Massenwiderstand gegen die faschistische Diktatur!
Prof. Dr. sc. Heinz Karl, Berlin
Zur illegalen Konferenz der KPD am 7. Februar 1933 im Sporthaus Ziegenhals
Mit der Einsetzung der faschistisch-konservativen Koalitionsregierung mit dem Nazi- "Führer" Adolf Hitler als Reichskanzler am 30. Januar 1933 hatte der seit Jahren vor allem von Kreisen des Großkapitals und des Militärs vorangetriebene Prozess der Faschisierung Deutschlands seinen Kulminationspunkt erreicht. Von der fortschreitenden Aushöhlung des parlamentarischen Regierungssystems ging die bürgerliche Reaktion über zu seiner Beseitigung, von der immer drückenderen Einschränkung der demokratischen Rechte und Freiheiten zu ihrer Abschaffung. [1] Ziel der bürgerlichen Reaktion und ihres nazifaschistischen Vortrupps war nicht mehr die politische Disziplinierung der Arbeiterorganisationen, sondern ihre Zerschlagung, nicht mehr die Bekämpfung der kommunistischen Bewegung, sondern ihre Vernichtung - von Hitler offen verkündet. Staatsorgane und nazifaschistische Banden entfesselten eine Terrorwelle, die in ihrer Breite und Systematik nicht nur keinen Vergleich mit dem Sozialistengesetz zuließ, sondern auch die Bürgerkriegspraktiken der Regierungen in den Jahren 1919/20, 1921 und 1923 bei weitem übertraf.
Die KPD wurde von dieser Situation an sich nicht überrascht. Sie sprach schon 1930 von der mörderischen faschistischen Diktatur, warnte Mitte 1932 vor "der drohenden Gefahr, daß aus Deutschland ein Land des Galgens und des Scheiterhaufens wird" und dass die faschistische Diktatur die Arbeiterbewegung "um Jahrzehnte zurückwerfen würde", bekämpfte die Regierung Schleicher als "Platzhalterkabinett" für Hitler. [2] In der richtigen Einsicht, daß nur das entschiedene Auftreten der Arbeitermassen und ihrer Millionenorganisationen, vor allem der Gewerkschaften, ein ernsthaftes Gegengewicht gegen die bis an die Zähne bewaffnete faschistische Reaktion bilden könnte, rief sie am 30. Januar zum Generalstreik auf und richtete an die SPD, an die freien und die christlichen Gewerkschaften ein entsprechendes Einheitsfrontangebot. [3] Obwohl diese nicht darauf eingingen, kam es vielerorts, so in Berlin, Hamburg, Dresden, Mannheim, Wuppertal, Halle, Zeitz und Weißenfels zu Streiks, erfolgreichen Gegendemonstrationen gegen Naziaufmärsche und anderen Protestaktionen. Dass all dies in die richtige Richtung ging, bestätigte schon die erste Kabinettssitzung Hitlers am 30. Januar, die von der Furcht vor einem Generalstreik beherrscht war. Zugleich bemühten sich Parteileitungen und -organisationen, zu Formen illegaler Arbeit überzugehen.
Die Konferenz
Um die Situation zu erörtern und weitere Schritte festzulegen, beschloss das Polbüro am 3. Februar, in den nächsten Tagen eine den Bedingungen der faktischen Illegalität entsprechende "Konferenz der Polsekretäre, ZK.-Instrukteure und Abt. Leiter" [4] durchzuführen. An eine reguläre ZK-Tagung war unter diesen Bedingungen nicht zu denken. Allein schon die Kurzfristigkeit der Einberufung, mehr noch die Erfordernisse der Konspiration ließen es nicht zu, den bei Plenartagungen des ZK gewohnten großen Personenkreis zusammenzurufen. Zugleich war die übliche gründliche Vorbereitung der Referate und Beschlüsse nicht zu gewährleisten. Aber es war auch keine zufällige Zusammenkunft. Seit mehreren Jahren war es Usus, aus dringlichen politischen Anlässen (Kampagnen, bedeutenden Wahlen, wichtigen politischen Ereignissen) Konferenzen der engeren Parteiführung (Sekretariat und Polbüro) mit den Polsekretären der Bezirke, den Chefredakteuren der Parteizeitungen, den Abteilungsleitern des ZK und weiteren Spitzenfunktionären durchzuführen. Um eine solche übliche Konferenz handelt es sich.
