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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Eine Erinnerung an Camilo Torres Restrepo aus Anlass der Reise von Papst Franziskus nach Kolumbien

Prof. Dr. Gerhard Oberkofler, Innsbruck

 

Bei seinem Besuch in Berlin im August 1970 hat der kolumbianische katholische Theologe Germán Guzmán Campos hervorgehoben, »dass sich die fortschrittli­chen Kräfte in Latein­amerika in ihrem Ringen gegen den Imperialismus mit der Deutschen Demokratischen Re­publik verbunden fühlen und in deren Friedens­politik eine starke moralische Unterstützung ihres eigenen Befreiungskampfes sehen«. Guzmán be­urteilte den durch die Zusammenar­beit der demokra­tischen Kräfte in der DDR ermöglichten Versuch eine so­zialistische Ge­sellschaftsordnung aufzubauen als ein »er­strebenswertes Ziel aller Ausgebeuteten und Unterd­rückten«.

Von Guzmán war Ende 1968 im Union Verlag (VOB) Ber­lin die von ihm 1967 in Bogotá  un­ter dem Titel »Camilo, El Cura Guerillero – Presencia y Destino« pu­blizierte Bio­graphie sei­nes Freundes und Kampfgefähr­ten Camilo Torres Restrepo (1929-1966) in deutscher Sprache er­schienen (»Camilo Torres. Persönlichkeit und Entschei­dung«, 376 S.) Dieses Buch bot über den biographischen Rahmen hinaus einen engagierten Ein­blick in die gesell­schaftlichen Verhältnisse Lateiname­rikas, speziell von Kolumbien. Obschon politisch und formal selbständig, waren die lateinamerikanischen Länder in verschiedenen Formen de facto unter der brutalen Kolonialherrschaft der USA. W. I. Lenin hat in seiner Schrift über den Impe­rialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus diese mit dem ersten Weltkrieg einset­zende Epoche analysiert (1917). Gegen die von mörderischer Unterdrückung beglei­tete Ausplünderung und gegen das ungeheure, von den Reichen verursachte Elend der Ar­men haben sich lateinamerikani­sche Christen immer wieder in Volksbewegungen organi­siert und sich aktiv an den revolu­tionären Kämpfen beteiligt. Zu ihnen gehörte der kolumbianis­che römisch katholische Priester Torres, der für Lateinamerika zu einem Symbol für die Parteinahme katholischer Christen für eine revolutionäre Umkehr der Geschichte gewor­den ist. Während seiner Aus­bildung in Europa hat Torres die Dialektik von Armut und Reichtum als Soziologe wissen­schaftlich studiert und in Paris an der Seite von Arbeiter­priestern kennengelernt. 1965 hat Torres die »Plattform für eine Bewegung der Volksein­heit« verfasst und beim Erzbischof von Bogotá um die Entpflichtung vom Priesteramt gebe­ten, er wollte sich nicht an die Tafel der Reichen und der Enteigner der Armen setzen. Das veranlasste den Erzbischof von Bo­gotá, Torres zu verurteilen und die Katholiken Kolum­biens aufzurufen, Torres nicht zu fol­gen.

Am 19. Juni 1965 hat Torres in Medellín eine Rede gehalten: »Ich bin von bürgerlicher Her­kunft. Aber ich bin zu den Massen, die die kolumbianische Revolution durchführen werden, getreten, mit der Bitte, mich als Revolutionär aufzunehmen, und ich verspreche von hier aus, dass ich ein guter Revolutionär sein werde«. Am 15. Februar 1966 wurde Torres in ei­nem Gefecht mit den Söldnern der herrschenden kolumbianischen Klasse getötet. Torres ist kein »marxistischer Extremist«, mit welcher Qualifikation ihn das deutsche katholische Feuilleton gerne an den Rand drängen möchte. Torres ist ein christlicher Märtyrer, der we­gen seiner Option für die Armen den »Preis der Gerechtigkeit« (Jon Sobrino) zu zahlen be­reit war und diesen auch zahlen hat müssen.

