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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Gegen das Wegschweigen des Anteils von Selbstbefreiung an der Befreiung Buchenwalds

Klaus Höpcke, Berlin

 

Den nachstehenden Text entnahmen wir Klaus Höpckes Sammelband "Geordnete Verhältnisse? – Streitbares aus dem Thüringer Landtag", GNN-Verlag Schkeuditz 1996 aus aktuellem Anlaß: Neues Deutschland brachte am 20./21. Dezember 2008 auf Seite 3 unter dem Titel "Die Helden sind rar geworden" eine Buchrezension von Peter Kirschey über "Das Buchenwaldkind" des britischen Historikers Bill Niven. Die Rezension setzt sich mit "gestrickten Mythen" auseinander und erklärt die Tatsache der Selbstbefreiung des Konzentrationslagers Buchenwald am 11. April 1945 im wesentlichen zu einer Legende, was unter anderem – gestützt auf das Buch? – mit falschen Zeitangaben über den Ablauf der Ereignisse des Tages begründet wird. Wurde hier das offizielle BRD-Geschichtsbild unkritisch rezipiert? – Zur Richtigstellung erschienen im ND vom 29. Dezember 2009 auf Seite 14 mehrere korrigierende Leserbriefe.

...

Vier Minuten Rede mit zwölf Zwischenrufen (= 3/min) und einigen Sammel-Fußnoten in nicht chronologischer Reihenfolge – Thüringer Landtag, 18. Mai 1995

Ich habe mich zu Wort gemeldet, weil bei der Rede meiner Kollegin Gabriele Zimmer per Zwischenruf "verdeutlicht" wurde, die Häftlinge selbst in Buchenwald hätten doch die Selbstbefreiung bestritten. Ich zitiere aus einem Buch, das in Tempelhof erschienen ist im Jahre 1947 und den Titel "Der SS-Staat" trägt und von dem ich annehme, Herr Dr. Vogel, daß Sie es seinerzeit auch gehabt haben, so wie ich.

(Zwischenruf Dr. Vogel, Ministerpräsident: Ja. Das habe ich sogar noch ...)

Ich auch, wie Sie sehen. Auf Seite 313 dieses Buches

(Zwischenruf Abg. Enkelmann, SPD: Ein Buch aus dem Giftschrank des Ministers.)

Dieses Buch stammt nicht aus dem Regal des Ministers, sondern eines Schülers, der damals die Oberschule in Neubrandenburg in Mecklenburg-Vorpommern besucht hat.

(Zwischenruf Abg. Dr. Dr. Dietz, CDU: Dem haben Sie es doch konfisziert. )

Ich bin selbst der Schüler gewesen. Sie müssen doch einmal ein bißchen nachrechnen. Auf Seite 313 dieses Buches konnte man schon damals lesen, daß Eugen Kogon festgestellt hat, daß die 21.000 in Buchenwald, die noch lebten, den Wachturm besetzt haben, die Drähte durchschnitten haben und daß sie so einen Lagerzustand herbeigeführt haben, der dazu führte, daß die amerikanischen Panzer, die vom Nordwesten her anrollten, das – in kursiv gedruckt bei Kogon – befreite Buchenwald vorfanden.

(Zwischenruf Abg. Schwäblein, CDU: Haben Sie den jüdischen Häftling voriges Jahr bei der Einweihung des Denkmals gehört?)

Darf ich Ihnen sagen, was Elie Wiesel – wahrscheinlich beziehen Sie sich auf ihn? [Fußnote 1] – in der "Zeit" geschrieben hat, in der Hamburger Wochenzeitung "Die Zeit"? "An diesem Tag – 11. April – erhob sich die lagerinterne Widerstandsbewegung. Es kam zum Kampf. Die SS flüchtete, die Aufständischen übernahmen das Lager, und wenige Stunden später kamen die ersten amerikanischen Soldaten." Über das Gewicht dessen, was Eugen Kogon und Elie Wiesel über den Anteil der Selbstbefreiung gesagt haben, und über den Anteil der äußeren Befreiung ist ein normaler historischer Streit durchaus in Ordnung. Dagegen wende ich mich überhaupt nicht.

