Kriegsdrohung und Menschheitsüberleben – in den Wahlen kein Thema
Prof. Dr. Gregor Putensen, Greifswald
Gedanken eines Friedensbewegten
Nun sind sie also vorbei – die Wahlen. Große Erwartungen gerechtfertigt angesichts der Flut an politischen Programmen samt gestellten Bildern und Plakaten! Mit Politikerinnen und Politikern darauf, die uns mit stereotypem Lächeln glauben machen sollten, dass sie sich wirklich ganz speziell für uns mit selbstlosem Einsatz in den Parlamenten abrackern wollen. Zu Nutz und Frommen der großen Masse an »kleinen Leuten« – den angeblich in westlicher Freiheit zu »mündigen Bürgern« gewordenen Wählerinnen und Wählern. Die Palette der verschiedensten Anliegen und Einzelprobleme schien grenzenlos. Die quasi unter »demokratischem« Trommelfeuer stehende, aber auch bereits gut überwachte Wählerschaft machte der Schwall an verheißungsvollen Versprechen zunehmend wuselig oder letztlich gar apathisch. Der Zugang zu den wirklichen Schlüsselfragen der kommenden Entwicklungen ist auf diese Weise mit enormen Material- und Geldaufwand objektiv – aber wohl auch nicht ganz ohne Absicht – blockiert worden. Kein Zweifel – ein in aller Konsequenz geführter politischer Streit um soziale Daseinsvorsorge, Gesundheit und Pflege, Rente, Bildung, Verkehr, Wohnungswesen, Energiewandel usw. angesichts einer wachsenden Privatisierungstendenz oder aber einer vom Grundgesetz gestützten Vergesellschaftung wäre dringend notwendig gewesen. Aber die gebotene Auseinandersetzung hierüber wurde leider dominiert von einer auf kapitalistische Profitinteressen gepolten Medienübermacht, deren manipulative Wirkungen den Wähler/Innen ihre tatsächliche soziale Interessenlage weitgehend verschleiert.
Dies trifft in besonderem Maße zu für die großpolitischen internationalen Fragen wie z.B. den in Hinblick auf seine sozialen Konsequenzen einsetzenden Klimawandel. Bei der Klärung der Frage nach den Prioritäten in der Klimapolitik gerät das Problem einer schon jetzt denkbaren globalen Vernichtung durch waffentechnische Hochrüstung, durch Fehldeutung der strategischen Absichten und militärelektronischen Aufklärung der miteinander konfrontierten Großmächte deutlich ins Hintertreffen. Geradezu erschütternd zeigt sich allerdings für die nachdenklicheren Zeitgenossen die absichtsvolle Intransparenz und Ignoranz der Regierenden auf dem Feld militärischer Sicherheit. Nicht etwa nur in Deutschland, sondern in allen NATO-Staaten, wenn es um die propagandistische Rechtfertigung von Aufrüstung geht. Sowohl hier als auch dort werden die »kleinen Leute« mit psychologisch raffiniertem Russland-Hass zur Duldung oder gar zu einem Bekenntnis zur Militärmacht des jeweils eigenen Landes oder des NATO-Bündnisses gedrängt. Die dominierende Amerikanisierung – und damit Militarisierung - des außenpolitischen Denkens in den Staaten des Westens – darunter in besonders militanter Form in den Ländern Mittelosteuropas – befeuert in Russland aufgrund seiner tragischen Kriegserfahrungen (und nicht zuletzt territorialen Verluste) Tendenzen zu einem lautstarken Nationalpathos. Dies soll offensichtlich die sozialökonomischen Folgen des Rüstungswettlaufs mit der NATO (deren Rüstungsausgaben 16-fach höher als das russische Rüstungsbudget liegen) und der westlichen Sanktionspolitik kompensieren. Unverkennbar wirken sich diese Faktoren auf die ohnehin schwächere Ökonomie des Landes gegenüber dem geballten Potenzial der westlichen Wirtschaftsmächte spürbar aus.
Den machtausübenden »Eliten« im Westen gelingt die Legitimierung ihrer Politik in aller Regel im Rahmen ihrer Informationspraxis durch Halbwahrheiten (bis hin zu totaler Unterdrückung von Fakten), doppelte Standards in den zwischenstaatlichen Beziehungen und diskriminierende Hetzpropaganda samt außenpolitisch-diplomatischer Verleumdung (z.B. gegenüber Russland). Das Gravierende bei all dem ist, dass die für das Überleben der Menschheit in Frieden – also letztlich die bloße physische Existenz jedes Einzelnen – als allerhöchste Handlungspriorität von den meisten politischen Machthabern der heutigen Zeit missachtet oder gar bewusst geleugnet wird. So auch in Deutschland, wo bei allem Schwall von Klimaschutzbekenntnissen in den Wahlen die drohende Gefahr eines vom Westen geschürten kriegerischen Konfliktes mit Russland und perspektivisch auch mit China keinerlei Rolle spielte. Sollte es tatsächlich so weit kommen, werden alle Mühen um die Beherrschung des Klimawandels hinfällig sein.
Die Resonanz für die Friedensbewegung, die diesen Gefahren einer globalen nuklearen Katastrophe seit Jahrzehnten Rechnung trägt, ist dank der etablierten Politik und der ihnen dienenden Medienmacht relativ gering geblieben. Gemessen an den Millionenmassen von Menschen, für die alle jene friedenspolitischen Mahnungen eigentlich von existenziellem Belang sind, wurden und werden kaum wahrgenommen. Die zum Teil bereits in Ehren ergrauten Friedensaktivisten werden – anders als früher noch beschimpfte Vaterlandsverräter – heute von den Medien eher noch milde als politisch lästige Nervensägen gegenüber einer desinteressierten Öffentlichkeit belächelt. Man kann sicher sein, dass die lädierte Wade eines Fußballspielers vom FC Bayern München mehr Aufmerksamkeit und Mitgefühl unter den Volksmassen hervorruft als die Friedensbewegten, die in mutigen Aktionen in Büchel gegen die dort lagernden Atombomben protestieren.
Insofern lassen die absolvierten Wahlen in Hinblick auf die Kernfragen unseres menschlichen Daseins kaum die Illusion zu Antworten oder gar einem positiven Durchbruch aufkommen. »Deutschland, magst ruhig schlafen«? Wie lange noch?
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