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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Feuchtwanger

Prof. Dr. Hermann Klenner, Berlin

 

In den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts regte Prof. Dr. Hans Nathan (1900 - 1971), der übrigens als deutsch-jüdischer Emigrant im englischen Exil in die Kommunistische Partei eingetreten war, die Juristenfakultät der Berliner Humboldt-Universität an, Lion Feuchtwan­ger anlässlich seines 70. Geburtstages ehrenhalber zum Doktor der Rechtswissenschaft zu ernennen. Gleichzeitig bat Genosse Nathan den damals als Wahrnehmungsdozent an der Fakultät lehrenden Dr. H. K., eine Begründung für diese Verleihung des Dr. h. c. auszuarbei­ten, denn er kannte meine Verehrung für Feuchtwanger und wusste, dass ich dessen Bücher mit Begeisterung auch gelesen hatte. Getan wie gebeten. Anschließend habe ich meinen Be­gründungsvorschlag zu einem kleinen Artikel ausgebaut, der dann auch in der damaligen Ju­ristenzeitschrift der DDR namens Staat und Recht, Jg. 1954, S. 438-442, unter dem Titel »Dr. phil. Dr. jur. h. c. Lion Feuchtwanger« veröffentlicht worden ist. [1] Was damals freilich in der DDR nicht bekannt war: Feuchtwanger hatte Ende 1936, Anfang 1937 die Sowjetunion be­sucht, dabei auch ein dreistündiges Gespräch mit Stalin geführt und in Amsterdam 1937 einen »Reisebericht für meine Freunde« unter dem Titel »Moskau 1937« publiziert. Auch wuss­ten wir noch nicht, dass er in den USA stundenlangen Verhören durch das FBI ausge­setzt und als angeblicher sowjetischer Spion vollständiger Überwachung ausgesetzt war. [2] – Auf Anregung des Bundessprecherrates der KPF und aus Anlass des 60. Todestages von Lion Feuchtwanger (7. Juli 1884 – 21. Dezember 1958) wird mein Staat-und-Recht-Artikel aus dem Jahre 1954 nachfolgend – zwar erheblich gekürzt, ansonsten jedoch unverändert – ver­öffentlicht.

 

Dr. phil. Dr. jur. h. c. Lion Feuchtwanger

Die traditionsreiche juristische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin hat in Würdi­gung seiner bedeutsamen Beiträge zur Lösung von historischen und gegenwärtigen Aufga­ben der deutschen Staats- und Rechtswissenschaft Lion Feuchtwanger an seinem 70. Ge­burtstag, am 7. Juli 1954, einmütig zum Doktor der Rechte ehrenhalber promoviert.

Damit hat der Rat der Fakultät einen großen deutschen realistischen Gesellschaftskritiker, dessen literarisches Gesamtwerk in die zeitgenössische Weltliteratur eingegangen ist, mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln geehrt und sich eingereiht in die Schar der Dan­kenden unserer Nation.

Mag die künstlerische Form, in der Feuchtwanger arbeitet, von der wissenschaftlichen ver­schieden sein, mit der zu arbeiten unsere Aufgabe: die inhaltliche Gestaltung des gleichen Anliegens überstrahlt die Art ihrer Darstellung. Die Wirklichkeit erscheint in mancherlei Form und spiegelt sich in Worten und Tönen, in Begriffen und Bildern; wenn diese nur Menschen von der Wahrheit zu überzeugen vermögen, tritt die Frage nach dem Wie in den Hintergrund.

Über diese allgemeine Gleichartigkeit des wissenschaftlichen und künstlerischen Bemü­hens hinaus sind mannigfach die speziellen Berührungspunkte zwischen dem epischen Werk Feuchtwangers und den Problemstellungen unseres Wissenschaftszweiges.

»Wenn man das Recht beugt, ...«

In seinem erstmals 1930 (jetzt in der Neuausgabe des Aufbauverlages 1950 wieder) er­schienenen Roman »Erfolg« warnt Lion Feuchtwanger das deutsche Volk schon frühzeitig vor der faschistischen Entwicklung. Wir finden in dieser Gestaltung der Geschichte Bay­erns 1921-1924 nicht nur in der Person des Rupert Kutzner und der Partei der »wahrhaft Deutschen« die von hysterischen Bestien angeführte Nazipartei wieder, wir lernen auch – freilich oft von separat-bayrischem Psychologismus verdeckt – den Mechanismus durch­schauen, mit dem die großkapitalistischen Hintermänner der Münchner Faschisten ihre volksfeindlichen Ziele zu erreichen trachteten. Vor allem aber fesselt uns die als Mittelpunkt gewählte Darstellung der Justizwillkür einer zum Faschismus entartenden Gesellschaftsordnung, in der »die materiell Minderbemittelten zumeist in den Linksparteien, die geistig Minderbemittelten in den Rechtsparteien organisiert waren« (S. 231), fesselt uns die Darstellung des klug berechneten Justizmordes an dem Kunsthistori­ker Martin Krüger durch die gutgeölte, ach so »unpolitische« Gerichtsmaschinerie.