An der Konferenz, die am 7. Februar 1933 im Sporthaus Ziegenhals zusammentrat, nahmen mindestens 45 Personen (diese konnten bisher nachgewiesen werden) teil. [5] Unter ihnen waren 12 ZK-Mitglieder (von 39) und 8 ZK-Kandidaten (von 23). 17 (von 23) Bezirke waren durch ihre Polsekretäre vertreten. (Nicht vertreten waren die Bezirke Wasserkante, Niedersachsen, Baden-Pfalz, Oberschlesien, Saar und Danzig.) Das politische Gewicht dieses Teilnehmerkreises ist daraus zu ersehen, dass das Sekretariat des ZK, d.h. das engere ständige Polbüro-Gremium, vollzählig anwesend war: die Mitglieder des Sekretariats - der Parteivorsitzende Ernst Thälmann, sein Stellvertreter John Schehr sowie Walter Ulbricht - und die beiden Kandidaten des Sekretariats - Wilhelm Pieck und Wilhelm Florin, Polsekretär von Berlin-Brandenburg. Mit Franz Dahlem, Mitglied des Polbüros und Leiter der Org-Abteilung des ZK, war eine beschlussfähige Mehrheit des Polbüros zugegen.
Der politische Inhalt der Konferenz ist durch das Referat Ernst Thälmanns [6] bestimmt, da wegen vorzeitigen Abbruchs aus Sicherheitsgründen keine Diskussion stattfinden konnte (vielleicht auch Thälmann seine Ausführungen verkürzen musste). Thälmann betonte den Ernst der Situation: "Der Kampf, der vor uns liegt, ist der schwerste, den die Partei zu bestehen hat." [7] Es handele sich um "die offene faschistische Diktatur" (S. 212). Man müsse aber mit einer weiteren Steigerung des Terrors rechnen: "nicht nur Parteiverbot, nicht nur faschistische Klassenjustiz, sondern ... Masseninternierung von Kommunisten in Konzentrationslagern, Lynchjustiz und Meuchelmorde" (S. 213). Man dürfe keine legalistischen Illusionen hegen oder auf ein "Abwirtschaften" des Regimes hoffen, sondern müsse wohl davon ausgehen, dass es "wahrscheinlich keine andere Art der Ablösung dieser Regierung geben kann, als ihren revolutionären Sturz" (S. 213).
Sturz Hitlers - die unmittelbare Aufgabe
"Sturz der Hitlerregierung", das sei die entscheidende, die "unmittelbare Aufgabe. Wir stellen sie in jeder Stunde, wir stellen sie heute, wir stellen sie morgen, übermorgen, wir stellen sie in den nächsten Wochen und Monaten." (S. 214) Der einzige reale Weg dazu aber sei "die Entfaltung aller Formen des Massenwiderstandes und Massenkampfes gegen die faschistische Diktatur ..., aller Formen der politischen und wirtschaftlichen Tageskämpfe und Aktionen, Teilkämpfe, Teilstreiks usw., fester, entschlossener Kurs auf den politischen Generalstreik!" (S. 221, 224) So die nächste, alles entscheidende Aufgabe in den Mittelpunkt rückend, knüpfte er daran die Erwägung, dass im Falle eines erfolgreichen Kampfes gegen die faschistische Diktatur der Kampf möglicherweise über den bürgerlichen Rahmen hinauswachsen könnte. (Das befürchtete übrigens auch die SPD-Führung. [8]) Aber der Angelpunkt seiner Überlegungen ist offenkundig die unmittelbare, die nächste Aufgabe. Dies knüpft auch an den zentralen Gedanken der Antifaschistischen Aktion - die Nazifaschisten von der Regierungsmacht fernzuhalten - an.
Thälmann unterstrich, dass die KPD mit ihrem Einheitsfrontangebot an die SPD, die freien und christlichen Gewerkschaften vom 30. Januar "eine kombinierte Einheitsfrontpolitik von unten und oben" (S. 217) durchführte. Es komme darauf an, "den Kampf um die sozialdemokratischen Arbeiter zur Teilnahme an gemeinsamen Aktionen und Kämpfen gegen die faschistische Diktatur aufs stärkste [zu] steigern. Wir müssen überall den gemeinsamen Massenselbstschutz aufziehen" (S. 225/226).
Ein wichtiger Aspekt seiner Rede war die Führung der Wahlkämpfe. Umso mehr, als die KPD hier in einer schwierigen Lage war, denn viele Wähler fragten sich natürlich, ob es einen Sinn hätte, die KPD zu wählen, sie werde ja vermutlich doch verboten.
In den folgenden Wochen gab es vielerorts antifaschistische Kundgebungen und gemeinsame Aktionen gegen Naziterror, so in Leipzig, Düsseldorf, Hannover, Chemnitz und Stettin. In Halle schützten Kampfbund gegen den Faschismus und Reichsbanner gemeinsam die traditionelle Versammlungsstätte der Arbeiterbewegung, den "Volkspark", gegen Nazibanden. Anfang März vereinten sich im Berliner Wedding SPD- und KPD-Organisationen in einem "Vereinigten Roten Massenselbstschutz" gegen den Naziterror. Am 14. März (wie schon zuvor am 28. Februar) schlug das ZK der KPD erneut dem Parteivorstand der SPD vor, gemeinsam für die Freilassung der politischen Gefangenen zu kämpfen, Selbstschutzgruppen zu bilden und Angriffe auf Arbeiterorganisationen abzuwehren.
