Laudatio auf einen Rector Magnificus, auf Heinrich Fink
Prof. Dr. Hermann Klenner, Berlin
Für Professor Heinrich Fink, der am 1. Juli in Berlin im Alter von 85 Jahren verstorben ist, haben die »Mitteilungen« im August 2020 einen von Thomas Hecker verfassten Nachruf veröffentlicht. Der nachfolgende ehrende Beitrag entstand 2013/14.
Aus der auf Wunsch des Vorstandes der Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde anlässlich der Verleihung des Menschenrechts-Preises an Prof. Dr. Heinrich Fink am 10. Dezember 2013 gehaltenen, nachträglich erweiterten Laudatio haben wir in der Printausgabe (Heft 9/2020) Auszüge dokumentiert – den dritten und den Beginn des vierten Abschnitts. Hier ist der komplette Text nachlesbar. Wir danken Genossen Hermann Klenner für seine freundliche Genehmigung und Unterstützung.
I
Lassen Sie mich mit unserer Erstbegegnung beginnen. Nach der sogenannten Wende hatte ich seinem Vorgänger im Amt als Rektor geschrieben, dass ich von der Humboldt-Universität eine Aufhebung der mir gegenüber verübten Ungerechtigkeiten und Ungesetzlichkeiten erwarte, denn im Ergebnis falscher Anschuldigungen, politischer Verdächtigungen und persönlicher Hinterhältigkeiten hatte ich 1958 meine Professur und Anstellung an der Juristenfakultät der Universität verloren, und zehn Jahre danach war mir die frisch erteilte und einige Wochen auch wahrgenommene Gastprofessur vom damaligen Rektor wieder aberkannt worden. Mit der Verzögerung eines halben Jahres bekam ich nun von dem neuen, dem gewählten, mir persönlich nicht bekannten Rektor, also von Heinrich Fink, einen Gesprächstermin, und ich traf – peinlich, peinlich – mit einer, wenn auch kleinen Verspätung vor seinem Amtszimmer ein, das er grade verlassen wollte, und ich rief ihm, auch etwas außer Atem, ein mea culpa, mea maxima culpa entgegen. Kaum ausgesprochen, wurde mir klar, dass ich nun eine weitere Peinlichkeit begangen hatte, denn sich bei einem protestantischen Theologen mit einem seit dem 11. Jahrhundert in der katholischen Kirche üblichen Schuldbekenntnis exkulpieren zu wollen (»confiteor Deo omnipotenti, Mariae semper virgini quia peccavi nimis: mea culpa, mea maxima culpa«, so der kniend auf den Stufen vor dem Hochaltar zu betende Ritus), heißt nicht grade einfühlsam gehandelt zu haben. Heinrich Fink verargte mir damals mein Fehlverhalten sichtbar nicht, zumal ich bei ihm, was ich nicht wissen konnte, einen guten Stein im Brett hatte, weil ihm, dem Mitglied der Synode der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburgs seit 1978, von einem anderen Synodalen, dem Bauern Alfred Böhme aus der Oderbruchgemeinde Letschin, wo ich 1958-1960, nicht ganz freiwillig, als Dorfbürgermeister gewirkt hatte, auch Gutes über mich berichtet worden war.
Jedenfalls war seit dieser Erstbegegnung für mich, der ich als eine Art von Wiedergutmachung dann noch für einige Jahre eine Honorarprofessur an der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität wahrnehmen konnte, Heinrich Fink der Rector Magnificus – so die in deutschen Landen universitäre Ehrenbezeichnung der vom Senat oder von den Ordentlichen Professoren gewählten Rektoren –, und so habe ich ihn in den Folgejahren, auch als er gar kein Rektor mehr war und wir uns zu duzen begannen, stets laut und vernehmlich angeredet, was er, widerstrebend, zumindest duldete. Und seinen Nachfolgern im Amt bestreite ich bis heute die Legitimation, denn ihre Funktion geht auf dem von einem CDU-Senator Berlins verübten Rechtsbruch: der Amtsenthebung meines Rector Magnificus zurück und gründet sich auf der Konvertierung einer demokratischen Rektorats- in eine bürokratische Präsidialverfassung der Universität.
II
Und nun bin ich es, den der GBM-Vorstand zum Laudator auf meinen Rector Magnificus auserkoren hat. Auch wenn ich an der Entscheidung, ihm den Menschenrechtspreis zuzuerkennen, nicht mitgewirkt habe – ich kenne nicht einmal die offizielle Begründung –, bin ich mit ihr mehr als nur einverstanden, haben wir doch in den letzten zwei Jahrzehnten miterlebt, wie sehr und wie oft er sich eingemischt hat in die Geschehnisse unseres Landes, immer auf der Seite der Unteren gegen die Oberen stehend, immer seine Stimme gegen die Ungerechtigkeiten und Ungesetzlichkeiten, gegen die Menschenrechtsverletzungen erhebend, die viele von uns im Ergebnis der bundesrepublikanischen Parlaments- und Regierungspolitik, exekutiert von Gerichtsurteilen zuhauf, erfahren haben. Wir brauchen ihn, seine Ausstrahlung, seine Menschlichkeit, seine Güte, seine Großzügigkeit, ja auch die Überzeugungskraft seines gelebten Glaubens.
