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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Ukraine – Bidens Krieg

Dr. Jochen Willerding, Rangsdorf

 

Seit dem 20. Januar diesen Jahres haben die USA einen neuen Präsidenten, der zum zweiten Mal für die Republikaner gewählt wurde. Seine erste außenpolitische Amts­handlung war der Vollzug einer jähen Wendung in der Russland-Politik der Vereinigten Staaten. Unverständnis, Irritation, Empörung bei den westeuropäischen Verbündeten sind groß. Das transatlantische Bündnis sei »passé«. Auch von Verrat war schon mal die Rede. Und was nun den Beobachter irritiert: erstmalig seit Jahrzehnten, da man dem Seniorpartner in der westlichen »Wertegemeinschaft« in der Regel willig in jeden Krieg folgte, vom Balkan über den Irak (nur die Bundesrepublik und Frankreich hielten sich mal zurück) und Syrien bis zu Afghanistan (»Unser Frieden und unsere Sicherheit wer­den auch am Hindukusch verteidigt«), scheint man nun seinem Anführer die Gefolg­schaft verweigern zu wollen. Wie kommt das? Ist es nur Irritation oder doch tiefes Un­verständnis und daraus resultierende Verwirrung ob der internationalen Entwicklungen seit der berühmten Konferenz von Jalta auf der Krim 1945 und der kurz darauf folgen­den Zerschlagung des deutschen faschistischen Regimes durch die Rote Armee in Ber­lin. Angesichts des täglichen immer wirrer werdenden Wortschwalls vermeintlicher Ex­perten mit und ohne Regierungsfunktion ist man geneigt, beides in Betracht zu ziehen.

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Was ist also in den letzten Wochen passiert bzw. was sehen wir und welche Schlüsse kann man daraus ziehen?

Der wiedergewählte Präsident der USA, Donald Trump, ruft ohne Vorabsprache mit den transatlantischen Verbündeten sein Pendant Vladimir Putin an, um ihm mitzuteilen, dass er mit der Russischen Föderation einen »Deal« machen möchte, um diesen »un­nützen und menschenzerstörenden« Ukraine-Konflikt und weitere »Streitpunkte« zu lösen. Verhandlungen, ein persönliches Treffen der beiden eingeschlossen, sollen um­gehend aufgenommen werden.

Ein erstes Treffen zwischen den Außenministern und entscheidenden Sicherheitsbera­tern beider Seiten folgt umgehend in Riad zwischen den Außenministern sowie wichti­gen Sicherheitsberatern beider Länder. Der russische Außenminister wies nochmal dar­auf hin, dass dieses Treffen zuvörderst der Wiederherstellung allumfassender normaler Beziehungen zwischen beiden Mächten und erst vor diesem Hintergrund der Vorberei­tung von Gesprächen zur Ukraine und weiteren Konflikten dienen sollte.

Wer genau hingesehen hat, dem wird nicht entgangen sein, dass an der diplomatischen Stirnseite des Vermittlers eine dritte Partei zugegen war, Saudi-Arabien. Es ist eine ara­bische Regionalmacht, die eine etwa gleiche Distanz zu Russland und in der Zwischen­zeit zu den USA pflegt sowie neuerdings eine ähnlich gleiche Distanz zu Israel und dem Iran. Ganz offensichtlich gibt es also auch eine Mittelostkomponente für einen umfas­senden USA-Russland-Deal.

Darauf deutet auch ein Ereignis hin, das man im Dezember letzten Jahres hätte sehen können. Da trafen sich im katarischen Doha die Außenminister Russlands, der Türkei und des Iran an einem Verhandlungstisch, an dessen Vermittlerseite ebenso ein arabi­scher Staat saß, Katar, bekanntlich mit guten Verbindungen zur Hamas in Gaza. Wenige Tage später wies Baschar al-Assad in Damaskus seinen Premierminister an, die Macht friedlich und geordnet an die Dshihadisten zu übergeben. Sprachs und stieg seelenru­hig in eine Aeroflot-Maschine nach Moskau. Frau und Kinder waren bereits vorgeflogen. Vladimir Putin kündigte an, sich mit ihm »zu gegebener Zeit auch persönlich« treffen zu wollen. Ich habe schon einige Umstürze gesehen. Dies war definitiv keiner. Dies war ein geplanter Rückzug. Da wurde jemand »vom Spielfeld genommen« (um noch einmal an Joe Biden zu erinnern), der seine Aufgabe erfüllt hatte. Genau vier Wochen später wur­de, wieder in Doha, also auf Vermittlung Katars, der erste Waffenstillstand zwischen Israel und der Hamas vereinbart. Dieser basiert auf einem Abkommen zwischen beiden zum Austausch der israelischen Geiseln und in Israel inhaftierten Palästinensern. Allein das Verhandlungsabkommen, aber auch die ungleiche Anzahl der Auszutauschenden (zugunsten der Palästinenser) bestätigt die Anerkennung der Hamas und ihrer Forde­rungen durch die israelische Regierung, die sie bis dato noch physisch vernichten woll­te – mit den verheerenden Folgen für die Menschen in Gaza.

