweihung der Gedenkstätte zogen etwa 50.000 Menschen nach einer Kranzniederlegung am sowjetischen Ehrenmal von Fürstenberg nach Ravensbrück. Rosa Thälmann, eine der Überlebenden des Konzentrationslagers, hielt die Einweihungsrede. Claire van den Boom, Präsidentin der Organisation der Belgischen Überlebenden des KZ Ravensbrück und Mitbegründerin des Internationalen Ravensbrückkomitees, erklärte: »Diese Ge­denkstätte am See, in den die Asche unserer Toten geschüttet wurde, wird für immer an den Heroismus erinnern, dessen stummer Zeuge diese Erde war. Aber sie wird mehr sein als das. Sie wird ein Appell an die kommenden Generationen sein, so zu handeln, dass es niemals wieder ein Ravensbrück gibt.« [2]

Ravensbrück gehörte nicht zu den ersten von den Faschisten eingerichteten Konzentra­tionslagern. Bereits im Juli 1933 gab es auf dem Gebiet Deutschlands mindesten 45 KZs mit etwa 35.000 bis 40.000 Gefangenen. Die meisten waren Mitglieder der KPD, der SPD und linke Gewerkschafter. Später kamen psychisch Kranke, »Asoziale«, mehr­fach Vorbestrafte, Bibelforscher und andere hinzu. Schließlich kamen deportierte Jüdin­nen und Juden sowie Sinti und Roma. Erst Anfang 1939 entstand unweit des Dorfes Ravensbrück das größte Konzentrationslager für Frauen auf deutschem Boden. In den Augen der Nazis ein günstiger Standort – in der Nähe eine Bahnstrecke, die Reichsstra­ße 96 (heute B96) und, für mögliche Transporte auf dem Wasser, die Havel. »Der süd­lichste Teil des geplanten KZ-Geländes endete am Schwedtsee. Das für den Aufbau des Lagers vorgesehene Areal lag damit natürlich begrenzt und abgeschirmt. [...] Ein Häft­lingskommando aus dem KZ Sachsenhausen begann im Januar 1939 mit den Aufbauar­beiten. Zudem beauftragte die ›SS-Neubauleitung FKL Ravensbrück‹ Bauunternehmen verschiedenster Gewerke aus Fürstenberg, Ravensbrück und der Umgebung« sowie auswärtige Firmen und Konzerne mit der Errichtung des Lagers.

»Mit der Verlegung von 867 weiblichen Häftlingen aus dem Frauen-KZ Lichtenburg« im Mai 1939 »begann die sechsjährige Zeit des Konzentrationslagers Ravensbrück.« [3] Am 27. Mai 1939 gab es in Ravensbrück 970 weibliche Häftlinge. Das Lager wurde immer weiter ausgebaut. Auch Werkstätten und Industrieanlagen entstanden. Von August 1942 bis April 1945 unterhielt die Firma Siemens & Halske AG eine sogenannte Ferti­gungsstelle neben dem Frauenkonzentrationslager Ravensbrück, die 20 Werkhallen um­fasste. Dort mussten bis zu 2.300 weibliche Häftlinge gleichzeitig Zwangsarbeit leisten.

Nach Beginn des faschistischen deutschen Eroberungs- und Vernichtungskrieges stieg die Zahl der Häftlinge stetig an. Etwa 132.000 Frauen und Kinder aus ganz Europa wur­den zwischen 1939 und 1945 in Ravensbrück gequält, darunter viele aus Polen, der Tschechoslowakei und aus den besetzten Gebieten der Sowjetunion. Ermordet wurden zwischen 30.000 und 90.000 Häftlinge; viele starben an Hunger, Entkräftung und Krankheiten.

Nicht viele Kinder überlebten

»Die Ravensbrücker Zugangslisten vermerken 881 Kinder im Alter von zwei bis zu 16 Jahren aus 18 Nationen, die zwischen 1939 und 1945 in das Lager eingeliefert wurden. Unter ihnen waren 263 jüdische und 162 Kinder aus Sinti- und Roma-Familien. Die meisten der Kinder kamen mit ihren Müttern, Vätern oder anderen Verwandten in Ravensbrück an. Größere Gruppen von Müttern mit Kindern gelangten erst nach der Niederschlagung des Warschauer Aufstands Ende 1944 in das Lager und im Zusam­menhang mit den Deportationen ungarischer und slowakischer Jüdinnen ab dem Jah­reswechsel 1944/45.« [4]

Vor Jahren trafen ein Genosse und ich in Templin eine Frau, damals etwa Mitte 70. Sie war mit einer Delegation russischer Frauen angereist, um an einer Gedenkveranstal­tung zum Jahrestag der Befreiung des KZ Ravensbrück teilzunehmen. Diese Frau wurde als Kind von ihrer Mutter, einer Jüdin aus den Niederlanden, bevor diese in ein Vernich­tungslager abtransportiert wurde, auf der Lagerstraße an sowjetische Frauen überge­ben. Die retteten das Mädchen. Es wuchs in Leningrad auf, ging dort zur Schule, stu­dierte – lebte. Nicht viele der Kinder überlebten die KZ-Hölle.

