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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

"… fähig, das Unrecht zu wiederholen."

Tim Engels, Düsseldorf

 

Brandanschlag auf Roma und Sinti in Leverkusen, Nordrhein-Westfalen

 

Noch wissen wir nicht, ob es Faschisten waren, die in der Nacht zum 25. Juli Glasflaschen mit Brandbeschleunigern in das Wohnzimmer der Familie Goman in Wiesdorf schleuderten. Neun Menschen, darunter Kinder, befanden sich zur Tatzeit in dem Raum, elf weitere in dem Gebäude. Es ist nur großem Glück und Zufall zu verdanken, daß niemand schwer verletzt oder gar getötet wurde. Entsprechend wird nun seitens des Landeskriminalamtes wegen versuchten Mordes und besonders schwerer Brandstiftung ermittelt, eine rassistisch motivierte Tat der extremen Rechten ausdrücklich nicht ausgeschlossen. Von Zeugen konnten bisher vier Täter ausgemacht werden, die der Herkunft der Fahrzeug-Kennzeichen nach zu schließen, aus Neuss bzw. Frankfurt a. M. kamen. Zwei von ihnen sollen glatzköpfig gewesen sein, nach einem wird mit Phantombild gefahndet. Die Bewohnerinnern und Bewohner selbst weisen die Täter-Opfer-Verkehrung, es handle sich dabei um eine "Stammesfehde" zurück, sie vermuten die Täter eher in der rechten Szene Nordrhein-Westfalens bzw. Hessens. Selbst Linke in Leverkusen bezweifeln die Herkunft der Täter, jedenfalls aus rechten Strukturen in der Stadt. Auch der Vorsitzende des Zentralrates Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, war entsetzt und bemerkte, daß es bereits in der Vergangenheit Gewaltandrohungen aus der neonazistischen Szene gegen Roma und Sinti in Leverkusen gegeben habe: "Die Taten müssen umfassend aufgeklärt und Täter sowie eventuelle Hintermänner schnellstens gefunden werden".

Alltagsrassismus

Am Ende jedoch kommt es darauf nicht an. Tatsache ist, daß hier seit Jahrhunderten ein Klima vorherrscht, in dem der Übergang von mentalem Antiziganismus, also sog. Zigeunerfeindlichkeit, bis zum tätlichen Angriff nur eine Frage der Zeit ist. Da unterscheidet er sich wesengemäß nicht von anderen Rassismen. Entsprechend nahm die Neusser Antifa das PKW-Kennzeichen des Rhein-Kreises zum Anlaß, am selben Tag eine Spontankundgebung in der Neusser Innenstadt abzuhalten. Dort verlautbarte sie, daß es sich bei dem Mordversuch keineswegs um einen Einzelfall gehandelt habe. "Der erst kürzlich stattgefundene Anschlag in Norwegen und eine Vielzahl von Anschlägen auf Flüchtlingshäuser oder Menschen mit vermeintlichem Migrationshintergrund in Deutschland sind nur ein Beleg dafür, daß völkische, nationalistische und rassistische Ideologien auch weiterhin in den Köpfen bestehen". Und entsprechend aufgeheizt war die Stimmung in Leverkusen. Seit Jahren hetzt die extrem rechte Partei "PRO NRW" mittels ihres Vorsitzenden Markus Beisicht, Rechtsanwalt, der als solcher gerne straffällig gewordene Neonazis und "PRO"-Partei-Mitglieder verteidigt, gegen Roma und Sinti, von denen er meint, daß man sie "auch als Interessensverbände für organisierte Kriminalität bezeichnen könnte".