Das alles geschah schon vor der Amtseinführung des US-Präsidenten sowie dessen schon jetzt legendärem Telefonat mit Vladimir Putin, als Joe Biden bereits als Lame Duck in der Welt rumfuchtelte. Russland zieht sich in Absprache mit der Türkei und dem Iran etwas aus Syrien zurück. Die USA entschärfen etwas ihre Position im Nah- und Mittelostkonflikt. Diplomaten nennen solche Vorgänge vertrauensbildende Maß­nahmen, ohne die kein Deal möglich ist.

Noch ein wichtiges Ereignis vor dem Telefonat, das durchaus in die Kategorie »vertrau­ensbildende Maßnahme« passt, sollte nicht der Vergessenheit anheimfallen. Am 9. Janu­ar diesen Jahres fand auf dem Luftwaffenstützpunkt Ramstein der US-Army in Deutsch­land, der zugleich den Hauptstab Luft und Drohnen ihres Europa-Kommandos (das schon mal seine Drohnenreichweite bis Afghanistan ausgedehnt hatte) beherbergt, die letzte, 25. Stabsitzung unter Leitung des US-Verteidigungsministers, Lloyd Austin, statt. Eigent­lich sollte der Präsident sie erstmalig leiten. Doch Joe Biden hatte erst verschoben und dann wegen seiner Wahlaufgabe ganz abgesagt. Interessant und aufschlussreich waren diese 25 Treffen allemal. Ramstein ist Teil der US-Armee. Die Befehlskette – eindeutig: US-Präsident – Verteidigungsminister – Hauptstab EUCOM. Ein Armeestab ist seit jeher zuständig für die Kriegsführung, auch wenn sie unter den »modernen« Bedingungen eines Drohnenkrieges durchaus »ferngesteuert« werden kann (in Syrien wurde dies seinerzeit bereits ausgiebig geübt). Die Einbeziehung des Generalstabs der Ukrainischen Armee in die Arbeit des US-Militärstabes (und der anderen Stäbe der »Willigen«) war von Anfang an nichts anderes als die Einordnung der Ukrainischen Streitkräfte in die der USA. Man hätte es wissen können! Als Militär hätte man es wissen müssen! Und nun teilte der US-Verteidigungsminister den verblüfften und erschrockenen Anwesenden mit, dass der Stab der Army seine militärischen Ukraine-Aktivitäten mit sofortiger Wirkung einstellt. Um die Lieferung von Waffen für und mit der Ukraine könne sich fortan Brüssel allein, also ohne die USA, die ohnehin nicht mehr liefern würden, kümmern. Das war, wohlge­merkt, keine Stabsübergabe. Grundsätzlich kommt diese Entscheidung einer Einstellung der Kriegsaktivitäten der USA gleich, einem militärischen Rückzug der USA aus der Ukraine, wie er von Russland bereits vor der Krim-Rücknahme gefordert worden war. Auch das als eine »vertrauensbildende Maßnahme« zu werten.

Vor wenigen Tagen dann brachten die USA auch noch einen Gegenentwurf zu einer EU-Ukraineresolution in den UN-Sicherheitsrat ein, der Russland nicht mehr als Aggressor bezeichnet, die territoriale Integrität der Ukraine nicht erwähnt und zum Frieden auf­ruft. Er wurde angenommen, ohne »Veto« des Vereinigten Königreichs und Frankreichs.

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Aus diesen wenigen Vorgängen kann man, jenseits jeglicher Mission, ob schwarz, rot, grün, tiefrot oder feministisch, wichtige Erkenntnisse gewinnen.

1.) Die neue US-Administration geht nunmehr grundsätzlich davon aus, dass es sich beim Ukrainekrieg [wie auch den Spannungen Widersprüche im Nahen und Mittleren Osten von Israel bis zum Iran] maßgeblich um einen Konflikt zwischen den USA und Russland handelt. Sie anerkennt damit de-facto im Unterschied zu ihren Vorgängern seit 1990 wieder die Großmachtrolle der Russischen Föderation und sucht nach einem neuen Ausgleich (nach dem von 1945).