Chancen - doch der Kampf wird härter
Welche Chancen sich gemeinsamem antifaschistischem Widerstand boten, zeigten die im März und April stattfindenden Betriebsrätewahlen. Freie Gewerkschaften und RGO errangen trotz des faschistischen Terrors 78,3 % der Stimmen, worauf die Hitler-Regierung die Betriebsrätewahlen bis zum 30. September "aussetzte". Die SPD-Führung hielt jedoch an ihrer abwartenden und der KPD gegenüber abweisenden Haltung fest [9] und die sozialdemokratischen ADGB-Vorständler riefen sogar dazu auf, sich an den faschistischen Maifeiern zu beteiligen.
Außerordentlich erschwert wurde die Tätigkeit der KPD durch die schlagartig einsetzenden und nicht nachlassenden Massenverhaftungen und massenhaften Misshandlungen insbesondere in den Folterhöllen der als "Hilfspolizei" eingesetzten SA und SS nach der provokatorischen Reichstagsbrandstiftung Ende Februar. Es erwies sich als ungemein schwierig, die illegale Arbeit einer Massenpartei zu organisieren, deren Mitglieder in der Regel in ihrem Lebensumfeld bekannt waren.
Ein besonders schwerer Schlag war die Verhaftung Ernst Thälmanns am 3. März. Sekretariat und Polbüro des ZK arbeiteten jetzt unter Leitung seines Stellvertreters John Schehr. Ab Mai wurde die Arbeit so eingerichtet, dass Schehr und Ulbricht und zu ihrer Unterstützung Fritz Schulte, Mitglied des Polbüros und Vorsitzender des Reichskomitees der RGO, und Hermann Schubert, Kandidat des Polbüros und bisheriger Polsekretär des Bezirks Wasserkante, als Sekretariat (d.h. engere Parteiführung) weiter im Lande tätig waren, während die Kandidaten des Sekretariats, Pieck und Florin, und das Polbüromitglied Franz Dahlem als Auslandskomitee (zunächst vorwiegend von Saarbrücken und Paris her wirkend) die Tätigkeit des Sekretariats unterstützten.
Zusammenfassend kann man einschätzen, dass die Konferenz der KPD am 7. Februar 1933 in Ziegenhals entscheidend dazu beigetragen hat, dass die KPD - in konsequenter Fortsetzung ihrer Antifaschistischen Aktion - sich angesichts der Hitler-Regierung von Anfang an auf aktives Handeln und eine kompromisslose Bekämpfung dieses Regimes eingestellt hat. Sie war die bedeutendste zentrale Tagung der KPD zwischen der 3. Parteikonferenz (Oktober 1932) und der Tagung des ZK der KPD Ende Januar 1935.
Anmerkungen:
[1] Vgl. H. Karl: 30. Januar 1933 - Ursachen. Folgen. Lehren. In: Mitteilungen der Kommunistischen Plattform der Partei DIE LINKE, H. 1/2013, S. 28 ff.
[2] E. Thälmann: Ausgewählte Schriften in zwei Bänden, Bd. 2, Frankfurt a.M.1977, S. 240 u. 318; Die Antifaschistische Aktion. Dokumentation und Chronik. Mai 132 bis Januar 1933, S. 41*.
[3] Vgl. ebenda, S. 354-356.
[4] Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv (SAPMO-BArch.), RY1/I 2/3/13, Bl. 4.
[5] Vgl. Die illegale Tagung des Zentralkomitees der KPD am 7. Februar 1933 in Ziegenhals bei Berlin, Berlin 1988; Fred Bruder: Erfahrung Gedenkstättengestaltung. In: Werner Bethge (Hrsg.): "Entfaltung jeder Form des Massenwiderstandes, (Schkeuditz) 2001, S. 140-142; Stefan Weber: Zu neuen Forschungsergebnissen und Erkenntnissen über die ZK-Tagung der KPD in Ziegenhals am 7. Februar 1933. In: Ebenda, S. 60.
[6] Es handelt sich nur um einen Teil dieses Textes - Auszüge für die Anklageschrift.
[7] E. Thälmann: Geschichte und Politik. Artikel und Reden 1925 bis 1933, Berlin 1973, S. 210. Die weiteren Seitenangaben aus diesem Titel werden in Klammern in den Text eingefügt.
[8] Vgl. Anpassung oder Widerstand? Aus den Akten des Parteivorstandes der deutschen Sozialdemokratie 1932/1933. Hrsg. u. bearb. v. Hagen Schulze, Bonn/Bad Godesberg (1975), S.146.
[9] Vgl. H. Karl: 30. Januar 1933, S. 32; ders.: November 1932: Wird Hitler gestoppt? Mitteilungen der KPF, 11/2012, S. 25/26.
Mehr von Heinz Karl in den »Mitteilungen«:
2013-01: 30. Januar 1933 - Ursachen. Folgen. Lehren
2012-12: November 1932: Wird Hitler gestoppt? (Teil 2 und Schluss)