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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Kehrtwende zu weni­ger Rüstung nicht in Sicht

Interview mit Sigmund Jähn

 

Vor 40 Jahren flog Sigmund Jähn ins All. Kurz danach lernte ich ihn kennen und hatte immer mal wieder die Möglichkeit zu kurzen Unterhaltungen. Natürlich bewunderten wir alle einen Menschen, der im All gewesen war, nicht zuletzt für den Mut, der dazugehörte. Aber nicht weniger beeindruckend war die Ruhe, die er ausstrahlte, die Bescheidenheit, die ihn charak­terisierte, dieses Freisein von jeder Eitelkeit. Nicht den geringsten Zweifel gab es an seiner persönlichen Integrität, an seiner Aufrichtigkeit. Ich freute mich sehr auf das Treffen mit ihm, um das nachstehende Interview zu machen. Ich traf einen Sigmund Jähn, von dem ich nichts anderes sagen könnte als schon vor 40 Jahren. Danke dafür.

 

Ellen Brombacher: Am 26. August 1978 bist Du gemeinsam mit Waleri Fjodorowitsch Bykow­ski zur sowjetischen Raumstation Salut 6 geflogen. Wie wurdest Du ausgewählt?

Sigmund Jähn: Zu Beginn des Auswahlverfahrens habe ich nicht geglaubt, dass ich bei die­ser spannenden Geschichte bis in die Endrunde komme. Zunächst kam ich aber ins Grü­beln, als ich eines Morgens im Sommer 1976 unerwartet zum Chef Luftstreitkräfte gerufen wurde. Der Weg war nicht weit; doch gab es in meinem Gedächtnis nichts, was mich auf eine Fährte hätte bringen können. Mit einem Flugunfall konnte es nicht zusammenhängen – davon hätte ich als Inspekteur Flugsicherheit wissen müssen.

Wie sich bald herausstellte, trafen sich im Vorzimmer unseres Chefs Luftstreitkräfte etwa zwanzig Offiziere – alle Jagdflieger aus verschiedenen Geschwadern und Stäben, die aus dem Jugendalter heraus waren und über entsprechende fliegerische Erfahrungen verfüg­ten. Was uns erwartete, wusste zunächst keiner dieser Männer. Im geräumigen Dienst­zimmer von General Reinhold, in welches wir einzeln hineingerufen wurden, befand sich auch ein Herr in Zivil. Wie sich herausstellte, war es der Chef der Akademie der Wissen­schaften der DDR, Prof. Claus Grote, der uns »Kandidaten« einzeln »empfing«, ihnen reinen Wein einschenkte und sich wohl auch ein Bild von diesen ausgewählten Fliegern machen wollte. Es ging um einen Raumflug! Prof. Grote räumte auch eine Bedenkzeit ein – auf die ich freilich verzichten konnte.

Wenige Wochen später trafen sich zwischen 10 und 15 (die Zahl änderte sich laufend) ge­standene Jagdflieger auf einem Lehrgang in Königsbrück. Dort befand sich die medizini­sche Einrichtung für die Fliegerkräfte der Nationalen Volksarmee der DDR. Diesmal ging es um ein spezielles medizinisches Auswahlverfahren und um ein paar Wochen »Auffrischung« unserer Kenntnisse und Fähigkeiten in Russisch, Mathematik, Physik und Sport. Noch im Oktober jenes Jahres bekamen wir Besuch aus Moskau. Eine Gruppe sowjetischer Raumfahrtmediziner sollte die Auswahl von vier Kandidaten aus jener Gruppe unterstützen. Für mich stellte sich deren medizinisch/praktische Erfahrung als außeror­dentlich positiv, ja sogar hilfreich heraus: Ich war natürlich gesund und flugtauglich als Jagdflieger. Doch gab es eine Klippe im Hals-Nasen-Ohren Bereich, und zwar beim Test des Geruchssinnes. Bei den drei Substanzen, die mir von unserem Arzt in einer Art Reagenz­glas nacheinander unter die Nase gehalten wurden, konnte ich deren Namen nach ihrem Geruch nicht nennen. Es verdüsterte sich das Gesicht unseres Hals-Nasen-Ohren-Doktors. »Kannst Du nicht riechen?«, fragte er mich. Den Geruch verschiedener Küchengewürze, die der Doktor wohl aus der häuslichen Küche geholt hatte, konnte ich schon unterscheiden – nur zu definieren und zu benennen war mein Problem. Ich war und bin kein Küchenfreak. In dieser für mich prekären Situation ergriff der russische Facharzt, der gerade zu diesem Zeitpunkt (und zu meinem Glück) in den Raum gekommen war, nacheinander die Proben, roch daran und reichte mir eine davon, aus dem ich schon von weitem Essiggeruch verspürte. Ich sagte sofort »Uksus« – das ist der russische Name für Essig – und er sagte »choroscho« (gut).

