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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Guernica und Heute

Victor Grossman, Berlin

 

Mich ärgert der Name Spanische Allee in Berlin, gewiss; sie heißt so seit dem triumphalen Marsch der faschistischen deutschen Spanienveteranen durch das Brandenburger Tor im Juni 1939. Dennoch denken die meisten wohl, der Name sei nur geographisch, so, wie sie meinen mögen, wie Warschauer Straße oder Pariser Platz. Viel mehr erregt mich innerlich die Fluglinie Condor. Wenn mir Google auch versichert, so eine Linie gab es schon 1927, und wenn auch die genannten Aasfresser in Amerika völlig harmlos sind, der Name der 1955 gegründeten Firma ruft so viele entsetzliche Bilder in Erinnerung, dass es mich jedes Mal noch schüttelt, wenn ich von einem Condor-Flug nach Mallorca oder Málaga höre.

Ach, der Spanienkrieg ist so lange her, meinen wohl manche. Doch ist er heute nur zu relevant. Es geht nicht allein darum, dass am 26. April 1937, vor fünfundsiebzig Jahren, die Vernichtung des Städtchens Guernica – baskisch Gernika – stattfand. Dennoch, ehe man von heute spricht, besteht wohl eine moralische, wenn auch schmerzliche Pflicht, an das zu erinnern, was damals geschah – und sich mit dem Begriff "Legion Condor" für immer verbindet.

Zuerst schwere Bomben und Handgranaten

Um 15:45 Uhr startete vom Flughafen Burgos ein Dornier-Flugzeug mit vier Mann, zog in einer breiten Schleife nach Guernica, angeblich um die dortige Rentería-Brücke zu zerstören, ließ jedoch seine Bomben ins Stadtzentrum fallen. Zehn Minuten später kam eine italienische Staffel und bombte aus einer Höhe von etwa 700 Metern. Dann kamen zehn Heinkel-Jäger und 27 Junkers: Ein Augenzeuge berichtete: "In einer Höhe von etwa 30 Metern flogen die Maschinen hin und her wie fliegende Schäferhunde, die eine Menschenherde zum Schlachten zusammentreiben." Die Junkers warfen Bomben in drei Wellen ab. Gegen 18:50 Uhr kam noch eine Welle, die auf Flüchtende schoss. Zehn Minuten später flogen weitere Heinkel den letzten Angriff.

Wie es George Steer von den Londoner "Times" erklärte, "Die Taktik der Angreifer war ganz klar: zuerst schwere Bomben und Handgranaten, um die Bevölkerung zu sinnlosen Fluchtversuchen zu veranlassen, dann Maschinengewehrfeuer, um sie in unterirdische Verstecke zu treiben und dann schließlich Zerstörung dieser Unterstände mit schweren Feuerbomben."

Splitterbomben, Thermit-Brandbomben, Streubrandbomben und schwere 250-kg-Sprengbomben zerstörten etwa 80 Prozent aller Gebäude. Die Zahl der Toten ist noch umstritten. Die Rentería-Brücke, deren Zerstörung die einzige Rechtfertigung für die Bombardierung war, wurde von keiner Bombe getroffen. Nach dem Aufschrei in aller Welt logen die Nazis, "Guernica ist durch Feuer und Benzin zerstört worden. Angezündet und in Trümmer verwandelt haben es die roten Horden." Nur kaufte ihnen das niemand ab.

Legion Condors Stabschef, General Wolfram von Richthofen, notierte zufrieden: "Guernica … buchstäblich dem Erdboden gleichgemacht … Die 250er warfen eine Anzahl Häuser um und zerstörten die Wasserleitung. Die Brandbomben hatten nun Zeit, sich zu entfalten und zu wirken. Die Bauart der Häuser, Ziegeldächer, Holzgalerie und Holzfachwerkhäuser, führte zur völligen Vernichtung ... Bombenlöcher auf Straßen noch zu sehen, einfach toll."

