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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Solidarität üben durch Proteste im eigenen Land

Prof. Dr. Nina Hager, Berlin

 

Liebe Genossinnen und Genossen, ich überbringe euch die Grüße der DKP. Mit großer Aufmerksamkeit haben wir in unserer Partei in den vergangenen Monaten die Programmdebatte in eurer Partei verfolgt und die teilweise scharfen Auseinandersetzungen darum. Doch der Programmparteitag in Erfurt, dessen Debatte ich an zwei Tagen mitverfolgt habe, entschied souverän, beschloß das Parteiprogramm mit großer Mehrheit. Insgesamt ist euer Parteiprogramm in vielen Fragen sicher ein Kompromiß. Es ist gewiß auch kein marxistisches Programm, aber weitgehend antikapitalistisch, antifaschistisch und klar auf Frieden orientiert. Die Meinungsverschiedenheiten aber werden bestehen bleiben, und der Streit um die Ausdeutung von Programmaussagen wird auch nicht auf sich warten lassen. Entscheidend aber, und das ist eine Binsenwahrheit, wird die politische Praxis sein, wie eure Partei mit dieser weitgehend antikapitalistischen, antifaschistischen und klar auf Frieden orientierten Programmatik arbeitet. Aus Sicht der DKP ist zudem wichtig, wie sich die Möglichkeiten der Zusammenarbeit zwischen uns weiterentwickeln werden. Die politischen Herausforderungen an die ganze Linke in diesem Land, an ihr gemeinsames Handeln, wachsen.

Liebe Genossinnen und Genossen, kein Tag vergeht ohne neue Horrormeldungen über das Ausmaß der Krise, die sich aus der Immobilienkrise von 2008 bis hin zur aktuellen Euro- und Staatenkrise entwickelt hat. Die Krise spitzt sich derzeit dramatisch zu. Die Weltwirtschaft rutscht in die Rezession. Hinzu kommt, daß die bisherige Wirtschafts- und Finanzkrise zusätzlich offenbar durch eine beginnende zyklische Krise überformt wird. Das alles wird entsprechende soziale Folgen haben. Auch in unserem Land. Die internationale Arbeitsorganisation ILO warnt derzeit vor massiven Arbeitsplatzverlusten weltweit. Die EU-Länder haben in den letzten Wochen immer wieder konkrete Maßnahmen beschlossen, die am nächsten Tag schon wieder Makulatur waren. Jens Beckert und Wolfgang Streeck, Leiter des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung in Köln, stellten kürzlich fest, ich zitiere: "Vier Jahre nach dem Beginn der Krise scheint kein Instrument zu ihrer Eindämmung gefunden. Vielmehr weitet sie sich auf immer mehr Staaten aus, bei erschöpften Mitteln der Vertrauensbildung. Die Politik macht einen überforderten Endruck. Eine Neuregulierung der Finanzmärkte ist weitgehend ausgeblieben. Das Bankensystem ist nach wie vor anfällig, die konjunkturelle Entwicklung erlahmt. Dies wirft die Frage nach der nächsten Stufe der Finanzkrise auf. Dabei teilen wir nicht die Hoffnung auf eine baldige Beendigung der Krise. Diese würde eine glaubwürdige Sanierung der Staatshaushalte im Sinne einer dauerhaften Privilegierung der Forderungen der Gläubiger sowie ein Wiedererstarken des Wachstums in den europäischen Ländern und den Vereinigten Staaten erfordern. Das ist jedoch nicht abzusehen. Statt dessen muß ins Auge gefaßt werden, daß aus der ungelösten Finanzkrise eine soziale und politische Krise entstehen wird." Und sie machen in ihren Überlegungen auch darauf aufmerksam, daß alle Szenarien, die sie überlegt haben, wie diese Krise überwunden werden kann, immer nur zu einem führt, nämlich dazu, daß die Mehrheit der Menschen die Krisenfolgen auszubaden hat und die Schere zwischen Reich und Arm immer weiter wächst. Es wird viele Jahre dauern, bis sich die kapitalistische Weltwirtschaft erholen wird. Und das wird eine Neuausrichtung der Produktion, das Erschließen neuer Produktionsfelder erfordern, einen Umbau, den wir heute teilweise nur ahnen können. Begleitet wird dies durch einen rapiden Demokratieabbau.

Wir haben im vergangenen Jahr auf unserem 19. Parteitag eine politische Resolution verabschiedet, in der wir darauf aufmerksam machten, daß es sich bei dieser Krise um eine große oder Übergangskrise handelt. Es zeigt sich, daß diese Einschätzung völlig zutreffend ist.

Auch das Exportland Bundesrepublik, das bislang von der schlechten Lage Griechenlands, Portugals, Spaniens, Irlands, Italiens und anderer Länder profitierte, ist selbst zunehmend betroffen. Mittlerweile werden die Prognosen für das Wirtschaftswachstum im nächsten Jahr und vor allem für die Exporterlöse weiter gesenkt, und das wird gravierende soziale Auswirkungen haben.