Vom GBM-Vorstand hat man mich mit einer gewissen Verwunderung darüber unterrichtet, dass Heinrich Fink die Verleihung des Menschenrechtspreises – so seine Wendung – »in Demut« angenommen habe. Demut, das Gegenwort zu Hochmut, ist bei einem in Wort und Tat Christen nicht etwa eine Verschleierungs- oder Verschönerungsvokabel für falsche Bescheidenheit. Demut, das ist Lutherdeutsch! Wie man der im Leipziger Reclam-Verlag publizierten und damals für 5 DDR-Mark zu erwerbenden Originalübersetzung des Alten und des Neuen Testaments durch Martin Luther entnehmen kann, übersetzte der Reformator das »humilitas« des Vulgata-Textes mit »demut«. Nach biblischem Verständnis ist Demut die Grundhaltung der Gläubigen vor Gott; auch habe er selbst alle Menschen aufgefordert, sich untereinander in Demut zu begegnen: »Allesampt seid untereinander unterthan und haltet fest an der demut. Denn Gott widderstehet den hoffertigen, aber den demütigen gibt er gnade«, heißt es in Luthers Ersten Epistel Sanct Peters (V, 5). Immanuel Kant hat übrigens den Demutsbegriff säkularisiert und demokratisiert, indem er ihn als irdische Gleichheitsbezogenheit verstand, als ein Einordnen im Unterschied zum Unter- und zum Überordnen, und jegliches Hinknien entwertete er ohnehin als nur ldolen gemäß.
Um das hier aufrichtigerweise einzufügen: Mich im Luthersinne demütig gegenüber Gott zu verhalten, kann und mag ich nicht für mich beanspruchen, auch wenn es viele Menschen gibt – mein Rector Magnificus ist einer von ihnen –, denen ich mit Hochachtung begegne. Doch was die Demut eines Christenmenschen anlangt, so habe ich mich als getaufter und konfirmierter Protestant vor siebzig Jahren aus dem Christentum verabschiedet, weil ich in der Theorie mit dem Theodizee-Problem (der Rechtfertigung eines ungeachtet der Übel und der Leiden in der Welt gleichzeitig allmächtigen, allwissenden und allgütigen Gottes) nicht zurande kam, und in der Praxis nicht damit, dass die von mir wahrgenommenen evangelischen wie die katholischen Priester und Pfarrer, statt mich über die Nazi-ldeologie und Verbrechen aufzuklären, mir nicht den Weg in die militärische Mittäterschaft (wenn auch nur als Gefreiter und nur noch innerhalb Deutschlands) wenigstens geistlich verlegten. Auch wenn ich mit einer auf mich bezogenen Demut nichts anzufangen vermag, so kann ich das Demutsgefühl Heinrich Finks sehr wohl nachvollziehen, das in ihm aufkam, als ihm der Menschenrechtspreis angetragen wurde. Auch ich fragte mich voller Zweifel, was mich eigentlich berechtigte, die Laudationes bei den Menschenrechtspreisverleihungen an Fidel Castro, an Wolfgang Richter und nun an Heinrich Fink zu halten, ganz zu schweigen von der Preisverleihung an mich selbst.
III
Prof. Dr. sc. theol. Heinrich Fink, um nun zu seiner persönlichen Entwicklung zu kommen, wurde 1935 in Bessarabien als Sohn einer pietistisch gläubigen, von ihm als Produktionsgemeinschaft erlebten Großbauernfamilie geboren, die 1940 als Volksdeutsche in den von Nazi-Deutschland annektierten Teil Polens und im Ergebnis des Zweiten Weltkrieges ins Brandenburgische umgesiedelt wurde, wo er als Flüchtlingskind bis 1954 die Schulen besuchte, aktiv in der Jungen Gemeinde, aber auch als Mitglied der FDJ. Von 1954 bis 1960 studierte er Evangelische Theologie an Berlins Humboldt-Universität, arbeitete danach als Vikar in Halle an der Saale und anschließend als wissenschaftlicher Assistent an der Theologischen Fakultät der Berliner Universität. Dort promovierte er 1966 mit einer Dissertation über die »Begründung der Funktion der Praktischen Theologie bei Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher« und habilitierte sich 1978 mit einer Arbeit über »Karl Barth und die Bewegung Freies Deutschland in der Schweiz«. lm Jahr darauf wurde er zum Professor für Praktische Theologie berufen und 1980 zum Dekan (später: Direktor) der Theologischen Fakultät an der Berliner Humboldt-Universität.
lm Oktober 1989 hatte sich Heinrich Fink an den Protestdemonstrationen um die Gethsemane-Kirche herum beteiligt, war dabei auch von der Polizei misshandelt worden und gehörte danach zu den Mitgliedern der diesen Vorfällen auf den Grund gehenden Unabhängigen Untersuchungskommission. Von dem sich im Dezember dieses Jahres an der Humboldt-Universität bildenden Runden Tisch wurde er zu dessen Moderator und am 3. April 1990 schließlich vom Konzil dieser Universität, den 504 Delegierten von Professoren, Mitarbeitern und Studenten, als einer der vier Kandidaten mit 72% der Stimmen zum Rektor gewählt, womit er zum ersten nicht vom Staat eingesetzten, sondern von den Universitätsangehörigen selbst gewählten Rektor der Humboldt-Universität wurde. Auf Anfrage von Mitgliedem des Studentenparlaments hatte er Anfang November 1991 widerstrebend zugesagt, für die anstehende nächste Rektor-Wahl erneut zu kandidieren, und noch am 25. November dieses Jahres auf dem vom Senat und dem Studentenrat zur feierlichen Immatrikulation des neuen Studenten-Jahrgangs eingeladenen Akademischen Festakt die Begrüßungsrede gehalten. Doch während dieser in Berlins Komischer Oper stattfindenden Veranstaltung wurde er durch einen Boten des Wissenschafts-Senators von Berlin »zu einem dringenden persönlichen Gespräch noch heute Abend« vorgeladen, »mit freundlichen Grüßen« versehen, versteht sich. Der Einbestellte folgte der Aufforderung. In seinem Dienstzimmer eröffnete dann Senator Manfred Erhardt, dem nicht und schon gar nicht von ihm, also bloß bürokratisch eingesetzten, sondern demokratisch gewählten Rektor, dass sich dessen Kandidatur für eine weitere Amtszeit erübrige, denn ihm stünde die fristlose Entlassung als Universitätsprofessor bevor: aus einer an eben diesem 25. November 1991 bei der Senatsverwaltung eingegangenen vertraulichen Beantwortung ihres Auskunftsersuchens an den Sonderbeauftragten der Bundesregierung für die personenbezogenen Unterlagen des ehemaligen Staatssicherheitsdienstes vom April dieses Jahres ergebe sich nämlich, dass »Herr Prof. Fink seit 1969 als lnoffizieller Mitarbeiter des MfS tätig gewesen ist«.
Heinrich Fink reagierte umgehend und mit aller Entschiedenheit. Bereits am Tag danach übergab er der Öffentlichkeit eine längere, von ihm als eidesstattlich zu bewerten bezeichnete Erklärung: er habe sich keinerlei Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit im Sinne des Schreibens der Gauck-Behörde vorzuwerfen und verlange umgehend Einsicht in die ihn angeblich belastenden Unterlagen, damit er sich gegen die Versuche eines Rufmordes mit allen rechtsstaatlich möglichen Mitteln wehren könne. Ihm wurde, wen wundert's, eine Einsicht in Gaucks Unterlagen verwehrt, und Erhardt, ohne diese eingesehen zu haben oder auch nur einsehen zu wollen, begnügte sich damit, Gaucks Behauptungen für seine Interessen zu benutzen: drei Tage danach, am 28. November 1991, kündigte er das zwischen der Berliner Humboldt-Universität und Professor Dr. Heinrich Fink bestehende Arbeitsrechtsverhältnis fristlos, womit sich nach seiner Meinung auch das Rektoratsamt von Fink erledigt habe.
Um des Senators Kündigungsbegründung wenigstens nachträglich zu legalisieren, wurde ein ungeheuerer, ungeheuerlicher Aufwand betrieben. Natürlich auf Kosten der Steuerzahler! Doch bis zum heutigen Tag haben sich, außer des Semi-Bigamisten Gaucks Behauptungen, keinerlei Beweise für eine wissentlich wahrgenommene lnformelle Mitarbeit von Professor Heinrich Fink mit dem DDR-Staatssicherheitsministerium gefunden. Zu dieser Einschätzung kam auch ein Arbeitsgericht in Berlin, das mit seinem Urteil vom 1. April 1992 des Senators Kündigung aufhob und eine sofortige Weiterführung seines Amtes durch ihn bis zu der bereits festgelegten Wahl eines neuen Rektors verfügte. Der Senator legte gegen dieses Urteil Berufung ein, und im Dezember jenes Jahres hob das Berliner Landesarbeitsgericht das erstinstanzliche Urteil auf. Ungeachtet einer unveränderten Beweislage in Gestalt des Nichtvorhandenseins wirklicher Beweise sowie des tatsächlichen Vorhandenseins eindeutiger eidesstattlicher Versicherungen von Heinrich Fink sowie ehemaliger Mitarbeiter des aufgelösten DDR-Staatssicherheitsministeriums erklärte dieses Gericht, dass die von Senator Erhardt unterzeichneten Kündigungen des Arbeitsvertrages mit Prof. Fink rechtsgültig seien, und verweigerte ihm sogar – eine zusätzliche Gemeinheit – gegen dieses Urteil beim Bundesarbeitsgericht Revision einzulegen, obwohl doch dieser Fall revisionsfähig und, hätte man § 72 ll des geltenden Arbeitsgerichtsgesetzes berücksichtigt, auch revisionsbedürftig gewesen war.
Nach Meinung des heutigen Laudators handelt es sich bei der Entmachtung und Entlassung meines Rector Magnificus insgesamt um eine von einem Justiz-Unrechtsurteil mit seiner Umkehrung der Beweislast gedeckten menschenrechts-, bürgerrechts- und rechtsstaatswidrigen Willkürhandlung, begangen in unmittelbarer Täterschaft durch den CDU-Senator Erhardt sowie in mittelbarer Mittäterschaft durch den Leiter der Staatsicherheitsdienst-Unterlagen-Behörde Gauck und den Direktor dieser Einrichtung Geiger, der später, welch Zufall, als Präsident zunächst des lnlands- und danach des Auslands-Geheimdienstes der BRD funktionierte.
Das alles wurde zeitnah umfangreich dokumentiert, teilweise auch faksimiliert, in einer Sonderausgabe der Monatszeitschrift Utopie kreativ vom Januar 1992, deren einmalige Bedeutung sich auch daraus ergibt, dass bei einem Einbruch in das Dienstzimmer und den Schreibtisch des Rektors – ein Schelm, wer dabei an Zufall denkt – viele der hier abgedruckten Originale entwendet worden sind. Unüberlesbar für die Mit- wie für die Nachwelt finden sich in dieser Utopie-kreativ-Ausgabe zusätzlich viele der gegen die bundesrepublikanische Staatswillkür im Falle von Professor Fink protestierenden Stellungnahmen. Von deren Autoren seien wenigstens genannt: der Akademische Senat, das Konzil sowie die Außerordentliche Vollversammlung der Mitarbeiter und Studenten der Humboldt-Universität (»unsern Heiner nimmt uns keiner«); die Charité-Professoren; die Hochschulgruppe demokratischer Sozialisten; die Emeriti der Humboldt-Universität und zugleich Verfolgte des NS-Regimes; die Berliner Vereinigung ehemaliger Teilnehmer am antifaschistischen Widerstand (im Namen von 2000 Verfolgten des Nazi-Regimes und Hinterbliebenen); Professoren der Universitäten von Bern, Berlin, Freiburg, Hamburg, Paris, Wien, auch der Gesamthochschule Kassel; die Wissenschaftler Rudolf Bahro, Eva Engel-Holland (Herausgeberin der Moses-Mendelssohn-Gesamtausgabe), Emst Engelberg, Ossip Flechtheim, Klaus Holzkamp, Horst Klinkmann, George Labica, Wolf-Dieter Narr (an den »niedrig vermögenden Wissenschaftssenator«), Jens Reich, Renate Riemeck, Julius H. Schoeps, Ernst Tugendhat, Uwe Wesel, Jean Ziegler; die Schriftsteller Daniela Dahn, Günter Grass, Christoph Hein, Stefan Heym, Heinz Knobloch, Christa Wolf; die Schauspielerin Käthe Reichel; das Europäische Bürgerforum, das Erhardts Verfahrensweise mit »mittelalterlichen Hexenverfolgungen« und »McCarthysmus« verglich; Günter Krusche, seines Zeichens Generalsuperintendent der Evangelischen Kirche, der ironisierend bemerkte: in seiner Bibel stehe, dass Ihr sie an ihren Früchten erkennen sollt und nicht an ihren Akten; die Theologische Fakultät der Universität von Amsterdam; Dutzende von Pfarrern aus der Schweiz, unter ihnen der katholische Kaplan Cornelius Koch, der Herrn Gauck zu demissionieren riet, da er den Eindruck eines Jägers mache, der mit Schrot schießt; die Bremer Kirchengemeinde; die Konferenz Europäischer Kirchen, die Lidice Initiative der BRD, die Initiative Christliche Linke, die Evangelische Studentengemeinde der Freien Universität, auch der Technischen Universität; die Bessarabischen Christen; das Antieiszeitkomitee; der Bezirksbürgermeister von Berlin-Hohenschönhausen; die Gewerkschaft Erziehung und Ausbildung im DGB; der Parteivorstand der PDS und Gregor Gysi; die PDS-Politikerin Gesine Lötzsch, die im Abgeordnetenhaus Berlins beantragte, dem Wissenschaftssenator, da er seinen Amtseid gebrochen habe, das Vertrauen zu entziehen.
Nicht verschwiegen werden sollen die in derselben Utopie-kreativ-Ausgabe dokumentierten oder anderwärts belegten Anti-Fink-Stellungnahmen vom Bund Freiheit der Wissenschaft; von Heinrich August Winkler, dem die Wende einen Lehrstuhl an Berlins Humboldt-Universität bescherte; von Karl Corino (in: Die Welt), der die »Reinwaschung so sündiger Theologen wie dieses heimlich singenden Fink« durch etliche Großliteraten des Ostens auf ihre Rückbindung an die DDR zurückführte; vom SPD-Theologen und Rektorats-Konkurrenten Richard Schröder; vom CDU-Mitglied Preuss, der in Berlins Abgeordnetenhaus Professor Fink als einen »Schmutz-Fink« bezeichnete; vom Banker und CDU-Politiker Landowsky, dem Berlins Bevölkerung eine Milliarden-Verschuldung ihrer Stadt verdankt und der in der gleichen Sitzung, ohne wenigstens einen Ordnungsruf zu kassieren, Heinrich Fink öffentlich einen »Strolch!« nannte.
Der Redlichkeit wegen hat der heutige Laudator aber auch seine grundsätzliche Distanz zu der noch von der letzten DDR-Volkskammer eingeleiteten und darauf fußend von der Bundesregierung begierig aufgegriffenen und bis ins Extrem verschärften Verteufelung der DDR-Staatssicherheit zu bekennen, zumal sie mit einer Aushebelung des rechtsstaatlichen Rückwirkungsverbots von Gesetzen einherging.