Schöne, durchdachte Gutachten zur Drucklegung im Union Verlag haben dessen Lektoren Horst Hartwig und Carl Ordnung geschrieben, das Nachwort im Buch Otto Hartmut Fuchs. Hartwig war der Meinung, dass die Biographie von Torres geeignet sei, kirchlichen Kreisen in der DDR positive Denkanstöße zu vermitteln, um die Stellung des Christen zur Revoluti­on und zum Sozialismus zu klären. Das war im Rückblick eine Illusion, wenn man an die vielen in der DDR tätigen, von den imperialistischen Kräften korrumpierten Pastorengaucks denkt. Ordnung betont, die Torres-Biographie von Guzmán würde nahezu alle gesellschaft­lichen Grundfragen der Epoche behandeln, die Antworten von Torres darauf seien partei­lich, nämlich: »gegen den USA-Imperialismus für eine revolutionäre Umwälzung im Sinne des Sozialismus«. Otto Hartmut Fuchs, Widerstandskämpfer gegen die Naziherrschaft und im Friedenskampf engagierter Christ in der DDR, war 1968 Teilnehmer des 39. Eucharis­tischen Weltkongresses in Bogotá. Zu diesem war Papst Paul VI. gekommen, dessen Enzy­klika »Populorum progressio« (1967) von den korrupten lateinamerikanischen Hierarchien und katholischen Eliten nahezu völlig ignoriert wurde.

Torres hat seine eigene Position so definiert: »Ich bin Revolutionär als Kolumbianer, Sozio­loge, Christ und Geistlicher; als Kolumbianer, weil ich bei den Kämpfen meines Volkes nicht abseits stehen kann; als Soziologe, weil ich dank meiner wissenschaftlichen Kenntnis von den Realitäten zu der Überzeugung gelangt bin, dass wirksame Lösungen nicht ohne eine Revolution herbeigeführt werden können; als Christ, weil das Wesen des Christentums in der Nächstenliebe liegt und weil nur durch die Revolution das Wohl für die Mehrheit er­reicht werden kann; als Geistlicher, weil die Hingabe für den Nächsten, die von der Revolu­tion verlangt wird, ein Erfordernis der brüderlichen Barmherzigkeit ist, welches für das Op­fer der Messe unerlässlich ist, denn dieses Opfer kommt nicht vom Einzelmenschen, son­dern nimmt seinen Weg vom ganzen Gottesvolk über Christus«.

In einem anderen Kontext wendet sich Torres an Kommunisten: »Als Soziologe bin ich nicht Anti-Kommunist, da die kommunistischen Pläne zur Bekämpfung von Armut, Hunger, Anal­phabetentum, Wohnungsnot und Mangel an sozialer Fürsorge wissenschaftlich fundierte, wirksame Lösungsmöglichkeiten enthalten«.

Torres hat sich leidenschaftlich gegen die »Theaterrevolutionäre« und jene gewandt, »die einen Touristenabstecher in das Elend des Volkes unternehmen«, er wandte sich gegen re­volutionäre Schreihälse ebenso sowie gegen die opportunistischen, snobistischen und bohêmehaften Transformerzähler: »Die wahrhafte Revolution ist elementar, sie hat ihre Wurzeln in den Indios und Mestizen, den Arbeitern und Bauern«, er forderte eine Bewe­gung, »in der sich über Parteiinteressen hinweg Werktätige, Intellektuelle und Vertreter der Universität zusammenfänden«.

Die Reise von Papst Franziskus nach Kolumbien macht die Erinnerung an Camilo Torres Re­strepo lebendig, weil Papst Franziskus in Konfrontation zu seinen beiden Vorgängern glaubwürdig als Papst der Armen und des Friedens auftritt. Es ist aber mit Hans Heinz Holz daran zu erinnern, dass das Vatikansystem es immer verstanden hat, in überkommende Bahnen zurückzukehren.                                  

Der Papst bereiste Kolumbien Anfang September 2017. Dieser Beitrag erschien zuerst in RotFuchs, 12/2017.– Red.

 

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