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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Görlitzer Abkommen – Anerkennung der Nachkriegsordnung

Dr. Jochen Willerding, Rangsdorf

 

Am 6. Juli 1950 unterzeichneten die Ministerpräsidenten der Volksrepublik Polen und der Deutschen Demokratischen Republik, Józef Cyrankiewicz und Otto Grotewohl, in Zgorzelec, dem nunmehr polnischen Teil der beidseitig der Oder gelegenen Grenzstadt Görlitz, das nach ihr benannte Abkommen. Dieser vor 75 Jahren geschlossene Vertrag war von wahrhaft historischer Bedeutung, beinhaltete er doch die gemeinsame Aner­kennung der Beschlüsse zur Europäischen Nachkriegsordnung im Potsdamer Abkom­men zwischen der Sowjetunion sowie den USA und Großbritannien durch den neuen (ost-)deutschen Teilstaat und das in neuen Grenzen wiedererstandene Polen. Seine Bedeutung über die Zeit des Kalten Krieges und die Zeit nach der Auflösung des östli­chen geopolitischen Machtblocks hinweg erweist sich bis in die heutige Zeit.

Im Einklang mit dem Potsdamer Abkommen

Der deutsch-polnische Friedensschluss wurde nur möglich, da beide volksdemokrati­schen Staaten Entnazifizierung und Friedenserhaltung, zwei Hauptforderungen des Potsdamer Abkommens, zur ihrer Staatsraison gemacht hatten. Besonders für das pol­nische Volk war die Tatsache nicht hoch genug einzuschätzen, dass ein Nachfolgestaat des faschistischen Deutschen Reiches, das mit seinem verbrecherischen Überfall 1939 Polen ein drittes Mal in seiner Geschichte von der Karte Europas verschwinden ließ, sei­ne Grenzen völkerrechtlich anerkannte. Aber auch für die Deutschen war es durchaus ein schwieriger Lernprozess. Immerhin wurden im Ergebnis des Krieges bedeutende ehemalige Gebiete Deutschlands polnisch. Hunderttausende Deutsche wurden aus den früheren Ostgebieten umgesiedelt, von denen nicht wenige in der DDR ihr neues Zuhau­se fanden.

Zur Anerkennung der Beschlüsse der Siegermächte gehörte die Akzeptanz der soge­nannten Drei D – Denazifizierung, Demilitarisierung und Demokratisierung (sowie der Reparationsauflagen und Dezentralisierung) – durch die erste deutsche Volksdemokra­tie. Die Übergabe der Macht an die kommunistischen und sozialistischen Kräfte durch die Rote Armee war für deren Durchsetzung eine wesentliche Voraussetzung. Entstand doch dadurch die Möglichkeit der Schaffung eines antifaschistischen, demokratischen Staates, von dem nie wieder Krieg ausgehen sollte. Eine der wichtigsten Aufgaben, vor denen die neue Regierung stand, war die ideologische Entnazifizierung der Bürger, die konsequente Absage an jegliche Form des Nationalismus und seiner höchsten Form, des Faschismus, sowie der symbiotischen Entwürdigung anderer Menschen und Völker ob ihrer ethnischen Zugehörigkeit und/oder weltanschaulichen Überzeugungen. Auch dies gehörte zum Gründungskonsens der Deutschen Demokratischen Republik.

Möglich wurde diese Entwicklung, wie auch das Oder-Neiße-Friedensabkommen, durch den geschichtlich erstmaligen geopolitischen Ausgleich zwischen der UdSSR/Russland und den USA. Mit den Vereinbarungen von Jalta und Potsdam wurde die Bipolarität in der Nachkriegswelt festgeschrieben. Im transatlantischen Bereich wurde ihre Abgren­zung entlang der Elbe in Nord-Süd-Richtung völkerrechtlich fixiert. Auf dieser Grundlage entstanden die Vereinten Nationen als Völkerrecht schaffende Organisation, die den vor dem Krieg zerschlagenen Völkerbund ersetzen sollte. Noch heute spiegeln Zusam­mensetzung und Konstruktion des Weltsicherheitsrates diese Bipolarität.

