Nach Dresden ist immer auch vor Dresden – kein Ende des zivilen Ungehorsams gegen Nazis
Interview mit Dr. Hans Erxleben, Berlin, für die "Mitteilungen der KPF"
Hans, du hast Die Linke Berlin wieder im Berliner Koordinierungskreis des Bündnisses "Dresden Nazifrei" vertreten, bist Sprecher der Landesarbeitsgemeinschaft Antifaschismus der Berliner Linken, Sprecher für antifaschistische Politik in der Linksfraktion der Treptow-Köpenicker BVV – woher kommt dein auch öffentlich sehr spürbares antifaschistisches Engagement?
Ich komme aus einer Familie mit tief verwurzelten antifaschistischen Traditionen. Meine Eltern waren aktive Nazi-Gegner, wurden von der Gestapo gejagt und dann von der NS-Justiz wegen "Hochverrats" für Jahre in Zuchthäuser und KZ verbannt. Mein Schwiegervater war in der Résistance aktiv, saß im KZ Mauthausen. Die Großeltern meiner Frau wurden in Auschwitz vergast. Ein Onkel wurde nach dem Krieg als "Gerechter unter den Völkern" geehrt, weil er als Nichtjude vielen Juden das Leben gerettet hatte. All das hat mich geprägt, motiviert mich seit meiner Jugend, läßt mich nicht ruhen, gibt mir Kraft und Energie als Akteur. Das war so und wird so bleiben. Dieses Jahr war wieder einer unserer Söhne mit in Dresden, der (noch ist er Student) auch im Deutschen Mauthausen-Komitee aktiv ist, um auf diese Weise das Andenken an seinen Großvater zu bewahren, der in Mauthausen nur durch Zufall überlebt hatte. Der antifaschistische Staffelstab wird also in unserer Familie weitergegeben.
Mal ganz ehrlich, als wir am 19. Februar in aller Frühe in dem beeindruckenden Konvoi von über 50 Bussen mit 2500 Teilnehmern – dem größten antifaschistischen Buskonvoi, den es jemals gab – nach Dresden fuhren (insgesamt kamen 300 Busse in die Stadt) – hast du da an einen Erfolg der Blockaden geglaubt?
Ja, diese optimistische Zuversicht habe ich ja als Koordinator in dem von mir geleiteten Bus auch klar bei der Anfahrt zum Ausdruck gebracht, obwohl die konfrontative Polizeistrategie bekannt war. Ich hatte ja über Wochen an den inhaltlichen und organisatorischen Vorbereitungen mitgewirkt, und wir waren mit einem flexiblen Aktionskonzept auf alle Eventualitäten eingestellt. Das Konzept ist aufgegangen, die massenhafte Mobilisierung wurde zur Grundlage des Erfolgs.
Das Bündnis "Dresden Nazifrei" hatte einen Aktionskonsens vereinbart, der lautete "Wir leisten zivilen Ungehorsam gegen den Naziaufmarsch. Von uns geht dabei keine Eskalation aus. Unsere Massenblockaden sind Menschenblockaden." Wie sah es mit der Umsetzung aus, es gab ja wohl auch erhebliche Abweichungen von diesem Konsens, vorsichtig formuliert?
Daß zum zweiten Mal in Folge Nazi-Aufmärsche in Dresden verhindert werden konnten durch das entschlossene und gewaltfreie Handeln von rund 20.000 Menschen aus ganz Deutschland, ist ein riesiger Erfolg. Dazu passen allerdings keine Steinwürfe auf Polizisten, keine brennenden Barrikaden. Wer sich nicht an den Aktionskonsens halten kann oder will, hat in diesem Bündnis nichts verloren. Wer die Bündnisoptionen im wörtlichen Sinne mit Gewalt gefährdet und mittels gewaltsamer Eskalation bewußt außer Kraft setzt, stellt sich selbst ins Abseits und handelt politisch destruktiv. Steinewerfer und Müllcontainer-Blockaden sind absolut kontraproduktiv.
Wie bewertest du in diesem Zusammenhang den Umgang der Medien mit den Ereignissen vom 19. Februar?
Der Erfolg der so nicht erwarteten vielen Massenblockaden war ja auch für die Medien nicht zu übersehen und auch nicht, daß das vorher lauthals verkündete Trennungskonzept nicht aufgegangen und nicht durchzusetzen war, das das "rechte Lager" in der Altstadt vom "linken Lager" auf der Neustadt-Seite trennen sollte. Mit Erstaunen wurde registriert, daß mit den knapp 3.000 Nazis diesmal nur die Hälfte der Teilnehmer von 2010 den Weg nach Dresden fanden und ihr neues dezentrales Aufmarschkonzept nicht funktionierte. Aus dem ehemals europaweit (vielleicht sogar weltweit) größten Naziaufmarsch wurde ein provinzielles Spektakel. Dresden wurde wieder zu einem blamablen Desaster für sie. Allerdings war in etlichen Berichten auch von Straßenschlachten zwischen Polizei und "linken Gewalttätern", von Randale, Krawallen, Ausnahmezustand, sogar von kriegsähnlichen Zuständen die Rede. Vereinzelte Gewalttaten, von denen man sich nur distanzieren kann, sind aber keine Begründung für Pauschalverurteilungen aller Blockierer. Sie wurden benutzt, um den erfolgreichen Protest zu kriminalisieren. Die Steinwerfer waren nur ein kleiner Teil der Protestierer, die Mehrheit verhielt sich nachweislich friedlich. Die verletzten Polizisten wurden minutiös gezählt, nicht aber die vielen verletzten Demonstranten. Deutlich wurde aber auch, daß vielerorts die Polizei total überfordert war und unverhältnismäßig handelte mit massiven Wasserwerfereinsätzen oder mit massenhaftem Einsatz von Pfefferspray, Reiz- und Tränengas, und Polizeihunde ohne Beißkorb sind wohl auch nicht der Normalfall, was wiederum in keinem Pressebericht zu finden war. Was sollen solche medialen Zahlenspiele, wo von 3.500 "gewaltbereiten Linksautonomen", aber nur von 1.000 gewaltorientierten Rechtsextremen die Rede ist? Die Gefahr von links wird genüßlich hochgerechnet, die von rechts nebulös runtergespielt. Wie sagte einer in unserem Bus so treffend – rechts wegschauen, links draufhauen.
Meinst du, daß es im nächsten Februar wieder notwendig sein wird, nach Dresden zu fahren?
Schön wäre, wenn es nicht so wäre, aber die Nazis werden wohl erneut versuchen, ihre Niederlage wettzumachen.
Wirst du wieder mit dabei sein?
Keine Frage, das Fragezeichen könnt ihr weglassen.
Die Fragen stellte Ellen Brombacher.
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