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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Martin Luther

Gina Pietsch, Berlin

 

Rebell und Reformator und dann?

Dann wird er gegen Bauern als tolle Hunde und vollkommene Schweine hetzen, gegen Juden als Erzdiebe und Räuber, gegen Behinderte als teufelsähnlich, gegen Frauen als min­derwertig wegen vieler Ausscheidung und wenig Geist. Er, geboren am 10. November 1483 in Eisleben, soll ein humorvoller Mensch gewesen sein und dennoch oft depressiv, woran Satan schuld sein musste, denn Satan ist der Geist des Trübsinns. Trübsinn hatte Luther schon im Kloster Erfurt gelernt, denn Lachen war den Mönchen untersagt. Dann flieht er in die Musik, singt, spielt, dichtet und kompo­niert. Und die Zeit war danach. Das Volkslied erlebte eine Blüte, das Lied war für die große Masse der Analphabeten wichtig, als Gebetstext, Zeitungsblatt, Kampfmittel und zum Freuen.

Wer mit Ernst gleubet, der kanns nicht lassen, er muss fröhlich und mit Lust davon singen und sagen. Wer aber nicht davon singen und sagen will, das ist ein Zeichen, dass ers nicht gleubet.

Luther will viel, natürlich kein Rebell sein, wurde aber der größte Sohn einer rebellischen Zeit. Denn die Armen horchten auf, wenn er in seinen 95 Thesen Matthäus 19/30 zitiert, nach dem

die Ersten die Letzten und die Letzten die Ersten sein werden.

Luthers Zeit-Kritiken sind heftig. Und sie befördern Gärung, die ohnehin schon da ist, Unruhe, Vergehen, Verbrechen, Krieg, höchste Wirtschaftsblüte der Zeit, aber auch schreckliche Armut großer Massen, Angst vorm nahenden Weltende oder aber Anbruch einer neuen gerechteren Zeit. Das alles historische Voraussetzungen für seine Wirkung, aber auch günstige Voraussetzungen für die Kirche, die immer mehr Geld brauchte.

Im Jahr 1517 wurden in unserer Gegend Ablässe verkauft … um des schändlichen Gewinnes willen! Da ich das merkte, veröffentlichte ich den Zettel mit den Streitsät­zen.

Genug geduldet

Dass Luther sie am 31. Oktober 1517 angeschlagen hat an die Tür der Wittenberger Schlosskirche, glaubt heute kaum einer mehr. Ursprünglich in lateinisch verfasst, zur Anre­gung eines akademischen Disputs, waren sie, über Nacht übersetzt und gedruckt, schnell in aller Munde. Der Druck, der nun auf Luther lastet, ist enorm, aber er dichtet weiter, obwohl ihm verboten. Es ist die Bibel und es sind die Lieder. Die besonders leiten den Sturm ein, die »Marseillaise der Reformation« war dabei, wie Engels Luthers »Ein feste Burg ist unser Gott«nennt.Luther meinte die »Befreiung vom römischen Joch«, das Volk meinte dazu noch ein anderes Joch. Luther meinte, zum Dulden sind die Christen bestimmt. Die Bauern meinten, sie hätten nun genug geduldet. Und langsam merkte er es auch. Sein Eingriff in die Politik hatte in der Katastrophe geendet. Seine Popularität war vorbei.

Das Lied wollte meiner Stimme zu hoch werden.

Und so wird er, der vier Jahre nach den Thesen in Worms beim Reichstag das Revoco, das Widerrufe, abgelehnt hatte, ängstlich, aber wovor? Heinrich Heine weiß zu berichten:

Luther glaubte nicht mehr an katholische Wunder, aber unbeirrt katholisch noch an den Teufel.

Menschen mündig gemacht

Die Legende lässt ihn bekannterweise auf der Wartburg mit dem Tintenfass nach diesem werfen, oder anders, ihn mit der Tinte vertreiben, oder noch besser, mit der Übersetzung der Bibel in Deutsche. Diese, Luthers größte Leistung, mit unvergleichlicher Sprachgewalt, Rhythmus und Tonfall in deutsch, hat Menschen mündig gemacht, war so an sich schon Rebellentum, denn der überlieferte lateinische Text war die Autorität der Kirche.

Luther lebt zeitlos, weiß nichts von seinem Lande, weder Geografie noch Geschichte. Aber er weiß, wie man dolmetscht:

Man muss die Mutter im Hause, die Kinder auf der Gassen, den gemeinen Mann auf dem Markt aufs Maul sehen.

Auch das ist Rebellentum, denn es trifft die Unteren, die »Freiheit des Christenmenschen«.

Ein Christenmensch ist ein freier Mensch über alle Dinge und niemand untertan.

Das wird verstanden, aber nicht so wie Luther es meint. Freilich soll man der Obrigkeit Untertan sein, wie es schon Paulus im Römerbrief gesagt hat. Er schreibt eine

Treue Vermahnung, sich zu hüten vor Aufruhr und Empörung.

Aber es ist schon zu spät. Da traut sich eine Gräfin von Lupfen noch, den Bauern zu befeh­len, Schneckenhäuser für sie zu sammeln, zum Garn aufwinden, und hat so den Beginn des ersten Bauernaufstandes in Süddeutschland zu verantworten. Da wird das Dran! Dran! Dran! Thomas Müntzers zum Signal der großen, mutigen, erfolglosen Kämpfe der Bauern. Denn Luther hatte schon vorher in seiner Schrift

Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern

die Fürsten aufgehetzt mit seinem Lieblingspsalm:

Du sollst sie mit eisernem Zepter zerschlagen, wie Töpfe sollst Du sie zerschmeißen.

So sind es denn nach überwältigenden Anfangssiegen am Ende 75.000 niedergemetzelte Bauern.

all ihr Blut ist auf meinem Hals,

schreibt Luther ehrlich, aber ohne Reue.

Für eine Welt in Ruhe und Frieden?

Nach all dem beginnt er sein neues Leben: Nach dem Sieg der Fürsten 1525 bricht das Mönchlein ein Tabu, das Zölibat, eine kleine, von ihm wohl als groß empfundene Protest­handlung. Er hält sich nun an den Bibelsatz Wachset und mehret Euch, heiratet eine adlige Nonne, Katharina von Bora, und empfängt reihenweise Fürsten zu Besuch.

Meine Käte habe ich damals nicht geliebt, schreibt er, aber Gott hat es so gewollt, dass ich mich ihrer erbarmte, und mir wurde mit Gottes Gnade die glücklichste Ehe geschenkt.

Denn:

Darum hat die Maid ihr Punzlein, daß es dem Manne ein Heilmittel bringe.

Es gibt noch viele nette Sätze zum Thema:

Frauen dürfen nicht anderes hören als ihres Mannes Wort zu Hause und zu Bette. Hört sie eines andren Wort, ist sie gewisslich eine Hure.

Stark auch der:

Es ist kein Rock, der einer Frau so übel ansteht, als wenn sie klug sein will.

Nun, vergessen wir das, denn später bei seiner Käte sieht auch er einiges anders.

Die schmeißt diesen Riesenhaushalt mit täglich rund 50 Leuten am Tisch, Kinder, Schüler, Kostgänger. Alle die wollen gebettet, versorgt, ernährt werden. Da gärtnert sie, betreibt Fischzucht, braut 5000 Liter Bier im Jahr, züchtet Vieh, 10 Schweine, drei Ferkel, fünf Kühe, neun Kälber, eine Ziege, zwei Zicklein, Pferde und Geflügel. Keiner in Wittenberg hat­te einen solchen Viehbestand. Sie verhandelt, wenn verhandelt werden muss, macht Ver­träge, die freilich er unterschreibt. Sie regelt all das Viele, wovon er keine Ahnung hat, und sie wird sich Anerkennung verschaffen, freilich als »Herr Käte«. Aber immerhin, er kommt zu der erstaunlichen Erkenntnis

Die Welt kann also ohne Frauen nicht bestehen,

braucht sie also. Und die Welt braucht den Messias, den Hoffnungsgedanken der Juden auf eine Welt in Ruhe und Frieden, ohne Sklavenhalter, ohne Könige und ohne Kriege, ein Land also, wie es heute noch keines gibt. Natürlich teilte Luther diese Erwartung nicht, aber nach seiner 1523 erschienenen Schrift »Dass Jesus ein geborener Jude sei«, erlebte er diese fast am eigenen Leibe. Viele Juden begrüßten nicht nur Luthers Schrift als Sensation, sondern stellten sich ihn selbst als Messias vor. Was hatte er da geschrieben?

Wenn er selber Jude gewesen wäre und erlebt hätte, wie die Kirche sie behandelte, wäre er eher eine Sau, als ein Christ geworden. Solange man die Juden verleumdet, dass sie Christenblut bräuchten, um nicht zu stinken, könne man nichts Gutes an ihnen bewirken.

Für die Juden war das Erleichterung. Zum ersten Mal eröffnete ihnen ein christlicher Theo­loge die Aussicht, sie menschlich zu behandeln. Aber Luthers Haltung hielt nicht, weil: Er war enttäuscht. Seiner Reformation hatte er zugetraut, dass sie viele Juden zu Christen macht. Mit deren Verwurzelung in ihrer Religion hatte er nicht gerechnet. Und so wird er nach 1532 dazu übergehen, keinen Juden mehr zu taufen, will ihm lieber

einen Stein an den Hals hängen und in die Elbe werfen.

Er empfiehlt, wie die Nürnberger Gesetze, Verbot von Straßen, Zerstören von Häusern, Ver­brennen von Synagogen. Derlei macht ihn zum nazistischen Idol, seine letzten Reden füh­ren die im Munde, die die Juden nach Auschwitz schicken. Sätze wie:

Die Juden sind uns eine schwere Last, wie eine Plage, Pestilenz und eitel Unglück in unserm Land.

Martin Luther, eine unserer großen deutschen, bewunderten, bekämpften, widerständigen und widersprüchlichen, klugen und dummen, freundlichen und unfreundlichen Figuren – nach vorher genannten schlimmen zum Schluss ein paar nützliche, gute seiner Gedanken:

Wenn man Jahr für Jahr so viel aufwenden muss für Gewehre, warum sollte man dann nicht viel mehr noch für die arme bedürftige Jugend aufwenden. Den Frieden kauf man nie teuer, denn er bringt dem, der ihn kauft, großen Nutzen.

 

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