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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

KZ-Häftlinge als billige Arbeitssklaven

Dr. Reiner Zilkenat, Hoppegarten

 

Deutsche Konzerne als Organisatoren von Sklavenarbeit

 

Am Beginn des Jahres 1942 war für die Nazi-Führung eine Erkenntnis unabweisbar: Die beim Überfall auf die Sowjetunion verbreitete Überzeugung, innerhalb weniger Monate die Streitkräfte des ersten sozialistischen Staates in einem »Blitzkrieg« zerschlagen zu können, hatte sich als eine folgenschwere Illusion erwiesen. [1] Stattdessen hatte die Rote Armee am 5. Dezember 1941 vor den Toren Moskaus einen Gegenangriff begonnen, der für die faschistische Wehrmacht innerhalb weniger Wochen einen mehrere Hundert Kilometer weiten Rückzug nach sich zog. Die sowjetische Offensive führte zugleich zu schwer wiegenden Konsequenzen für die Kriegswirtschaft des Aggressors. Wenn der Krieg gegen die UdSSR länger als geplant andauern, die Verluste von Wehrmachtsangehörigen und von Kampftechnik weiter anwachsen sollten, dann musste die Kriegswirtschaft des faschistischen Deutschlands auf ein bisher nicht gekanntes Niveau angehoben werden. Das betraf nicht nur die Notwendigkeit, mehr Waffen als bisher in möglichst kurzen Fristen zu produzieren. Zugleich mussten diejenigen Arbeitskräfte in der Rüstungsindustrie, die ihre Arbeitskleidung mit der Wehrmachtsuniform vertauschten, dringend ersetzt werden. Allein durch die Ausweitung der Frauenarbeit und von »angeworbenen« Arbeitern aus den besetzten Gebieten Europas war diese Aufgabenstellung nicht zu bewältigen.

Deshalb wurden im März 1942 neue Maßnahmen eingeleitet, die es den Konzernen ermöglichen sollten, zumindest Teile der jetzt an den Fronten kämpfenden Arbeiter zu ersetzen. Dafür wurden drei neue Institutionen aus der Taufe gehoben, die einen ausreichenden Nachschub von Arbeitskräften sicherstellen sollten: Der Generalbeauftragte für den Arbeitseinsatz (GbA) und das Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt der SS (WVHA). [2] Zugleich wurde mit Albert Speer an der Spitze am 17. März 1942 das Ministerium für Bewaffnung und Munition (ab 2.6.: Ministerium für Rüstung und Kriegsproduktion) gegründet, das die Herstellung von Waffen und militärischen Ausrüstungsgegenständen koordinieren sollte. Es hatte außerdem die Aufgabe übertragen bekommen, mit Hilfe modernster Rationalisierung den Ausstoß von Rüstungsgütern bei einem zugleich möglichst geringen Einsatz von Arbeitskräften zu beschleunigen. Generalbeauftragter für den Arbeitseinsatz wurde der langjährige Thüringer Gauleiter, »alte Kämpfer« der NSDAP seit 1923 und SS-Obergruppenführer Fritz Sauckel. Das WVHA leitete SS-Obergruppenführer Oswald Pohl, Mitglied der NSDAP seit 1928.

KZ-Häftlinge als Sklavenarbeiter

Am 16. März 1942 fand im Ministerium für Bewaffnung und Munition eine Zusammenkunft statt, auf der die Weichen für den Einsatz von KZ-Häftlingen als Arbeitssklaven gestellt wurden. Die faschistische Führung hoffte, durch diese Maßnahme den überall spürbaren Mangel an Arbeitskräften lindern zu können. Laut Protokoll wurden folgende Vereinbarungen getroffen: »Auf Grund einer Besprechung im Führerhauptquartier sollen die Konzentrationslager in stärkerem Maße für die Rüstungsindustrie eingespannt werden.« SS-Brigadeführer Richard Glücks vom WVHA, in dem er als Inspekteur der Konzentrationslager amtierte, teilte den anwesenden Vertretern von Ministerien und anderen Dienststellen mit, »dass folgende Lager für einen solchen Einsatz in Frage kommen: Buchenwald mit etwa 5.000 Arbeitsfähigen, Sachsenhausen mit 6.000 Arbeitsfähigen, Neuengamme mit etwa 2.000 Arbeitsfähigen, Auschwitz mit etwa 6.000 Arbeitsfähigen, Ravensbrück mit etwa 6.000 Arbeitsfähigen.« Weiter hieß es: »Ende dieses Monats (März 1942 – R.Z.) wird ein größerer Zugang von Häftlingen erwartet. Aus diesem werden sämtliche Handwerker und verwandte Berufe aussortiert und denjenigen Lagern zugewiesen, die eine Rüstungsfertigung übernehmen.« Zunächst sollten die Produktionsstätten in den KZ angelegt werden, wobei »die Betreuerfirmen« die »zeitweilige Zurverfügungstellung von Ingenieuren und Meistern zum Anlernen der Häftlinge« gewährleisten müssten. [3]

