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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Worte wie winzige Arsendosen

Horsta Krum, Berlin

 

Sie kommen ruhig, ohne Aufhebens daher, grüßen wie alte Bekannte, obwohl es sie vorher gar nicht gab. Niemand weiß genau, woher sie kommen und wann sie das erste Mal auf­tauchten – aber sie sind da und haben sich in der Normalität häuslich eingerichtet.

Sie gehören zum allgemeinen Sprachgebrauch – gleich ob die Menschen, die sie benutzen, eine politische Überzeugung haben oder nicht.

»Flüchtlingsabwehr«. Viktor Klemperer, der während der Nazi-Zeit die »LTI« schrieb (Lingua Tertii Imperii, die Sprache des Dritten Reiches) würde »Flüchtlingsabwehr« sicherlich zu den »Pfeilerwörtern« zählen: das sind Wörter, die etwas Charakteristisches über eine be­stimmte Epoche aussagen, in deren Sprachschatz sie häufig vorkommen und sich wie Pfeiler eingerammt haben.

Dass »Flüchtlingsabwehr« im rechten politischen Spektrum gebraucht wird, wundert nicht; denn dort hat es zweifellos seinen Ursprung. Ist doch »Flüchtlingsabwehr« genau das, was rechte Parteien tun und was deren Wähler wünschen. So versicherte Ende letzten Jahres die CSU-Politikerin Andrea Lindholz, die Große Koalition habe viele »Maßnahmen der Ab­wehr von Geflüchteten und Migranten beschlossen.« [1]

Was bedeutet das Wort »Abwehr«? Das allgemeine, gängige Wort »Gefahrenabwehr« belässt im Ungenannten, was abzuwehren ist. Deutlicher sagt es das Wort »Insektenabwehr«, das ich neulich in einem Drogerie-Markt las. Klar: Insekten sind unangenehm und lästig, können sogar tödliche Stiche abgeben. Diese Schädlinge müssen abgewehrt werden.  

Im militärischen Bereich ist »Abwehr« ein häufig benutzter Fachbegriff: Spionageabwehr, Luftabwehr, Raketenabwehr ... Immer handelt es sich um Gegner, die uns bedrohen, gegen die wir uns schützen müssen. »Flüchtlingsabwehr« ist also ein Beispiel für die Militarisie­rung der Sprache, die Klemperer als ein Merkmal der LTI feststellte. Und mehr noch, schlimmer noch: Handelt es sich bei den anderen zusammengesetzten Wörtern um Insek­ten, um Dinge oder um Abstrakta, so bezieht sich das Wort »Flüchtlingsabwehr« auf Men­schen, die abgewehrt werden müssten, und zwar Menschen, die nicht erobern wollen und die ohne Waffen kommen.

Das Wort »Flüchtlingsabwehr« ist so unmenschlich wie die gedanklichen Grundlagen der politisch Verantwortlichen und wie der Geist, in dem die Gesetze gemacht werden. Diejeni­gen, die keine politische Macht haben, auf deren Wählerstimme aber die politisch Verant­wortlichen angewiesen sich, bekommen vermittelt: Flüchtlinge sind eine Gefahr, sie sind Feinde, die uns übel wollen, gegen die wir uns zur Wehr setzen müssen. Das Wort »Grenz­schutz« und der Satz »Wir müssen unsere Grenzen schützen« tun ein Übriges, um diese Botschaft zu verfestigen.

Klemperer stellte fest, was die Psychologie der darauffolgenden Jahrzehnte bestätigt hat: Solche kurzen Sätze und einzelne, häufig gebrauchte Begriffe wirken stärker als ausführli­che Reden und  Abhandlungen – eine Tatsache, die die Werbung sich zunutze macht. Sol­che Wörter und kurze Redewendungen werden von den meisten Menschen unreflektiert übernommen und nicht hinterfragt.

Und gerade deshalb beeinflussen sie das Unterbe­wusstsein, werden zu »Pfeilerwörtern«. »Sprache lenkt auch mein Gefühl, je selbstver­ständlicher, je unbewusster ich mich ihr überlasse. Worte können sein wie winzige Arsen­dosen: sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da.« [2]

Ein Wort wie »Migrationsmanagement« klingt ein ganz klein wenig menschlicher, weil  »Migration« ein abstrakter Begriff ist. Aber welches Bild kommt uns spontan, wenn wir das Wort »Migration« hören? Menschen! Dagegen lässt das gängige Wort »Quartiersmanage­ment« nicht spontan an Menschen denken, sondern eben an Quartiere aller Art. »Migrati­onsmanagement« macht also Menschen zu Dingen, die ge-managed werden müssen.

Gelegentlich sprechen oder schreiben auch Linke von »Flüchtlingsabwehr«. Das ist para­dox, denn gerade sie wenden sich ja gegen »Flüchtlingsabwehr« in des Wortes eigener Be­deutung. Es wäre gut, sie benutzten dieses Wort überhaupt nicht oder höchstens in Anfüh­rungsstrichen, um es zu thematisieren. Es aber zu benutzen wie ein normales, geläufiges Wort, hieße: denen recht geben, die im Sinne dieses Wortes agieren.

 

Anmerkungen:

[1]  Es ist erstaunlich, dass die CSU-Politikerin »Geflüchtete« sagt; ersetzt dieses Wort doch in Teilen des linken Spektrums das Wort »Flüchtling«. Die Endung »-ling«, so die Begründung, sei herabwürdigend, wie beispielsweise in dem Wort »Feigling«. Ich denke nicht, dass diese Argumentation für das allgemeine Bewusstsein eine Rolle spielt; denn das Wort »Flüchtling« hat seinen Platz im kollektiven Gedächtnis.

[2]  Seite 21 in der 10. Auflage der LTI als Band 278 der Reclams Universal-Bibliothek, Leipzig, 1990.

 

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