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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

»Dem Rad in die Speichen fallen«

Horsta Krum, Berlin

 

Am 9. April 1945 wurde Dietrich Bonhoeffer hingerichtet

 

Er kam aus einer großbürgerlichen Familie. Sein Vater Karl Bonhoeffer, Professor an der Berliner Charité, trug wesentlich dazu bei, dass die Psychiatrie innerhalb der Medizin als wissenschaftliche Disziplin Anerkennung fand. So wurde  Karl Bonhoeffer denn auch oft als psychiatrischer Gutachter herangezogen, beispielsweise 1933 für Marinus van der Lubbe, angeklagt der Brandstiftung im Reichstag, und auch für Personen, die zwangsweise sterilisiert werden sollten.

Den vier Söhnen standen naturwissenschaftliche oder juristische Laufbahnen offen, aber Dietrich wurde evangelischer Theologe. Durch den Vater und Verwandte, die in vielen Bereichen der Gesellschaft tätig waren, verfügte die Familie, mehr als die sonstige Bevölkerung, über viele Informationen und verfolgte aufmerksam das politische Geschehen. Dietrich reflektierte sie im Lichte seiner theologischen Arbeit.

Am 7. April 1933 erlassen die Nazis, kaum an die Regierung gekommen, das erste antisemitische Gesetz; es schließt Juden aus dem Staatsdienst aus. Kurz danach hält Dietrich Bonhoeffer vor seinen theologischen Kollegen einen Vortrag: »Die Kirche vor der Judenfrage«. Er kritisiert das Gesetz und stellt fest: »Die Kirche ist den Opfern jeder Gesellschaftsordnung in unbedingter Weise verpflichtet, auch wenn sie nicht der christlichen Gemeinde zugehören.« Dann geht er noch einen Schritt weiter und hält es für geboten, »nicht nur die Opfer unter dem Rad zu verbinden, sondern dem Rad selbst in die Speichen zu fallen.« [1] Einige Zuhörer verlassen unter Protest den Raum.

Innerhalb der evangelischen Kirche bildet sich die »Bekennende Kirche«, eine zahlenmäßig kleine Oppositionsbewegung, die sich vor allem für getaufte Juden einsetzt. Ihr gehört Bonhoeffer an, ist sich aber im Klaren, »dass diese Oppositionsbewegung nur ein ganz vorläufiges Durchgangsstadium zu einer ganz anderen Opposition ist«, schreibt er 1934 an einen Freund. [2]

Zu dieser »ganz anderen Opposition« geht er 1938 über, als er sich dem Widerstand der Offiziere anschließt – damit tut er den praktischen Schritt, den er im April 1933 bereits andeutete: dem Rad in die Speichen fallen.

Im April 1943 wird er verhaftet und in die Militärabteilung des Gefängnisses Berlin-Tegel  eingeliefert. Unter dem Wach- und Sanitätspersonal findet er Freunde, so dass er während der anderthalb Jahre, die er dort in Einzelhaft gefangen gehalten wird, schreiben und sich mit Familienangehörigen, seiner Verlobten und engen Freunden schriftlich austauschen kann. Die persönlichen Briefe, die auch Einzelheiten aus dem Gefängnis-Alltag durchscheinen lassen, Gedichte, Reflexionen über Kultur und Geschichte, Theologie und Kirche, Entwürfe einer zusammenhängenden Arbeit, hat sein engster Freund nach 1945 als Buch herausgegeben unter dem Titel »Widerstand und Ergebung«.

Seit Oktober 1944 dringen keine Nachrichten mehr nach draußen. Auf Umwegen wird Bonhoeffer auf einem Gefangenen-Transport ins Konzentrationslager Flossenbürg gebracht und dort am 9. April 1945 erhängt, zusammen mit Generalmajor Hans Oster und Admiral Wilhelm Canaris, Leiter des militärischen Geheimdienstes der Wehrmacht.

Die evangelischen Christen, die den Nazis Widerstand leisteten, waren nicht zahlreich. So schmückt sich die Kirche von heute gern mit Bonhoeffers Namen und feiert ihn als großen Theologen. Nähme sie ihn aber ernst, hätte sie nach 1945 neue Wege suchen müssen, sie hätte, nach Bonhoeffer, nicht die Evangelische Kirche in Deutschland werden dürfen, wie sie heute existiert. Die kritischen Worte Bonhoeffers sind ohne Konsequenz geblieben, nämlich: dass die Kirche »in diesen Jahren nur um ihre Selbsterhaltung gekämpft hat« und dass es in Zukunft nicht darum gehen könne, »ihr zu neuer organisatorischer Machtentfaltung zu verhelfen«; sondern: »Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist«. [3]

Eine Kirche ohne organisatorische Machtentfaltung, Kirche für andere hat in den siebziger und achtziger Jahren die »Theologie der Befreiung« in Lateinamerika neu formuliert und gelebt. Repräsentanten wie der katholische Priester Ernesto Cardenal wurden von Rom bestraft, auch wegen ihrer Zusammenarbeit mit linken politischen Parteien und Bewegungen.

Wir dürfen gespannt sein, ob und wie das Erbe Dietrich Bonhoeffers in diesem Monat gewürdigt wird.                                                                                                    

 

Anmerkungen:

[1]  Dietrich Bonhoeffer, Gesammelte Schriften, Bd. 2, München 1959, S. 48.

[2]  A.a.O., Bd. 1, 1958, S. 42.

[3]  Dietrich Bonhoeffer, »Widerstand und Ergebung«, 14. Auflage, München 1990, S. 206 und 156.

 

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