Ab April 41 gehörte zum Lagerkomplex Ravensbrück auch ein Männerlager, das als Arbeitskräftereservoir für Handwerksberufe diente. Später entstand noch ein »Jugend­schutzlager« für weibliche Häftlinge zwischen 14 und 18 Jahren. Das »Jugendschutz­lager« wurde ab Dezember 1944 schrittweise aufgelöst. »Das Areal des ›Jugendschutz­lagers‹ Uckermark wurde fortan zu einem Sterbe- und Selektionslager und damit zur größten Todeszone des Konzentrationslagers Ravensbrück umfunktioniert.« [5] Mehrere Tausend Frauen wurden hier systematisch ermordet. Bis 1945 wurde das KZ ständig erweitert, über 40 Außenlager entstanden, in denen Häftlinge aus Ravensbrück Zwangsarbeit leisten mussten. Als im Frühjahr die Sowjetarmee und mit ihr der Tag der Befreiung immer näher rückte, versuchte die SS die Zeugen ihrer Verbrechen zu beseiti­gen: Menschen wurden vergast, viele erschossen, die Mehrheit der Häftlinge auf Todes­märsche gejagt. Nur etwa zwei Tausend Kranke blieben im Lager. Am 30. April 1945 erreichten Vortrupps der Roten Armee Ravensbrück.

Im Sinne des Zeitgeists »umgestaltet«

Schon früh kümmerten sich frühere Häftlinge um die Erinnerung an die Verbrechen der SS und ihrer Handlanger in Ravensbrück und erinnerten an den Profit, den Siemens & Halske und andere aus der Zwangsarbeit vieler Tausender zogen. In die Nationale Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück kamen zu DDR-Zeiten viele Jugendliche in Vorbe­reitung ihrer Jugendweihe. Ein Museum zum Andenken an den antifaschistischen Kampf informierte auch über den Widerstand. Nach 1990 hat sich manches geändert. Die Gedenkstätte wurde 1993 Teil der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten. Viel wur­de auf dem Gelände des früheren KZ renoviert. Es gibt eine Jugendbegegnungsstätte und diverse Veranstaltungen. Nicht nur zu Jubiläen. Im Zuge der »Umgestaltung« Anfang der 1990er Jahre wurde jedoch zugleich das »Museum des antifaschistischen Wider­standskampfes« in der ehemaligen Kommandantur – ganz im Sinne des »Zeitgeistes« – durch zwei neue Dauerausstellungen ersetzt. Seit April 2013 ist hier auf 900 m² die Ausstellung »Das Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück – Geschichte und Erinne­rung«zu sehen. Im Gedenkstättenkonzept des Bundes von 2008, welches das Konzept von 1999 »fortschrieb« und im Wesentlichen auch noch heute gilt, heißt es: »In der DDR wurden vom Ende der fünfziger bis in die frühen sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts ›Nationale Mahn- und Gedenkstätten‹ in den ehemaligen Konzentrationslagern Buchen­wald, Sachsenhausen und Ravensbrück errichtet. Die SED instrumentalisierte die Doku­mentation der Geschehnisse am authentischen Ort und das Gedenken an die Opfer zur Legitimierung der eigenen Diktatur. Nach 1989 bestand daher bei diesen großen KZ-Gedenkstätten ein dringender Bedarf zur Neugestaltung, die den aktuellen Forschungs­stand auf Basis eines pluralistischen Geschichtsverständnisses widerspiegelte sowie die gesamte Forschung zur Geschichte der einzelnen Orte einbezog.« [6] Pluralistisches Geschichtsverständnis? Es geht auch mit dieser Orientierung im Grunde aber nicht nur um die SED, sondern um die anhaltende Delegitimierung der DDR, vor allem auch als antifaschistischer Staat. Und wir erinnern: Wo standen in den 50er Jahren manche der Widerständler gegen das Hitlerregime wieder vor Gericht und begegneten Richtern oder Staatsanwälten, die sie einst ins Zuchthaus oder KZ gebracht hatten? Wo kamen also die alten Nazis nach 1945 bald wieder in Amt und Würden, sogar auf hohe Posten im Staat wie Hans Globke, Mitverfasser und Kommentator der Nürnberger Rassengesetze und von 1953 bis 1963 Chef des Bundeskanzleramtes?  

Ich erinnere mich an einen der »runden« Gedenktage in Ravensbrück. Esther Bejarano – auch sie war etwa anderthalb Jahre Häftling in Ravensbrück und musste im Siemens­lager Zwangsarbeit leisten – sprach damals nach den Gedenkreden das jüdische Toten­gebet. Auch danach war sie bei Feiern zu Gast, vor allem mit ihrer Musik.

Damals lebten noch Frauen, die hier einst Häftlinge waren und gesund genug, um nach Ravensbrück zu kommen. Mit einigen russisch Sprechenden, von denen eine, als sie das Rot unserer Fahne sah, »nash flag« (unsere Flagge) sagte, gingen wir seinerzeit zum Denkmal, um Blumen niederzulegen. Blumen schwammen auch auf dem Schwedtsee.

Prof. Dr. Nina Hager ist ist Wissenschaftsphilosophin, war von 2000 bis 2015 stellvertretende Vorsitzende der DKP und von 2012 bis 2016 Chefredakteurin der UZ.

Abb. (nur in der Printversion): Mahn- und Gedenkstätte für das Konzentrationslager Ravensbrück, Teilansicht vom Schwedtsee mit Skulptur »Tragende« von Will Lammert. Foto: Erich Zühlsdorf (1917–1988), 1959.

 

Anmerkungen:

[1] Siehe lg-ravensbrueck.vvn-bda.de/2021/04/17/befreiungsfeier-2021-beitrag-zur-skulptur-die-tragende – abgerufen am 19.08.2024.

[2] Ebenda.

[3] Siehe www.irk-cir.org/de/brief_history. – abgerufen am 19.08.2024.

[4] Ebenda.

[5] Ebenda.

[6] Vgl. Deutscher Bundestag, Drucksache 16/9875.

 

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