Hedy Kiesler Lamarr
Gina Pietsch, Berlin
Leben, Labour, Leinwand – beschrieben von Gina Pietsch
Jedes Mädchen kann glamourös ausschauen, alles, was es machen muss, ist stillzustehen und dumm dreinzuschaun. Diesen Satz von Hedy Lamarr (1914 – 2000) stellt der österreichische Schriftsteller und Regisseur Wilhelm Pellert ihrer Lebensgeschichte in seinem Monodrama »Hedy Kiesler Lamarr« voran. Nicht jeder kennt den Namen dieser Schauspielerin, die 1933, 18-jährig, in der Tschechoslowakei die Hauptrolle in dem großartigen Film »Ekstase« von Gustav Machaty spielt und wegen einer Nacktszene und des Bekenntnisses der Rolle der Eva zu einem erfüllten Sexualleben für Skandal sorgt, was das sofortige Verbot des Filmes im faschistischen Deutschland nach sich zog. Erst 1935, nach Kürzungen und Verstümmelungen durch die Nazis, wurde der Film unter Tumulten in einigen wenigen deutschen Kinos gezeigt, versehen mit der Warnung: »Dieser Film ist jugendverderbend«.
Bei der Wiener Premiere von »Ekstase« hieß die Hauptdarstellerin noch Hedwig Eva Maria Kiesler. Sie kam aus einem gutbürgerlichen, gebildeten und betuchten jüdischen Wiener Elternhaus, war wohlbehütet durch eine Konzert-Pianistin-Mutter und einen Creditanstalt-Direktor-Vater aufgewachsen, mit Privatschulen, Klavier-, Ballett- und Sprachunterricht. Noch ihrem Sohn Anthony Loder wird sie später immer wieder vorschwärmen von ihrer »Bilderbuchkindheit«, durch die Eltern abgeschirmt von allem Elend und jeder Ahnung von Unheil, das der I. Weltkrieg über Europa brachte, in den sie ja am 9. November hineingeboren wurde.
Das Wien von Hedys Kindheit war wichtig und schön und berauschend. »Man lebte gut, man lebte leicht und unbesorgt in jenem alten Wien«, schrieb Stefan Zweig. Der Wiener Stadtteil Döbling, in dem die Villa der Kieslers stand, galt als Zentrum der liberalen, jüdisch geprägten Kulturelite des Landes. Künstler und Wissenschaftler von Weltgeltung verkehrten dort in den berühmten Kaffeehäusern, Arthur Schnitzler, Gustav Mahler, Gustav Klimt, Arnold Schönberg, Sigmund Freud.
Als Jüdin und humanistisch gebildete junge Frau wird Hedy sich in Österreich, Deutschland und später Amerika zunehmend antifaschistisch orientieren und engagieren. Zunächst einmal schwänzt sie aber mit 15 die Schule, um sich in Wiener Theaterstudios und Filmateliers an die Schauspielerei heranzutasten. Max Reinhardt lässt sie ein paar kleine Rollen spielen und nennt sie Reportern gegenüber »die schönste Frau der Welt«. Wenn einer wie Reinhardt so etwas sagt, spricht sich das natürlich herum und wird kurze Zeit später bei ihrer ersten Kinohauptrolle in »Man braucht kein Geld«, an der Seite von Heinz Rühmann und Hans Moser, von Kritikern in den USA so übernommen: Einziger Lichtblick in diesem trüben Klamauk ist die beeindruckende Attraktivität eines neuen teutonischen Fräuleins, Hedy Kiesler.
Mit Hedys humanistischem Geist zum Patent
Unvergleichlich gewichtiger für ihren weiteren Lebensweg war aber ihre zweite Hauptrolle im künstlerisch wertvollsten Film ihrer Karriere, einem kühnen Werk der Auflösung herkömmlicher Rollenmuster mit einer selbstbestimmten Frau als Heldin, eben der schon erwähnte Machaty-Film »Ekstase«. Die ungewöhnlich progressive Machart, die vom sowjetischen Revolutionsfilm beeinflusste Schnitttechnik sorgte dafür, dass ein Kritiker den Film einen »Sergej Eisenstein der Lust« nannte. Auf der Filmbiennale in Venedig 1934 erhält er dann auch den Regiepreis und läuft im Théatre Pigalle in Paris 22 Wochen lang en suite. Hedys erster, außerordentlich eifersüchtiger Ehemann Fritz Mandl, jüdischer Rüstungsindustrieller, versucht all seinen Einfluss geltend zu machen, um diesen Erfolg zu verhindern, fasst den seltsamen Plan, alle »Ekstase«-Kopien aufzukaufen zu hohen Preisen, schafft es aber nicht.