Wie sich herausstellen sollte, war ich damit in den Kreis der vier Kandidaten aufgestiegen, denen weitere Untersuchungen und in der Folge personelle Kürzungen um zwei Mann di­rekt im Sternenstädtchen bevorstanden. In wohl unterschiedlicher Stimmung reisten wir nun vier Kandidaten ins Sternenstädtchen bei Moskau. Es war klar: Nur zwei würden übrig bleiben. Eigentlich sogar drei; weil inzwischen durchsickerte, dass der Vorschlag für die Nummer 1 schon in der Meldung an Erich Honecker geschrieben stand. Die Untersuchun­gen im Sternenstädtchen waren tiefgründig, fast kameradschaftlich und erforderten auch gute Sprachkenntnisse. Im Ergebnis wurden nur Eberhard Köllner und ich als raumfahrt­tauglich bestätigt. Nach einigen Monaten wurden zwei Besatzungen nominiert: Als erste Besatzung Waleri Bykowski mit Sigmund Jähn; als zweite Besatzung Wiktor Gorbatko mit Eberhard Köllner. Das war ein guter Ausgangspunkt für Waleri und für mich, den wir auch in den theoretischen und praktischen Zulassungsprüfungen bis zum August 1978 halten konnten. Eberhard Köllner hätte ebenso die Nummer 1 sein können. Auf unser gutes Ver­hältnis und sogar das unserer Frauen untereinander hatte diese Entscheidung bis heute keinen Einfluss.

Wie lange warst Du im Sternenstädtchen?

Fast zwei Jahre waren es bis zum Flug. Wir reisten noch vor Jahresende 1976 und kamen zu Ende September 1978 zurück. Meine Familie war in jener anspruchsvollen, aber hoch­interessanten Zeit bei mir, und unsere jüngere Tochter besuchte die russische Schule im Sternenstädtchen mit Erfolg. Sie hatte auch die Chance, im Sommer gemeinsam mit ihren neuen Klassenkameraden die berühmten Ferienlager an der Schwarzmeerküste kennenzu­lernen. Man sagt ja, Kinder können eine Sprache spielend lernen, und so war es auch bei ihr. Unsere ältere Tochter war damals schon 18. Sie musste und wollte zu Hause bleiben und hat ihr Leben in dieser »stürmischen« Zeit auch gemeistert.

Wie ging es Dir am Vortag des Fluges?

Das Gefühl von Angst habe ich mir in der konkreten Situation nicht zugestanden. Ich wuss­te doch worauf ich mich einlasse. Aufregung oder gar Angst machen eine schwierige Situa­tion nicht einfacher – eher problematisch oder gar gefährlich. Stresssituationen waren mir als Jagdflieger ja nicht unbekannt. Ich musste mich einmal aus einem Kampfflugzeug kata­pultieren. Ich sah, kurz nachdem sich mein Fallschirm entfaltet hatte, wie mein Flugzeug in den Wald stürzte, einige Bäume umknickte und sofort explodierte. Wenige Sekunden – durch Unsicherheit oder Angst verloren – und ich hätte niemals eine kosmische Rakete auch nur aus der Nähe gesehen. Über meine Familie will ich dabei gar nicht reden. Doch zurück zu den Momenten unmittelbar vor dem Start. Natürlich geht einem der Puls hoch. Doch es ist nicht etwa pure Angst. Aufgeregt war ich auch wegen eines anderen Problems. Unmittelbar vor der Zündung der Rakete war für mich vorgesehen eine Erklärung zu dem bevorstehenden Raumflug abzugeben. Ich wusste, diese würde zu Hause über die Sender übertragen. Natürlich wäre es eine schwache Leistung gewesen – hätte ich dabei Unsicherheit gezeigt oder mich gar verhaspelt. Rundherum betrachtet kann man den Start in der Spitze einer mächtigen Rakete natürlich nicht mit einer Spazierfahrt, etwa mit einem Schiff auf der Elbe, vergleichen.

