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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Neonazis und Verfassungsschutz

Klaus Eichner, Lentzke

 

Quer durch alle Parteien ertönt der Ruf, dass der Verfassungsschutz seine V-Leute aus der rechten Szene abziehen oder stilllegen soll, um ein erneutes Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht abzusichern.

Wozu eigentlich wäre das unbedingt notwendig? Laut Potsdamer Abkommen sind Nazi-Organisationen und -strukturen zu verbieten – mit oder ohne V-Leute. Zur Praxis in der BRD: Während also die einen für das Abschalten der V-Leute votieren, plädieren andere Politiker für die weitere Arbeit mit V-Leuten und fordern den Verzicht auf ein Verbotsverfahren.

V-Leute sind entsprechend ihrer Begriffsbestimmung "Vertrauenspersonen" eines Geheimdienstes. In der Regel stammen sie aus dem Milieu, das aufzuklären/zu kontrollieren ist oder wurden in dieses Milieu eingeschleust. Ein Credo, nach dem seit 1968 ganze Generationen von Verfassungsschützern ausgebildet wurden, lautet:

"Die Mittel des geheimen Mitarbeiters sind Täuschung und Vertrauensbruch, … Es ist müßig, ethische Betrachtungen anzustellen, da die Zielstellung sicherlich höher zu bewerten ist als der interne Verstoß gegen bestimmte Moralvorstellungen. Die Führung der V-Leute erfolgt nicht nur nach dem Prinzip der laufenden Erkenntnisgewinnung aus dem Objekt, sondern kann vorübergehend zu einem aktiven Einsatz führen, um durch die Stimme oder Meinung des V-Mannes die Beschlüsse eines verfassungsfeindlichen Gremiums in einem von dem Auftraggeber gewünschten Sinne zu beeinflussen." (Die Verfassungsschützer Schwagerl/Walther in ihrem Lehrbuch "Der Schutz der Verfassung – ein Handbuch für Theorie und Praxis", 1968)

Das Scheitern des Verbotsverfahrens gegen die NPD vor dem BVerfG im Jahre 2003 war im Grunde nicht der Existenz von V-Leuten in den Führungsspitzen der NPD geschuldet, sondern der absolut unprofessionellen Arbeitsweise des Verfassungsschutzes mit V-Leuten.

Das betraf zum einen die Führung der V-Leute, die häufig als agent provocateur zur Anstiftung und Begehung von Straftaten und/oder als Empfänger größerer Summen von Steuergeldern zur Finanzierung der Aktionen der Neonaziszene agierten.

Andererseits gab es eine unqualifizierte analytische Verarbeitung der Arbeitsergebnisse des Verfassungsschutzes und anderer Sicherheitsbehörden auf diesem Gebiet. Wenn aus allen dem BVerfG vorgelegten Informationen über die Verfassungsfeindlichkeit der NPD die Handschrift der V-Leute des Verfassungsschutzes herausschaut, dann muss man sich fragen – war das Dummheit oder gewollt? Unter diesen Bedingungen konnten/sollten die Richter in Karlsruhe nicht anders entscheiden als das Verfahren abzulehnen.

Das Beispiel der Terrorgruppe "Thüringer Heimatschutz" zeigt eindeutig, dass die Aufklärung und Überwachung der rechten Szene weit über die NPD hinausgehen und insbesondere öffentliche und verdeckte Strukturen, z.B. der sogenannten "freien Kameradschaften" mit erfassen muss.

Die zweite Ebene ist die qualifizierte Verarbeitung aller vorliegenden Informationen über die Verfassungsfeindlichkeit dieser Aktivisten und ihrer Strukturen aus allen Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder für die Einleitung eines Verbotsverfahrens.

Wenn die zuständigen Behörden des Bundes und der Länder in Bezug auf die rechte Terrorszene so schnell und offensiv reagiert hätten wie mit der Bildung des Gemeinsamen Terrorabwehrzentrums, reduziert auf den sogenannten islamistischen Terror, dann hätten viele Pannen der Vergangenheit vermieden werden können. Diese Entscheidung wird jetzt in aller Hektik nachgeholt.

Man muss sich aber auch fragen, warum die zuständigen Behörden ihre früheren Entscheidungen und Pläne nicht konsequent durchgesetzt haben. So teilte Innenminister Kanther am 14. April 1994 bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes 1993 mit:

"Weil es wichtig ist, dass Verfassungsschutz, Polizei und Staatsanwaltschaften nahtlos zusammenarbeiten, ist auf Anregung des Bundesinnenministers eine Bund/Länder-Informationsgruppe zur Beobachtung und Bekämpfung rechtsextremistischer/terroristischer (insbesondere fremdenfeindlicher) Gewaltakte eingerichtet worden. In dieser IGR werden übergreifende Maßnahmen zur Bekämpfung rechtsextremistischer Gewalt erörtert und Erkenntnisse zwischen Verfassungsschutz, Polizei und Justiz ausgetauscht."

Konnten sie oder wollten sie nicht?

Wenn der Verfassungsschutz überhaupt einen Sinn haben soll, dann zur Aufklärung und Kontrolle der legalen und verdeckten Strukturen und Aktivitäten der gesamten rechten Szene, weit über das Spektrum der NPD hinaus.

Ein Verbotsverfahren hätte entscheidende verfassungsrechtliche Auswirkungen. Dann brauchte sich die Öffentlichkeit nicht durch juristische (und scheinjuristische) Diskussionen, ob Demonstrationen/Blockaden gegen Naziaufmärsche "rechtsstaatlich" sind, von der entscheidenden Frage, dass sie unbedingt notwendig sind, ablenken zu lassen. Viele Politiker und Medienvertreter wären unter diesen Bedingungen gezwungen, präziser Farbe zu bekennen, auf welchem Auge sie wirklich blind sind. Unsere Steuergelder würden dann nicht mehr direkt (über die Parteienfinanzierung) oder indirekt (über den Verfassungsschutz) in den Aufbau neonazistischer Strukturen und ihre Aktivitäten fließen.

 

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