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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Nazi-Hass ist mein Ansporn

Hans Erxleben, Berlin

 

Ich bin ein bekennender Antifa. Wenn man das mit 66 noch so sagen kann. Aber kein Vermummter, sondern einer mit offenem Visier. Ich gehöre nicht zu den Autonomen und als atheistischer Toleranz-Apostel auch nicht zu den Militanten, darauf lege ich Wert. Ich lebe Antifaschismus, ziehe als "antifaschistischer Wanderprediger" und Experte für Alltags-Faschismus durch die Lande. Wobei ich weniger Vorträge halte, sondern mehr Mit-Akteur konkreter Aktionen bin. Ich sehe mich als "Bündnis-Schmied", als "Bürger-Beweger", als "Protest-Entwickler" im Antinazi-Frühwarn- und Reaktionssystem. Ich habe den antifaschistischen Staffelstab meiner Eltern, die im Widerstand gegen die Nazis aktiv waren, aufgenommen und weitergetragen. Einer meiner Söhne ist in der Lagerarbeitsgemeinschaft Mauthausen aktiv - im KZ Mauthausen wurde seinem Großvater das Gehör zerschlagen (er verriet trotzdem niemanden).

Die NPD-Vertreter in unserer BVV beschimpfen mich, so oft sie können, als Berufs-Antifaschisten und wollen mich damit diskreditieren. Ich finde den "Job" gut. Mir hängt ob meiner ständigen öffentlichen Aktivitäten gegen rechts der Ruf eines der meistgenannten "Linkskriminellen Berlins" auf der Feindliste des Nationalen Widerstands Berlins an, wo genau aufgelistet wird, wann ich wo was organisiert habe oder gesehen wurde, anonym dokumentiert mit Fotos sogenannter Anti-Antifa-Fotografen. Anzeigen dagegen blieben erfolglos.

Wer auf dieser Hassliste steht, wird quasi als lebende Zielscheibe zum Abschuss freigegeben. Was dann auch zu dem Gewalt-Anschlag auf mein Haus in der Nacht zum 22. August 2012 führte. Da ich in einer Reihenhaussiedlung wohne, hätten die meterweit geschleuderten Splitter meines gesprengten Briefkastens auch unbescholtene Nachbarn treffen können - neben mir wohnt z.B. eine Familie mit kleinen Kindern, das nehmen diese Banditen einfach so in Kauf.

Was dieses Attentat angeht, könnte ich Gruselstorys über den Umgang der Polizei mit mir als Betroffenem erzählen, aber das lasse ich lieber, die Sache läuft ja (immer) noch. Und die große Welle aus Zuspruch, Solidarität und Sympathiebekundungen aus ganz unterschiedlichen Kreisen ist mir auch viel wichtiger.

Weder die geistigen Brandstifter und Drahtzieher noch die extrem militanten rechten Akteure, die diese Drecksarbeit machen, sind bisher ermittelt und gefasst worden. Noch zu Anfang des Jahres 2012 wurde mir seitens des Staatsschutzes schriftlich mitgeteilt, dass es keine Anzeichen für eine Gefährdung meiner Person gäbe. Der reinste Hohn, eine dreiste Verharmlosung. Noch geht’s nur um Sachschäden, aber solche Angriffe richten sich gegen das friedliche Zusammenleben, gegen Grundwerte der Demokratie.

Davor zu schützen, wäre Sache von Verfassungs- und Staatsschutz. Von einem maximalen Ermittlungsdruck auf die rechte Szene, wie man sie berlinweit bei den Rockern praktiziert, ist man aber hier meilenweit entfernt. Die dortige Null-Toleranz-Strategie fordere ich auch seit längerem vehement gegen Neonazis. Mit der grob fahrlässigen Ignoranz und Bagatellisierung auf diesem Gebiet muss endlich Schluss sein. Nicht nur rechte Homepages müssen indiziert und abgeschaltet werden, kriminelle Vereinigungen wie der NW Berlin müssen verboten werden.