IV
Um mich nicht misszuverstehen: nicht weil mein Rector Magnificus 1990/92 zu einem bundesrepublikanischen Beamten- und Justizopfer wurde, ist seine nunmehrige Ehrung mit dem GBM-Menschenrechts-Preis gerechtfertigt. Denn Opfer gab es Hunderttausende auf dem Altar der Rekapitalisierung eines ganzen, wenn auch kleinen Landes. Schon eher ist da seine damals offen ausgesprochene Wertung jener Vorgänge zu nennen, die zu seiner Abwicklung führten. Statt sich auf sich selbst und seine bitter notwendige Verteidigung zurückzuziehen oder gar – pardon! – zu Kreuze zu kriechen, ging er zu einer seine individuelle Lage bewusst überschreitenden Gegenoffensive über, die in einer politischen Wertung des Gesamtvorganges gipfelte: bereits am Tag nach Erhardts Ankündigung, dass infolge der Gauck-Behauptungen Professor Fink die Kündigung seines Arbeitsvertrages und damit auch das Ende seines Rektorats unmittelbar bevorstehe, erklärte der so Diffamierte öffentlich in einer Universitäts-Vollversammlung, dass er die Vorgehensweise gegen ihn für mit »totalitären Methoden« betrieben sowie für das »Ergebnis einer politisch motivierten Manipulation« halte, denn ihr wirkliches Ziel bestünde darin, die »eigenständigen demokratischen Entwicklungen auf dem Gebiete der ehemaligen DDR zu verhindern«. Und genau darum ging es! Denn Runder Tisch und Senat hatten vom November 1989 bis zum 3. Oktober 1990, also vor dem Tage, an dem das Grundgesetz der BRD laut Art. 146 für »das gesamte deutsche Volk gilt«, ein neues Universitäts-Statut vorbereitet, in dessen Präambel als Ziel festgelegt wurde, »die Freiheit von Lehre, Forschung und Studium als unveräußerliches Grundrecht zu sichern, die Zusammenarbeit und Solidargemeinschaft aller Forschenden, Lehrenden und Studierenden zu ermöglichen und alle Angehörigen der Universität in sachdienlicher Weise in die Gestaltung der gemeinsamen Arbeit einzubeziehen«. Dieser Entwurf wurde dann von den frei gewählten Mitgliedern des Konzils der Universität mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit von 70 Hochschullehrern, 60 immatrikulierten Studenten, 50 akademischen Mitarbeitern und 20 technischen Mitarbeitern angenommen.
Während es für die überwältigende Mehrheit der Universitätsmitarbeiter wie für Heinrich Fink selbst – so seine eigene Formulierung – um »Veränderungen ohne Einmischung von außen und oben«, also um wirkliche Demokratisierung ging, brachten Berlins Wissenschafts-Senatoren (mal von der SPD, mal von der CDU) die Abwickelung des Lehrpersonals ganzer Fachbereiche, vor allem der Geschichtswissenschaft, der Pädagogik, der Philosophie, der Rechts- und der Wirtschaftwissenschaft auf den lllegalitätsweg. Es war der Widerstand, den mein Rector Magnificus gegen diese Obrigkeitswillkür organisierte, beginnend mit einer in Anwesenheit der SPD-Wissenschaftssenatorin vor dem Konzil und den Studenten gehaltenen Rede gegen die Abwicklung; es war seine Teilnahme an einem gegen die Abwicklungen gerichteten Protestmarsch vieler Studenten und einiger Professoren bis nach Leipzig; es war sein Kampf für Demokratie und Menschenrechte, der ihm einerseits die Bitte des Studentenparlaments einbrachte, für eine Wiederwahl als Rektor zur Verfügung zu stehen, aber eben auch andererseits das von der entgegengesetzten Seite »bestellte Ding« seiner eigenen Abwicklung. Und deshalb blieb er auch als frei, d.h. als demokratisch gewählter Rektor der letzte dieser Art: lm April 1992 wurde die in hundertachtzigjähriger Tradition gewachsene und nach der Wende demokratisierte Rektoratsverfassung der Humboldt-Universität durch eine Präsidialverfassung ersetzt und der Weg frei gemacht für eine nicht den Interessen der Wissenschaft, sondern denjenigen der Herrschenden im Staat und der Mächtigen in der Wirtschaft subordinierte Universität. Die Universität konnte dank der Machtverhältnisse gewendet werden. Ein Heinrich Fink nicht!
Um wenigstens an einem Einzelvorgang zu verdeutlichen, wogegen Heinrich Fink Widerstand leistete: Der vom Wissenschaftssenator für den Fachbereich Wirtschaftwissenschaft vorgesehene Dekan, sein aus Bonn eingeflogener Freund namens Krelle, ein Emeritus-Professor, erklärte umgehend, dass, solange er hier das Sagen habe, kein Marxist seinen Fuß über die Schwelle dieses Hauses setzen werde, und selbst das in der Eingangshalle der Universität zu lesende Marx-Zitat von einer zu verändernden Welt sei für ihn unzumutbar; und tatsächlich hat er anschließend dafür gesorgt, dass von den 180 Hochschullehrern und Mitarbeitern »seiner« Fakultät 170 abgewickelt wurden, damit er dem Senator diese Fakultät, so seine Formulierung, »besenrein« übergeben könne. Er selbst hatte sich bereits fünfzig Jahre zuvor als Sturmbannführer einer SS-Panzergrenadierdivision bestens bewährt; und jetzt, 1994, wurde er zum ersten Ehrendoktor der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät nach der Wende gekürt.
