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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

November 1932: Wird Hitler gestoppt? (Teil 2 und Schluss)

Prof. Dr. sc. Heinz Karl, Berlin

 

(Fortsetzung von Seite 23-27 im Novemberheft 2012 der "Mitteilungen")

Intrigen, Terror und Widerstand

Sehr bald erwies sich, wie präzis Thälmanns Beurteilung der Schleicher-Regierung war, und wie realitätsfern die bürgerlichen und sozialdemokratischen Prognosen. Am 4. Januar 1933 verhandelten Papen (im Auftrag des Reichspräsidenten) und Hitler in Köln beim Bankier v. Schröder über die Bildung einer faschistischen Koalitionsregierung. Am 7. Januar traf Hitler sich bei Kirdorf mit führenden Unternehmern, am 17. Januar verhandelte er mit Hugenberg, am 18. und 22. Januar wieder mit Papen.

Für die ausschlaggebenden Kräfte des Großkapitals und die mit ihnen verbundenen politischen und militärischen Machteliten waren die faschistische Nazipartei und ihr Chef die optimale politische Variante. Mit ihnen verband sich mehr als mit jeder anderen politischen Kraft die Erwartung auf eine rücksichtslose, vor nichts zurückschreckende Durchsetzung ihrer Profit- und Machtinteressen, der hemmungslosen terroristischen Bekämpfung aller Gegner dieser Interessen, verbunden mit der weitgehenden (alle reaktionären Konkurrenten übertreffenden) Fähigkeit, durch skrupelloseste und dreisteste Demagogie Massen irrezuführen, sie systematisch zu beeinflussen und längerfristig zu kontrollieren. Aus diesen Besonderheiten erklärt sich auch, dass sie nach der ihre Förderer enttäuschenden Wahlniederlage vom November nicht fallengelassen, sondern gestützt wurden.

Diese fieberhaften Aktivitäten hinter den Kulissen verbanden die Nazis mit einer demonstrativen Steigerung ihres Terrors: in der Neujahrsnacht zwei Morde in Berlin und Überfälle in Hamburg, Wanne-Eickel, Trier, Delitzsch, Glogau und anderen Orten; an einem einzigen Tag, am 12. Januar, Terrorakte in Berlin, Köln, Breslau, Duisburg, Chemnitz, Koblenz, Meißen und Detmold; an die 200 Verletzte in nur zwei Wochen; Überfälle auf Arbeiterlokale, Konsumläden und Erholungsheime.

Den faschistischen Provokationen begegnete antifaschistischer Widerstand. In der ersten Januarhälfte demonstrierten in Berlin, Leipzig, Essen, Dortmund, Bochum, Stuttgart, Kassel und vielen anderen Orten viele Tausende gegen die Schleicher-Regierung und den braunen Mordterror.

Als die Verhandlungen zwischen den verschiedenen ultrareaktionären Gruppierungen über eine Regierungskoalition in ihre entscheidende Phase traten, inszenierte die Nazipartei, um ihr politisches Gewicht als stärkste und aktivste Partei der bürgerlichen Reaktion zu demonstrieren, eine großangelegte Provokation in der Reichshauptstadt. Am 22. Januar marschierten mehrere tausend Mann SA, beschützt von einem weit größeren Polizeiaufgebot, vor dem Karl-Liebknecht-Haus - dem Sitz des ZK der KPD - auf, begleitet vom Protest Tausender Antifaschisten. Die Polizei löste allein 19 Gegendemonstrationen auf, während die Berliner Nazi-Anhänger sich fernhielten. Die Nazi-Provokation wurde damit beantwortet, dass am 25. Januar 130.000 Berliner vier Stunden lang bei 18 Grad Frost am Karl-Liebknecht-Haus vorbeizogen, wo sie von Ernst Thälmann, John Schehr, Walter Ulbricht, Wilhelm Florin und Franz Dahlem begrüßt wurden. Gleichzeitig fanden in Spandau und Oberschöneweide Parallelkundgebungen statt.

Am 28. Januar trat Schleicher zurück, da Hindenburg ihm jede weitere Unterstützung, vor allem eine neuerliche Reichstagsauflösung (die Hitler vehement ablehnte, vor der aber auch die SPD bangte - beide Parteien befürchteten weitere Verluste), versagte. Am nächsten Tage erschien "Die Rote Fahne", das Zentralorgan der KPD, unter der Schlagzeile "Alarm! Alarm!" Sie warnte vor dem "faschistischen Generalangriff", der Bildung eines Hitlerkabinetts, und erklärte, "der ganzen ungeheuerlichen Reichweite der kommenden Ereignisse für das weitere Schicksal des deutschen Proletariats bewußt, wiederholen die Kommunistische Partei und die RGO ihr schon am 20. Juli vorigen Jahres gemachtes Einheitsfrontangebot". Auch die Bezirksorganisationen der KPD wandten sich umgehend mit Aufrufen zu Streiks und Demonstrationen an die Bevölkerung. Die Bezirksleitung Ruhrgebiet erklärte: "Wenn ihr, sozialdemokratische Klassenbrüder und Reichsbannerkameraden, gemeinsam mit uns aufmarschiert und gemeinsam mit uns zur Waffe des politischen Massenstreiks gegen eine Papen-Hitler-Regierung greift, dann sehen wir in unserer kämpfenden Einheitsfront eine unüberwindliche Kraft!" [1] Die KPD-Organisationen mobilisierten ihre Mitglieder zur Teilnahme an den von den Behörden zugelassenen Kundgebungen der SPD am 29. Januar.