Gleichgewicht gestört

Als 1990 der reale Sozialismus in der UdSSR implodierte und das Land selbst mit in existentielle Not riss, fiel dem auch das bisherige Vorfeld der östlichen Weltmacht zum Opfer, die DDR eingeschlossen. Das bisher seit 1945 bestehende bipolare Gleichge­wicht war nachhaltig gestört. Die USA verkündeten das »Ende der Geschichte« (Fukuya­ma), den Beginn einer monopolaren Ära sowie einer »Weltinnenpolitik«, d.h. der welt­weiten Anwendung des Rechts der USA, und Verwandlung der Vereinigten Staaten in den Weltpolizisten, der seine Interessen ungebremst durchsetzen könne. Das Völker­recht wurde durch die »wertebasierte Ordnung« ersetzt, die neben der Ethnie wieder die Weltanschauung (wie bis 1990) als Kriterium der Ausgrenzung anderer Völker und Missachtung der Souveränität der Staaten als Grundvoraussetzung für die Friedliche Koexistenz einführte.

Zugleich »verzichteten« die USA auf den Rückzug aus ihrem »Vorfeld« von 1945, wofür sie, wie Bill Clinton bei einem Treffen in Helsinki Boris Jelzin erklärte, »die NATO weiter brauchen«. Die Juniorpartnerschaft Westeuropas (man kann sie auch als »einge­schränkte Souveränität« bezeichnen) blieb erhalten und verhinderte einen geschicht­lich erstmalig möglichen europäischen Ost-West-Ausgleich, wie von Mikhail Gor­batschow im Sinne eines »Europäischen Hauses von Lissabon bis Wladiwostok« (nicht von New York bis Wladiwostok!) und von Wladimir Putin im Berliner Bundestag und auf der Münchner Sicherheitskonferenz immer wieder angestrebt. Die verspätete Anerken­nung von Görlitz durch die alte Bundesrepublik Deutschland war schon 1990 keine nachträgliche Anerkennung der Substanz von Potsdam mehr.

Also war bereits 1990 eine wirkliche Zeitenwende eingetreten. Nach einer kurzen Pha­se der fortgesetzten Entspannung und hoffnungsvollen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Zusammenarbeit kehrten die USA angesichts der Ende der 90er Jahre ein­setzenden Rekonsolidierung Russlands zur »alt-bewährten« Eindämmungspolitik zurück, die bis heute anhält und nunmehr in die Phase der »heißen« Wiederherstellung eines neuen Ausgleichs zwischen den Vereinigten Staaten und Russland unter neuen Bedin­gungen übergegangen ist. Die alten und neuen europäischen Juniorpartner folgten die­ser Politik gehorsam. Ihre außenpolitischen »Experten« hatten die wirkliche Zeitenwen­de verschlafen und wundern sich, heute nur Zaungäste der sich vollziehenden weltpoli­tischen Veränderungen zu sein.

Nach der »Zeitenwende« von 1990 erwachten die alten Nationalismen samt faschistoi­der Ideologie und die Revanchisten in Europa wieder, und mit ihnen erstarkte die alte imperialistische Expansion. Sie führte 1999 zum bewaffneten »Eingreifen« der USA mit ihren »Junioren« in Jugoslawien, dem ersten Krieg nach 1945 in Europa, gegen den ausdrücklichen Widerstand der Russischen Föderation, immerhin noch vollwertiges Mitglied der OSZE und der UNO sowieso.