Dass meinem Rector Magnificus die ihm zugefügten Demütigungen in Gestalt seiner Abwicklung und des ihn noch härter treffenden Berufsverbots nicht das Rückgrat gebrochen haben, verdankt er, erleichtert durch die nationale und internationale Solidarität vieler mit ihm, auch seiner Fähigkeit, die ihn persönlich betreffenden Vorgänge politisch einzuordnen, indem er sie als »unfreiwillige Lehrzeit in bürgerlicher Sieger-Demokratie« bewertete. Daher konnte er sogar später von sich sagen, er blicke nicht im Zorn zurück, sondern fühle sich um so mehr denen verbunden, die wegen ihrer Hautfarbe, ihrer sozialen Lage oder ihrer Religion benachteiligt werden, und es wachse seine solidarische Zugehörigkeit zu all denen, die eine gerechte Gesellschaft anstreben, in der alle Menschen gleichberechtigt ihren Platz finden.
So war es nur folgerichtig, dass der als Theologieprofessor aus seiner intellektuellen Heimat, der Humboldt-Universität, geworfene Heinrich Fink 1992 das Komitee für Gerechtigkeit mitbegründete und mit dabei war, als es galt, gegen den Produktionsmitteldiebstahl ehemals volkseigener Betriebe durch die neuen Herren aus dem Westen an Ort und Stelle zu protestieren. Von 1998 bis 2001 wurde er als Parteiloser für die Partei des demokratischen Sozialismus Mitglied des Deutschen Bundestages und dort in ihrem Sinne tätig. Seit 2003 trägt er als vom Bundeskongress der VVN gewählter Vorsitzender der Ost- wie Westdeutsche zusammenführenden, überparteilichen und überkonfessionellen Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten dazu bei, dass gegen Rassismus, Antisemitismus und Ausländerfeindlichkeit, gegen Diskriminierungen von Menschen wegen ihrer Herkunft, Hautfarbe, sexueller Orientierung oder Weltanschauung organisierter – vom lnlandsgeheimdienst, wie Wikipedia vermeldet, beäugter – Widerstand geleistet wird. Antifaschismus, so äußerte er sich einmal im Zusammenhang mit seiner Forderung, die bundesdeutschen Geheimdienste aufzulösen und die NPD mit ihrer sozialen und chauvinistischen Demagogie, da es kein Recht auf Volkserhetzung geben dürfe, zu verbieten, heiße für ihn, sich auf den Schwur von Buchenwald zu berufen, in dem die Notwendigkeit des Kampfes gegen Krieg und Militarismus genau so betont wird wie der Kampf gegen Faschismus und Antisemitismus (auch Antijudaismus, denn Jesus war Jude!).
Dass der nun bald Achtzigjährige ungebrochen an vielen Fronten, in vielen Formen und bei vielen Anlässen mit seinen Gesinnungsgenossinnen und -genossen zu kämpfen vermag – menschenrechts-preiswürdig, um das hier noch einmal zu bekräftigen – verdankt er wie sein Durchhaltevermögen, von dem man nur wünschen kann, dass viele es hätten, auch einer bestimmten Persönlichkeit. Ohne llsegret Fink, um das hier endlich einzufügen, hätte er gewiss vieles nicht so unbeschadet an Leib und Seele durchgestanden, was ihm zugemutet wurde und was er weniger erduldet als vielmehr zu unser aller Heil umgemünzt hat in Taten und in Tun. Auch llsegret Fink war keine bloße Dulderin und Mitleidende mit dem ihren Mann zugefügten Rechtsbrüchen und Verleumdungen. Auch sie hat die in ihr persönliches Leben reichenden Herabwürdigungen umgemünzt in die Bereitschaft zu gesellschaftlichem, zu politischem Handeln. Ich kann das unmittelbar bezeugen, gehörte ich doch wie sie einige Jahre lang dem Kuratorium der Rosa-Luxemburg-Stiftung an, und wir saßen – höchstens nur anfangs zufällig – nebeneinander und jedenfalls gemeinsam auf der »linken« Seite.
V
In der Sitzung des Ausschusses für Wissenschaft und Forschung des Berliner Abgeordnetenhauses kam es am 2. Dezember 1991 zwischen Wissenschaftssenator Manfred Erhardt und Universitätsrektor Heinrich Fink zu einer durch ihre Auseinandersetzung über die Glaub- bzw. Unglaubwürdigkeit der Gauck-Akten entfesselten, jedoch weit darüber hinausführenden und überaus lehrreichen Kontroverse. Erhardt: »So habe ich es, Herr Fink, im Religionsunterricht gelernt«; darauf Fink: »Da haben wir verschiedene Bibeln«. Das trifft den Kern der Sache! Denn zwischen dem Christentum eines Erhardt, dem politischen Zögling des baden-württembergischen Ministerpräsidenten und vorherigen Nazi-Marinerichter Hans Filbinger, eines Krelle, eines Landowsky oder auch eines Gauck einerseits und andererseits dem Christentum von Niemöller, Bonhoeffer, Barth, Vogel, Gollwitzer, Fuchs, Ernesto Cardenal, Nelson Mandela wie auch dem von llsegret und Heinrich Fink klaffen Welten.
