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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

EU-Militarisierung: Neuer (deutscher) Anlauf

Sabine Lösing, Göttingen

 

Nach dem Scheitern der »Europäischen Verteidigungsgemeinschaft« (EVG) 1954 spielten militärpolitische Fragen weder in der am 1. Januar 1958 ins Leben gerufenen »Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft« (EWG) noch in späteren Vertragsrevisionen eine größere Rolle. Ernsthafte Gehversuche fanden erst wieder Ende der 1990er Jahre statt, als vor allem der Aufbau einer schnellen EU-Eingreiftruppe im Umfang von 60.000 Soldaten beschlossen wurde. Auch in der Folge bemühten sich vor allem Deutschland und Frankreich immer wieder, die »Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik« (GSVP) voranzutreiben, scheiterten aber zumeist am Veto Großbritanniens, das nahezu alle Initiativen in diesem Zusammenhang blockierte. Das Referendum am 23. Juni 2016, bei dem sich die Mehrheit der britischen Bevölkerung für einen EU-Austritt entschied, machte deshalb den Weg für eine neue Militarisierungsoffensive frei. Elmar Brok zum Beispiel, der damalige Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des EU-Parlaments, weinte den Briten keine Träne nach, als er sich unmittelbar nach dem Referendum zu Wort meldete: »Der Brexit hat auch gute Seiten. […] Jahrelang haben uns die Briten aufgehalten. Jetzt geht es endlich voran.«

Globalstrategie und Spitzenrüstung

Nur fünf Tage nach dem britischen Referendum nahm der EU-Rat eine neue Globalstrategie (EUGS) an, die seither das wichtigste Rahmendokument für die EU-Außen- und Militärpolitik darstellt. Sie nennt als »Interessen« ein »offenes und faires Wirtschaftssystem« und den »Zugang zu Ressourcen«. Dies beinhalte den »Schutz« von Handelswegen »im Indischen Ozean«, »im Mittelmeer«, am »Golf von Guinea« bis hin zum »Südchinesischen Meer« und der »Straße von Malakka«. In diesen Regionen sieht sich EUropa berufen – notfalls militärisch – für »Ordnung« zu sorgen, vor allem in ihrem unmittelbaren Umfeld: »Die EU wird sich – praxisorientiert und auf Prinzipien gestützt – für die Friedenskonsolidierung einsetzen; dabei werden wir die Bemühungen auf unsere östlichen und südlichen Nachbarregionen konzentrieren, während weiter entfernte Einsätze von Fall zu Fall erörtert werden.«

Hierfür sollen die Kapazitäten für »autonome« – also unabhängig von NATO und damit den USA durchführbare – Militärinterventionen aufgebaut werden: »Die Mitgliedstaaten [benötigen] bei den militärischen Spitzenfähigkeiten alle wichtigen Ausrüstungen, um auf externe Krisen reagieren und die Sicherheit Europas aufrechterhalten zu können. Dies bedeutet, dass das gesamte Spektrum an land-, luft-, weltraum- und seeseitigen Fähigkeiten, einschließlich der strategischen Grundvoraussetzungen, zur Verfügung stehen muss. […] Eine tragfähige, innovative und wettbewerbsfähige europäische Verteidigungsindustrie ist von wesentlicher Bedeutung für die strategische Autonomie Europas und eine glaubwürdige GSVP.«

Bratislava-Agenda

Schon einen Tag vor Verabschiedung der EU-Globalstrategie gaben die damaligen Außenminister Deutschlands und Frankreichs in dem gemeinsamen Papier »Ein starkes Europa in einer unsicheren Welt« die Richtung vor. Die beiden Länder müssten die Führungsrolle übernehmen und ihre »Anstrengungen auf dem Gebiet der Verteidigung verstärken«, um »die EU Schritt für Schritt zu einem unabhängigen und globalen Akteur zu entwickeln.« Am 12. September 2016 zogen die damaligen Verteidigungsminister in einem  zweiten deutsch-französischen Papier mit ganz ähnlichen Forderungen nach, die dann am 14. September 2016 von EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker in seiner Rede zur Lage der Union mit der sogenannten »Bratislava-Agenda« aufgegriffen wurden. Junckers Rede war allein schon deshalb bemerkenswert, weil sie sich im militärischen Duktus doch deutlich von früheren Auftritten abhob: »Mit zunehmenden Gefahren um uns herum reicht Soft Power allein nicht mehr aus. […] Europa muss mehr Härte zeigen. Dies gilt vor allem in unserer Verteidigungspolitik. Europa kann es sich nicht mehr leisten, militärisch im Windschatten anderer Mächte zu segeln oder Frankreich in Mali allein zu lassen. Wir müssen die Verantwortung dafür übernehmen, unsere Interessen und die europäische Art zu leben zu verteidigen.« Konkret forderte Juncker unter anderem die Aufstellung eines EU-Hauptquartiers, die Aktivierung der »Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit« und die Einrichtung eines EU-Verteidigungsfonds, was anschließend auch zielstrebig in Angriff genommen wurde.

Hauptquartier, PESCO und Rüstungsfonds

Mit dem EU-Hauptquartier sollen Militäreinsätze künftig deutlich schneller und damit »effektiver« durchgeführt werden können. Seit Anfang Juni 2017 existiert ein solches Hauptquartier unter dem Namen »Militärische Planungs- und Führungsfähigkeit«. Anfangs »dürfen« nur nicht-exekutive Einsätze (vor allem Trainings- und Ausbildungsmissionen) geleitet werden, perspektivisch soll aber ein »normales« Hauptquartier zur Leitung sämtlicher Einsätze entstehen.

Zum zweiten großen Wurf soll sich die »Ständige Strukturierte Zusammenarbeit«, englisch abgekürzt PESCO, entwickeln. Mit PESCO können Teile der EU-Militärpolitik per Mehrheitsentscheidung auf Kleingruppen ausgelagert und so das bislang in diesem Bereich geltende Konsensprinzip ausgehebelt werden. Außerdem dürfen nur Länder an PESCO-Projekten teilnehmen, die bestimmte »Rüstungskriterien« erfüllt haben. Nachdem PESCO lange auf heftigen Widerstand einiger kleiner und mittlerer EU-Länder stieß einigten sich die Staats- und Regierungschefs am 13. November 2017 auf die lange umstrittenen Teilnahmekriterien – unter anderem die Verpflichtung, den Militärhaushalt jährlich real zu steigern. Im Dezember 2017 wurden dann die ersten 17 PESCO-Projekte beschlossen. Deutschland soll bei mindestens vier die Führung übernehmen: Sanitätskommando, Logistikdrehscheiben, ein Zentrum für Trainingsmissionen sowie eine Stelle zum Aufbau schnellerer Krisenreaktionskräfte.

PESCO-Projekte sollen künftig bevorzugt über den neuen EU-Verteidigungsfonds finanziert werden, das wohl weitreichendste Vorhaben, das von Juncker auf Grundlage der beiden deutsch-französischen Papiere vorgeschlagen wurde. Am 7. Juni 2017 legte die Kommission eine Mitteilung und einen Verordnungsvorschlag vor, die den Vorschlag enthalten, im nächsten EU-Haushalt 2021 bis 2027 jährlich 500 Mio. Euro für EU-Rüstungsforschung und satte 5 Mrd. Euro für die Beschaffung von Rüstungsgütern auszuloben – zusammen also 38,5 Mrd. Euro! Davon sollen jedes Jahr 1,5 Mrd. aus dem EU-Haushalt und der Rest von den Mitgliedsstaaten stammen. In einer »abgespeckten« Variante mit zusammen 2,59 Mrd. Euro soll der Fonds bereits 2019 und 2020 an den Start gehen, was von Parlament und Rat noch 2018 beschlossen werden soll.

Allerdings verbietet Artikel 41(2) des Lissabon-Vertrages die Verwendung des EU-Haushalts für außen- und sicherheitspolitische »Maßnahmen mit militärischen oder verteidigungspolitischen Bezügen.« Aus diesem Grund argumentiert die Kommission hier reichlich kreativ, es handele sich nicht primär um Maßnahmen der Militärpolitik, sondern um solche der Industrie- und Wettbewerbsförderung.

Deutsch-Französischer Motor?

Auf erste mögliche PESCO-Großprojekte hatten sich Deutschland und Frankreich bereits am 13. Juli 2017 verständigt: Unter anderem ein gemeinsames Kampfflugzeug, ein Kampfpanzer und eine Kampfdrohne sollen gebaut werden. Doch schon kurz danach begann der Streit, wessen Konzerne in welchem Umfang von den geplanten Vorhaben profitieren sollen. Dem Vernehmen nach handelt es sich hier nicht um den einzigen Bereich, in dem hinter den Kulissen ein heftiger Konflikt um die Führungsrolle entbrannt ist. So verhinderte Frankreich Ende September 2017 auch die – anscheinend informell bereits beschlossene – Ernennung des deutschen Generals Erhard Bühler zum neuen Chef des EU-Militärausschusses zugunsten eines italienischen Kandidaten. Im November 2017 wurde darüber hinaus der Zusammenschluss der Marinewerften Naval Group (Frankreich) und Fincantieri (Italien) bekannt, wodurch den deutschen Konzernen eine mächtige Konkurrenz entsteht.

Dies alles sind Zeichen, dass Frankreich nicht gewillt ist, Deutschland die seit einigen Jahren recht ruppig beanspruchte Führungsrolle kampflos zu überlassen. Sollte Berlin also dennoch darauf beharren, ohne Paris »adäquat« einzubinden, könnten sich alle Militarisierungspläne ebenso schnell erledigen, wie seinerzeit der erste diesbezügliche Versuch aus ganz ähnlichen Gründen von Frankreich versenkt wurde. So kritisierte Louis Terrenoire, der damalige Generalsekretär der Gaullisten, den Pleven-Plan zum Aufbau einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft bereits ein Jahr bevor er 1954 endgültig scheiterte: »Acht Jahre nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus sind die diplomatischen Bestandteile der germanischen Macht wiederhergestellt. Wenn die europäischen Integrationspläne, vor allem die Europäische Verteidigungsgemeinschaft, verwirklicht werden sollten, wird künftig über die deutsche Vorherrschaft kein Zweifel mehr möglich sein.«

Die Autorin ist Mitglied des Europäischen Parlaments für DIE LINKE (www.sabine-loesing.de)

 

Mehr von Sabine Lösing in den »Mitteilungen«: 

2016-08: Globalstrategie und Brexit: Neue Impulse für die Militärmacht Europa

2014-01: Vor den Wahlen zum Europäischen Parlament

2011-09: Militarisierte Interessenspolitik: Der »Beitrag« der EU zum Weltfriedenstag