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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

USA: 150 Jahre in Bewegung (Teil I)

Victor Grossman, Berlin

 

Ob und wie US-amerikanische Arbeiter/innen kämpfen

 

Die Geschichte der Arbeiterbewegung und die der USA sind wie siamesische Zwillinge eng verwachsen. Wenn Schülern und Studenten das verheimlicht wird, liegt es nicht daran, dass die Geschichte langweilig wäre. Denn diese Verbindung war dramatischer und spannender als jeder Krimi! 

Schon 1876, als Truppen der siegreichen Nordstaaten aus den letzten Südstaaten abgezogen wurden und die befreiten Sklaven ungeschützt dem neuen Ku-Klux-Klan überließen, wurden die Soldaten fast sofort gegen Arbeiter im Norden eingesetzt. Das markierte eine große Wende für das Land.

Es herrschte Wirtschaftskrise. Als die Hungerlöhne der Eisenbahner zum dritten Mal gekürzt wurden, kam es zu Streiks im ganzen Osten. Bei berittenen Angriffen von säbelschwingenden Soldaten starben etwa 100 Arbeiter. Es kam zu Gegenangriffen; ein großes Bahngebäude in Pittsburgh, wo sich Nationalgardisten verschanzt hatten, wurde niedergebrannt. Die Presse schrie: »Sie wollen Revolution machen – wie die Kommunarden in Paris!« Die Klassenlinien im Lande waren nun deutlich gezogen. 

Am 1. Mai 1886 marschierten und streikten mehr als 700.000 Arbeiter – in Chicago allein 80.000 –, um den Achtstundentag durchzusetzen. Wegen einer Bombe, vermutlich von einem Provokateur geworfen, wurden acht völlig unschuldige Arbeiterführer – Anarchisten und Sozialisten – verurteilt. Vier davon, die »Haymarket Märtyrer« (zwei aus Deutschland) wurden gehenkt. Starke Repressionen folgten – und in Paris wurde der Erste Mai zum Kampftag der Arbeiter für die Welt erklärt.

Sechs Jahre später, 1892 in Homestead (Pennsylvania), streikten Stahlarbeiter gegen den superreichen »Philanthropen« Andrew Carnegie (den Stifter der »Carnegie Hall«) und gegen zwölfstündige Schichtarbeit. Als Streikbrecher mit Lastkähnen am Fluss herbeigeholt wurden, kam es zu einer kleinen Seeschlacht. Zunächst scheinbar gewonnen, wurde der Streik dann zu einer herben Niederlage, sowohl wegen des Einsatzes der Nationalgarde wie auch durch die Schwäche – oder den Verrat – von Verbandsführern. Diese einigten sich oft mit den Bossen friedlich auf kleine Verbesserungen und schüttelten ihnen die Hände. Die Presse lobte sie. Die Stahlarbeiter litten darunter 45 Jahre!

One Big Union!

Ihre Bundesvereinigung, die American Federation of Labor (AFL), baute auf getrennte Verbände: Maurer, Werkzeugmacher, Elektriker, auch Mörtelträger, zumeist gelernte Fachleute, weiße Männer, deren Großeltern in den USA geboren sein mussten. Unerwünscht waren ungelernte Einwanderer aus Süd- und Osteuropa und erst recht Schwarze. Mit der AFL wurde die Arbeiterbewegung sehr zahm. 

Bis 1905! Im Juni trafen sich, wieder in Chicago, 203 Radikale aus 43 Organisationen, meist Gewerkschafter, die sich am Klassenkampf orientierten, zur Gründungsversammlung der Industrial Workers of the World. Der charismatische Vorsitzende, »Big Bill« Haywood von den Erzbergleuten der Rocky Mountains, eröffnete den Kongress mit den Worten: »Wir sind hier, um die Arbeiter dieses Landes in einer Arbeiterbewegung zu vereinigen, damit … eine Gleichstellung der Arbeiterklasse mit dem Kapitalismus hergestellt wird. Ziel und Zweck dieser Organisation ist, dass die Arbeiterklasse in den Besitz von wirtschaftlicher Macht und in Kontrolle über Maschinen kommt, ohne dabei Rücksicht auf die Kapitalisten zu nehmen.«

Die Industrial Workers of the World, IWW – oft gewitzelt als »I Won’t Work« – wurden bald landesweit als »Wobblies« bekannt. Für sie galt: In jedem Betrieb alle zusammen für »One Big Union« – gegen Unternehmer, Regierung und Kapitalismus! Alle Klassengenoss/innen waren willkommen: Frauen auf jeden Fall, ungelernte Immigrant/innen, Wanderarbeiter, Asiatischstämmige. Und lebenswichtig: die Afroamerikaner! Ohne Interesse an Vereinbarungen und Verträgen wurde Aktion betont, manchmal mit einem Überraschungsstreik, um mit Einheit und Courage höhere Löhne, weniger Stunden und die Macht zu erkämpfen!

