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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Gianni Vattimo, Der authentische Kommunismus

Ellen Brombacher, Berlin

 

"Man muß sich weigern, Politik zu machen, als wären wir in einer normalen Situation, und statt dessen hinnehmen, daß die Situation nicht normal ist", so Gianni Vattimo. Und er zitiert Brecht: "Was sind das für Zeiten, wo ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist, weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt."

Vattimo, 1936 in Turin geboren, einer der führenden Gegenwartsphilosophen Italiens, hat ein brandaktuelles Werk vorgelegt: "Wie werde ich Kommunist". Die Macht des Kapitalismus sei unerträglich geworden, und zu Zynikern würden jene, die – um im Bild zu bleiben – so tun, als sei es normal, über Bäume zu reden. Die machten sich zu Komplizen. Das sei genau der moralische Verfall, der viele Exponenten der Linken kaputtmache. Und nicht nur deren Exponenten. Weit vor dem Scheitern der von Prodi geführten Koalition, im Kontext mit der Zustimmung zur Finanzierung der Militärmission in Afghanistan 2006, fragt er, wer bei kommenden Wahlen noch Parteien wie die Rifondazione Comunista, Comunisti Italiani oder die Grünen wählen würde, nachdem sie die "atlantische" Regierung unterstützt hätten. Seine Feststellung, daß nach den nächsten Wahlen die Linke "sehr wahrscheinlich für viele Jahre verschwunden sein" wird, hat sich bestätigt. Eine Warnung nicht nur an die italienische Linke, daß der Verzicht auf friedenspolitische Prinzipien zugunsten der Staatsraison ins Abseits führt. Vattimo geht weiter: Er stellt das System in Frage. Folgerichtig daher seine Polemik gegen jene, die stetig sagen, antikapitalistische Linke hätten keine Projekte. "Eine Linke, die nicht furchtsam und kompromißlerisch wäre, dürfte mit gutem Recht antworten: Unser Projekt besteht darin, die Rechten und ihre gegen die Freiheit gerichteten Gesetze zu zerschlagen. Danach sehen wir weiter."

So realistisch seine Kapitalismusanalyse, so diskussionswürdig sind seine Vorstellungen über das Danach. Sein Umgang mit ökonomischen Problemen, und gerade in diesem Kontext mit dem untergegangenen europäischen Sozialismus, bedarf der Debatte. Das belegt das nachfolgende Zitat in besonderer Weise. "Wenn Stalin sich der Transformation der sowjetischen Gesellschaft gewidmet hätte, ohne sie wie ein Wahnsinniger zu industrialisieren, hätte er zwar nicht den Wettlauf ins All ... gewonnen, und er hätte auch nicht die Armeen Hitlers aus eigener Kraft zurückgeschlagen, aber er hätte viele Leben gerettet."

Die Unverwechselbarkeit und Stärke Vattimos liegt in seiner Gegenwartsanalyse mit dem Schluß, der Kapitalismus sei gescheitert und daher bestünde die einzig mögliche Alternative darin, zum "authentischen" Kommunismus zurückzukehren. Die Linke müsse sich früher oder später dem Problem der "Revolution" stellen. Er fordert die Eindeutigkeit der Identität. "Die Unterschiede zwischen den (wenigen verbliebenen) Linken und den Reformisten müssen deutlich erkennbar bleiben". Die kleinen Schritte, die eine Regierung der linken Mitte in Italien gehen könne, seien nur möglich, "wenn ein empfindlicher Druck von einer Linken ausgeübt wird, die nicht von der Regierungstätigkeit kompromittiert wird und stark genug ist, sich Gehör zu verschaffen ... Diese Linke wird sich nur dann Gehör verschaffen, wenn sie ihr Wählergewicht nicht völlig verliert. Das aber ist in Gefahr, verloren zu gehen, wenn die kommunistischen Ideale in den Dienst einer kompromißlerischen und zutiefst atlantischen Regierungsmehrheit gestellt werden".

Vattimo fordert Italiens Linke auf, sich ihrer Wurzeln zu erinnern und nicht aus Resignation die Pax Americana zu akzeptieren. Sie sollte sich durch Nähe zu antikapitalistischen Regierungen auszeichnen, die heute beispielsweise in Südamerika zu finden sind. Auch hier müsse sie sich deutlich von den Reformisten unterscheiden, die Castro und Chávez und jetzt auch Evo Morales autoritäre Populisten schimpfen, die zur demokratischen Ordnung gerufen werden müßten. Vattimo polarisiert, und gerade das stimmt nachdenklich.

Rezension aus ND, 14. Oktober 2008, Beilage zur Frankfurter Buchmesse 2008.

Gianni Vattimo: Wie werde ich Kommunist. Rotbuch. 128 S., geb., 16,90 EUR.

 

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