An diesem Tage einigten sich Hitler und Papen endgültig über die Zusammensetzung der faschistischen Koalitionsregierung. Am 30. Januar 1933 ernannte Reichspräsident v. Hindenburg Hitler zum Reichskanzler. Doch dies ist schon ein neues Thema, das im Rahmen dieses Artikels nicht erörtert werden kann.

Gab es eine Alternative?

War der schließliche Erfolg der zur faschistischen Diktatur drängenden bürgerlichen Reaktion unvermeidlich? Das ist eine zentrale, aber auch außerordentlich komplizierte Frage. Man kann sie weder mit Ja noch mit Nein unwiderlegbar beantworten. Sicher ist nur zweierlei: Zum einen, dass dieses faschistische Regime von den ökonomischen, politischen, militärischen und bürokratischen Machteliten des bürgerlichen Deutschland erstrebt und durchgesetzt wurde. Zum anderen, dass alle politischen Entscheidungen, die zu diesem Ergebnis führten, nicht durch die Bürger, die Wähler, die Massen, sondern durch diese Machteliten getroffen wurden. Nicht Wahlen entschieden, sondern Lobbyismus und Intrigen. Bezeichnend ist, dass ausgerechnet der große Verlierer der erst kurze Zeit zurückliegenden allgemeinen Wahlen, der Chef der in der Novemberwahl schwer angeschlagenen Nazipartei, an die Spitze der Regierung gelangt.

Gab es eine Kraft, die dies hätte verhindern, die Bestrebungen und Ränke der Machteliten hätte durchkreuzen können? Die - insbesondere seit den 90er Jahren - wiederholt vorgetragene Auffassung, auch eine gemeinsam handelnde Arbeiterbewegung hätte keine Chance gehabt, wurde jedoch nie auch nur annähernd begründet. Ich meine, übereinstimmend mit Wolfgang Abendroth und Willy Brandt, dass gerade in der aktiv und koordiniert auftretenden Arbeiterbewegung - wie beim Kapp-Putsch 1920 - der Schlüssel des Erfolges gelegen hätte.

Ausschlaggebend für die schrittweise Realisierung der faschistischen Bestrebungen war das Handeln (die Handlungsfähigkeit und -bereitschaft) staatlicher Machtorgane und ihrer bewaffneten Kräfte (Reichswehr und Polizei). Und diese handelten, weil sie sicher waren, keinem geschlossenen Widerstand zu begegnen. Ihre Taktik war stets darauf gerichtet, eine solche Situation unter allen Umständen zu vermeiden. Ohne die durch Erfahrung geprägte Gewissheit, dass die SPD-Führung kampflos kapitulieren würde, wäre der Papen-Putsch am 20. Juli 1932 nicht inszeniert worden. Dies bestimmte auch das Handeln der Reaktion im Herbst 1932 und Januar 1933.

Warum kam die Aktionseinheit der Arbeiterbewegung, deren Kern nur das Zusammenwirken der beiden großen Arbeiterparteien sein konnte, nicht zustande? Ausschlaggebend dafür war, dass - wie oben (vor allem im Zusammenhang mit der grundsätzlichen Entscheidung des SPD-Parteiausschusses am 10. November 1932) ausführlich belegt - der entscheidende potenzielle Partner der KPD, die die Politik von SPD und ADGB bestimmenden Kräfte grundsätzlich (und völlig unabhängig von der Politik und dem konkreten Verhalten der KPD!) gegen eine Zusammenarbeit waren.

Jedoch wäre bei einem konsequenteren und überzeugenderen Bemühen der KPD um ein Zusammengehen mit der Sozialdemokratischen Partei, ihren offiziellen Strukturen und Führungsgremien, bei genereller und rascherer Überwindung sektiererischer, provozierender, emotionsgeladener Parolen der Druck auf die sozialdemokratischen Führungskräfte größer und vielleicht ausreichend gewesen, um sie zum Einlenken zu bewegen.

Natürlich hätte ein Zustandekommen der Einheitsfront nicht automatisch den Erfolg garantiert - dafür war das politische und gesellschaftliche Kräfteverhältnis viel zu labil und unsicher (aber eben für beide Seiten). Aber sie wäre die unumgängliche Voraussetzung eines möglichen Erfolges gewesen.

 

Anmerkung:
[1] Die Antifaschistische Aktion. Dokumentation und Chronik, Berlin 1965, S. 348.

 

Mehr von Heinz Karl in den »Mitteilungen«: 

2012-11: November 1932: Wird Hitler gestoppt? (Teil 1)

2012-05: Antifaschistische Aktion! 

2011-07: Vor 75 Jahren begann der Spanische Krieg