Kosovojesuiten
Prof. Dr. Gerhard Oberkofler, Innsbruck
Zur Erinnerung an Zoran Konstantinović [1]
Der aus der altösterreichischen Bukowina stammende jüdische Staatswissenschaftler Jonas Leib (Leo) Stern hat 1940 das »Ringen der Imperialisten um den Balkan« analysiert und gemeint, die Trümpfe des deutschen Imperialismus in der Balkanpolitik seien dessen starker wirtschaftlicher, politischer und militärischer Druck, der sich aus Deutschlands ökonomischer Machtstellung und aus seiner geographischen Lage ergebe. Diese Hauptthese ist seit 1989/1990 aktualisiert, wobei sich Österreich wie 1940 als Ostmark zum Aufmarschgebiet deutscher imperialistischer Interessen auf dem Balkan angeboten hat und anbietet. Österreichs Außenpolitik verabschiedete sich von den Positionen eines Bruno Kreisky und forcierte im Interesse des deutschen Imperialismus den Zerfall Jugoslawiens, dessen Teilrepubliken und autonome Provinzen bis dahin friedlich kooperiert haben. Außenminister Alois Mock verschärfte mit allen seinen Erklärungen den nach der Abspaltung von Kroatien und Slowenien (25. Juni 1991) erfolgten militärischen Aufmarsch gegen serbische Ziele. Mock wurde dabei von einem kleinen Kreis unterstützt, dem auch übergelaufene sozialistische Außenpolitiker wie Wolfgang Petritsch (ab 1999 Hoher Repräsentant für Bosnien und Herzogowina) zugehört haben. Ein Referendum für ganz Jugoslawien wurde von Anfang an abgelehnt, weil von diesen Europaterroristen im Nadelstreif zurecht angenommen wurde, dass dieses für den Weiterbestand Jugoslawiens entschieden hätte. Es war insgesamt eine verbrecherische, nicht zuletzt auf kriminelle Strukturen sich stützende Politik mit dem Ergebnis, dass im Kosovo ein blutiger Bürgerkrieg geführt wurde und am 24. März 1999 NATO-Bomber ihre völkerrechtswidrigen Angriffe auf Serbien begannen (bis 9. Juni 1999). Das US-Imperium hatte sich nach der Implosion der Sowjetunion schon lange für Jugoslawien als Kolonial- und Aufmarschgebiet interessiert.
Erstmals seit 1945 führte Deutschland wieder Krieg und bombardierte Belgrad, wie es das schon auf Befehl Hitlers (6. April 1941) getan hat. Es gibt zweifellos spezifisch nationale Besonderheiten, die für Deutsche charakteristisch sind. Franz Kafka meinte, dass es ziemlich sinnlos sei, eine tschechische Geschichte in deutscher Bearbeitung herauszugeben: »Wer würde das lesen? Nur Tschechen und Juden. Die Deutschen bestimmt nicht, denn die wollen nicht erkennen, begreifen, lesen. Die wollen nur besitzen und regieren, und da ist gewöhnlich das Begreifen nur ein Hindernis. Man unterdrückt den Nächsten doch viel besser, wenn man ihn nicht kennt. Es entfallen die Gewissensbisse.«
Würde eine serbische Geschichte in deutscher Bearbeitung gelesen werden? Für die Praxis der deutschen »Bombenwerte« gibt es aus vielen unterschiedlichen Bereichen Zuspruch. Jesuiten aus Deutschland und Österreich durften nicht fehlen, um die NATO-Bomben gegen die Serben als »humanitären Einsatz« zu begrüßen. Diese katholische Haltung, die mit dem Christentum nichts zu tun hat, war auch auf dem Balkan nicht neu. Die katholische Kirche hat bis zuletzt den Ustascha-Staat Kroatien mit der Absicht gesegnet, die serbischen »Ketzer« zu vernichten. Die »Theologie des Todes« hat unter deutschen Jesuiten Tradition. Viele von ihnen haben die Militarisierung Westdeutschlands ideologisch begründet.
In einem traditionell antijugoslawischen österreichischen Kampfblatt begründete der Moraltheologe und Sozialethiker Herwig Büchele SJ [2] am 24. April 1999, weshalb er es ablehne, den Aufruf der Friedensbewegung zur Einstellung der NATO-Bombardierungen, zum Rückzug der serbischen Armee aus dem Kosovo und die Wiederaufnahme von Verhandlungen unter Führung der UNO zu unterschreiben. Wenn die NATO die Angriffe einseitig einstelle, stünde sie als Verlierer da, es gebe keine andere »Ordnungsmacht«, die einen Ausweg erwirken könne, die UNO habe versagt. Mit keinem Wort denkt dieser im akademischen Milieu hofierte Sozialethiker Büchele SJ an die Opfer des Bombenterrors.
Die Opfer von Krieg und Gewalt sind auch Axel Bödefeld SJ egal, wenn er im Märzheft dieses Jahres in der renommierten deutschen Jesuitenzeitschrift »Stimmen der Zeit« über den Kosovo, der die Wiege des serbischen Volkes und Bestandteil seiner Identität war, als »Staat ohne Volk« schreibt. In diesem Jesuitenartikel wird nichts über den nach dem NATO-Sieg errichteten zweitgrößten US-Militärstützpunkt im Kosovo gesagt, aber es wird angedeutet, wie sich Deutschland an der Kolonisierung dieses Landes beteiligt. Gemeinsam mit der kroatischen (!) und österreichischen Ordensprovinz haben die deutschen Jesuiten ein jesuitisches Schulzentrum in Prizren aufgebaut, dessen antiserbische Grundidee offenkundig ist. Die NATO-Bombardierung wird als Operation Allied Force verharmlost, dieser zehnwöchige »reine Luft-Boden-Krieg« sei »fragwürdigerweise ohne Bündnisfall und ohne UN-Mandat« gewesen. Und wieder findet dieser deutsche Jesuit kein Wort über die Bombenopfer, er bedauert dagegen, dass die deutschen Kontingente sich aus ihrer Basis in Prizren verabschiedet haben. Papst Franziskus, der im Jesuitenorden groß geworden ist, hat wahrlich noch viel zu tun, wenn er die Worte seines Ordensgründers in die Praxis umsetzen will: »Die Liebe muss mehr in die Werke als in die Worte gelegt werden«.
Anmerkungen:
[1] Serbischer Literaturwissenschaftler (1920-2007), geboren in Belgrad, ab 1970 Gründungsdirektor des Instituts für Vergleichende Literaturwissenschaft in Innsbruck.
[2] Das Ordenskürzel SJ der Jesuiten steht für »Societas Jesu«.
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