Das außerordentlich Bedeutungsvolle an der Charakterisierung der bayrischen Justizver­hältnisse besteht darin, daß es unseres Wissens in der Weimarer Zeit keinen deutschen Rechtswissenschaftler gegeben hat, der die verschiedenen juristischen Strömungen so richtig und klarer einzuschätzen vermochte wie in künstlerischer Form Feuchtwanger. Ob Feuchtwanger jenen Typ von Richtern anprangert, der – wie Landgerichtsdirektor Dr. Hartl – »sich hinreichend souverän fühlte, mit Hilfe der zur Verfügung stehenden Paragraphen jeden Spruch, der ihm beliebte, formal überzeugend zu begründen« (S. 21), dessen Leit­satz (S. 353) lautete: »Wenn man das Recht beugt, darf man sich keine Formfehler leisten«, ob Feuchtwanger (S. 102, 230) von der »doppelten Buchführung« der bürgerlichen Moral und Gesetzlichkeit berichtet, ob er (S. 355) das Gaunerbewußtsein der von der Re­volution 1918 verschonten unabsetzbaren Richter, die sich als »Pfeiler der alten Ordnung« gebärdeten, zu uns sprechen läßt, ob er in der Person des Senatspräsidenten Messerschmidt jenen liberalen Typ von bürgerlichen Juristen auftreten läßt, der –  obschon besten Willens und sehenden Auges – doch aus lauter »Pflichtgefühl« nicht mit einer Ter­rorjustiz zu brechen vermag, ob er (S. 232, 352, 356) die Handhabung einer Strafjustiz deutlich werden läßt, die für den »gemeinen Mann Falle und Verstrickung« bringt, so daß die Öffentlichkeit anfängt, »den Richter so zu behandeln wie frühere Zeiten den Henker«, ob er die Unmenschlichkeiten eines Strafvollzugs schildert, bei dem dreimal soviel Seelsorger als Ärzte tätig sind, immer gelingt es Feuchtwanger, Typisches (und das ist nun einmal nach Belinski das »Wappensiegel« des Autors) zu charakterisieren.

Feuchtwanger durchschaut (S. 79, 127, 130) das Klassenwesen der Gegnerschaft gegen das »starre, normative Recht«. Er zeigt, daß diese gesetzlichkeitszersetzende konservative Richtung derer, denen Logik, Menschenrechte und Demokratie ein »Schmarrn« ist, unter dem Panier einer angeblich »Wahrhaft volkstümlichen Justiz« lediglich die berechtigten Stim­mungen der Massen gegen die bürokratische Gerichtsmaschinerie ausnutzen will, um einen den Interessen der »Großkopfeten« noch anpassungsfähigeren Apparat zu errichten. [...]

Von einer weiteren, zweiten Seite aus ist die Ehrenpromotion Feuchtwangers gerechtfer­tigt: In den Werken seiner reifen Zeit, besonders in den großen Romanen »Die Füchse im Weinberg« (Berlin 1952), »Goya« (Rudolstadt 1952), »Narrenweisheit« (Berlin 1953) hat Feuchtwanger den Befreiungskampf bedrängter Nationen und den Aufstieg einer fort­schrittlichen Gesellschaft gestaltet und schließlich das Volk als Vollstrecker der histori­schen Notwendigkeit, der Gesetze der Geschichte in den Vordergrund der Handlungen ge­rückt. [...]

Massen und Staat in der Revolution

Im Nachwort zu seinen »Füchsen im Weinberg« (S. 932) schreibt Feuchtwanger: »Der Autor aber, der es unternimmt, einen ernsthaften historischen Roman zu schreiben . . ., weiß: die Kräfte, welche die Völker bewegen, sind die gleichen, seitdem es aufgezeichnete Geschich­te gibt. Sie bestimmen die Gegenwart ebenso, wie sie die Vergangenheit bestimmt haben. Diese unveränderten und unveränderlichen Gesetze in ihren Auswirkungen zu gestalten, ist wohl das höchste Ziel, das ein historischer Roman erreichen kann.« Und in seinen Bemer­kungen zur Entstehungsgeschichte der »Füchse im Weinberg« schreibt Feuchtwanger (Lion Feuchtwanger zum 70. Geburtstag. Worte seiner Freunde, Berlin 1954, S. 151): »Ich wollte zeigen . . . das Zufällige in dem sorglich Geplan­ten und das Notwendige im scheinbar Zufäl­ligen . . . Ich wollte zeigen, daß Fortschritt mehr ist als eine leere Phrase . . .« [...]