Die 18-jährige Hedy, die sich anfänglich vom Luxusleben im Hause dieses vielleicht drittreichsten Mannes in Österreich durchaus verführen lässt, fühlt sich bald eingesperrt. Diese kurze unglückliche Ehe mit dem gewieften Geschäftsmann mit Sympathien zum Faschismus sei hier nur erwähnt, weil in ihr bei Geschäftstreffen mit Wissenschaftlern und Fachleuten aus der Militärtechnologie ihr Einstieg in das Gebiet der angewandten Wissenschaften und damit der Weg der Erfinderin Lamarr begann. Ungenügend funktionierende Torpedos, mit denen ihr Ehemann viel Geld verdiente, stachelten ihr Interesse an zur Entwicklung des Frequenzsprungverfahrens, das heute zur Basis der gesamten Mobilkommunikation wurde, also zur Grundlage jedes Mobiltelefons, jedes Bluetooth, jedes GPS, jedes WLAN-Netzwerkes. Das freilich erst später.
Zunächst lässt die Schauspielerei sie nicht los, zu der sie als Jüdin in Österreich gerade nach der skandalträchtigen Ekstase-Geschichte keine Chancen hat. Nach Hedys drittem und nun erfolgreichem Fluchtversuch und ersehnter Scheidung von Fritz Mandl trifft sie in London auf Louis B. Mayer, den Filmmagnaten von metro goldwyn mayer – MGM. Nicht ganz einfach, aber doch gelungen, wird der ihr einen Künstlernamen anempfehlen, und als Hedy Lamarr und »schönster Frau des Jahrhunderts« im Zusammenspiel mit Spencer Tracy, Clark Gable, Judy Garland, James Stewart und ähnlichen Größen zu einer Hollywood-Karriere verhelfen, die für ein ausgefülltes Leben hätte reichen können.
Nach ihrem ersten Film in den USA, »Algiers«, stahl sie ihrem Partner Charles Boyer die Show und wurde über Nacht die »Traumfrau von fünfzig Millionen Männern«, so einer der vielen hingerissenen Kritiker. Lamarr war, wie einer beschrieb, eine Film-Diva mit einem Gesicht von »aphroditischer Perfektion«, die »Casablanca« ablehnte, weil ihr Humphrey Bogart nicht genügte, aber sie wurde mehr als das. Der Krieg, den die Nazis begonnen hatten und in den nach langem Zögern auch Amerika eintrat, lässt sie neu mit ihrem auch außergewöhnlichen Intellekt nachdenken über das, was sie in Ansätzen schon erfunden hatte, den Einsatz der Frequenzsprungtechnik zur störungsfreien Funksteuerung von Torpedos.
Sie tut sich zusammen mit einem, der die Nazis genau so hasst wie sie – dem Komponisten George Antheil. Antheil galt lange zuvor als »Enfant Terrible« der modernen Musik und hatte Erfahrungen sammeln können beim funktechnischen Steuern seiner Klaviermaschinen. Die beiden konnten gut miteinander. Hedy hatte ihn kennengelernt, als sie, achtjährig, von ihrer Mutter mitgenommen wurde in ein Konzert, das George Antheil in Wien gab. Er spielte und dirigierte da sein Konzert für 8 mechanische Klaviere, 4 Xylophone, 4 große Trommeln, etliche Telefone, 2 elektrische Klingeln, viele Sirenen und 2 Flugzeugpropeller. Die kleine Hedy begeisterte sich damals besonders für die Lautstärke dieser »Musik aus Stein und Stahl«, wie das genannt wurde. Nun fast 20 Jahre später war er der Mann, der Komponist, der Künstler George Antheil, dieser schillernde Typ, eloquent und neugierig, genau Hedys Typ. Und George begeistert sich an Hedys Geist. Hedy ist sehr, sehr schlau. Verglichen mit den meisten anderen Hollywood-Stars ist sie geradezu ein intellektueller Gigant. So entstand in Zusammenarbeit der beiden Künstler etwas, das wenig mit Kunst zu tun hatte, aber mit beider Drang, etwas gegen den von Deutschland angezettelten Krieg zu tun. Sie hatten Erfolg, der abhör- und störungssichere »Lamarr-Antheil-Torpedo« wurde vom »National Inventors Council«, dem amerikanischen Patentamt, als »kriegswichtiges Patent« eingestuft.