2.) Auf den Ukraine-Krieg bezogen, heißt das konkret die Anerkennung durch die neue US-Administration, dass die USA selbst »Teil des Problems«, also des Krieges sind. Aber nur wer Teil des Problems ist, kann auch Teil der Lösung sein, und muss es sogar! Die USA sind also keineswegs Vermittler zwischen einem Konflikt Russland – Ukraine. Die Ukraine selbst ist von Anfang an nicht Subjekt, sondern Objekt des Geschehens. Sie ist das Ergebnis eines von den gebeutelten Menschen dort noch weitgehend unverstande­nen Resultats einer geostrategischen Sackgasse von Bidens Russland-Politik. Dabei scheint diese Erkenntnis bei Donald Trump keineswegs neu. Von den Außenpolitikern hierzulande erinnert sich vielleicht doch noch jemand dunkel an die durch Donald Trump vor seiner ersten Wahl zum Präsidenten an seinen damaligen Parteikollegen, John McCain, gerichtete kritische Frage bezüglich des damals bereits eskalierenden sogenannten Ukraine-Konflikts, ob dieser denn »wirklich einen Krieg (der USA) mit Russland« wolle. Von McCain, ein Veteran der Vietnam-Aggression der Vereinigten Staaten, der damals aktiv die Außenpolitik der Demokraten unterstützte, erhielt er wohl keine Antwort. Doch der Friedensnobelpreisträger Barack Obama und sein Vize, Joe Biden, sowie deren Executives, Frau Nuland (»Fuck the EU«) und deren Theoretiker Robert Kagan, forcierten die Eskalation durch fortschreitende wirtschaftliche Isolation Russlands und aktives militärisches Vorrücken in den Osten Europas bis in die Ukraine hinein (siehe beabsichtigte Einrichtung einer Militärbasis der USA in Sewastopol auf der Krim) weiter. Der Erbe Joe Bidens versucht nun, entsprechend damit umzugehen. Und er behandelt die Menschen dort so, wie ihre eigenen Oligarchen, die sie mit Haut und Haaren an die USA verkauft haben.

3.) Das alles heißt nicht, dass die USA ihren Erzfeind nun plötzlich in ihre Arme schlie­ßen. Das war ja auch in Zeiten des Kalten Krieges wahrhaftig nicht so. Aber sie haben erkannt, dass der Krieg gegen Russland in der Ukraine nicht zu gewinnen ist, sondern sie (oder doch der »Wertewesten«?) einem Totalverlust entgegensteuern. Zugleich »war­tet« schon ein weiterer, neuer »strategischer Wettbewerber«, auf seine »Eindämmung« durch die Amerikaner. Das alles zwingt die USA, mit Russland zu verhandeln und mög­lichst einen, bereits 1990 fällig gewordenen neuen Ausgleichsdeal zu machen, der ihnen wenigstens die Bidensche »Fehlinvestition« zurückbringt und vermeintlich zugleich geostrategisch die Hände wieder frei macht.

4.) Dabei sind die meisten Teile eines Deals bereits Realität. Der Teufel wird aber wie so oft im Detail liegen, das alles nochmals erschweren bzw. durchaus auch eskalieren kann. Drei Problemkreise stechen dabei hervor:

Zum einen ist da die letztendlich gänzliche Einstellung der militärischen Fernsteuerung der Ukraine durch die USA. Die Starlink-Zielansprache kam in den letzten Tagen durch die Administration gegenüber Kiew bereits zur Sprache und dürfte nicht vom Tisch sein. Natürlich gehört dazu auch die Einflussnahme auf die westeuropäischen Verbündeten zur vollständigen Einstellung jeglicher Waffenlieferungen (das zu verhindern, scheinen sich Emmanuel Macron und Keir Starmer in D.C. gerade zu bemühen) sowie der Verhin­derung der Verwandlung des Bidenschen Kriegs gegen Russland in einen westeuropäi­schen. Das würde den USA zwar im Sinne der Gesichtswahrung und dem Verbleib in der Ukraine gut passen, wäre für Russland jedoch völlig inakzeptabel und für Europa eine Katastrophe. Da bleibt der US-Administration noch einiges zu tun.

