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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Jurist aus Freiheitssinn: Fritz Bauer (1903-1968)

Tim Engels, Düsseldorf

 

Es dürfte als kleiner kulturpolitischer Erfolg zu verbuchen sein, daß am 16. Juli trotz Kirmessonntag und Frankreichfest mehr als 65 Besucherinnen und Besucher den Weg in die Black Box, das Kino des Düsseldorfer Filmmuseums, fanden. So sieht es wohl nicht nur Frau Röpke als Koordinatorin des UeberMut-Festivals von "Aktion Mensch", unterstützt vom Freundeskreis des Filmmuseums. Im Rahmen dieses Festivals wurde von der Vereinigung demokratischer Juristinnen und Juristen (VDJ) in Kooperation mit dem Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV), dem Rosa-Luxemburg-Club Düsseldorf und der VVN-BdA der Film "Fritz Bauer – Tod auf Raten" in Anwesenheit der Regisseurin Ilona Ziok gezeigt.

Dr. Fritz Bauer, geboren in Stuttgart; gestorben in Frankfurt; Sohn einer angesehenen, bürgerlich-jüdischen Familie, Jurist und Wirtschaftswissenschaftler, seit 1930 jüngster deutscher Amtsrichter, Sozialdemokrat, Widerstandskämpfer, Zuchthäusler und rassisch Verfolgter des Naziregimes, Berufsverbot, KZ-Häftling, Emigrant und Antifaschist, schließlich in der BRD Generalstaatsanwalt und als solcher "Ankläger seiner Epoche" (M. Stolleis). So ließe sich in wenigen Stichworten das bewegte Leben dieses heute fast vergessenen Intellektuellen beschreiben, den es auszeichnete, immer bei den Menschen gewesen zu sein.

So nimmt es nicht wunder, daß Fritz Bauer einen Vortrag vor den Häftlingen einer JVA mit der Anrede "Meine Kameraden" begann, was wiederum zu einem Sturm der Entrüstung in den konservativen Kreisen führte; sie hielten ihn ohnehin für "töricht" und "ungeeignet" (A. Dregger). Bauer wird sein eigenes Leid vor Augen gehabt haben: die Lagergemeinschaft im KZ.

Fritz Bauer ging es aber auch zeitlebens um eine große Reform des Schuldstrafrechts – er hielt Schuld nicht für meßbar – und um die Reformierung des Strafvollzugs; letzterer sollte demnach ausschließlich Resozialisierungsfunktion besitzen. Entsprechend konterte er den Vorwurf, gegenüber Naziverbrechern mit zweierlei Maß zu messen: Gerade sie hielt er für resozialisierungsbedürftig, da es ihnen regelmäßig "an jedem Respekt vor den überlebenden Opfern der Grausamkeiten" gefehlt habe. "Viele der Täter" seien "weit davon entfernt, die Grundwerte unseres Staates […] in Wort und Tat zu bejahen. Ohne dies ist aber eine Anpassung an unsere Gesellschaft noch nicht erfolgt". Und Bauer wußte als Chefankläger im großen Frankfurter Auschwitz-Prozeß Mitte der 1960er Jahre, wovon er sprach. Die Angeklagten bewegten sich in Stadt und Gericht wie Sieger und äußerten sich ohne jedes Mitgefühl oder Bedauern gegenüber ihren Opfern. "Ein menschliches Wort […] ist nicht gefallen und wird auch nicht fallen" (Bauer). Zu diesem auch geistigen Klima des postfaschistischen sog. Adenauer-Deutschlands gehört, daß Fritz Bauer sein Büro als Exil und den Bereich außerhalb als "feindliches Ausland" betrachtete. Dennoch wußte er daraus Erfolge zu verbuchen.

Der Remer-Prozeß rehabilitierte den deutschen Widerstand. O. E. Remer war NSDAP- und SA-Mitglied sowie Generalmajor der Naziwehrmacht und beleidigte im Wahlkampf der später verbotenen "Sozialistischen Reichspartei" (SRP), der Nachfolgepartei der NSDAP, die Widerstandskämpferinnen und -kämpfer des 20. Juli als Landesverräter. Einer von ihnen, Robert Lehr, stellte daraufhin Strafantrag, auf Weisung Bauers wurde Remer angeklagt. Er wurde schließlich wegen übler Nachrede und Verleumdung zu einer dreimonatigen Freiheitsstrafe verurteilt, der er sich durch Flucht ins Ausland entzog. Fortan getraute sich kaum noch jemand öffentlich, diese mutigen Frauen und Männer als Landes-, Hoch- oder Vaterlandsverräter zu diffamieren.