George war 1933 in Berlin gewesen, hatte die Nazis kennengelernt und sie als »stinkende Bastards« empfunden. Und Hedy hatte im August 1942 gemeinsam mit anderen Hollywoodstars Kriegsanleihen gesammelt und es immerhin auf den Höchstbetrag von 25 Millionen Dollar gebracht. Ihr Erfolgsrezept war die Mischung aus Sex-Appeal und ihrer klugen Art, die Angesprochenen zum Spenden zu bewegen. In jedem Fall hatte sie gegen die Nazis mehr tun wollen, als den Frontsoldaten mit tiefer Stimme vorzusingen: »Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt«, und als Erfinderin des Frequency Hopping und mit Georges Erfahrung bei der Einrichtung der funktechnischen Steuerung von Torpedos war ihnen beiden das gelungen. Im Krieg gegen die Nazis wurde ihre Bekanntheit gebraucht, später allerdings hat man ihr Verfahren sogar militärisch genutzt und im Krieg gegen Vietnam missbraucht, indem ferngesteuerte Aufklärungsdrohnen mit Hedys und Georgs Erfindung, also dem SCS – »Secret Communication System« – ausgerüstet waren. Ja, und der andere Schauspieler und Präsident, Ronald Reagan, setzte den Missbrauch fort, indem er SCS für seinen Star-Wars-Wahnsinn nutzte.
Klug und schön und fast vergessen
Später gibt es für Hedy ein paar Technik- und Erfinderpreise, 1998 in Österreich immerhin die höchste Auszeichnung für Erfinder, die »Viktor-Kaplan-Medaille«. Finanzielle Ehrungen bleiben aus. Auch, nachdem ihr militärisches Patent für zivile Nutzung freigegeben wurde, also ein Billionen-Dollar-Geschäft entstand. Der Grund: ihre Patentrechte waren bereits 1959 abgelaufen.
Hollywood hatte für all das schon immer kein Verständnis. Ihre Klugheit passte nicht zu ihrem Äußeren. Sie war zu schön. Sie hatte ein freies, genussfreudiges Verhältnis zu ihrem Körper, erzählte ihr Sohn Anthony Loder, sie hatte sechs Ehemänner, zahlreiche Affären, und doch fand sie nie die Art von Liebe, die sie seit ihrer Kindheit gewohnt war. Und sie war unbeliebt ob ihrer Verwegenheit, Unangepasstheit, Aufmüpfigkeit, ihres intellektuellen, politischen und obendrein hollywoodkritischen Selbstbewusstseins.
Als Schauspielerin von allen Göttinnen der Filmgeschichte Ende der Fünfziger am tiefsten gefallen, also fast vergessen, ist sie heute als Erfinderin so anerkannt, dass ihr Geburtstag, der 9. November, seit 2014 in Deutschland, Österreich und der Schweiz als Tag der ErfinderInnen gefeiert wird.
Der Schauspieler und Musiker Johnny Depp singt 2019 in seinem Lied
This Is a Song for Miss Hedy Lamarr, ausgelöscht von der selben Welt,
die sie zu einem Star machte, aus Schönheit gesponnen, gefangen in ihrem Netz.
Und Hedys Sohn sagt es so:
Ihre Schönheit machte sie berühmt, doch ihre Erfindung prägt heute den Alltag von Milliarden Menschen.
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