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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Neues vom Rechtsstaat

Jürgen Herold, Berlin

 

Am 22. Dezember 2011 hat Bundespräsident Christian Wulff die Novelle des Gesetzes "über die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (Stasi-Unterlagen-Gesetz – StUG)" unterzeichnet. Somit ist das Gesetz am 1. Januar 2012 in Kraft getreten. Dieses seit dem 20. Dezember 1991 geltende, am 18. Februar 2007 neugefasste und am 5. Februar 2009 geänderte Gesetz war von Anfang an nicht unumstritten. Namhafte Juristen bezweifelten seine Verfassungskonformität und/oder die damit möglichen bedenklichen Eingriffe in Rechtsverhältnisse wie z.B. das Arbeitsrecht oder den Datenschutz.

Eigentlich sollte gemäß §20 Absatz 3 dieses Gesetzes die Verwendung der erfassten Daten für die Überprüfung bestimmter Personenkreise insbesondere im öffentlichen Dienst nach dem 31. Dezember 2011 unzulässig sein. Mit anderen Worten: Die Überprüfungen sollten ab diesem Zeitpunkt eingestellt werden! Jetzt sollen die Stasi-Überprüfungen bis zum Jahr 2019, dem 30. Jahr des Mauerfalls möglich sein.

Der Gesetzgeber hat aber nicht nur die Geltungsdauer dieses Gesetzes verlängert, sondern eine Verschärfung der Überprüfungsmöglichkeiten vorgenommen, die selbst Teilen der Opposition zu weit gingen: So sollen 45 ehemalige Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit nicht mehr in der Bundesbehörde für die Stasi-Unterlagen arbeiten dürfen, obwohl ihre frühere Tätigkeit im MfS bei ihrer Übernahme 1991 bekannt gewesen war. Des Weiteren wurde der mögliche zu überprüfende Personenkreis ausgeweitet.

Selbst der Beiratsvorsitzende der Stasi-Unterlagenbehörde, Richard Schröder, zweifelt an dem Sinn dieses Gesetzes, nicht nur weil die Betroffenen in eventuellen Klageverfahren gute Erfolgschancen hätten, sondern auch, weil es rechtsstaatlichen Grundsätzen widerspreche.

Der Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse sagte in der kontroversen Bundestagsdebatte am 30. September für die SPD, dass das latente Misstrauen gegen Ostdeutsche nicht festgeschrieben werden dürfe. Die SPD sei gegen einen Schlussstrich unter die Stasi-Aufarbeitung, doch eine Ausweitung der Überprüfungen ohne Verdacht sei mehr als 20 Jahre nach der Einheit "unverhältnismäßig". SPD und Grüne enthielten sich in der Schlussabstimmung, die Linken votierten gegen das Gesetz.

Erhebliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Novellierung des Stasi-Unterlagengesetzes äußerten auch der Staatsrechtler Ulrich Battis ("Dieses Gesetz ist rechtsstaatswidrig, ... Es ist ein einmaliger Vorgang in der Bundesrepublik, jemanden rückwirkend per Gesetz zu maßregeln für eine Tatsache, die bei seiner Einstellung bekannt war. Das Gesetz ist unverhältnismäßig, es verstößt gegen mehrere Artikel des Grundgesetzes".) und der Bremer Rechtswissenschaftler Wolfgang Däubler ("Das Gesetz verletzt Artikel 33 Grundgesetz, wonach jeder nach seiner Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt hat"). [Der Spiegel, 50/2011, S. 21: "Erhebliche Zweifel"]

Der Freiburger Rechtsanwalt Dr. Michael Kleine-Cosack, der vom Bundestag zur Stasi-Unterlagen-Novelle angehört wurde, erklärte in der FAZ vom 21.11.2011 unter dem Titel "Geschichtsblind und inhuman – eine deutsche Reinigung" sinngemäß, dass die gebilligte Neuregelung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes den letzten Höhepunkt des an Absurditäten nicht zu überbietenden Umgangs mit der Vergangenheit des "DDR-Regimes" bilde. Sie stelle alles in den Schatten, was in den vergangenen 20 Jahren an verfassungswidrigen Normen von den gesetzgebenden Körperschaften in Deutschland zur Vergangenheitsbewältigung beschlossen wurde.

Der "Unrechtsstaat" DDR kannte das Institut der Verjährung von Straftaten, ausgenommen u.a. Nazi- und Kriegsverbrechen. Natürlich verjähren auch Straftaten im Rechtsstaat BRD bis auf wenige Ausnahmen, z.B. schwere Verbrechen gegen das Völkerrecht. So werden viele Straftaten entsprechend ihrer Schwere nach fünf, zehn oder 15 Jahren aus dem Bundeszentralregister gelöscht bzw. nicht mehr verfolgt – nicht so bei einer früheren Tätigkeit im oder für das Ministerium für Staatssicherheit der DDR. Hierfür gilt eine wesentlich längere Verjährungsfrist von voraussichtlich 30 Jahren. Dabei erfüllt diese Tätigkeit nicht einmal einen Straftatbestand und unterliegt allerhöchstens einer moralischen Bewertung! Auch ein gegebenenfalls erforderliches Vorbeugungsgebot scheint widersinnig, da mit dem Untergang der DDR und damit dem Ende ihres Geheimdienstes "eine Wiederholungsgefahr nicht ernsthaft behauptet werden kann." [Kleine-Cosack, a.a.O.]

Den Bundespräsidenten ficht das nicht an! Für den Juristen Christian Wulff und sein Bundespräsidialamt gab es keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

Wie geht das in einem Rechtsstaat, dass zum gleichen Sachverhalt verschiedene, ja sogar sich widersprechende Urteile von Juristen gefällt werden können, ohne dass Zweifel in ihre Kompetenz oder Urteilsfähigkeit gesetzt werden? Hat es mit dem Spruch zu tun, wonach man vor Gericht und auf hoher See in Gottes Hand sei? Oder der Meinung: Zwei Juristen – drei Meinungen? Antworten uns deshalb Anwälte bei der Beurteilung von Rechtsproblemen grundsätzlich erst einmal: "Es kommt darauf an"?

"Das Recht wird seit jeher von der Rechtswissenschaft unterstützt, die sich bemüht, die Vielzahl der von den Parlamenten erlassenen Rechtssätze auszulegen, zueinander in Verbindung zu setzen und auf den Einzelfall anzuwenden. Das Recht ist nicht ein für alle Zeit gültiges Instrument, sondern es passt sich mit dem Ziel der Vereinheitlichung der Entwicklung an, indem es verschiedenst gelagerten Interessen Rechnung trägt.

So gesehen wandelt sich das Recht und wird auch in einer Demokratie von der politischen Zweckmäßigkeit geformt.

Die Politik formt das Recht am auffälligsten, was sich daraus erklärt, dass der Gesetzgeber, der Recht setzt, als Parlament der Spiegel der politischen Gruppierung eines Staates ist. Hinzu kommt, dass der einzelne Abgeordnete zwar nur Recht und Gesetz unterworfen, andererseits wohl auch der Parteidisziplin unterstellt ist. Daraus folgt, dass Recht und Gesetz in erster Linie der politischen Zweckmäßigkeit und erst in zweiter Linie den Interessen des Volkes dienen." [Rechtskunde für jedermann von Walther J. Friedrich in: Beck-Rechtsberater, 6. Auflage 1990.]

Je nachdem, wo man politisch steht, werden die einen zu diesem Gesetz sagen, dass es dem System der Blutrache diene, weil ohne richterliches Urteil agiert wird. Andere werden behaupten, dass man mit den "Tätern" rechtsstaatlich umgehe.

 

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