In unserem Bezirk befindet sich in Sichtweite des S-Bahnhofs Schöneweide die braunste Straße von Berlin, die Brückenstraße, das ist DIE Hochburg der Neonazis. In diesem Kiez sollen durch gezielten Zuzug etwa 30% aller militanten Neonazis Berlins wohnen. Fast 50% aller rechtsextremen Delikte im Bezirk werden hier begangen. Die Neonazis wollen das zu ihrer Home-Zone ausbauen und zu einem No-Go-Area für Linke machen, eigentlich für alle Demokratinnen und Demokraten. Eine ihrer Aktionen in Form einer Mahnwache hieß 2010 "Zum Henker mit den Demokraten", eine unverhüllte Morddrohung. Sie war so genehmigt worden. Aber egal - deren Hass ist unser Ansporn.

Wir kennen deren dortige Treffpunkte, fast 10 an der Zahl, und machen immer wieder durch Aktionen und Demos auf das brisante Gemisch der gut vernetzten Strukturen von Alt- und Neu-Nazis, Autonomen Nationalisten, rechten Rockern des MC Gremium und NPD-Kadern aufmerksam.

Die Gegenaktionen werden von vielen Anwohnern gar nicht so gern gesehen bzw. schlicht ignoriert. Das Nichtreagieren und Schweigen, die Toleranz viele Anwohner mit den Rechten ist aus meiner Sicht genauso gefährlich wie deren Agieren. Gegenüber Intoleranten kann und darf es keine Toleranz geben. Wer da schweigt, stimmt denen zu. Als im März 2012 am Rande einer Demo gegen das dreijährige Bestehen der Nazi-Kneipe "Zum Henker" von einer größeren Gruppe lautstark skandiert wurde "Hier regiert der NSU" regte sich von nirgendwo außerhalb des Demozugs eine Gegenstimme, auch nicht von den zahlreich vertretenen Polizeikräften in Uniform und Zivil.

Umso erfreulicher folgende Begebenheit von Anfang September - da jagten nachts Besucher des rechten Szenetreffs "Zum Henker" einen vermeintlich Linken durch die Brückenstraße, und der rettete sich in höchster Not in einen Imbiss. Die türkischen Betreiber stellten sich mit aufgepflanzten Dönerspießen zu seinem Schutz an die Tür und konnten so Schlimmeres verhindern bis die Polizei eintraf, die die Rechten festnahm, nein, nicht festnahm, nur die Personalien wurden festgestellt. … Wie sich dabei herausstellte alles Auswärtige, denn der Henker ist ein zentraler überregionaler Treffort der rechten Szene. Ein seltenes Beispiel für Courage, zumal in dieser Gegend. Der Schirmherr unseres Bündnisses, Bezirksbürgermeister Igel, sprach dem Imbiss-Besitzer zwei Tage später seinen Dank für das beherzte Eingreifen aus, und ich habe ihn für den Preis für Zivilcourage des Bezirks vorgeschlagen.

Das immer noch weit verbreitete Wegschauen, die mangelnde Zivilcourage ist nämlich DAS Problem im Alltag. Kaum ein Ladenbesitzer traut sich, Plakate für das alljährliche Fest für Demokratie am Bahnhof Schöneweide in sein Schaufenster zu hängen, jeder hat Angst um seine Scheiben, die von Gysis Büro wurden ja schon mehrfach attackiert, das letzte Mal im Frühjahr 2012, das kann man immer noch sehen.

Manche hoffen insgeheim auf juristische Lösungen. Prozesse gegen rechte Aktivisten aus unserem Bezirk gingen aber mehrfach straffrei aus, und der Zuschauerbereich im Landgericht gleicht da oft einem Kneipenabend im Henker. Die feiern Freisprüche wie Fußball-Siege und inszenieren sich zudem noch als Opfer.

Es vergeht kaum eine Woche, wo nicht rechtsextreme Schmierereien, Beleidigungen, Übergriffe im Raum Schöneweide und Johannisthal registriert werden, weniger von der Polizei, weil es Angst bei den Betroffenen vor der Weitergabe ihrer Identität bei Anzeigen gibt, sondern beim Register für rechtsextreme Vorfälle, das seit 2007 bei unserem Zentrum für Demokratie angesiedelt ist.

Keiner der antifaschistischen Kiezspaziergänge zum Entfernen von Nazi-Propaganda in Johannisthal in diesem Sommer verlief ohne Zwischenfälle. Ein aggressiver glatzköpfiger Nazi-Pöbler kam mir dabei mal bis auf Armlänge in die Quere. Gegen den läuft eine Anzeige wegen Beleidigung.