(Zwischenruf Abg. Dr. Dr. Dietz, CDU: Das ist aber nicht sehr fruchtbar.) [Fußnote 2]

Eben, eben. Aber daß man sich auf dem Appellplatz in Buchenwald hinstellt – und da hat es bei den früheren Häftlingen ganz ähnliche Reaktionen gegeben, wie Sie, Herr Dr. Zeh, es von Nordhausen geschildert haben – und ihnen den Anteil der Selbstbefreiung bestreitet, das fand ich ...

(Zwischenruf Ministerpräsident Dr. Vogel: Wer hat denn das getan? Sie müssen die Wahrheit sagen.) – (Unruhe im Hause)

Sie haben von ... Ich weiß, daß ich dort gestanden habe, wo Sie dies als eine Legende hingestellt haben.

(Zwischenruf Dr. Vogel, Ministerpräsident: Ich habe den Amerikanern gedankt, daß sie auch an der Befreiung beteiligt waren.) [Fußnote 3]

Es ist interessant, daß Sie jetzt das "auch" sagen und dort nicht von der Selbstbefreiung gesprochen haben.

(Zwischenruf Dr. Vogel, Ministerpräsident: Sie wollten mich doch nur in ein falsches Licht bringen.)[Fußnote 3]

Ich will nur feststellen, daß Sie die Wahrheit, daß die Selbstbefreiung auch einen Anteil hatte, dort nicht zur Sprache gebracht haben, sondern wegschweigen wollten. Das ist das Unerhörte.

(Zwischenruf Dr. Vogel, Ministerpräsident: Das ist unerhört.)[Fußnote 3]

Das ist das Unerhörte, daß Sie wegschweigen wollten, daß 21.000 Menschen gerettet worden sind, auch dank der militärischen Organisation innerhalb des Nazi-KZ.

(Zwischenruf Abg. Zeh, CDU: Peinlich, peinlich.) [Fußnote 3]

Es ist auch von Eugen Kogon akzeptiert worden, daß hier kommunistische Häftlinge eine wesentliche Rolle gespielt haben. Wahrscheinlich stört Sie das, daß deren Anteil besonders hoch war. (Beifall bei der PDS)

Vizepräsident Dr. Hahnemann:

Herr Abgeordneter, ich muß Sie darauf hinweisen, daß Ihre Redezeit abgelaufen ist.

(Zwischenruf Abg. Dr. Dr. Dietz, CDU: Die Selbstbefreiung wäre ...)

Richtig ist, daß es diese Wechselwirkung gibt. Ich sage noch einmal, über die Wechselwirkung zu diskutieren von Befreiung und Selbstbefreiung, das ist in Ordnung. Aber den Anteil der Selbstbefreiung zu leugnen, das ist eine Beleidigung all derjenigen, die daran beteiligt waren. (Beifall bei der PDS)

(Zwischenruf Dr. Vogel, Ministerpräsident: Bewußt falsches Zeugnis reden.) [Fußnote 4]

Fußnoten:

1. Herr Schwäblein meinte nicht Elie Wiesel, an den ursprünglich die Einladung zur Einweihung des Denkmals für die jüdischen Häftlinge gegangen war. Aber auch die Äußerungen von Naphtalie Lawie-Lau, der an Wiesels Stelle gesprochen hat, widerlegen nicht die Äußerungen von Eugen Kogon und Elie Wiesel.