Erinnerst Du Dich an Deine Gedanken, als Du unsere Erde aus der Weltraumperspektive ge­sehen hast?

Wichtiger als philosophische Betrachtungen anzustellen war es zunächst, die erforderli­chen und mehrfach geübten Tätigkeiten gemeinsam und punktuell auszuführen. Freilich hinter-lässt der Blick auf die Erde, die man glaubt schon verlassen zu haben, auch viele nachhaltige Eindrücke. Es ist für mich heute noch ärgerlich und entzaubert den so genann­ten wissen-schaftlichen Fortschritt, dass die atemberaubenden Entwicklungen in Wissen­schaft und Technik in großem Umfang einem militärischen Zweck dienen. Die Menschheit befindet sich gegenwärtig in einem Stadium der wissenschaftlichen und technischen Ent­wicklung, in dem der Einsatz von »immer besseren« (!?) nuklearen Waffen zu unübersehba­ren Folgen führen kann. Wir sehen, wohin die Fahrt geht, doch eine Kehrtwende zu weni­ger Rüstung und zu mehr gemeinsamem friedlichem Tun ist nicht in Sicht. Manche suchen sogar schon nach alternativen Planeten für die Zeit, nach der wir unsere Mutter Erde aus­geraubt oder zerbombt haben. Dabei kann nur eine gemeinsame, dem Frieden und der Völ­kerverstän-digung dienende Entwicklung der Menschheit die Alternative für die Zukunft der Menschheit sein. Ich betrachte auch die gemeinsame Entwicklung von Raumfahrttechnik und die erfolgreichen gemeinsamen Raumflüge von Vertretern verschiedener Länder und Kontinente als einen gangbaren und erfolgreichen Weg für die zukünftige Entwicklung der Menschheit.

Wie ging es nach dem Weltraumflug weiter?

Da gäbe es sehr viel zu berichten. Ich möchte mich beschränken. Der Raumflug hat mir die Möglichkeit gegeben, zu promovieren. Ich habe bei hervorragenden Wissenschaftlern der Akademie der Wissenschaften unseres Landes und der Sowjetunion die beste Unterstüt­zung gefunden, so vor allem bei den Professoren Grothe, Kautzleben und anderen. Bis heu­te bin ich Ehrenmitglied der Leibniz-Sozietät mit Sitz in Berlin.

Bereits 1988 wurde ich in das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) nach Köln eingeladen. Dort und auf verschiedenen Kongressen lernte ich Leute kennen, die in der da­maligen Bundesrepublik Verantwortung trugen und mit Raumfahrt befasst waren, so auch den Astronauten Ulf Merbold. Das war objektiv die Vorstufe zu den guten Kontakten, die ich bis heute habe. Ich berichtete über Erfahrungen aus der Sowjetunion, half, Beziehun­gen zu russischen Ärzten und weiteren sowjetischen Raumfahrtspezialisten zu knüpfen. Mit der Aufnahme vertraglicher Vereinbarungen zwischen dem DLR und dem russischen »Sternenstädtchen« über die Ausbildung von Raumfahrern (der »alten Bundesrepublik«) be­gleitete ich die ersten Kandidaten aus dem DLR (Köln) während Ihrer Auswahluntersuchun­gen und dann auch der Ausbildung im Sternenstädtchen bei Moskau. Später war ich im Sternenstädtchen noch mehrere Jahre im Interesse der Ausbildung von Astronauten der ESA tätig.

Was machst Du gegenwärtig?

Bis heute hat mich die so genannte Öffentlichkeitsarbeit fest im Griff. Fast täglich bekomme ich Briefe und Einladungen. Zu meinem 80. Geburtstag waren es mehrere hundert Briefe und sogar etliche Päckchen mit köstlichen Flüssigkeiten. Für die Erledigung der so genannten Fan-Post genieße ich allerdings keinerlei Unterstützung.

Dankbar bin ich dem Deutschen Zentrum für Luft-und Raumfahrt (DLR) als auch der Euro­päischen Raumfahrtagentur (ESA) für die Einbeziehung in zahlreiche Veranstaltungen und andere Aktivitäten. So konnte ich zum Beispiel sowohl den ersten als auch den zweiten Start des deutschen Astronauten Alexander Gerst an Ort und Stelle erleben.

5. Juli 2018 

 

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