Macht geht vor Recht
Gerhard Mertschenk, Berlin
Rede am 29. Oktober 2025 vor dem Auswärtigen Amt in Berlin
Liebe Demonstrierende, sehr geehrtes Personal vom Auswärtigen Amt, gerade haben wir das Abstimmungsergebnis in der UNO erfahren, dem zufolge sich die Bundesregierung nicht vom Drohbrief der Trump-Regierung hat beeinflussen lassen und ihr gewohntes Abstimmungsverhalten beibehalten und es nicht zu Ungunsten Kubas geändert hat. Darüber freue ich mich. Nach Völkerrecht und innerstaatlicher Rechtslage wäre die Bundesregierung sowieso verpflichtet, in der UNO-Vollversammlung für die Aufhebung der US-Blockade gegen Kuba zu stimmen, so wie sie es in den vergangenen Jahren getan hat. Jede Abweichung davon wäre eine Unterwerfung unter die völkerrechtswidrige Kuba-Politik der USA und würde den Verzicht auf eine eigene souveräne Politik gegenüber Kuba bedeuten. Dass es sich um eine völkerrechtswidrige, einseitige Strafmaßnahme der USA handelt, hat die EU offiziell erklärt, und zwar in der Direktive 2271 aus dem Jahre 1996. Darin ist klar definiert, dass die völkerrechtswidrige exterritoriale Wirkung von der EU nicht anerkannt wird. Gemäß Artikel 1 der Verordnung gilt dieses Dekret in allen EU-Mitgliedsstaaten, ohne dass die einzelnen Länder noch nationale Gesetze zur Ausführung erlassen müssen.
Mit der Verordnung will die EU eine Entschädigung für die Firmen und Einzelpersonen erreichen, deren Interessen von den USA beeinträchtigt werden. Artikel 4 legt fest, dass Entscheidungen von außergemeinschaftlichen Gerichten oder Verwaltungsbehörden – das heißt, auch solchen aus den USA – nicht anerkannt werden und nicht vollstreckbar sind.
Der Artikel 5 verbietet es in der EU ansässigen Personen und Unternehmen, Anweisungen oder Forderungen von US-Stellen, die auf den illegalen Blockadegesetzen beruhen, nachzukommen. Geschieht das trotzdem, können die Geschädigten es der EU melden, da sie eventuell Anspruch auf Entschädigung haben. Der Schadenersatz kann nach Artikel 6 auch durch »Beschlagnahme und den Verkauf von Vermögenswerten … einschließlich der Aktien« des Schädigers durchgesetzt werden.
Artikel 9 verpflichtet jeden Mitgliedsstaat der EU, für den Fall einer Zuwiderhandlung gegen die Vorschriften der Verordnung, Sanktionen festzulegen. Diese Sanktionen »müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein«.
Die Rechtslage ist also klar.
Doch welche Konsequenzen hat das? Diese Verordnung hilft in der Praxis wenig, denn in den internationalen Handelsbeziehungen geht Macht vor Recht. Da kann Bundespräsident Steinmeier in seinen Reden noch so oft darüber schwadronieren, dass es darauf ankomme, die Stärke des Rechts durchzusetzen und das Recht des Stärkeren nicht zuzulassen. Die Praxis zeigt: Die US-Strafmaßnahmen gelten zwar bei uns nicht, aber sie wirken, weil die politische und wirtschaftliche Macht der USA dahinter steht. Wegen Verletzung der Finanzblockade Kubas durch die USA, die darauf abzielt, Kuba den Zugang zu konvertierbaren Währungen zu verwehren, um das Land wirtschaftlich zu erdrosseln, wurden durch USA-Behörden, wie dargelegt, laut EU-Verordnung in der EU eigentlich nicht anerkannte und nicht vollstreckbare Strafzahlungen verhängt – und einkassiert, also trotz der EU-Bestimmungen befolgt. So können es sich Firmen wie Paypal unter Rechtsbruch erlauben, das US-Embargo anzuwenden und Zahlungsüberweisungen für Tickets für Veranstaltungen mit kubanischen Künstlern zu verweigern. Als kürzlich Spenden für die Konzerttournee des kubanischen Duos Tony Ávila und Shakira Torna eingesammelt werden sollten, verweigerte das crowdfunding-Portal gofundme.de seine Dienste mit Verweis auf den Kuba-Bezug und die US-Blockade.