Vollkommen neu war die Sklavenarbeit für KZ-Häftlinge keinesfalls. So war ein derartiger »Arbeitseinsatz« bereits seit Ende 1941 beim Bau und beim Betrieb des neuen IG-Farben-Werkes in Auschwitz-Monowitz praktiziert worden. [4] Hermann Göring und der Reichsführer-SS Heinrich Himmler persönlich hatten die Genehmigung für die Tätigkeit von Arbeitssklaven zugunsten des größten Chemiekonzerns der Welt erteilt. Etwa 25.000 Häftlinge haben sich in Monowitz im Laufe der Zeit im wortwörtlichen Sinne zu Tode gearbeitet, darunter auch jüdische Arbeitssklaven. [5] Diejenigen von ihnen, die zu entkräftet waren, um weiter für die IG Farben AG Sklavenarbeit zu verrichten, wurden in den Gaskammern des Vernichtungslagers Auschwitz vergast. Das Giftgas stellte die »Deutsche Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung« her. Hierbei handelte es sich um eine Firma, an der die IG Farben und die Deutsche Gold- und Silber Scheideanstalt (Degussa) Anteile besaßen. So verdiente der Farben-Konzern gleichsam doppelt an den gequälten und für die systematische Tötung vorgesehenen Häftlingen des furchtbarsten aller faschistischen Vernichtungslager.

Konzerne und SS Hand in Hand

Der Beschluss, das menschenverachtende Motto »Vernichtung durch Arbeit« zu realisieren, stieß bei vielen Rüstungsbetrieben, vor allem bei Großkonzernen, auf wachsende Resonanz. Allmählich entstand außerhalb der eigentlichen Konzentrationslager ein System von insgesamt mehr als 1.100 so genannten Außenlagern, die sich über das gesamte Reichsgebiet erstreckten. Hunger, körperliche Züchtigungen, Arbeit bis zur völligen physischen Erschöpfung und Demütigungen jeglicher Art waren hier an der Tagesordnung. Die Rüstungsfirmen entwickelten eine von der SS kaum zu befriedigende Gier nach Arbeitssklaven. Für die Überweisung der Arbeitssklaven entrichteten sie pro Person und Arbeitstag eine geringe Gebühr an das WVHA der SS (für einen gelernten Arbeiter zahlten die IG Farben 4 Mark am Tag, für einen Ungelernten 3 Mark). [6] Nie zuvor waren Arbeitskräfte zu derartig »günstigen« Bedingungen ausgebeutet worden! Das Ausmaß der Sklavenarbeit wuchs auch aus diesem Grunde immer weiter. Beim in Cambridge lehrenden Historiker Adam Tooze lesen wir: Auschwitz »versorgte nicht nur die Baustelle der IG Farben, sondern auch Projekte der Schwerindustrie in ganz Schlesien mit KZ-Sklaven. Bald folgten das Konzentrationslager Oranienburg, das im September 1942 einen Vertrag mit Heinkel für 800 Häftlinge abschloss, und Ravensbrück, das Siemens mit Arbeiterinnen belieferte. Kurz darauf verständigte sich Mauthausen mit Steyr-Daimler-Puch. Sachsenhausen bediente das Daimler-Benz-Werk in Genshagen. Dachau war mit BMW im Geschäft.« [7]  Desgleichen waren z.B. die »Reichswerke Hermann-Göring«, das Messerschmidt-Flugzeugwerk, Rheinmetall-Borsig, die Firmen Krupp und Mauser sowie das VW-Werk in Fallersleben an der Ausbeutung von Sklavenarbeitern beteiligt. Der Chef der Firma Porsche, Professor Ferdinand Porsche, sprach sogar bei Himmler persönlich vor. Er bat darum – wie der Reichsführer-SS dem Chef des WVHA noch am gleichen Tage mitteilte – »ein Werk für die Fabrikation einer Geheimwaffe, die in einem Bergwerk unter Tage stattfindet und 3 ½ Tausend Arbeitskräfte braucht, als KL-Betrieb zu übernehmen.« [8] Bis Ende 1944 stellte Heinrich Himmler Unternehmern etwa eine halbe Million Arbeitssklaven zur freien Verfügung, wobei 140.000 von ihnen unterirdische Produktionsstätten schufen und 130.000 für die »Organisation Todt« an der Fertigstellung infrastruktureller Großprojekte arbeiteten.

