Erinnerung an Kurt Goldstein (1914 - 2007)
Redaktion
Zum 110. Geburtstag am 3. November 2024
Kurt Julius Goldstein hat am 12. März 2005 als damals 90-jähriger Ehrenvorsitzender des Internationalen Auschwitz-Komitees, als Mitglied der VVN-BdA und der PDS an einem Podiumsgespräch zu aktuellen Fragen des Antifaschismus im Rahmen einer KPF-Bundeskonferenz teilgenommen – in jener Stadt Weimar, in deren Nähe sich das Konzentrationslager Buchenwald befand, in dem er die Befreiung vom Faschismus erlebt hatte. Die Konferenz verabschiedete eine Resolution »Zu aktuellen Aspekten des Antifaschismus« in Vorbereitung des 60. Jahrestages der Befreiung. Für uns bleibt es eine große Ehre, dass Kurt der Kommunistischen Plattform angehörte. Hier folgen Auszüge aus seiner Rede:
Erst muss ich mal sagen, dass ich mich richtig freue, heute hier zu sein. Aus zwei Gründen: Vor 60 Jahren, am 11. April, bin ich das erste Mal hier unten in Weimar gewesen. Da hatte nachmittags um drei der Genosse Hans Eiben im Lager verkündet: Kameraden, wir sind frei! 11. April, Tag der Selbstbefreiung des Lagers. Ihr könnt euch schwer vorstellen, was in einem Menschen wie mir und denen, mit denen ich da zusammen war, so vorgegangen ist, als der Hans Eiben das verkündete. Da fing ein neues Leben an. Wir sind dort zunächst rumgetanzt wie die Irren. Das ist der erste Grund, warum ich mich freue, hier heute in Weimar zu sein, und dann freue ich mich ganz besonders, in einem Saal zu sein, wo man mal richtig sagen kann: Genossinnen und Genossen!
Für mich ist Antifaschismus Humanismus in Aktion. Das ist möglicherweise eine Formulierung, mit der nicht jeder einverstanden ist.
Als der zweite Weltkrieg zu Ende war, der Hitlerfaschismus und ähnliche faschistische Regimes besiegt waren, und als dann Bilanz gezogen wurde, da ist im Dezember 1948 in der UNO die universelle Deklaration der Menschenrechte beschlossen worden. Das ist eigentlich das Programm, in dem der Humanismus in Aktion festgeschrieben worden ist. Und wenn es gelänge, diese universelle Deklaration der Menschenrechte zum Regierungsprogramm in allen Ländern zu machen, die diese Deklaration unterschrieben haben, dann hätten wir eigentlich schon das, was wir am 19. April 1945, oben auf dem Appellplatz im Schwur von Buchenwald beschlossen haben. Unser Band der Antifaschisten geht von ganz weit links bis nach ganz weit rechts, wenn wir das richtig verstehen. […]
Die Nazis marschieren wieder auf unseren Straßen, und gestern hat der Bundestag eine Verschärfung des Versammlungsgesetzes beschlossen. Die meinen, damit können sie Demonstrationen der Nazis verhindern. Ich glaub, das ist nur eine kleine Seite an dem Problem. Die Hauptseite des Problems ist doch, dass nach 1945 im größeren Teil Deutschlands nicht nur keine Auseinandersetzung mit dem Hitlerfaschismus, seiner Ideologie und seiner Politik und mit seinen Verbrechen stattgefunden hat, sondern dass in den Westzonen und in der Bundesrepublik das ganze Nazigesindel wieder in alle Funktionen gekommen ist. [...]
Ich komme zu meinem Problem Vaterland, das bewegt mich schon seit Jahrzehnten. In Spanien haben wir gesungen, »Wir im fernen Vaterland geboren ...« Erinnert ihr euch an das Spanienlied? Und im anderen Lied haben wir gesungen »... doch wir haben die Heimat nicht verloren«. Hier in Thüringen bin ich 1945 in den Apriltagen mit meinem Freund und Genossen Erich Loch aus Essen rumgefahren, um für die 21.000, die wir oben im Lager hatten, Lebensmittel und Bekleidung ranzuschaffen. Wir fuhren mit einem Auto. Da haben uns auf den Straßen immer mal Leute, Weiblein und Männlein, in Wehrmachtsuniform angesprochen, die wollten ein Stück mitgenommen werden oder – ich rauchte – sie fragten, ob sie die Kippe haben könnten oder eine Zigarette oder ein Stück Brot. In den ersten Tagen, wenn ich euch das mal auf hochdeutsch sagen darf, haben wir die mit dem Arsch nicht angesehen, weil: wir haben die noch als unsere Feinde betrachtet. Und dann, so am zweiten, dritten oder vierten Abend, wir lagen im Bett nebeneinander, der Erich und ich, da haben wir darüber gesprochen, ob unser Verhalten denen da draußen gegenüber, die wir bis jetzt mit dem Arsch nicht angesehen haben, ob unser Verhalten denen gegenüber richtig ist. Und das Ergebnis dieses Gesprächs von zwei Buchenwaldern war, dass unser Verhalten gegenüber denen da draußen nicht richtig ist, denn wir würden ja nicht ewig da oben auf dem Berg bleiben. Wir wollten ja aus dem Lager raus, in unsere Heimat und da wollten wir mit denen da draußen das neue Deutschland aufbauen, das neue, bessere Deutschland. Da mussten wir mit denen reden, mussten wir die als unsere Landsleute betrachten. Da mussten wir versuchen, sie für uns zu gewinnen und das haben wir dann gemacht. […]
Die komplette Wiedergabe seiner Einführungsrede ist hier nachzulesen:
»Mitteilungen«, Heft 4/2005, S. 1-4, oder Heft 9/2017, S. 22-26.
Siehe auch https://kpf.die-linke.de/mitteilungen/detail/erinnerungen-an-kurt-goldstein.