Die deutsche Firma Brüel & Kjær Vibro GmbH, die alle thermischen Turbinen das kubanischen Energiesystems mit Schwingungsüberwachungssystemen ausgerüstet hat, beschloss im Januar 2023 auf Empfehlung ihrer Bank, wegen der Anwendung von Titel III des Helms-Burton-Gesetzes nicht mehr mit Kuba zusammenzuarbeiten. Danach ist es dann natürlich ein Leichtes, sich in den Medien über Stromsperren in Kuba zu mokieren.
2014 wollte das Netzwerk Cuba für eine internationale Veranstaltung einen Spendenbetrag in Höhe von 4.000 Euro an ein Konto der britischen Cuba-Solidaritätskampagne nach London überweisen, was von der Postbank mit dem Hinweis verweigert wird, dass die US-Korrespondenzbank das Geld wegen des Kubabezugs einbehalten werde. 2014 verhängte die US-Regierung gegen die Commerzbank wegen deren Kuba-Geschäfte eine Strafe in Höhe von 650.000 US-Dollar. 2015 wurde die Commerzbank von den USA verurteilt, 1,71 Milliarden Dollar »Strafgebühr« zu zahlen - und sie zahlte, wobei pikant ist, dass die BRD zu dem Zeitpunkt mit 17 Prozent anteiliger Eigentümer war, aber nichts dagegen unternahm und den Rechtsbruch stillschweigend hinnahm. Die Uni Crédit Group wurde 2019 von den USA zur Zahlung von 1,3 Milliarden US-Dollar wegen des angeblichen Verstoßes gegen die anti-kubanische US-Blockade genötigt. Im Jahr 2022 wurde ein Vertrag mit der deutschen Westfalen AG über die Lieferung eines Geräts zur Messung des vom Patienten ausgeatmeten Kohlendioxids annulliert, weil der Lieferant geltend machte, dass er aufgrund der Blockade auf eine schwarze Liste gesetzt werden könnte, was bedeuten würde, dass er von keinem anderen Unternehmen in den Vereinigten Staaten mehr beliefert werden könnte. Die Postbank weigerte sich, das Abo-Geld für die Granma Internacional nach Kuba zu überweisen. Und so könnte man noch unzählige Beispiele anführen.
Es herrscht pure Angst vor dem Zerstörungspotential der militärischen, wirtschaftlichen, finanziellen, technologischen, medialen und geheimdienstlichen Supermacht USA und deren arroganter Politik, die unter Trump einen neuen Höhepunkt erreicht hat. Auf eine Anfrage der Linken im Bundestag antwortete die Bundesregierung: »Ein umfassender Schutz der deutschen und europäischen Unternehmen kann – wie bei allen extraterritorialen Sanktionen – aufgrund ihrer Wirkungsweise nicht sichergestellt werden«.