Die zweite Verfolgung

Das sind die gleichen Stigmata, mit denen schon die Nazis ihre "willigen Vollstrecker" gegen die "fremdrassigen Asozialen" zu agitieren wußten. Folgerichtig sprechen Roma und Sinti selbst von der "zweiten Verfolgung", die sie im postfaschistischen Deutschland erleiden mußten und müssen. In Fortsetzung der "Zigeunerpolitik" der Weimarer Republik wurden sie von den Nazis zunächst "nur" sozial ausgegrenzt; analog zur sog. Judenverfolgung mündete diese in bürokratisch-deutscher Konsequenz in ihr entsprechende Vernichtungspolitik, an deren Ende der Völkermord einer halben Millionen Roma und Sinti zu beklagen war. Als solcher anerkannt, was für eine "Entschädigung" der Opfer und ihrer Familien relevant war, wurde er in der BRD erst 1985! Zu diesem Zeitpunkt lebten bereits viele "rassisch Verfolgte" nicht mehr. Außerdem hörten die Schikanen nie auf. Noch 1989 sprach Anton Franz als Vertreter der Deutschen Sinti und Roma in NRW von einer "40-jährigen Geschichte der Demütigung, Willkür und kalten Bürokratie". Zum Teil waren es dieselben Beamten, die über die Entschädigungsanträge zu entschieden hatten, die vor 1945 in den "Dienststellen für Zigeunerfragen" beschäftigt waren. Ein Denkmal für die ermordeten Opfer des Porajmos (Romanes-Begriff für Holocaust oder Shoah) existiert bis heute nicht, die Grabstätten verfallen, die Rahmenvorgaben der Europäischen Kommission zur Verbesserung der Lage der Roma und Sinti in Europa harren weiter ihrer Umsetzung in nationales Recht.

Deutsche Kontinuität

Die Antifa sieht diese Kontinuitäten, wenn sie feststellt, daß der staatliche Rassismus seit jeher nicht von der Alltagsxenophobie (allgemeiner Fremdenfeindlichkeit) zu trennen sei, für den der bundesweit einzige Neusser Frauenabschiebknast Pate stehe. Seit dem Siegeszug des Kapitalismus 1989/90 seien mehr als 10.000 Menschen an den Grenzen Europas gestorben. Von denen, die es schafften, würden jährlich Tausende in ihre Herkunftsländer oder vermeintlich sichere Drittstaaten abgeschoben, so auch Roma in die Nachkriegsregion Kosovo oder nach Ungarn, wo sie sich dem Mob faschistischer Paramilitärs ausgesetzt sehen.

"Zigeunerpolitik" und Linke

Aus diesem Grund wird die Landtagsfraktion DIE LINKE. in NRW in den anstehenden Plenarsitzungen ab dem 28. September beantragen, daß die Landesregierung vom Landtag aufgefordert werde, im Rahmen der Innenministerkonferenz einen Beschluß zu erwirken, der die erleichterte Zuwanderung bzw. Niederlassung bereits hier lebender Roma und Sinti ermögliche; ferner bis dahin, die nach dem "Rückübernahmeabkommen" mit dem Kosovo anstehenden Abschiebungen von Roma und Sinti, Ashkali sowie Ägyptern auszusetzen und schließlich den bereits Abgeschobenen ein Rückkehrrecht einzuräumen. Es ist zurzeit nicht anzunehmen, daß die Fraktionen von Bündnis90/Die Grünen und der SPD dem zustimmen werden. Darüber hinaus wird die Linksfraktion den Anschlag von Leverkusen auf der nächsten öffentlichen Innenausschußsitzung am 22. September um 15:00 Uhr thematisieren. Löblich ist sicherlich auch, daß Petra Pau als Bundestagsvizepräsidentin noch vor rund zweieinhalb Jahren zu Gast beim Zentralrat Deutscher Sinti und Roma war, um sich für einen entsprechenden verbesserten Minderheitenschutz in Europa stark zu machen. Viel ist davon hier nicht zu spüren. DIE LINKE sollte ihre Aktivitäten diesbezüglich verstärken. Zwar finden die Sinti und Roma im Geschichtsteil "Woher wir kommen,…" des Leitantrages zum Parteiprogramm im Hinblick auf den systematischen Massenmord der Nazis Erwähnung. Und auch im Kapitel IV zu den linken Reformprojekten wird die Forderung nach Gleichberechtigung u. a. für sie erhoben. Aber ob dies reicht?

"…wir sind an Euch schuldig geworden!"

"Wo die körperliche und seelische Integrität von Menschen verletzt wird, kann es keine Wiedergutmachung geben -, das Gut ist zerstört -, nur können seine Wunden gelindert werden. // Geld ist wohl das geringste Mittel, symbolisch zum Ausdruck zu bringen: wir sind an Euch schuldig geworden! // Eine Gesellschaft, die diesen Akt nicht leistet, so daß Verdrängung nicht mehr gelingen kann, ist bis in die Wurzeln marode und potentiell fähig, das Unrecht zu wiederholen." (Helma Hein)

 

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