Gegensätze dieser Dimension sind nichts Seltenes. Sie sind in allen Religionen und zu allen Zeiten nachweisbar. Um diese Andersartigkeit religiös motivierten Verhaltens zu durchschauen und dadurch überhaupt erst die Verdienste unseres heutigen Menschenrechts-Preisträgers angemessen würdigen zu können, ist Folgendes zu begreifen unumgänglich: Auch wenn sie im Verlauf der Menschheitsgeschichte von den Herrschenden als Opium für das Volk missbraucht wurden, sind Religionen, um eine im Anschluss an Heinrich Heine und Moses Heß von Karl Marx gefundene Charakterisierung zu verwenden, ursprünglich ein Opium des Volkes. Und das bedeutet nahezu etwas Entgegengesetztes zum Opium für das Volk. Besonders Atheisten, um sich vor Überheblichkeit zu bewahren, haben allen Anlass, Marxens Formel vom Opium des Volkes ernst zu nehmen. Religion ist keine intellektuelle Fehlleistung der Menschen und ihrer Entstehung nach kein Produkt von Priesterbetrug. Grade das Christentum ist von seinem historischen Ursprung her die Religion eines von Roms Kaiserreich unterjochten Volkes, eine Religion von Unterdrückten, von Ausgegrenzten und von Armen. Auch wenn in der Realgeschichte der Menschheit über Jahrhunderte hin die jeweilig offizielle Religion zu einem Heiligenmantel für inhumane Interessen, auch für die irdischen Bedürfnisse absolut herrschender Könige »von Gottes Gnaden«, etwa zu einer geistig-geistlichen Verklammerung von »Thron und Altar«, instrumentalisiert wurde, ist sie von Haus aus keine Zweckerfindung herrschender gegen unterdrückte Klassen. lm Gegenteil: sie ist eine von den Massen geschaffene Theorie dieser Welt, ihre Logik in populärer Form, ihr Weltbewusstsein, ihr Enthusiasmus, ihre Sehnsucht, ihre Vision, ihre Utopie, ihr Trost- und Rechtfertigungsgrund für ihr Leiden, Tun und für ihr Glück. Wer je Religionsausübung im Lebenslauf der wirklich Geschundenen dieser Erde, der Entrechteten, der Enteigneten, der Machtlosen, der Tag für Tag Hungernden erlebt hat, der wird dieser Religionsdeutung eine Berechtigung kaum absprechen können.
Die plebejische, sogar kommunistische Tradition innerhalb des gelebten Christentums, angefangen von der urchristlichen Gemeinde, in der, wie es in der Apostelgeschichte heißt, allen alles gemeinsam gehörte (ll, 44: »omnes habebant omnia communia«), über Thomas Müntzer im deutschen Bauernkrieg, Gerrard Winstanley in der englischen und Jacques Roux in der französischen Revolution, auch Wilhelm Weitling mit seinem Evangelium des armen Sünders aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, beruht wahrlich nicht auf der Unfähigkeit der jeweiligen Autoren, die biblischen Texte zu verstehen. Deren heutige Deutung darf sich doch nicht mit dem puren Wortlaut von Luthers Übersetzung samt einem Bedeutungswörterbuch der deutschen Sprache begnügen. Das widerspräche jeder wissenschaftlich haltbaren Hermeneutik. Schriftliche Texte sind nämlich ohne den Kontext ihrer Entstehungs- und Wirkungsgeschichte, ohne das Realleben ihrer Adressaten überhaupt nicht zu verstehen, und angemessen zu würdigen schon gar nicht. Christlichem Glauben, Denken und Tun ist vom ersten nachchristlichen Jahrhundert an die Hoffnung auf eine bessere (jedenfalls also auf eine andere als die gegenwärtige) Welt nicht fremd. Wer dazu auffordert, dass einer des anderen Last trage (Galaterbrief Vl, 2), der hat doch eine soziale Gleichheit im Sinn! In der Bergpredigtversion des Evangelisten Lukas – nicht so eindeutig übrigens in der des Matthäus – stehen Verheißung und Drohung, Lamento wie Intoleranz einschließend, dicht beieinander: »Selig seid ihr Armen, denn das Reich Gottes gehört euch« und: »Weh euch Reichen, denn ihr habt euern Trost dahin!« (Vulgata Vl, 20 u. 24: Beati pauperes, quia vestrum est regnum Dei – Verumtamen vae Vobis divitibus, quia habetis consolationem vestram!).
Und so kann man es auch bei Heinrich Fink in einer seiner Publikationen lesen: »Wir entdeckten das Friedenszeugnis der Bibel völlig neu im Kontext der kompromisslosen Forderung sozialer Gerechtigkeit, wie sie von Propheten und Evangelisten biblisch überliefert ist. Wir konnten es nicht fassen, wieso die Kirche gegen diese biblischen Grundaussagen den Fürsten und Königen durch Jahrhunderte geholfen hatte, ihre Kriege zu rechtfertigen. Gegen die biblischen Weisungen von sozialer Gerechtigkeit hatte die Kirche die Privilegien der Reichen sanktioniert. Verschwiegen hatte sie die Botschaft von der Sklavenbefreiung Gottes, weil sie längst die Leibeigenschaft im Christlichen Abendland akzeptierte. Jahrhunderte lang Feind, hatte die Kirche auch kein Auge für Arierparagraph, Euthanasie und den Überfall auf die Nachbarstaaten.«
Solche sonnenklaren Auffassungen des nunmehrigen Menschenrechts-Preisträgers der GBM erklären auch, warum er es für richtig hielt, die theologischen Fakultäten in den Universitäten zu belassen, statt sie den jeweiligen Kirchen zu unterstellen. Sie haben auch dazu beigetragen, warum er – nicht zur Freude aller seiner Mittheologen – Mitglied der 1958 gegründeten (und 2001 liquidierten) Christlichen Friedenskonferenz (CFK) wurde und zeitweise Vorsitzender des DDR-Regionalausschusses dieser beim Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen als Nichtregierungsorganisation (NGO) registrierten internationalen Organisation, die Kirchen und Christen für Frieden und Gerechtigkeit in der Welt zu mobilisieren versuchte und wohl deshalb in Gefahr geriet, bei Kriegs- und Ausbeutungsinteressenten als »kommunistische Tarnorganisation« verleumdet zu werden.