Was sich in der Josephus-Trilogie Feuchtwangers bereits ankündigte, wird in seinem neues­ten Roman: »Narrenweisheit oder Tod und Verklärung des Jean-Jacques Rousseau« zu einem Gemälde eindringlichster Art: Das Volk erscheint als Schöpfer der Geschichte, die Rolle der Persönlichkeit wird in eine ihrer tatsächlichen Bedeutung entsprechende Form eingedämmt. Gewiß, nach seiner ausdrücklichen Beteuerung handelt auch Feuchtwangers »Füchse im Weinberg« nicht von Franklin und Beaumarchais, nicht von der Antoinette und nicht von Voltaire, sondern »vom Sinn des geschichtlichen Geschehens«; aber bislang war der Held seiner Bücher der Fortschritt, entweder gestaltet ausschließlich in seinen offiziel­len Repräsentanten oder – wie im Goya – zu einer Zeit, da eine Handvoll Adliger und Intel­lektueller tatsächlich Geschichte machte und die Bauern noch schliefen: erst im Rousseau-Roman sehen wir die wirklichen Vollstrecker der historischen Notwendigkeit, die Massen selbst am Werk. An zentraler Stelle (S. 389 f.) läßt Feuchtwanger einen von der Revoluti­onspraxis hingerissenen Girondisten, der in seinem Heimlichsten gehofft hatte, »die Revo­lution könne von oben gemacht werden, ohne das Volk«, sagen: ». . . wir haben dem Volk auf die Schulter geklopft . . . und nun hat uns das Volk auf den Düngerhaufen geworfen. Mit Recht. Denn unsere kunstvolle Klugheit hat versagt. Und wer die Revolution durchge­führt und Geschichte gemacht hat, das war die plumpe, primitive Weisheit des Volkes.«

Aber nicht nur das in ihm geronnene Wissen um das Fortschreiten der Menschheit »nach den Gesetzen einer großen guten Notwendigkeit« (S. 357) macht den Roman so bedeut­sam; es ist auch das Bekenntnis Feuchtwangers zu den terroristischen Waffen, mit denen dieser die Vernunft Rousseaus realisierte. Während der Roman »Erfolg« statt mit einer politischen sich mit einer künstlerischen Lösung des juristischen Problems begnügt, wäh­rend noch Jacques Tüverlin (im »Erfolg« S. 825) behauptet, daß mit Gewalt nur diejenigen die Welt zu verändern suchen, die sie nicht erklären können, gibt der Roman »Narrenweis­heit« Kunde davon, daß die Vernunft sich mit der Macht paaren muß, wenn sie über die Herrschaft der Dummheit siegen will. Hier wird von Feuchtwanger die philosophische Be­deutung des Staates in der Revolution erkannt. [...]

Zu den bedeutenden Schriftstellern, die in dichterischer Form Probleme der Staats- und Rechtswissenschaft behandelt haben, gehört neben Balzac und Kleist, neben Brecht und Shakespeare, neben Anatole France und Tolstoi unser Nationalpreisträger Dr. jur. h. c. Lion Feuchtwanger. Er formt das gesellschaftliche Sein, indem er das Bewußtsein der Gesell­schaft formt und verändert. Was er gestaltet, vermag Lichter der Erkenntnis auch da zu entzünden, wo die Wirkung fachwissenschaftlicher Schriften ihre Grenzen hat. Auf das Hin­eintragen der Wahrheit in die breitesten Volksmassen kommt es aber an, eine Gewißheit, von der Feuchtwanger in den Bemerkungen zur russischen Gesamtausgabe seiner Werke gesteht, sie der Begegnung mit den Sowjetlesern zu verdanken.     

(Zwischenüberschriften entstanden in der Mitteilungen-Redaktion)

 

Anmerkungen:

[1]  Vgl. auch: LION FEUCHTWANGER ZUM 70. GEBURTSTAG, Berlin 1954, S. 121.

[2]  Vgl. V. Skierka, Lion Feuchtwanger, W.-Berlin 1984, S. 263-273; W. Sternburg, Lion Feuchtwanger, Berlin 2016, S. 470-486.

 

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