Tiefe Widersprüche zwischen den Kapitalfraktionen und zwischen ihren politischen Vertretern werden in den gegenwärtigen Wochen deutlich. Die sind aber zugleich aufeinander angewiesen, um das System zu retten.

Deutlich wird, daß das Kapital und seine politischen Vertreter nach ökonomischen und politischen Auswegen suchen und dabei zunehmend auf eine rigorose Einschränkung der sozialen und demokratischen Rechte setzen bis hin zu reaktionären Herrschaftsformen. Und dabei spielen natürlich Rechtspopulisten und Faschisten ihre Rolle.

Das hat aber zur Konsequenz, daß die Demokratiefrage durch uns viel stärker in die gegenwärtigen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen hereingebracht und dort thematisiert werden muß. Denn zugleich wachsen weltweit die Proteste gegen die Politik der Regierung und gegen die Banken. Und diese Proteste sollen eingegrenzt, zurückgedrängt werden.

Erinnern wir uns: In Griechenland hat ein gewaltiger Generalstreik am 19. und 20. Oktober das öffentliche Leben nahezu lahmgelegt. Trotzdem wurde im Parlament das größte Sparpaket in der Geschichte des Landes durchgesetzt. Eine Übergangsregierung aus mehreren Parteien wurde eingesetzt, in der ein Faschist Innenminister ist. Nicht nur hier steht die Demokratiefrage ganz konkret. Es gibt große Aktionen in vielen Ländern. Am 24. November wird es einen Generalstreik in Portugal geben. Ach hierzulande wächst der Protest.

Unsere Solidarität gilt allen, die gegen die Krisenauswirkungen kämpfen. Der größte Beitrag zur Solidarität ist aber der, den Widerstand, den Protest in unserem eigenen Lande zu organisieren.

Empörung und Wut haben weltweit in den letzten Monaten Millionen Menschen auf die Straße gebracht. Bewegungen sind entstanden, die vor kurzem so nicht absehbar waren. Neben Arbeiterinnen und Arbeitern, Angestellten, Schülerinnen, Schülern und Studierenden wurden soziale Schichten aktiv, die bislang mehrheitlich als Befürworter des Kapitalismus galten. Gegen Stuttgart 21, für den Ausstieg aus der Kernenergiegewinnung, aber auch für demokratische und soziale Rechte wie in Spanien, Italien, Portugal, Griechenland, Israel und den USA.

Ihr erinnert euch: Vor etwa anderthalb Jahren hat der Berliner Landesvorsitzende Klaus Lederer auf dem Berliner Landesparteitag den damals vorliegenden Programmentwurf eurer Partei scharf kritisiert als "plakativen Antikapitalismus und demonstrativen Protestgestus". Er betonte, man lebe laut Entwurf "in einer Horrorwelt, die von einigen Hundert Unternehmen und Individuen beherrscht, sich am Abgrund befinde". Jetzt erleben wir, daß Millionen von Menschen diese Horrorwelt Tag für Tag mehr wahrnehmen müssen. Und es sind tatsächlich 147 Unternehmen, vor allem Banken, Versicherungen und Rentenfonds, die wie eine Studie der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich zeigt, die Weltwirtschaft kontrollieren, die gemeinsam mit der Politik die Mehrheit der Menschen in die gegenwärtige Situation gebracht haben.

Kapitalismuskritische und antikapitalistische Positionen nehmen zu. Und das hat vor allen Dingen eben objektive Ursachen. Die finden sich in den realen Arbeits- und Lebensverhältnissen vieler Menschen. Und solche Positionen resultieren auch aus den Erfahrungen, die Menschen in den Protestbewegungen gewinnen, auch in Konfrontation mit der Staatsmacht. Und da ist es wichtig, daß Kommunistinnen und Kommunisten, antikapitalistische und sozialistische Linke dazu beitragen, daß diese antikapitalistischen Positionen verstärkt werden, daß die Einsicht in die gegenwärtigen gesellschaftlichen Verhältnisse und die Notwendigkeit ihrer Überwindung stärker wird. Wichtig ist, was wir einzubringen haben in die gesellschaftlichen Bewegungen: an Theorie, an strategischer Orientierung, an Ideen für Aktionen und wie wir uns an diesen Bewegungen beteiligen mit praktischer Arbeit, um in der gegenwärtigen Situation Wege für eine Wende zu demokratischem und sozialem Fortschritt als Voraussetzung für die grundlegende Veränderung der Gesellschaft, für den Sozialismus, zu öffnen. Liebe Genossinnen und Genossen, laßt uns auch weiter gemeinsam in diesem Sinne handeln und dazu beitragen, die Verhältnisse zum Tanzen zu bringen.

Nina Hager, stellvertretende Vorsitzende der DKP, sprach auf der Bundeskonferenz der Kommunistischen Plattform am 19. November 2011 in der Diskussion.