Einer aus Guernica meinte: "Am schlimmsten waren die Jäger, die in Tiefflug auf alles schossen, was sie sahen … Wenn die einen schon mit dem Bomben fertig waren, verschwand die Staffel … und da kamen die anderen. Ununterbrochen, vier Stunden … ohne aufzuhören."

Luftangriffe der Legion Condor trafen auch Madrid, Málaga, Barcelona und vor Guernica das ähnliche Städtchen Durango. Überall zielten sie auf Zivilisten, auf Lazarette und Krankenwagen gerade gern. Sie mordeten nicht nur aus der Luft, die Legion wurde benutzt, um neue Panzer, Geschütze, vor allem aber Flugzeuge und Kriegstaktik auszuprobieren, und um mit ständig wechselndem Personal für den kommenden Weltkrieg einen echten Konflikt zu trainieren. Nur durch die Hilfe der Legionäre und Kriegsmaterie aus Deutschland und Italien konnte Franco siegen und Frankreich nun von drei Seiten einkreisen. Fünf Monate nach der Vernichtung der Republik konnte der große Krieg beginnen.

Obwohl Faschisten überall in Spanien mordeten, bleibt Guernica symbolträchtig. Die fast totale Vernichtung eines militärisch unwichtigen Städtchens, fast heilig im Baskenland und gerade an einem viel besuchten Markttag, erschien besonders grausam. Und bekannt wurde es auf ewig durch das große, erschütternde Wandbild, das Pablo Picasso für den Spanischen Pavillon in der Pariser Weltausstellung malte und "Guernica" nannte. Schärfer als viele Berichte machte dieser Aufschrei in Grautönen für viele klarer, was Faschismus bedeutet. Immer mehr demonstrierten und sammelten für Spanien, Tausende meldeten sich als Kämpfer. Nur die Regierungen, vor allem die britische, französische und amerikanische, aber eigentlich alle außer Mexiko und der UdSSR unterstützten auf die eine oder andere schamhaft verdeckten Art den Faschismus in Spanien. Als direkte Folge mussten die Menschen in ganz Europa den Schrecken selbst erleben, und über fünfzig Millionen mussten sterben.

Legion Condor in der Bundeswehr

Für die Condor-Herren war das Morden in Guernica, Madrid oder Barcelona erst der Anfang. Am 19. November 1936 – Madrid war fast völlig umzingelt – schrieb einer der allerersten, Johannes Trautloft, lustig ins Tagebuch: "Der erste Schnee … Noch vor einer Woche hätten wir flugs eine muntere Schneeballschlacht veranstaltet. Heute haben wir Besseres vor … 23 Bomber, begleitet von 24 Jägern, starten. … Ungestört erreichen wir Madrid. Serienweise sausen die Bomben herunter, und diesmal ist ihre Wirkung ungeheuer. Dort, wo die Stellungen der Roten liegen, sehe ich ganze Häuserblocks in sich zusammenstürzen. Alles, meint man, was dort im Umkreis kreucht und fleucht und nicht erschlagen wird, müsse in panischem Entsetzen davonjagen."

Trautloft benutzte bald seine Erfahrung mit solchen "besseren" Vorhaben gegen die Polen, dann in Frankreich, beim Luftkrieg gegen England, im Balkan und vom ersten Tag an in der Sowjetunion. 1945 begann eine gewisse Pause. Doch 1957 wurde er wieder benötigt, nun als Brigadegeneral in der neuen Bundeswehr, ausgerechnet als Kommandant der ersten Fliegerausbildungsschule, danach als Kommandierender General der Luftwaffengruppe Süd. Dann, 1970, pensioniert und mit dem Großen Bundesverdienstkreuz mit Stern dekoriert, bekam er Zeit zum Schreiben von netten Anekdotenbüchern wie "Hals- und Beinbruch. Heitere Fliegerei".

Doch auch die Luftwaffengruppe Nord profitierte von spanischer Erfahrung. Der Generalleutnant Martin Harlinghausen wurde 1957 ihr Kommandant. Für die Legion Condor war er Kommandeur der Seeflieger auf Mallorca, die das Embargo gegen die Republik blutig durchzusetzen hatten. Im Weltkrieg dehnte er seine Fähigkeit zum Schiffe-Versenken auf das ganze Atlantikgebiet aus. Und er kam danach zur Bundeswehr. Auch er erhielt am Schluss ein Großes Verdienstkreuz der Bundesrepublik, das er dann stolz neben Hitlers Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes mit Eichenlaub hinstellen konnte.

Hermann Aldinger, in Spanien ein Flak-Oberst, hat es 1957 in der Bundeswehr ebenfalls zum Generalmajor geschafft und wurde Kommandeur der 1. Luftwaffendivision. Einige nicht so bekannte Condor-Veteranen erreichten fast so hohen Rang.

Hugo Sperrle dagegen nicht. Er war der erste Kommandant der Legion Condor in Spanien und deshalb für das Verbrechen in Guernica hauptverantwortlich. Als ein führender Offizier im Luftkrieg gegen Frankreich und England wurde er Generalfeldmarschall. 1947-1948 wurde dieser oberste Condor-Offizier in Spanien in einem der letzten Kriegsverbrecherprozesse der USA-Militärregierung angeklagt, zusammen mit dreizehn anderen Spitzenoffizieren (aber natürlich nicht wegen Spanien, das gerade zum USA-Verbündeten wurde). Und Hugo Sperrle wurde freigesprochen! Ein Jahr später hat man ihn sogar als "nicht belastet" bei der "Entnazifizierung" eingestuft. Hugo Sperrle diente dennoch nicht in der Bundeswehr. Zwei Jahre vor ihrer Gründung ist er verstorben.

General Heinz Trettner und Compañero Fritz Teppich

Am markantesten ist die Geschichte von Heinz Trettner. Wie Trautloft einer der allerersten Condor-Offiziere in Spanien, wurde er Adjutant vom Kommandanten Sperrle, danach Staffelkapitän in der Kampfgruppe 88 von Wunstorf bei Hannover, wo die meisten Guernica-Flieger trainiert hatten. Es lässt sich kaum mehr festzustellen, ob auch er da mitflog, mehr als möglich ist es schon. Wenn nicht, zwischen November 1936 und Januar 1938 in Spanien konnte er viele ähnliche Missionen mitmachen. Und schon im Mai 1940, als Stabschef des Generals Student, bereitete Trettner die Vernichtung von Rotterdams Innenstadt vor. Sein blutiger Weg führte über Kreta nach Smolensk. Schließlich, als Generalmajor, hinterließ er mit Fallschirmjägern quer durch Norditalien eine tote Zone und unzählige Leichen.

1956 zog er wieder eine Uniform an, wieder mit den Sternen eines Generalmajors. Nach einigen Jahren beim NATO-Hauptquartier in Frankreich setzte sich der Aufstieg in der Bundeswehr fort – und 1964 wurde dieser Mörder von Spanien und halb Europa zum dritten Generalinspekteur der Bundeswehr – dem höchsten militärischen Amt im Lande.

Trettner blieb nur bis 1966 im Amt. Ihn ärgerte es, dass er Befehle vom Stellvertretenden Verteidigungsminister befolgen musste, also von einem Herrn in Zivil! Das war nicht zu akzeptieren! Hinzu kam die überraschende Entscheidung, dass auch Soldaten in eine Gewerkschaft eintreten durften. Trettner trat wütend zurück – aber erst nachdem er auch das Große Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland mit Stern und Schulterband entgegengenommen hatte, das ja Generalinspekteuren zustand.

Nach und nach traten sie also ab. Doch auch im Ruhestand zeigten die alten Condor-Kämpfer nicht die kleinste Reue. Sie gehörten gern den Traditionsverbänden an, welche die "Soldatenehre" der Wehrmacht zu verteidigen versuchten, redeten aber selten über Spanien. Im Kopfe hat sich wenig verändert.