Während der Diskussion nach dem Film erinnerte VVN-BdA-Kreissprecher Jürgen Schuh an den Widerstands- und Friedenskämpfer Lorenz Knorr, der einen Teil der Bundeswehr-Generalität als Kriegsverbrecher demaskierte. Dafür sollte Knorr im sog. Generalsprozeß bestraft werden. Fritz Bauer weigerte sich, die Anklage zu führen. Dies übernahm dann die Staatsanwaltschaft Wuppertal. Daraufhin wurde Knorr vom Landgericht Wuppertal zunächst zu einer Geldstrafe von 2.000 DM verurteilt, nach elf Jahren stellte das Gericht, nachdem das Urteil vom OLG Düsseldorf aufgehoben und zurückverwiesen worden war, das Verfahren wegen geringfügiger Schuld ein.

Der Auschwitz-Prozeß hingegen brannte die Singularität der Shoah, die industriell geplante und exekutierte Massenvernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden, unauslöschbar in das deutsche Bewußtsein. Nazideutschland, in dem ganze Täterkollektive agierten, wurde als Unrechtsstaat charakterisiert.

Danach begannen die massiven Morddrohungen gegen Bauer. Zum von Bauer angestrebten Euthanasie-Prozeß kam es nicht mehr. "Der Jude wird eben verbrannt." (Bauer). Am 1. Juli 1968 wurde Fritz Bauer tot in seiner Badewanne aufgefunden. Wie er gestorben ist, wird sich heute wohl nicht mehr klären lassen. Aber mit Wagenbach (er bezog dies allerdings später auf den Tod von Ulrike Meinhof) wird man in jedem Fall sagen können, daß es die deutschen Verhältnisse waren, die Bauer umgebracht haben.

Der Film "Tod auf Raten" impliziert dies. Daran gab es bei der Erstaufführung in Frankfurt a. M. massive Kritik, weil die Darstellung im Film unseriös sei. Die Regisseurin Ilona Ziok, die an der Diskussion teilgenommen hat, hält eine konzertierte Kampagne des Landes Hessen, bestimmten Justizkreisen und der "Zeitung für Deutschland" (FAZ) für denkbar, um den Film zu desavouieren. Tatsächlich bleibt jedoch unklar, warum der emeritierte Gerichtsmediziner Gerchow, der die Leichenöffnung Bauers damals vorgenommen hat, meint, daß keine Obduktion im Sinne der Strafprozeßordnung stattgefunden habe. Am Ende kommt es darauf nicht an.

Was bleibt, ist ein Eindruck davon, welche Debattenkultur in dieser Zeit der 1960er Jahre noch vorherrschte. Bauer wandte sich immer primär an die Jugend. In sie setze er seine große Hoffnung. Die Auseinandersetzung mit dem Neofaschismus (SRP, NPD, v. Thadden) traf ihn schwer. Sein Vortrag "Die Wurzeln faschistischen und nationalsozialistischen Handelns", den er extra für Schülerinnen und Schüler ausgearbeitet hatte, durfte nicht publiziert werden. Bauers Freundin und Kollegin Prof. em. Ilse Staff übte während der inoffiziellen Trauerfeier Selbstkritik: "Wir haben es im Großen und im Kleinen zu einer Situation kommen lassen, in der er unendlich einsam, unendlich deprimiert, unendlich traurig gestorben ist." Nach seinem Tod wurde das Verfahren gegen die NS-Ärzte eingestellt.

Fritz Bauer hat sehr für eine antifaschistische Kulturhegemonie gestritten; "im Kampf um des Menschen Rechte" sah er eine "Pflicht zum Ungehorsam". Wir sollten es ihm nachtun.

Quellen:

 

Mehr von Tim Engels in den »Mitteilungen«: 

2011-09: »… fähig, das Unrecht zu wiederholen.«

2010-07: Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung