Militäreinsätze als Ultima Ratio?
Ellen Brombacher
Am 26. August 2011 berichtete das ND über ein neues Positionspapier, welches "eine Diskussion zur längst überfälligen UNO-Reform anregen" soll. Es wurde von vier der Autoren vorgestellt, alle bekannt als strikte Befürworter der Einzelfallprüfung: Stefan Liebich, André Brie, Gerry Woop und Paul Schäfer. Das Papier wurde ausgerechnet an dem Tag bekannt gemacht, an dem die ersten Meldungen über Massaker und Greueltaten aus Tripolis bekannt wurden – verübt von den die Stadt einnehmenden sogenannten Rebellen, bei denen man offenbar nie genau sagen kann, ob sie denn Aufständische oder vielleicht doch Angehörige der britischen SAS sind. Der UNO-Sicherheitsrat mandatierte im März die vorgegebene Absicht, zum Schutz libyscher Zivilisten eine Flugsicherheitszone einzurichten. Ein Massaker durch Regierungstruppen in Bengasi sollte verhindert werden. Beauftragt wurde – wer sonst – die NATO, und die flog seither über 20.000 Einsätze und bombte und bombt somit den "Rebellen" den Weg für einen Regimewechsel weitgehend frei. Das Völkerrecht, so hat es Hugo Chávez in diesen Tagen gesagt, sei in die Steinzeit zurückgebombt worden. Und damit hat er Recht.
Ist es nicht logisch, daß gerade in einer solchen Situation ein Diskussionsangebot von Linken über eine UNO-Reform gemacht wird? Nur bedingt. Denn: DIE LINKE hat auf eine solche Reform nicht den geringsten Einfluß. Einfluß hat unsere Partei nur auf die Situation im Land. Sie kann Antikriegsstimmungen und somit – zumindest indirekt – Antikriegspolitik befördern. Sie kann aber auch von den geltenden friedenspolitischen Prinzipien abrücken. Das tut Paul Schäfer, wenn er meint, allerdings seien militärische Auslandseinsätze immer eine Ultima Ratio, und viel zu schnell komme es zu einem Einsatz von Soldaten. Vor allem aber müßte die UNO darauf achten, daß sie sich nicht von eigenen Interessen leiten lasse. Der letzte Satz ist, gelinde gesagt, merkwürdig – unterstellt er doch, daß die eigenen Interessen der UNO – nehmen wir einmal an, so eine Abstraktion gäbe es wirklich – nichts taugen. Taugten sie etwas, so könnte sie sich doch gut und gerne von ihnen leiten lassen. Das nur nebenbei. Wichtig ist etwas anderes: Wenn Schäfer von Militäreinsätzen als Ultima Ratio spricht, dann schließt er solche Einsätze nicht aus. Und genau diese Relativierung widerspricht der Beschlußlage der LINKEN und damit auch dem friedenspolitischen Teil des vorliegenden Leitantrages für den Erfurter Programmparteitag. Zwei Monate vor diesem Parteitag machen maßgebliche Vertreter des fds diesen Sack also wieder auf: Gegen die Mehrheitsmeinungen und Stimmungen in der Partei. Gerry Woop sagt auch letztlich, warum. Die Überlegungen der oben genannten Autoren seinen realistisch, beinhalteten aber trotzdem linke Vorschläge. Dadurch beweise die Linkspartei, daß sie auch außenpolitische Verpflichtungen übernehmen könne. Die Bundestagswahlen 2013 lassen grüßen. Vorsicht ist unbedingt geboten.
Vielleicht soll das Papier eine Art vorweggenommener Programmkommentar werden. Der im Leitantrag gegenüber dem ersten Programmentwurf neu formulierte Teil zur "Reform und Stärkung der Vereinten Nationen", der in einzelnen Formulierungen sehr unterschiedlich interpretierbar ist, soll womöglich in der verbleibenden Zeit der Programmdebatte von einer Interpretation begleitet werden, welche die Einzelfallprüfung integriert. Wir werden dazu nicht schweigen.
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