Angesichts seiner heutigen Ehrung soll nicht verschwiegen werden, dass Heinrich Fink ein auch kritisches Verhältnis zur DDR hatte. Schließlich hatte auch er zu spüren bekommen, dass, wie er es tiefdenkend formulierte, selbst »bewährte Antifaschisten der Arroganz der Macht erliegen können und damit selber die Sache zerstören, für die sie einst ihr eigenes Leben aufs Spiel setzten«. Er hielt (und hält!) Sozialismus für eine »Vision von machbarer Gerechtigkeit und Frieden«, die selbst durch Korruption, misslungene Planwirtschaft, Presseunfreiheit und Bevormundungen ebenso wenig zu zerstören sei wie die Kirche als Gemeinde Jesu Christi nicht gescheitert ist an Machtmissbrauch von Bischöfen, an Kreuzzügen und Antisemitismus. Sein Widerstand in der DDR war für ihn, so sein eigenes Urteil, »immer Widerstand für einen besseren Sozialismus«.
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Um zum Abschluss noch einmal darauf zurückzukommen, dass Professor Dr. theologiae Heinrich Fink den hier und heute zu vergebenden Menschenrechtspreis der Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde zwar anzunehmen sich bereit erklärt hatte, aber – so seine Wendung gegenüber dem GBM-Vorstand – »in Demut«. In den Sprüchen Salomos (10. Jh. v.u.Z.), des berühmtesten Königs von lsrael, von dem man, wie er selbst eingangs verlangte (I, 2), lernen solle Weisheit und Zucht und zu verstehen verständige Rede, findet sich der Satz: Ehe man zu Ehren kommt, müsse man Demut lernen (XV, 33). Lieber Rector Magnificus, Du hast, weiß Gott, mehr als genug Demut zu lernen Gelegenheit gehabt und auch gelernt. Heute sind Zeit und Stunde gekommen – Du weißt: Ein jegliches hat seine Zeit wie seine Stunde (Prediger Salomo lll,1)! – da geehrt werden muss, und zwar Du musst geehrt werden, unser Heinrich Fink.
10. März 2014
Literatur:
- Heinrich Fink (ed.), Stärker als die Angst. Den 6 Millionen, die keinen Retter fanden, Berlin 1968.
- Heinrich Fink (ed.), Dietrich Bonhoeffer, Berlin 1987.
- Heinrich Fink, »Vorwort« zu: Schnauze! Gedächtnisprotokolle 7. und 8. Oktober 1989, Berlin 1990.
- Fink, Wie die Humboldt-Universität gewendet wurde (Geleitwort von Daniela Dahn), Hannover 2013.
- Gisela Karau, Die Affäre Heinrich Fink, Berlin 1992.
- Bernhard Maleck, Sich der Verantwortung stellen (Gespräche mit Heinrich Fink), Berlin 1992.
- Utopie kreativ, Januar 1992: »Der Streit um Heinrich Fink, Rektor der Humboldt-Universität« (Dokumentation).
- Europäisches Bürgerforum: Die Entlassung des Rektors der Humboldt-Universität Professor Fink, Berlin 1992.
- Ernst Bloch, Atheismus im Christentum, Frankfurt 1986.
- Konrad Farner, Theologie des Kommunismus?, Zürich 1985.
- Franciskus, Lumen fidei. Enzyklika, Leipzig 2013.
- Emil Fuchs, Marxismus und Christentum, Leipzig 1952.
- Wolfgang Girnus (ed.), Die Humboldt-Universität 1945-1990, Leipzig 2011.
- Uwe-Jens Heuer, Marxismus und Glauben, Hamburg 2006.
- Martin Luther, Biblia / das ist / die gantze Heilige Schrifft Deudsch [1522/1534], Leipzig 1983.
- Marx/Engels, Über Religion [1841-1894] Berlin 1958.
- Thomas Müntzer, Politische Schriften [1524/25], Leipzig 1973.
- Werner Röhr, Abwicklung, Bd. 1-2, Berlin 2011/2012.
- Jacques Roux, Freiheit wird die Welt erobern [1793], Leipzig 1985.
- Wilhelm Weitling, Das Evangelium des armen Sünders [1845], Leipzig 1967.
- Gerrard Winstanley, Gleichheit im Reiche der Freiheit [1649-1652], Leipzig 1986.
- Hermann Klenner, »Marx und die Frage nach der gerechten Gesellschaft«, in: Deutscher Evangelischer Kirchentag (Leipzig 1997), Gütersloh 1997, S. 286-292.
Mehr von Hermann Klenner in den »Mitteilungen«:
2018-12: Feuchtwanger
2017-08: Utopieforscher ohne Utopie
2015-12: Jürgen Kuczynski zu ehren