Zum anderen bleibt der US-Wunsch nach einer materiellen Kriegsdividende, ob diese als Seltene Erden oder Öl ausfällt. Ersteres könnten die USA, so sie sie nicht von Kiew bekommen, durchaus über eine langfristige wirtschaftliche Kooperation mit Russland realisieren. Die Grenzfrage wäre für die USA ganz sicher sekundär. Bei Öl bin ich mir gar nicht mal sicher, ob die USA nicht (und das das wäre dann die Krönung der deutschen und EU-Russland-Politik der letzten Jahre) in das North-Stream-II-Konsortium einsteigen könnten und die Pipeline zusammen mit Gazprom betreiben. Das zuständige Schweizer Gericht hat schon mal seinen geplanten Insolvenzbeschluss um eine neue Frist verscho­ben. Vermeintlich stehe ein transatlantischer Investor bereit. Andererseits würde Russ­land sicherlich auch den West-Europäern eine »Friedensdividende« im Sinne einer aktiven wirtschaftlichen Tätigkeit in der Ukraine zugestehen. Das hatte es ja auch 2014 schon nicht ausgeschlossen, wie sich Frau Merkel doch bestimmt noch entsinnen kann.

Zum Dritten steht die Frage der Sicherung der künftigen Neutralität der Ukraine oder besser – der militärischen Nicht-Wiederkehr der USA, unter welchem Deckmantel auch immer. Hier ziert sich Donald Trump erwartungsgemäß. Deshalb versucht er auch, sich als Vermittler zwischen Russland und der Ukraine darzustellen. Doch ein bilateraler Vertrag zwischen Russland und der Ukraine kann hier einfach nicht funktionieren. Es muss schon eine Übereinkunft zwischen beiden sein, die dann bitteschön über Dritte abgesichert und kontrolliert werden kann. Dass die EU als solche selbstredend »wegen Befangenheit« ausscheidet, ergibt sich aus der Natur der Sache. Und Trump wird noch genug zu tun bekommen, um seine Partner aus dem Bidenschen Narrativ zu »befreien« und einfach »nicht zu stören«. China ist als Vermittler noch nicht so weit. Dazu müsste es erst mal einen Ausgleich zwischen dieser neuen, alten Großmacht und den USA geben. Der liegt noch in weiter Ferne. Die US-Experten stehen hier geistig noch ganz am Anfang. Man kann nur hoffen, dass es das nächste Mal ohne einen weiteren Krieg abgeht. Aber man sollte auch überlegen, was man dafür tun kann, auch Deutschland und die Westeuropäer.

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Die West- und Mittel-Europäer stehen also ganz offensichtlich neben den realen geopo­litischen Abläufen, einschließlich der Wiederherstellung eines Friedens in der Ukraine. Es lohnt sich, über die auch historischen Ursachen dafür nachzudenken. Ist dies doch für eine souveräne und friedliche Zukunft Deutschlands und Westeuropas von entschei­dender Bedeutung.

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Ein Mainstream-Journalist, der nicht zu Unrecht damit wirbt, dass es Wahrheit nur zu zweien gebe, stellte angesichts des Ukraine-Konflikts dieser Tage erfreulicherweise den Bezug zu dem historischen Treffen von Franklin D. Roosevelt, Josef V. Stalin und Win­ston Churchill im Februar 1945 in Jalta auf der Krim (!) her, um, wie er meinte, über eine Aufteilung Deutschlands und Europas zu beraten. Hier beginnt bereits eine der fatalsten Fehleinschätzungen der Ergebnisse des faschistischen Raub- und Vernich­tungskrieges gegen die Sowjetunion und die mit dem Potsdamer Abkommen im Juli/August 1945 fixierte vollständige Vernichtung des faschistischen Regimes in Hitler­deutschland, nicht die dauerhafte Besetzung und Zerstückelung Deutschlands. Es war ein »Kollateralschaden« dieses verbrecherischen Krieges, dass die Sowjetunion und die USA von Großmächten zu den beiden Weltmächten wurden und zugleich der erste wirk­liche geopolitische Ausgleich zwischen (Sowjet-) Russland und den USA zustande kam. Schon auf der Krim (die übrigens schon seit dem achten russisch-türkischen Krieg zu Russland gehörte und dessen Zugang zum Mittelmeer sicherte und symbolisierte) saß der Premier der bereits untergegangenen Weltmacht der Britischen Inseln am Katzen­tisch des historischen Geschehens, in Potsdam kam dann Frankreich noch hinzu und später – der Rest Westeuropas. Die Europäer außerhalb (Sowjet-) Russlands spielten weder in Ost noch West irgendeine relevante eigenständige Rolle in diesem globalen Ausgleich (»über ihre Köpfe hinweg«). Sie verwandelten sich in die jeweiligen Vorfelder der beiden Weltmächte, die aber immerhin mit ihrer Einigung mehr als 50 Jahre den Weltfrieden sichern, Rüstungsbegrenzung und partiell sogar Abrüstung befördern konn­ten. Sie reformierten mit der Gründung der Vereinten Nationen anstelle des vor dem Krieg zerstörten Völkerbundes das Völkerrecht bzw. schufen neues.

Diese Situation hielt bis 1990 an, dem Schicksalsjahr der Implosion der UdSSR. Die USA sahen das Ende der Geschichte (Fukuyama) gekommen, meinten Russland die Rol­le einer Großmacht absprechen zu können und an die Stelle des Völkerrechts ihre Rolle als »Weltinnenpolitiker«, später dann »wertebasierte Ordnung« genannt, zu setzen. So gingen sie auch vor, erstmalig sichtbar bei der Bombardierung Jugoslawiens. Umso hin­terhältiger war dann 2022 die vermeintliche Rückbesinnung von Joe Biden auf das Völ­kerrecht der UNO. Das war da bereits kaputt. – Die Sowjetunion hatte noch unter M. S. Gorbatschow die Osteuropäer aus ihrem Vorfeld entlassen und das neue Russland meinte anfänglich, die USA würden dies mit den Westeuropäern ebenso tun. Es war Bill Clinton, der 1997 bei einem Treffen in Helsinki seinem russischen Pendant Boris Jelzin erklärte, dass die USA die NATO weiterhin bräuchten, um in Europa zu bleiben. Sie behielten also machtpolitisch ihr Vorfeld – praktisch bis heute. So kam es auch, dass Vladimir Putin offensichtlich vom Auftritt im Deutschen Bundestag bis zu den immer »amerikanischer« werdenden Münchner Sicherheitskonferenzen mühsam lernen muss­te, dass die Westeuropäer ihre Souveränität vorläufig nicht wiedererlangen würden, und somit ein Europäischer Ost-West-Ausgleich und ein Europäisches Haus von Lissabon bis Wladiwostok ein naiver Traum Gorbatschows bleiben würde.

Zielstrebig trieben die USA dann ihre wirtschaftliche Expansion bei gleichzeitig zuneh­mender Isolation Russlands von der Weltwirtschaft sowie die militärpolitische Ausdeh­nung nach Osten voran – bis an den Bug, das Baltikum + Finnland, ja zum Schluss eben bis in die Ukraine hinein. Sie ließen es dann sogar auf einen Krieg gegen Russland ankommen. Übersehen haben sie dabei jedoch, wie schon vor ihnen die Franzosen und Angelsachsen in Europa und die Hitlerfaschisten (»Koloss auf tönernen Füßen«), dass sich eine Großmacht noch nie über das Bruttosozialprodukt definiert hat. Eine Groß­macht zeichnete sich noch immer durch die tendenzielle Autarkie ihrer Reproduktions­fähigkeit aus.

So war Bidens Kriegsabenteuer nicht zu gewinnen. Bei der neuen US-Administration ist diese Erkenntnis offensichtlich wieder angekommen. Die Wiederanerkennung Russ­lands als Großmacht durch die USA hat die Wende zu Verhandlungen ausgelöst. Ein »Kollateralschaden« seines Krieges ist übrigens der historische erstmalige geostrategi­sche Ausgleich zwischen Russland und China. Das gab es auch in sozialistischen Zeiten nicht. Auch hier bleibt richtig, die eigenen, durchaus nicht immer identischen Interes­sen bleiben bestehen. Aber der Ausgleich ist eine grundsätzliche Voraussetzung für die Friedenserhaltung und die friedliche Koexistenz, die aus dem Wortschatz unserer außenpolitischen Experten völlig verschwunden ist.

Im Nichtverstehen dieser Entwicklungen und damit ihrer eigenen Rolle besteht heute die eigentliche Gefahr für West- und Mitteleuropa, in einen weiteren Krieg hineingezo­gen zu werden. Es ist nur scheinbar paradox, aber J. D. Vance kam zur diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz nicht, um mit den Europäern über den Frieden in der Ukraine nachzudenken, sondern um ihnen ihre Rolle in dem »Game« klarzumachen. Und er hatte es doch gründlich vorbereiten lassen durch den transatlantischen Zwi­schenruf des ultrarechten ehemaligen Trump-Beraters Steve Bannon, der dem »Werte­westen« mitteilte, dass er zu einem Protektorat der USA geworden sei. Und kann dem ein Land mit 96 (!) Militärbasen einer zwar befreundeten, aber doch fremden Macht mit eigenen geostrategischen Interessen wirklich widersprechen? Die Einschränkung der Souveränität Deutschlands zu Zeiten der Weimarer Republik durch den Versailler Vertrag hat größer nicht sein können. Wohin sie geführt hat, konnte jeder 1933 besichtigen und erst recht 1939/41 ff. bis eben zu Jalta und Potsdam.

April 2025

 

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