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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung

Tim Engels, Neuss

 

Verehrte Anwesende, liebe Freundinnen und Freunde, Kameradinnen und Kameraden, August Höhfeld, an dessen Grab wir hier stehen, wurde wegen sogenannter Wehrkraftzersetzung, also Äußerungen gegen den Krieg, in dem Gefängnis an der Ulmer Höh’ in Düsseldorf im Mai 1944 von den Nazis erschossen.

Hermann Düllgen, der hier ebenfalls begraben liegt, wurde in Frankfurt ein halbes Jahr später durch das Fallbeil der Nazis ermordet – er wurde enthauptet wie die Geschwister Scholl und ihre Gefährten der Widerstandsgruppe "Weiße Rose".

Wie kann man es anders nennen, als daß wir am 8. Mai 1945 von der Nazibarbarei befreit worden sind!? "Befreiung – was sonst!?" [VVN-Plakat] Das fragen vor allem die Verfolgten des Naziregimes, die Überlebenden der Shoah, die Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfer. Befreiung von einem Regime, das Weltherrschaftspläne verfolgte und dabei weit mehr als 50 Millionen Tote hinterließ – eine kaum faßbare, kaum vorstellbare Zahl.

Es waren die Mitglieder der Internationalen Föderation des Widerstands, unserer Dachorganisation, die Angehörigen der Alliierten Streitkräfte, vor allem der Roten Armee, und der Partisanen, die den Sieg für die vom deutschen Faschismus bedrohten Völker errangen.

Noch im April 1945, wenige Tage vor der Befreiung, wurden in der Wenzelnbergschlucht – gar nicht weit von hier – zwischen Langenfeld und Leichlingen 71 politische Häftlinge von der SS hingerichtet – sie sollten nicht das Neue Deutschland aufbauen. Bei dieser Gedenkveranstaltung sind jährlich fünf Bürgermeisterinnen und Bürgermeister präsent – daran sollte sich die hiesige Stadt ein Beispiel nehmen. Für die VVN sprach dort vor zwei Wochen der ehemalige Kreisvorsitzende des DGB Solingen, der Politik-Professor Jörg Becker. Er warnte eindringlich vor der Relativierung des Faschismus und damit einhergehend einer neuen Form des Rassismus: der Islamophobie oder Islamfeindlichkeit. Dabei machte Becker zweierlei deutlich:

Zum einen, die Parole der VVN aufgreifend, daß Faschismus nicht einfach nur eine Meinung sei, die unter dem Schutz des Art. 5 GG stehe, sondern eben ein Verbrechen, das entsprechend sanktioniert werden müsse, zum anderen "daß unsere Gesellschaft weder in den 20er Jahren [des vergangenen Jahrhunderts; T.E.] noch heute von ihren Rändern her bedroht" würde –, sondern aus ihrer Mitte heraus! Das, was Stichwortgeber wie Sarrazin vorgeben, wird von den Pro-Parteien der Extremen Rechten in Allianz mit der NPD aufgegriffen. Schließlich warnte Becker vor jeder Gleichsetzung der Extremen Rechten mit einem wie auch immer gearteten linken Radikalismus. "Solche Vergleiche" seien "geschichts- und strukturblind, dumm und hochgradig ideologisch".

Dies deshalb, weil sie die heute vorherrschende Totalitarismusdoktrin bedienen. Die findet sich nicht etwa in neurechten Postillen wie der "Jungen Freiheit", sondern auch bei den Ämtern für Verfassungsschutz, der Bundeszentrale für politische Bildung, den Schulen sowie dem Europäischen Parlament.

2006 beschloß der Europarat die "Notwendigkeit der Verurteilung von Verbrechen totalitärer kommunistischer Regime". Im letzten Jahr erst folgte das Europäische Parlament einer Initiative der extremen Rechten. Es rief mit überwältigender Mehrheit den 23. August zum "europaweiten Gedenktag für die Opfer aller totalitären und autoritären Regime" aus. An diesem Tag wurde 1939 der Nichtangriffsvertrag zwischen Deutschland und der UdSSR geschlossen.

Nazideutschland und der Sowjetunion sollte gleichermaßen die Schuld am Ausbruch des Zweiten Weltkriegs gegeben werden (so Thomas Lutz, der Aussteller der "Topographie des Terrors" [der Nazis] in: jW, 28.4.10).