Das war besonders klar bei Trettner. Der Flieger Werner Mölders, der in Spanien für Condor flog, aber vor Kriegsende starb, also auch nicht mehr in die Bundeswehr kam, wurde dennoch geehrt, indem nach ihm eine Fliegerstaffel, eine Kaserne und ein  Kriegsschiff genannt wurden. 1994, nun mit einer linken Fraktion im Bundestag, wurde es endlich möglich, per Gesetz festzulegen, dass keine Militärobjekte die Namen von Condor-Leuten tragen durften. Bis 2005 schleppte sich die Ausführung des Gesetzes hin, und als Verteidigungsminister Struck endlich und gar nicht begeistert den Namen Mölders verschwinden lassen musste, erhob sich ein großes Geschrei wegen Deutschlands Kriegshelden. Auch der CSU-Mann Seehofer protestierte, doch mit am boshaftesten war eben der alte Heinz Trettner. Aus Wut lehnte er sogar Strucks Einladung zur 50-Jahr Feier der Bundeswehr ab. Dafür unterschrieb er einen Protestbrief "Gegen das Vergessen" und forderte das Aufrechterhalten von guten deutschen Traditionen – etwa wie Condor. Ein Jahr später starb Trettner, einen Tag vor dem 99. Geburtstag, als letzter deutscher Kriegsgeneral.

Trotz ihres Ablebens sind solche Traditionen leider nicht vergessen, wie uns die Nachrichten täglich beweisen. Desto mehr Grund, unsere Traditionen am Leben zu halten, auch nachdem wir den letzten Deutschen verloren haben, der gegen den Faschismus in Spanien kämpfte – und sogar selbst der Vernichtung von Guernica aus der Ferne hilflos zuschauen musste.

Denn die gleiche Gier, welche die Konzerne nach Spaniens Bodenschätzen lechzen ließ und die Offiziere nach einem Land, wo sie ihrer Tötungslust und ihrer Ambitionen nach Orden frönen durften, besitzt noch heute eine mächtige, blutige Kraft. Manche Firmennamen sind sogar die gleichen! Nur hören wir heute nicht von Sierra Madre und Guernica sondern von Hindukusch und Kundus! Und wie das Fressen erst Appetit schafft! Vor Libanon, am Horn von Afrika, überall sucht man Konfliktgebiete zur Ausdehnung. Sind die nächsten Ziele Syrien oder gar Iran? Oder vielleicht auch nähere, falls sich etwa in Griechenland oder Portugal die Menschen einen Weg suchen, der nur ein wenig an die spanische Republik von 1936-1939 erinnert! Und wie damals in Spanien ist heute erkennbar, dass manche, wenn sie entscheiden müssen, genauso schicksalhaft wie damals sich eher nach rechts als nach links neigen. Gerade die falsche Entscheidung der westlichen Führer damals, von Chamberlain bis Leon Blum und Roosevelt, verursachte die Tragik – erst in Spanien, danach in der ganzen Welt, von Guernica bis Leningrad, von Coventry bis Dresden, von Buchenwald bis Bergen-Belsen. Auch heute in Deutschland steht diese Wahl zwischen den Wegen oft zur Debatte. Und damals wie heute können Fehler, ob von Parteien oder Personen, recht schicksalhaft sein.

Es gilt, gegen die Tradition von einem Trettner die Erinnerung an solche wie Fritz Teppich am Leben zu halten. Und neben der traurigen Besinnung an all jene in Guernica Verstorbenen auch an ein Guadalajara zu denken, wo es Menschen wie Lister und Ludwig Renn und vielen Tausend anderen gelang, die Faschisten zu stoppen und zurückzuwerfen! Es gelten noch immer die Losungen "No pasaran! Pasaremos!"

11. März 2012

 

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