Viele Wobblies waren ungelernten Arbeiter, die sich (versteckt in Güterzügen) von Ernte zur Ernte oder als Holzfäller und Hafenarbeiter von Ort zu Ort durchschlugen, nicht selten in Gefängnissen landeten und gern sangen, oft aufrufende Heilsarmee-Lieder mit witzigen neuen Texten von dem schwedischen IWW-Wanderarbeiter Joe Hill. 

Die Wobblies waren ziemlich schlagkräftig. Ihren größten Sieg erreichten sie 1912 beim Textil-Streik in Lawrence (Massachusetts), wo Bill Haywood und die feurige junge Rednerin Elizabeth Gurley Flynn über 25.000 Frauen verschiedener Nationalitäten singend durch die eisigen Straßen führten. (Die Bosse ließen bis 50 sich gegenseitig misstrauende Nationalitäten, die oft Englisch nicht sprachen, bewusst nebeneinander arbeiten.) Als einige Polizisten sie mit eisigen Wasserstrahlen verjagen wollten, landeten diese Männer – ohne Hosen – im ebenso eisigen Fluss. Mit vieler Übersetzung und Kampfgeist (sie verlangten hier zum ersten Mal »Brot und Rosen«) gewannen sie nach mehr als zwei Monaten des Streiks. (Flynn wurde 1961 Vorsitzende der KP der USA.)

Durch ihre Kämpfe erreichten die IWW eine Höchstzahl von etwa 100.000 Mitgliedern und weitaus mehr Anhänger. Mehr als genug, um die Mächtigen zu ängstigen. Als dann 1917 die IWW sich aktiv gegen die USA-Teilnahme am Weltkrieg engagierten, benutzte man den eifrig erzeugten nationalistischen Patriotismus, um die IWW durch Angriffe, harte Strafen, Deportationen von Nichtstaatsbürgern und raue Gewalt kaputtzuschlagen. Haywood, zu fünfzehn Jahren verurteilt, flüchtete in die UdSSR – bis an sein Lebensende. Seine Urne ist in der Kremlmauer beigesetzt.

Schwere Zeiten

In den harten Nachkriegsjahren der Unterdrückung gab es nur isolierte Versuche, aus dem Handwerksgildensystem der AFL auszubrechen. Bei den Kohlenbergleuten in den Appalachen kam es öfter zu Feuergefechten mit den Sheriffhelfern und Streikbrechern. Dafür gab es einen Hauptverband für alle Gewerke gemeinsam, mit fester Hand von John L. Lewis geführt, ihrem charismatischen Präsidenten, überall wegen seiner buschigen Augenbrauen und Shakespeare-Zitate bekannt.

Eine zweite Ausnahme war der Verband der Damenkonfektion, konzentriert in Manhattan, wo Tausende von italienischen und noch viel mehr jüdischen Töchtern von Immigranten in ungesunden, gefährlichen Schwitzbuden schufteten, um Amerikas Frauen zu bekleiden. Eine linke Richtung war anfangs, noch vor dem Krieg, vorherrschend – klar von der jungen Näherin Clara Lemlich, 23, ausgesprochen: »Ich habe keine Geduld mehr für das Reden. Ich bin ein Arbeitermädchen, eins von denen, die gegen unerträgliche Bedingungen streiken. Ich habe es satt, Rednern zuzuhören, die nur allgemein reden. Ich beantrage, dass wir jetzt in einen Generalstreik treten!« Der hatte einen Teilerfolg, führte mit zur Gründung des Frauentags und blieb in historischer Erinnerung. 

Im Allgemeinen jedoch waren die Arbeiter in den Zwanzigerjahren schwach oder gar nicht organisiert. Die wenigen, noch uneinigen Kommunisten kämpften zwar couragiert, auch gerade in den Südstaaten, wo schwarz-weiße Zusammenarbeit mitunter das Leben kosten konnte. Sie blieben aber meistens weit links isoliert. Dabei blähte sich die Wirtschaft immer mehr auf. 

Bis dann am 24. Oktober 1929 mit dem Börsenkrach an der Wall Street die große Depression begann, die jahrelang blieb, grausam wie fast überall auf der Welt. Gegen die Misere setzten sich die Kommunisten nachdrücklich ein. Wo man zwangsgeräumte Familien auf die Straße zwang, organisierten sie Nachbarschaftsgruppen, die die Möbel trotzig zurücktrugen. Wo bankrotte Landwirte ihre Farmen verlieren sollten, führten sie andere Bedrohte zu den Versteigerungen – und sorgten dafür, dass keiner zu bieten wagte. Wo Betriebe noch produzierten, setzten sich vor allen die Kommunisten für die Rechte der Arbeiter ein. Sie kämpften mutig und entschlossen, nunmehr weniger mit roten Aufrufen etwa für ein »Sowjet-Amerika«. 

