Kein Ruhmesblatt
Hans Canjé, Berlin
Bundestagsmehrheit verweigert kommunistischen Widerständlern weiter die Ehre
"Kommunistinnen und Kommunisten gehörten während der Nazidiktatur zu den aktivsten Widerstandskämpfern; sie wurden in den Konzentrationslagern geschunden, gequält und ermordet. Es gab und gibt keinerlei Grund, Menschen aus dieser Opfergruppe eine Entschädigung vorzuenthalten." Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen.
"Es gilt endlich anzuerkennen, daß die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit in der Bundesrepublik Deutschland eben nicht nur eine Erfolgsgeschichte war. Im Gegenteil: Klären wir auf, wie sich die Täter einrichteten, die für tausendfachen Mord verantwortlich waren, und gedenken wir der Opfer und derer, die mutig Widerstand leisteten – egal, ob sie Kommunisten, Sozialdemokraten oder Konservative waren." Jan Korte, Fraktion Die Linke.
Eine Sternstunde der obersten Volksvertretung dieses Landes war das nicht, was da in den späten Abendstunden des 11. November 2010 im Berliner Reichstag ablief. Es war nicht einmal eine Stunde; es war der bloße, vielleicht 30 Sekunden währende Aufruf des Tagesordnungspunktes 14, Antrag der Fraktion Die Linke: "Widerstand von Kommunistinnen und Kommunisten gegen das NS-Regime anerkennen". (Drucksache 17/2201) Dazu die Anmerkung des amtierenden Präsidenten, daß der Antrag zur weiteren Beratung an diverse Ausschüsse weitergeleitet wird. Schluß. Nächster Punkt. Thema abgehakt, auf die lange Bank geschoben. Als der Tagesordnungspunkt aufgerufen worden war, hatten die Fraktionsvertreter ihre Redebeiträge vorweg schon zu Protokoll gegeben.
Das Thema hätte eine Aussprache wohl verdient. Ging es doch um den Widerstand gegen den Faschismus, und um die Bekräftigung: Wer ihn geleistet hat, der hat sich, wie es im Bundesentschädigungsgesetz (BEG) steht, Verdienste um das deutsche Volk erworben. Es ging um die Unteilbarkeit dieses Widerstandes und darum, daß es keine Ausgrenzung geben darf. Darum der Antrag der Linksfraktion: "... durch eine öffentliche Geste die Zugehörigkeit der deutschen Kommunistinnen und Kommunisten zum Erbe des Widerstandes gegen das NS-Regime zum Ausdruck zu bringen und damit eine Rehabilitierung der als Kommunistinnen und Kommunisten von den Leistungen nach dem BEG ausgeschlossenen Menschen vorzunehmen."
Die Vertreter von CDU/CSU, FDP und SPD, (letzterer allerdings nicht so infam in der Diktion des finsteren Kalten Krieges wie die schwarz-gelben Koalitionäre) verweigern diese Geste und die geforderte Rehabilitierung. Es gibt, so das Ergebnis der ersten Lesung des Links-Antrages, kein Pardon für Karl Schabrod, für die Brüder Kurt und August Baumgarte, für Doris Maase und Martha Hadinski. Die fünf Namen stehen hier stellvertretend für viele Betroffene, die als Mitglieder der KPD unter Einsatz ihres Lebens Widerstand gegen das faschistische Regime leisteten. Von den 147 Monaten, die das "tausendjährige Reich" währte, hat Schabrod 143 Monate in Haft verbracht. Für jeden Monat Haft erhielt er fünf Mark "Entschädigung".
Eine Folge des nach 1945 in der Alt-BRD bald einsetzenden "fast religiöse Züge annehmenden Antikommunismus" (Jan Korte von der Linksfraktion in der Begründung des Antrags) war die Änderung des BEG. Damit wurde denen die Entschädigung für in den Jahren der Verfolgung erlittenes Leid und Unrecht aberkannt, die nach dem 23. Mai 1949 "die freiheitlich-demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes" bekämpft haben. Das ging gezielt gegen die Kommunisten, deren Partei, die KPD, am 17. August 1956 verboten wurde. Der Kommunist Karl Schabrod, der zu den Kommunalwahlen im Herbst 1958 als unabhängiger Kandidat antrat, machte sich so im Sinne des BEG schuldig. Im Juli 1959 war er wegen Zuwiderhandlung gegen das KPD-Verbot zu neun Monaten Gefängnishaft verurteilt worden. Damit wurde ihm auch die Eigenschaft als NS-Verfolgter abgesprochen, was verbunden war mit der Streichung der Opferrente für zwölf Jahre faschistischer Verfolgung. Martha Hadinski und Doris Maase mußten gar bis dahin erhaltene Leistungen zurückzahlen.
Das Protokoll dieser Bundestagssitzung ist ein erschütterndes Dokument des fortwährenden Ungeistes des Antikommunismus. Man lese nur die Erklärung z.B. des CDU-Abgeordneten Klaus Peter Willich (CSU). Die Linke solle "endlich ihren ideologischen Ballast abwerfen" und: "Belästigen Sie nicht immer wieder dieses Haus mit ihrer kommunistischen Traditionspflege." Der Antrag und die gestellten Forderungen seien abzulehnen, so Bettina Kudla (CSU), die das Versagen der Wiedergutmachung als "ein klares Bekenntnis zu unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung" bezeichnete. Von "angeblichen Ungerechtigkeiten" sprach Stefan Ruppert (FDP) und nannte es richtig, daß diejenigen Kommunisten, "die von einem in den anderen Totalitarismus wollen, keine Entschädigung nach dem BEG erhalten."
So bleibt nach diesem 11. November der Satz fortzuschreiben, den Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen, an den Beginn seines Redebeitrags gestellt hat: "Die Geschichte des Entschädigungsrechts für Opfer des NS-Unrechts in Deutschland ist in vielen Bereichen wahrlich kein Ruhmesblatt."
(antifa 1-2/2011, Seite 8)
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2008-06: Notstand
2007-11: Einebnung statt Vertiefung des Gedenkens