Zwar können wir heute in der renommierten "Zeitschrift für Rechtspolitik" des Beck-Verlages lesen, daß in Westdeutschland im Gegensatz zur DDR ganze Tätergruppen der Strafverfolgung entzogen wurden – nach dem sogenannten "Unsere-Leute-Mechanismus". So funktionierte auch die Deckung des ehemaligen NSDAP-Kreisleiters Gerhard Thiele, der noch 1945 Eintausend KZ-Häftlinge in einer Scheune bei Gardelegen verbrannte. Insbesondere im Zusammenhang mit ihm wurde behauptet, die DDR habe NS-Täter gedeckt. Tatsächlich lebte er als Herr Lindemann ungeschoren bis zu seinem Lebensende in Nordrhein-Westfalen.

Und so sind die Prozesse gegen Boere und Demjanjuk nicht die Ausnahme, sondern die Regel: Letzterer wird – dies festzustellen heißt nicht, Mitleid mit ihm zu haben – als kleiner KZ-Aufseher, dem ein eigenhändiger Mord noch nicht einmal vorgeworfen wird, "zu einem großen NS-Verbrecher hochstilisiert" während seine deutschen Befehlsgeber "samt und sonders freigesprochen" wurden.

Auch die Morde an den KZ-Häftlingen, die den Todesmärschen entfliehen konnten, und "von der deutschen Bevölkerung in den letzten Kriegsmonaten gejagt und getötet" wurden, blieben ungesühnt.

Zu diesen sogenannten Endphasenverbrechen gehört auch das "Grauen von Rechnitz", wie es plastisch im Süddeutschen Magazin der letzten Woche beschrieben wurde. Dort massakrierte die Festgesellschaft der Thyssen-Gräfin Batthyány 180 jüdische Zwangsarbeiter während der Feier – als Belustigung sozusagen. Der letzte Augenzeuge wurde 1966 ermordet. Das Dorf schweigt bis heute. Der von Thyssen protegierte Haupttäter Podezin lebte bis zu seinem Tod unbehelligt in Johannesburg. "Die Firma, für die er in Südafrika tätig war, Hytec, arbeitet noch heute mit […] Thyssen-Krupp zusammen". Die Gräfin verhalf ihm zur Flucht. Der Rattenschwanz. Daß die begnadete Jägerin selbst geschossen hat, die danach "wie aufgedreht" war, glaubt der Großneffe nicht. Er ist sich sogar sicher, obwohl es keine Entlastungsbeweise gibt.

In der heutigen Wochenendbeilage der Süddeutschen darf der Nazisohn Albert Speer dafür schwadronieren, daß Hitler ein "netter Onkel" gewesen sei.

Nicht vergessen sollten wir in diesem Zusammenhang "die Aktion Rheinland", nach der fünf Düsseldorfer Bürger wegen ihres Versuchs, die Stadt kampflos an die Westalliierten zu übergeben, noch am 17. April 1945 standrechtlich erschossen wurden. Der überlebende Christdemokrat Aloys Odenthal wurde Ehrenbürger; die Todesurteile allerdings erst 1999 per Gesetz aufgehoben.

Oder Else Gores, in deren Keller sich Wehrmachtsdeserteure versteckten, und die dafür von der Heeresstreife Kaiser hingerichtet werden sollte. Von einem Streifschuß am Hals schwer verletzt, wurde sie von Spaziergängern am 12. April 1945 aus dem Elleraner Forst in die "Waldschänke" gebracht, von wo aus die Polizei verständigt wurde. Es kam jedoch erneut die Heeresstreife, die Else verschleppte und ermordete. Else Gores wurde 26 Jahre alt; ihre Leiche wurde nie gefunden.

Und nicht zuletzt: der Maat Heinrich Glasmacher aus Neuss-Holzheim, der im Mai 1945 mit zehn weiteren Matrosen exekutiert wurde, weil sie sich weigerten auszulaufen. Siegfried Lenz wußte darüber in seiner Novelle "Ein Kriegsende" zu berichten.

Zu erwähnen ist sicherlich auch die Entscheidung des BVerfG vom 4. November des vergangenen Jahres – es ging um das Verbot der Rudolf-Heß-Märsche in Wunsiedel –, mit der es den beachtenswerten Leitsatz aufgestellt hat: "Angesichts des sich allgemeinen Kategorien entziehenden Unrechts und des Schreckens, den die nationalsozialistische Herrschaft über Europa und weite Teile der Welt gebracht hat, und der als Gegenentwurf hierzu verstandenen Entstehung der Bundesrepublik Deutschland" lasse es die Meinungsfreiheit zu, "die propagandistische Gutheißung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft" unter Strafe zu stellen.