2. Mit diesen beiden Äußerungen von Herrn Dietz (Seite 106 und 108) kann ich einverstanden sein – mit zwei Anmerkungen:

a) Wenn er damit recht hat, daß schon Streit unter Historikern über den Anteil der Selbst­befreiung an der Befreiung "nicht sehr fruchtbar" sei, um wieviel mehr muß es als verfehlt, stillos, die Würde der einladenden Häftlingsorganisationen verletzend empfunden werden, wenn die Gelegenheit einer Begrüßungsansprache auf einer Gedenk-Kundgebung benutzt wird, wie Herr Vogel es getan hat, einer einseitigen Version das Wort zu reden?!

b) Dem im stenografischen Landtagsprotokoll nicht zum Satz vollendeten Satzanfang "Die Selbstbefreiung wäre ...", der wohl fortgesetzt zu denken ist: "... ohne äußere Befreiung aussichtslos gewesen", stimme ich ohne Einschränkung zu.

3. Herrn Vogels Zwischenruf, er habe "den Amerikanern gedankt, daß sie auch an der Befreiung beteiligt waren", ist unter zwei Gesichtspunkten bedenklich:

a) was historisch zutrifft – dafür wäre ein bloßes "auch" zu schwach;

b) was er tatsächlich gesagt hat – da spielt ihm verdrängende Erinnerung einen Streich: Weil er bei der Befreiung tatsächlich nur an die 3. Amerikanische Armee erinnert hat, bricht hier das nachträgliche Bedürfnis durch, anderen ebenfalls gedankt zu haben. Den ehemaligen Häftlingen hat er für ihren Anteil an der Befreiung weder überhaupt noch "auch" gedankt; gedankt hat er dafür, daß Überlebende von ihnen zum 50. Jahrestag gekommen waren. Was hiernach unerhört und "peinlich, peinlich" ist, darüber werden sich Leserinnen und Leser selbst ein Urteil bilden. Das gilt auch für Vogels Klage, ich wollte ihn "nur in ein falsches Licht bringen". Was meine Bezugnahme darauf betrifft, daß er etwas als Legende hingestellt hätte, so bin ich dank der nun vorliegenden Niederschrift in der Lage, künftig genau zu zitieren: "Wenn wir die Gedenkstätten des Terrors als Zeugnis für die Nachwelt und als Mahnung für die Zukunft pflegen, dann vor allem, um Wahrheit statt Legenden zu fördern." Das halte ich für eine zutreffende Aussage. Als worauf gemünzt das Wort "Wahrheit statt Legenden" zum gegebenen Zeitpunkt am gegebenen Ort von vielen empfunden wurde – darin besteht die Problematik, auf die aufmerksam zu machen ich für notwendig hielt.

4. Zu Vogels Ausruf am Ende meines Beitrags ("Bewußt falsches Zeugnis reden."): War das ein unvollendet gebliebener Satz der Selbstbesinnung, der vielleicht fortgesetzt so zu denken wäre?: "... sollte ich eben doch lieber unterlassen." Oder richtete sich dieser Satz als Beschuldigung gegen mich, als ob nicht er es war, der falsch Zeugnis gegen mich geredet, sondern ich gegen ihn?

Im zweiten Buch Moses der Bibel heißt es im 20. Kapitel in den heiligen zehn Geboten zwischen den Sätzen "Du sollst nicht stehlen." und "laß dich nicht gelüsten deines Nächsten Hauses. Laß dich nicht gelüsten deines Nächsten Weibes, noch seines Knechts, noch seiner Magd, noch seines Ochsen, noch seines Esels, noch alles, das dein Nächster hat.": "Du sollst kein falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten." Im vorliegenden Fall ist durch einwandfreie eindeutige Wortstand-Identifikation erwiesen, wer wider seinen Nächsten falsch Zeugnis redete. Spitzfindige Geister könnten einwenden, wieso "Nächster", er sei mir doch wohl kaum nahe und erst recht ich ihm nicht? Ja, ja. Aber im Sinne der Bibel ist er mir ein Nächster – so, vorausgesetzt, er hält sich an die Bibel, wie ich ihm.

 

Mehr von Klaus Höpcke in den »Mitteilungen«: 

2008-07: Die extremistische Apostelgeschichte

2008-05: Entgeistigung