Karrieren in der BRD

Wurden die Verantwortlichen für ihre Verbrechen nach dem Krieg zur Verantwortung gezogen? Fritz Sauckel und Oswald Pohl wurden am 16. Oktober 1946 bzw. am 7. Juni 1951 in Landsberg am Lech hingerichtet. Albert Speer verbüßte in Berlin-Spandau eine zwanzigjährige Haftstrafe und starb in Freiheit am 1. September 1981. Seine vorzeitige Entlassung konnte das Veto der sowjetischen Regierung verhindern. Und die Konzernlenker der IG Farben? Nur einige der Verantwortlichen für die vom Konzern in Auschwitz und anderswo organisierte Sklavenarbeit verbüßten geringfügige Haftstrafen, die meisten gingen straffrei aus. In der Bundesrepublik nahmen sie am Aufbau der chemischen Industrie führend teil – so, als klebte nicht das Blut Tausender Arbeitssklaven an ihren Händen. Stellvertretend genannt seien an dieser Stelle Heinrich Bütefisch und Otto Ambros. Bütefisch, Produktionsleiter des IG Farben-Werkes in Auschwitz-Monowitz, Obersturmbannführer der SS und Mitglied des exklusiven »Freundeskreises des Reichsführers-SS«, bekam 1964 aus den Händen des Bundespräsidenten Heinrich Lübke für seine »Leistungen« beim Wiederaufbau des Landes das Große Bundesverdienstkreuz verliehen. Wegen anhaltender öffentlicher Proteste musste er den Orden allerdings bald wieder zurückgeben. 1951 war er vorzeitig aus der Haft entlassen worden. Als Aufsichtsrats-Mitglied der Ruhrchemie AG und der Gasolin AG war er längst wieder in führenden Funktionen tätig. 1969 verstarb er in Essen.

Otto Ambros, der »Giftgas-Experte« und seit 1938 Mitglied des Vorstandes des Farben-Konzerns, hatte im Januar 1941 den Standort Auschwitz für das neu zu errichtende Werk vorgeschlagen. Er kannte durch seine Besuche im KZ Auschwitz (durch das ihn der Lagerleiter Rudolf Höß persönlich führte) sowie durch seine Tätigkeit in Monowitz, wo er als Bau- und zeitweilig als Produktionsleiterleiter eingesetzt war, die dort herrschenden katastrophalen Verhältnisse für die Häftlinge und Sklavenarbeiter aus eigener Anschauung. [9] Während des Krieges bekam er wegen seiner »großen Verdienste« das Ritterkreuz des Kriegsverdienstkreuzes verliehen. Nach dem Krieg wurde er 1952 vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen und zum Mitglied mehrerer Aufsichtsräte berufen, so bei der Feldmühle AG, der Firma Telefunken, und bei der Chemie Grünenthal. Sowohl Bundeskanzler Konrad Adenauer als auch der damalige Großaktionär bei der Daimler-Benz AG, Friedrich Flick, suchten häufig seinen Rat. Ambros verstarb 1990 als »angesehener« Bürger in Mannheim.