Ein weiteres seit Ende der 90er Jahre zielstrebig und mit stetig zunehmender Härte ein­gesetztes außenpolitisches Instrument der USA sind die Wirtschaftssanktionen gegen Russland, die Handel und Kooperation mit Russland in der Zwischenzeit fast auf null re­duziert haben, abgedeckt durch den zunehmenden antirussischen Nationalismus. Und warum das alles? Weil »Russland nicht das tat, was es sollte«, wie der Friedensnobel­preisträger Barack Obama sich weiland beklagte. Weil es wieder auf den »richtigen«, Jelzinschen Weg gebracht werden sollte. Heute nennt man den Vorgang im Zusammen­hang mit China neudeutsch »decoupling«, die beginnende »Sinophobie« einbegriffen.

Nationalistische Stichwortgeber

Parallel dazu erfolgte die kontinuierliche militärpolitische Ausdehnung der USA (unter dem Schirm der NATO) nach Ostdeutschland und Polen, ins Baltikum, nach Rumänien, Bulgarien, Georgien und insgeheim die Ukraine. Und hier nun sollte sich die Entwick­lung extrem zuspitzen, beginnend mit dem Ansinnen, den russischen Marinestützpunkt in Sewastopol zu übernehmen. Als dies trotz der Unterstützung durch das revanchis­tisch-nationalistische Kiewer Maidan-Regime 2014 durch das Eingreifen Russlands ver­hindert werden konnte, wurde, inspiriert durch die ukrainisch-nationalistischen Oligar­chen im Osten des Landes, ein Bürgerkrieg angestachelt, der sich in der Folge immer stärker gegen die Russische Föderation richten sollte. Militärisch »ziel«-geführt wurde und wird er von Anbeginn durch den Hauptstab der US-Army in Ramstein unter obers­tem Befehl des Präsidenten der Vereinigten Staaten. Die USA hatten den zweiten euro­päischen Krieg nach WK II begonnen, diesmal gegen Russland, der erste, wenn auch geschickt getarnte, »heiße« Krieg der USA gegen Russland überhaupt, vor dem selbst Donald Trump seinerzeit gewarnt hatte. Bemerkenswert, dass sie ihre Kiewer Statthal­ter als nationalistischen Trigger und Stichwortgeber für die »Junioren« in Westeuropa einsetzten, die ja 2014 bekanntlich erst »zum Jagen getragen werden mussten« (»Fuck the EU«, nannte das Frau Nuland, Unterstaatssekretärin).

Die jüngste Geschichte bestätigt, Nationalismus und Faschismus sind lediglich die Kehrseite kalter und heißer Kriege. So wie Letztere auch eine gemeinsame Ursache haben, den imperialistischen Expansionsdrang des Großkapitals. Das Oder-Neiße-Ab­kommen war ein Friedensabkommen in seiner elementarsten Form. Aber dieser Frieden wurde seit 1990, kurz nach seiner formalen Anerkennung durch die alte BRD, durch den wiederkehrenden Nationalismus in seiner abscheulichsten ideologischen, der fa­schistischen Form nachhaltig gestört. Neue Kriege wurden und werden vorbereitet und geführt. Deutschland bereitet seinen ersten ständigen Auslandsstützpunkt mit 5.000 Mann Besatzung ausgerechnet im baltischen Litauen vor, einen Steinwurf von St. Petersburg entfernt.

Und trotzdem müssen sich auch heute Freunde und Genossen der Kritik von Clara Zetkin stellen, auch der 1945 durch die KPD festgestellten Mitschuld an der Macht­ergreifung der Faschisten in Deutschland, den lebendigen ideologischen Faschismus nicht oder nur unzureichend oder halbherzig zu erkennen. Eine der wohl wichtigsten Lehren auch des Oder-Neiße-Friedensabkommens.

Wie weitsichtig war doch Brechts Warnung »Er ist fruchtbar noch, der Schoß, aus dem das kroch!« Der Schoß gebiert wieder Krieg, Tote Verstümmelte, Hunger, Elend und Leid. Höchste Zeit, die Lehren ernst zu nehmen!

Juni 2025

 

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