Neuer Aufschwung

Die Stimmung wurde immer kämpferischer, was sich auch in den Wahlen widerspiegelte. 1932 stimmte der Kongress dem Norris-Laguardia-Gesetz zu, das etliche Schranken gegen die Gewerkschaften aufhob: Mitgliedschaft durfte nicht verhindert, Streiks, Streikposten und Boykotte nicht verboten werden. 

1932 wurde Franklin Roosevelt mit einer Mehrheit in 42 Bundesstaaten (von damals 48) gewählt. Obwohl er anfangs dazu neigte, sowohl Kapitalisten als auch Arbeiter zu fördern, konnte er den Druck und die Radikalisierung der Arbeitenden nicht ignorieren. Sein offenes Ohr reichte schon, um den Hass der Monopole zu verursachen; einige spielten mit Plänen, Roosevelt durch einen faschistischen Putsch abzusetzen.

Die Gewerkschaftssituation konnte dabei nicht stillstehen, wo in immer mehr Großbetrieben in großen Industriezentren mit Fließband-Methoden Radios, Kühlschränke, Autos, Reifen von ungelernten Immigranten oder deren Kindern hergestellt wurden. Die AFL-Führung wollte stur bei den exklusiven Fachverbänden bleiben, getrennt nach Elektrikern, Kesselbauern, Köchen, Hutmachern. Nur, das Bilden von Industrieverbänden war nicht mehr aufzuhalten.

Im April 1934 erschütterte das Land ein großer Streik. In Toledo (Ohio) kämpften etwa 10.000 Autoteile-Hersteller fünf Tage lang gegen die Polizei und Nationalgardesoldaten, wobei zwei Streikende getötet und mehr als 200 verletzt wurden. Gleich darauf, im Mai, kam es zu einem ebenfalls bitteren Streik der LKW-Fahrer in Minneapolis (Minnesota), der bis zum August andauerte und wiederum zwei Streikende das Leben kostete.

Im gleichem Monat Mai ging es noch sensationeller zu: in San Francisco streikten die Docker, die Seemänner schlossen sich an, und Ende Juli kam die Arbeit in allen Häfen der Westküste, von San Diego bis Seattle, zum Stehen. Als die Polizei besonders brutal vorging und einige Arbeiter totschoss, gab es in San Francisco einen Generalstreik, wo bis auf vom Streikrat genehmigte Lebensmittelgeschäfte alle Betriebe und Geschäfte geschlossen blieben. Am Tag des Trauermarsches durch San Francisco war die Polizei wohlweislich verschwunden; Verkehr wurde von Jugendlichen geleitet, die Hammer-und-Sichel-Wappen auf dem Hemd trugen. Etliche Reiche sind aus Furcht vor einer »Revolution« in die Berge geflüchtet. Doch nach fünf Tagen, nach fast militärischen Angriffen der Uniformierten und dem üblichen Zurückweichen der alten AFL-Garde mussten die Docker aufgeben. Gewonnen haben sie dennoch: die Verteilung der knappen Arbeitsstellen selber fair zu leiten – ohne Rassismus und ohne die bisherige Praxis des Schmierens der Arbeitsvermittler. Sie hatten nun auch eine starke Industriegewerkschaft der Dockarbeiter der Westküste, mit Harry Bridges aus Australien als Präsident, der den Kampf tapfer geführt hatte und ein beliebter Held für Millionen wurde. Zwanzig Jahre lang versuchte die Regierung, ihn wegen angeblicher Mitgliedschaft in der KP-USA zu deportieren. Er hatte aber einen zu starken Rückhalt im Volk plus sehr gute Anwälte – und blieb. 

Für Millionen war der Neustart nicht mehr zu bremsen – und dann kam er mit einem Schlag – einem buchstäblichen! Entscheidend dabei war John L. Lewis, der Präsident der Bergleute. Im Oktober 1935, beim AFL-Kongress, als Bill Hutcheson, 61, der bullige Chef des Zimmermannsvereins und konservative Hauptverteidiger der Fachverbände, eine Debatte über die nötige Änderung zu verhindern versuchte, kam es zum heftigen Wortwechsel mit Lewis, 55, ebenfalls groß und stark, der Hutcheson dann einen Schlag auf das Kinn versetzte – wonach beide miteinander raufend zu Boden gingen.

Die Ringer wurden getrennt – aber dann auch der Verband! Zehn Industriegruppen zogen ab und bildeten das Komitee (später den Kongress) der Industrieorganisationen – CIO – als Gegenspieler zur AFL. Bald kamen mehr hinzu. Der kluge Lewis nahm nun die von Roosevelt unterschriebenen Gesetze, die die Mitgliedschaft in Gewerkschaften ausdrücklich genehmigten, und interpretierte sie auf Postern so wie Aufrufe einzutreten – also beinahe patriotisch. Der Damm war geöffnet, es begann eine Eintrittsflut. 

(Teil II folgt) 

 

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2024-06: Achtzig Jahre später

2022-10: Meine siebzig Jahre und die vergangene DDR

2022-03: Guadalajara und heute