Ob nun Banken, Zahlungsdienstleister oder Bundesregierung, sie alle kuschen vor der Macht der USA, statt das Recht durchzusetzen. Und es ist durchaus möglich, zu widerstehen, wie das Beispiel einer Bank in Österreich zeigt. Aber der politische Wille muss dazu vorhanden sein. Und den gibt es bei der Bundesregierung eben nicht. Dazu der Regierungssprecher am 8. Juli 2025 auf der Bundespressekonferenz auf die Frage, ob die aktuelle Bundesregierung bei der Einschätzung der Vorgängerregierung bleibe, dass die US-Sanktionen gegen Kuba völkerrechtswidrig sind: »Die Bundesregierung hat zu dieser Frage meines Wissens noch keine abschließende Position erarbeitet. Sie kennen ja die amerikanische Rechtslage in der Durchsetzung von Sanktionen gegenüber Drittstaaten beziehungsweise direkt gegen Sektoren gerichtete Sanktionen. Das ist eine geübte Praxis, die die USA in vielen Bereichen anwenden. Die Bundesregierung hat dazu keine neue Position entwickelt, auch jetzt im Falle Kubas nicht. Das ist eine Praxis, die auch den Marktteilnehmern bekannt ist. Die Bundesregierung hat keine Hilfsmaßnahmen, was das angeht.« Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Die USA bestimmen de facto darüber, ob deutsche und EU-Unternehmen und Banken Geschäfte mit einem Drittstaat wie Kuba machen dürfen und die Bundesregierung drückt sich vor ihrer Verantwortung, das Recht durchzusetzen.Deshalb ist die Bundesregierung aufgerufen, ihrer Stimme gegen die US-Blockade in der UNO endlich konkrete Taten in Ausführung der EU-Verordnung folgen zu lassen. Wenn der normale Bürger gegen Verordnungen und Gesetze verstößt, wird er prompt zur Verantwortung gezogen und bestraft. Wir dürfen es nicht zulassen, dass die Bundesregierung ungestraft gegen ihre eigenen Gesetze verstößt. Wir müssen verlangen, dass der Rechtsstaat auch beim Umgang mit völkerrechtswidrigen USA-Strafmaßnahmen die Stärke des Rechts durchsetzt. Das Recht des Stärkeren zu akzeptieren, heißt den Rechtsstaat zu demontieren.
Blockade hindert Kuba an der Verwirklichung sozialer Menschenrechte
Nun zu einem anderen Aspekt der Strafmaßnahmen gegen Kuba. Kuba wird vorgeworfen, die Menschenrechte zu verletzen. Welche Menschenrechte? Die US-Blockade verhindert ja gerade, dass Kuba solche Menschenrechte wie die im UN-Zivilpakt verbrieften sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Rechte gewähren kann. Ein schändliches Beispiel dafür ist das einstmals vorbildliche Gesundheitswesen Kubas, das durch das Verbot, Material und Geräte zu liefern, jetzt am Boden liegt.
Die UN-Zivilpaktvertragsstaaten – und dazu gehört die BRD seit der Ratifizierung am 9. Oktober 1968 – anerkennen die Rechte eines jeden auf einen angemessenen Lebensstandard für sich und seine Familie, darunter das Recht auf Arbeit, auf höchsten Standard für körperliche und geistige Gesundheit, einschließlich ausreichender Ernährung, Bekleidung und Unterbringung. Dass die USA bis heute diesen UN-Zivilpakt nicht unterzeichnet haben, spricht nicht gerade für einen humanitären Charakter der USA, aber noch viel weniger ist das eine Rechtfertigung dafür, Kuba durch die Blockade an der Verwirklichung dieser Rechte zu hindern. Die BRD hat den UN-Sozialpakt unterzeichnet, verhindert jedoch durch ihr Nichtstun bei der Umsetzung der EU-Direktive, wie oben dargelegt, dass Kuba die sozialen Menschenrechte verwirklichen kann. Aber auch hierzulande werden mit den Kürzungen im sozialen Bereich massenhaft die sozialen Rechte verletzt, wenn – wie kürzlich in Berlin geschehen – Obdachlose aus leerstehenden besetzten Wohnungen vertrieben werden, ohne ihnen das Recht auf angemessenen Wohnraum oder das Recht auf Arbeit zuzugestehen, um sich den Lebensunterhalt selbst verdienen zu können. Ihnen wird lediglich das Recht zugestanden, dagegen protestieren zu dürfen. Darin erschöpfen sich die Menschenrechte in der BRD. Das bringt aber keine Lösung für die Probleme. Die Bundesregierung legt zweierlei Maß bei den Menschenrechten an, jedoch sind laut UNO-Beschluss die sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Rechte den politischen und bürgerlichen Rechten vollkommen gleichgestellt.
Wir fordern die Bundesregierung auf, in der UNO nicht nur für die Aufhebung der Blockade gegen Kuba zu stimmen, sondern endlich auch wirksam gegen die völkerrechtswidrigen exterritorialen Auswirkungen der einseitigen US-Strafmaßnahmen vorzugehen. Das ist sie den Menschenrechten schuldig. Danke für die Aufmerksamkeit.
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