Doch lassen wir uns davon nicht blenden!

Im obiter dictum, also in der Nebenentscheidung, wird immer wieder der Totalitarismusbegriff verwendet, so als wollte das Gericht sich vorbehalten, die Rechtsprechung auch auf andere Propaganda anwenden zu können. Zwar deutet das Gericht das Grundgesetz "als Gegenentwurf zu dem Totalitarismus des nationalsozialistischen Regimes". Dies kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß es bewußt nicht auf Art. 139 des Grundgesetzes Bezug genommen hat. Nach diesem sind die Alliierten Kontrollratsgesetze zur "Befreiung des deutschen Volkes von Nationalsozialismus und Militarismus" weiterhin gültig. Danach ist die NPD als Nachfolgepartei der NSDAP verboten und aufzulösen. Hingegen wird aus dem KPD-Verbotsurteil zitiert, nach dem eine "aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der freiheitlich demokratischen Grundordnung" verfassungsfeindlich sei. Wir haben verstanden.

Machen wir uns nichts vor, das ist die Grundlage dafür, regelmäßig die Verbote faschistischer Demonstrationen aufzuheben, die samt und sonders unter dem Schutz der Versammlungsfreiheit stünden. Alleine heute marschieren die Faschisten durch acht Städte in der BRD, zwei davon in Bayern und Nordrhein-Westfalen. Die Freundinnen und Freunde in Solingen würden unsere Unterstützung sicherlich gut gebrauchen können. Und wieder wird es so sein, daß diejenigen mit Repression zu rechnen haben, die sich den Nazis entgegenstellen. Dies hält Berlins sozialdemokratischer Innensenator neuerdings für strafbar. Die Gerichte urteilen entsprechend. Das muß aufhören! Die NPD muß endlich liquidiert werden! Keine Kriminalisierung von Antifaschistinnen und Antifaschisten!

Deshalb rufe ich Euch im Namen der VVN auf: Beteiligt Euch an der Demonstration zum 65. Jahrestag der Befreiung in Düsseldorf in einer Woche am 8. Mai um 12:00 Uhr vor dem DGB-Haus. Die Demonstration steht unter dem Motto "Gegen Faschismus – gegen Krieg!"

An diesem Tag müssen wir die Straße verteidigen vor den Faschisten, die selbst einen Aufmarsch angekündigt haben. Die Stadt hat ihn nicht verboten, obwohl sie dies nach der oben zitierten Rechtsprechung gekonnt hätte. Das ist ein direkter Angriff auf die Würde der Opfer und Überlebenden, die Widerstandskämpferinnen und -kämpfer. Lassen wir das nicht zu! Dies sind wir August Höhfeld und Hermann Düllgen schuldig!

Der Soldat der Anti-Hitler-Koalition, Prof. Dr. Moritz Mebel, Klinikdirektor der Berliner Charité bis 1988, sagt dazu: "Es wäre uns unvorstellbar gewesen, daß die Nazis die Dreistigkeit besitzen, 65 Jahre später in Deutschland und anderen europäischen Ländern wieder zu marschieren. Ebenso wenig hätte unsere Vorstellungskraft ausgereicht, uns auszumalen, dass von deutschem Boden wieder Krieg ausgehen würde. Heute sind circa 7.000 Bundeswehrsoldaten in zehn Ländern eingesetzt." Anfang dieses Jahres "hat der Bundestag […] beschlossen, das deutsche Kontingent im Afghanistan-Krieg zu vergrößern. Die Linksfraktion stimmte geschlossen dagegen. Ich bin sehr froh darüber." Wir "können in der Welt von heute nur rigorose Kriegsgegner sein". Soweit Mebel. Er sieht aber auch die Gefahr, daß die Partei "Die Linke" dabei nicht bleiben könnte. Letztlich liegt es an uns, an der Friedensbewegung, den Druck auf das Parlament wieder zu verstärken, damit dem Schwur von Buchenwald Genüge getan wird.

So schworen die Häftlinge "an dieser Stätte des faschistischen Grauens: Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht!

Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung.

Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.

Das sind wir unseren gemordeten Kameraden, ihren Angehörigen schuldig."

Tim Engels sprach am 1. Mai 2010 auf dem Neusser Hauptfriedhof für die Kreisvereinigung Neuss der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten.