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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Fabrikaktion

Dr. Ronald Friedmann, Berlin

 

Im Februar 1943 wollte das Hitler-Regime die letzten Juden aus Deutschland deportieren, der Widerstand ihrer Angehörigen rettete einem Teil von ihnen das Leben

 

Am 13. März 1942 ließ Albert Speer, von Hitler erst wenige Wochen zuvor zum Rüstungs­minister ernannt und mit außerordentlichen Vollmachten ausgestattet, über Martin Bor­mann, den Leiter der sogenannten Parteikanzlei, ein Rundschreiben an alle maßgeblichen deutschen Behörden verbreiten, in dem es hieß: »Der Reichsminister für Bewaffnung und Munition wird […], sobald die Arbeitseinsatzlage es gestattet, die Juden in Rüstungsbetrie­ben durch andere Arbeitskräfte ersetzen und dafür die Juden zum Abtransport freigeben.« [1] Speer »brauchte« deren Wohnungen – als Ersatz für die Wohnungen, die bereits dem grö­ßenwahnsinnigen »Umbau« der Reichshauptstadt Berlin zur Welthauptstadt Germania zum Opfer gefallen waren, vor allem aber als Ersatz für die zahlreichen Wohnungen der »Volks­genossen«, die überall in Deutschland bei alliierten Bombenangriffen zerstört worden wa­ren. Und er wollte seinem »Führer« willig sein, der das »Dritte Reich« noch vor Kriegsende »judenfrei« haben wollte.

Ende September 1942 waren in ganz Deutschland noch immer knapp 73.000 deutsche Ju­den im Alter ab 14 Jahren als Zwangsarbeiter in Rüstungsbetrieben beschäftigt. Auf einer »Führerbesprechung« vom 20. bis 22. September 1942 im »Führerhauptquartier ›Werwolf‹« im ukrainischen Winniza forderte Hitler deshalb, umgehend alle verbliebenen »Rüstungsju­den« aus dem Reichsgebiet zu »entfernen«. In den folgenden Wochen und Monaten wurden zehntausende vormalige jüdische Rüstungsarbeiter nach Riga und Auschwitz deportiert und dort umgehend ermordet. In Auschwitz gab es für die kräftigsten Männer unter ihnen allerdings noch eine geringe »Chance zum befristeten Weiterleben« [2], soweit sie die Selekti­on an der Rampe überstanden und in der örtlichen »Lagerindustrie« oder beim Aufbau des Buna-Werkes in der unmittelbaren Umgebung des Vernichtungslagers Verwendung fanden.

Das Buna-Werk der IG Farben Auschwitz war eines der wichtigsten Bauvorhaben der deut­schen Rüstungsindustrie. Unter Verwendung der großen lokalen Vorkommen an Kohle und Kalk sollten hier synthetischer Kautschuk und vor allem Benzin in großem Umfang produ­ziert und für die Kriegsführung bereitgestellt werden. Doch angesichts eines anhaltenden Arbeitskräftemangels, der auch nicht durch den massiven Einsatz von Zwangsarbeitern aus den besetzten Ländern Ost- und Westeuropas kompensiert werden konnte, war der geplan­te Fertigstellungstermin bereits mehrfach überschritten worden. Im Herbst 1942 wurden deshalb etwa 1.500 deutsche Juden, die im Rahmen der von Hitler befohlenen Maßnah­men aus dem Reichsgebiet deportiert worden waren, zur weiteren Zwangsarbeit in das Auschwitz-Außenlager Monowitz überstellt, das die IG Farben eigens für den Bau und Be­trieb des Buna-Werkes eingerichtet hatte.

Ende 1942 allerdings kamen alle Transporte von Juden »nach dem Osten« zum Erliegen: In Stalingrad tobte die entscheidende Schlacht des Zweiten Weltkriegs, und die Transportka­pazitäten der Bahn wurden nun in vollem Umfang gebraucht, um Waffen und Ausrüstungen an die Wolga zu transportieren. Trotzdem wurde das Ziel, das »Alt-Reich« »judenfrei« zu machen, nicht grundsätzlich aufgegeben: Den Rüstungsunternehmen wurde noch Mitte Dezember 1942 offiziell mitgeteilt, dass bis zum 31. März 1943 ausnahmslos alle jüdi­schen Rüstungsarbeiter deportiert werden würden. Zu diesem Zeitpunkt waren in ganz Deutschland noch etwas mehr als 20.000 jüdische Zwangsarbeiter erfasst, etwa 75 Pro­zent von ihnen lebten und arbeiteten in Berlin.

Am 20. Februar 1943 – die Schlacht von Stalingrad war am 2. Februar 1943 mit dem Un­tergang der 6. Armee unter Generalfeldmarschall Friedrich Paulus zu Ende gegangen, am 18. Februar 1943 hatte Goebbels im Berliner Sportpalast seine berüchtigte Rede »Wollt Ihr den totalen Krieg?« gehalten – erteilte das unter Leitung von Adolf Eichmann stehende Re­ferat IV B 4 des Reichssicherheitshauptamtes den zuständigen Dienststellen in ganz Deutschland detaillierte Weisungen für die »technische Durchführung der Evakuierung von Juden nach dem Osten«. [3] Im internen Sprachgebrauch der Behörden wurde das für Ende Februar 1943 geplante Unternehmen als »Großaktion Juden« bezeichnet, gegenüber den Rüstungsbetrieben wurde lediglich von einer »Evakuierungsaktion« gesprochen. Erst nach dem Krieg prägten Überlebende den Begriff »Fabrikation«. In einem Prozess gegen Mitar­beiter der Gestapo, der im Augst 1951 – überraschend genug – vor dem Westberliner Landgericht geführt wurde, sprach einer der Angeklagten, der gewesene Leiter des »Juden­referates« der Berlin Gestapo Walter Stock, selbstentlarvend von der »Judenschlussaktion«, die im Februar 1943 stattgefunden habe. [4]

In den Morgenstunden des 27. Februar 1943, einem Sonnabend, dem jüdischen Sabbat, riegelten mehrere tausend Angehörige der Gestapo und der SS mehr als einhundert Berli­ner Rüstungsbetriebe ab und verhafteten alle Juden, derer sie dort habhaft werden konn­ten. Andere Berliner Juden, erkennbar an dem gelben Stern, den sie seit dem 19. Septem­ber 1941 deutlich sichtbar auf ihrer Kleidung tragen mussten, wurden auf offener Straße verhaftet und gleichfalls in eines der sechs großen Sammellager verschleppt, die überall in der Stadt eingerichtet worden waren. [5]

Von dort aus wurden zwischen dem 1. und dem 6. März 1943 etwa 6.000 Menschen in fünf Transporten nach Auschwitz deportiert, wo zwei Drittel von ihnen sofort ermordet wurden.

Trotzdem zeigte sich Joseph Goebbels, »Reichspropagandaminister« und Chef der Berliner NSDAP, mit dem Ergebnis der »Großaktion Juden« unzufrieden. Am 2. März 1943 notierte er in seinem Tagebuch: »Leider hat sich auch hier wieder herausgestellt, dass die besseren Kreise, insbesondere die Intellektuellen, unsere Judenpolitik nicht verstehen und sich zum Teil auf die Seite der Juden stellen. Infolgedessen ist unsere Aktion vorzeitig verraten wor­den, so dass uns eine Menge von Juden durch die Hände gewischt sind. Aber wir werden ihrer doch noch habhaft werden.« [6]

Tatsächlich waren etwa 4.000 Berliner Juden der erbarmungslosen Menschenjagd entkom­men. Sie waren von Bekannten und Kollegen – in einem Fall sogar von einem Polizisten – gewarnt worden und hatten rechtzeitig untertauchen können. Etwa 1.500 von ihnen erleb­ten das Kriegsende und die Befreiung.

Rosenstraße

Die Ereignisse in der Berliner Rosenstraße in der Woche ab dem 27. Februar 1943 stellen ein ganz besonderes Kapitel in der Geschichte der Judenverfolgung in Hitlerdeutschland dar. Zum ersten – und einzigen – Mal regte sich öffentlich sichtbarer Widerstand gegen die Verhaftung und drohende Deportation von Juden.

In der Rosenstraße 2-4 hatte sich die Sozialverwaltung der Berliner jüdischen Gemeinde befunden. Ab dem 27. Februar 1943 wurden in dem Gebäude etwa 2.000 Juden interniert, die in sogenannten Mischehen lebten, also mit einem nichtjüdischen Ehepartner verheira­tet waren, aber auch Jugendliche, die einen jüdischen Elternteil hatten und deshalb gleich­falls ab dem 14. Lebensjahr Zwangsarbeit leisten mussten.

Die Nachricht von der Fabrikaktion und der Verhaftung der Berliner Juden verbreitete sich in der Stadt wie ein Lauffeuer. Bereits wenige Stunden nach Beginn der Aktion trafen in der Rosenstraße die ersten – nichtjüdischen – Angehörigen ein, in der Mehrzahl Frauen, die Auskunft über das Schicksal ihrer Ehemänner und Kinder verlangten und Lebensmittel und Nachrichten übergeben wollten. Bereits an diesem ersten Tag des Protests, so die übereinstimmenden Berichte von Zeitzeugen, versammelten sich in der Rosenstraße spon­tan und ohne jede Absprache mehrere hundert Menschen.

Auch in den folgenden Tagen riss der Protest nicht ab. Wenn die Polizei die Menge auffor­derte, auseinanderzugehen, verschwanden die Menschen in die Seitenstraßen, kehrten aber nach kurzer Zeit wieder zurück, um lautstark ihre Forderung zu bekräftigen: »Gebt uns unsere Männer wieder!« - »Gebt unsere Kinder heraus!« - »Gebt uns unsere Väter frei!«

Ab dem 2. März 1942 wurden innerhalb von etwa zwei Wochen vermutlich alle in der Rosen­straße internierten Juden freigelassen. Es gibt Hinweise darauf, dass ihre Deportation in ein Vernichtungslager nie geplant gewesen war und dass es der Gestapo lediglich darum ging, aus ihrem Kreis geeigneten Ersatz für die zahlreichen jüdischen Beschäftigten der »Reichs­vereinigung der Juden in Deutschland« zu finden, die im Rahmen der Fabrikaktion in den Tod geschickt wurden. Doch schmälert das den Mut und die Opferbereitschaft der Protestieren­den in der Rosenstraße, die die Pläne der Gestapo nicht kannten und nicht kennen konnten, in keiner Weise.               

 

Anmerkungen:

[1]  So zitiert in: Wolf Gruner, Der geschlossene Arbeitseinsatz deutscher Juden. Zur Zwangsarbeit als Element der Verfolgung 1938-1943, Berlin 1997, S. 295.

[2]  Joachim Neander, Auschwitz und die Berliner Fabrikaktion. Überarbeitete Fassung eines Vortrags auf der 28. Jahrestagung der German Studies Association in Milwaukee, 29. September bis 2. Oktober 2005.

[3]  So zitiert in: Paul R. Bartrop and Michael Dickerman (Editors), The Holocaust. An Encyclopedia and Document Collection, Santa Barbara 2017, Volume 1, p. 199.

[4]  Vgl. dazu: Jana Leichsenring (Hrsg.), Frauen und Widerstand, Münster 2003, S. 74, Fußnote 189.

[5]  In anderen deutschen Städten, insbesondere in Breslau und Dresden, war die Deportation der verbliebenen »Rüstungsjuden« bereits am 26. Februar 1943 begonnen worden und ohne Zwischenfälle abgelaufen.

[6]  Die Tagebücher von Joseph Goebbels, Im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte und mit Unterstützung des Staatlichen Archivdienstes Rußlands, herausgegeben von Elke Fröhlich, Teil II: Diktate 1941-1945, Band 7 (Januar-März 1943), München u.a. 1993, S. 449.

 

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2017-10:  »Sputnik«

2017-04:  Der Putsch der Obristen

2017-03:  Halberstadt 1892