Die Bedingungen für das zivilgesellschaftliche Engagement gegen rechts haben sich in den letzten Jahren deutlich verschlechtert. Stichwort dafür ist die Extremismus-Klausel, mit der bei Projektanträgen ein Treuebekenntnis zum Grundgesetz abgenötigt und eine Unkultur des Misstrauens erzeugt wurde.

Gegen den Rechtsextremismus vorzugehen ist keine Tagesaufgabe, sondern eine Daueraufgabe, die einen langen Atem verlangt. Diese Arbeit ist ungeheuer kräftezehrend und kann nur in einem abgestimmten Vorgehen von Staat und Zivilgesellschaft funktionieren, wovon wir aber oft noch weit entfernt sind.

Ich unterstütze die scharfe Kritik an der mangelhaften Sicherheitsarchitektur dieses Staates. Mag sein, dass da entsprechende Stellen viel wissen, aber sie tun zu wenig oder gar nichts. Was in meinem persönlichen Fall seitens des Staatschutzes unternommen wurde, weiß ich nicht - Transparenz sieht anders aus. Aber wer kann und darf das überprüfen?

Ich betrachte mich im Übrigen als Verfassungsschützer, wenn ich mich mit dem Rechtsextremismus auseinandersetze. Nein, ich bin beileibe kein V-Mann, aber mein Tun schützt das Grundgesetz vor seinen Feinden, eine Verfassung haben wir ja gar nicht. Das Versagen der Sicherheitsbehörden im Großen bei den Mordtaten des NSU setzt sich fort im Kleinen bei der fehlenden Aufklärung von Straftaten wie in meinem Fall. Es wird bagatellisiert was das Zeug hält. Bei diesem rechten Alltagsterror geht es nicht gleich um Tote, sondern "nur" um verbale, körperliche oder andere gegenständliche Angriffe.

Kommen wir zum positiven Abschluss.

Also: Die gute Botschaft, es gibt viele, die sich weiter gegen Nazis wehren und Gesicht zeigen. Nicht nur im Südosten von Berlin. Auch die Methoden werden immer vielfältiger und phantasievoller - Protest-Picknick (wie im Juli 2012 vor der NPD-Zentrale), Fahrradkorso (im September 2012 zu allen Nazi-Treffs des Bezirks) u.a.

Und damit kein Missverständnis entsteht: Ich bin gern Treptow-Köpenicker. Dieser Bezirk ist ein sehr bunter, mit viel Waldes-Grün, mit viel Wasser-Blau, mit viel Linken-Rot. Und mit den paar braunen Ecken werden wir über kurz oder lang auch noch fertig. Wohl mehr über lang, da mache ich mir keine Illusionen. Man braucht ja auch Visionen. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Beim Gedenken an die Pogromopfer von 1938 habe ich im November im Rathaus Treptow einige Zeilen von Bertolt Brecht zitiert, die ich sehr treffend finde:

Das Gedächtnis der Menschheit für erduldete Leiden ist erstaunlich kurz. Ihre Vorstellungsgabe für kommende Leiden ist fast noch geringer. Diese Abgestumpftheit ist es, die wir zu bekämpfen haben.

Lasst uns darum das tausendmal Gesagte immer wieder sagen, damit es nicht einmal zu wenig gesagt wurde. Lasst uns die Warnungen erneuern und wenn sie schon wie Asche in unserem Mund sind.

Hans Erxleben ist Sprecher des Bündnisses für Demokratie und Toleranz, gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus des Bezirks Treptow-Köpenick, Vorsitzender des Integrationsausschusses der Bezirksverordnetenversammlung, sozialpolitischer Sprecher der Linksfraktion und Sprecher der Linksfraktion gegen Rechtsextremismus. Der Beitrag basiert auf seiner Rede vom 3. Oktober 2012 auf der Protestveranstaltung des Ostdeutschen Kuratoriums in Berlin.

 

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2012-01: Wieder Nazi-Aufmarsch in Dresden stoppen!

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2011-01: Dresden stellt sich wieder quer!​​​​​​​