Übrigens: Die engen Beziehungen der IG Farben zur faschistischen Partei offenbarte in einem ZDF-Interview aus dem Jahre 1983 der ehemalige Leiter der Volkswirtschaftlichen Abteilung des Konzerns, Heinrich Gattineau. Man habe bereits vor dem 30. Januar 1933 einmalig 100.000 Mark und mehrere Monate lang jeweils 10.000 Mark zugunsten der SA überwiesen. Hinzu kämen noch einmal 250.000 Mark »für Bedürftige« dieser Bürgerkriegs-Armee nach der Machtübergabe. Als bei einem geheimen Treffen am 20. Februar 1933 Hermann Göring und der ehemalige Finanzminister und Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht im Palais des Reichstagspräsidenten Geld bei den Spitzen der deutschen Monopolbourgeoisie für den bevorstehenden Wahlkampf einsammelten, hätte der Vertreter der IG Farben, Georg von Schnitzler, der NSDAP die Überweisung von 400.000 Mark zugesagt. [10] Es ergibt sich angesichts all dessen die Frage nach angemessenen Entschädigungsleistungen der Nachfolge-Firmen der IG Farben (Höchst, Bayer Leverkusen, BASF) für die Opfer der Sklavenarbeit oder deren Nachfahren. Doch diese Frage zu stellen bedeutet zugleich, sie zu beantworten.

 

Anmerkungen:

[1]  Siehe Reiner Zilkenat: »Unternehmen Barbarossa«. Der Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941, in: Mitteilungen der Kommunistischen Plattform der Partei DIE LINKE, Heft 9/2016, S. 9 ff. u. Heft 10/2016, S. 7 ff.

[2]  Siehe Hans Mottek, Walter Becker u. Alfred Schröter: Wirtschaftsgeschichte Deutschlands. Ein Grundriss, Bd. III, Berlin-DDR 1975, S. 336 ff.; Dietrich Eichholtz: Geschichte der deutschen Kriegswirtschaft 1939-1945. Bd. II: 1941-1943, Berlin-DDR 1985, S. 193 ff.; Adam Tooze: Ökonomie der Zerstörung. Die Geschichte der Wirtschaft im Nationalsozialismus, München 2007, S. 611 ff.

[3]  Dokumente zur deutschen Geschichte 1939-1942. Hrsg. von Wolfgang Ruge u. Wolfgang Schumann, Berlin-DDR 1977, Nr. 108, S. 110.

[4]  Zur Verantwortung der IG Farben für den Einsatz von Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen sowie zu den anderen Verbrechen dieses Konzerns siehe IG Farben – Auschwitz – Experimente, Über die Blutschuld der IG-Farben. Dokumente zum II. Auschwitz-Prozess, Berlin o.J. (1966); Reiner Zilkenat: »Gefangene Hitlers«. Ende November 1945 wurden 23 Manager der IG Farben AG verhaftet, in: junge Welt, 2. 12. 2015, S. 12/13.

[5]  Hierzu Falk Pingel: Die KZ-Häftlinge zwischen Vernichtung und NS-Arbeitseinsatz, in: Der Zweite Weltkrieg. Analysen, Grundzüge, Forschungsbilanz, hrsg. von Wolfgang Michalka, 2. Aufl., München u. Zürich 1990, S. 794: »Die IG Farben, Krupp, Siemens, um nur einige zu nennen, haben die gesamtwirtschaftliche Misslichkeit der Vernichtung von wertvoller Arbeitskraft durch den Massenmord an den Juden noch in betriebswirtschaftlichen Nutzen umzumünzen verstanden, indem sie Teile ihrer Werke nach Auschwitz auslagerten, wo eine Minderheit der deportierten Juden die Selektion vorerst überstand, um in den Fabriken zu arbeiten.«

[6]  Siehe SS im Einsatz. Eine Dokumentation über die Verbrechen der SS. Reprint der Ausgabe 1967 (8. Auflage). Mit einem Nachwort von Kurt Pätzold, Berlin 2011, S. 346 (Eidesstattliche Aussage von Ambros). Otto Ambros gab in dieser Erklärung an, insgesamt hätten die IG Farben an das WVHA der SS für die Zurverfügungstellung von Häftlingen als Arbeitssklaven die Summe von 20 Millionen Mark gezahlt.

[7]  Adam Tooze: Ökonomie der Zerstörung, S. 612. Siehe auch das reiche Quellenmaterial in: SS im Einsatz., S. 321 ff.

[8]  SS im Einsatz, S. 339 (Brief vom 4.3.1944).

[9]  Siehe ebenda, S. 343 ff. (Eidesstattliche Erklärung von Otto Ambros).

[10]  Siehe Reiner Zilkenat: »Gefangene Hitlers«.

 

Mehr von Reiner Zilkenat in den »Mitteilungen«: 

2016-10:  Unternehmen Barbarossa. Der Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941

2016-09:  Unternehmen Barbarossa. Der Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941

2016-04:  Nur ein Schloss an der Spree?