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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Erinnerungen an Kurt Goldstein

Zum 10. Todestag

 

Vor 10 Jahren starb Genosse Kurt Goldstein (3. November 1914 – 24. September 2007).  Er war ein wunderbarer Mensch. Unbeugsam und warmherzig, wissend und klug. In Spanien kämpfte er in den Internationalen Brigaden. Er überlebte die Hölle von Auschwitz. Und bis zu seinem Ende stritt er aktiv gegen Krieg und Faschismus, für eine sozialistische Gesellschaft. Er war Mitglied der KPD, der SED, der PDS sowie dann der LlNKEN. Es war und bleibt für uns eine große Ehre, dass er der Kommunistischen Plattform angehörte. An diesen liebenswer­ten Genossen möchten wir heute erinnern, mit einem seiner Artikel »Defizite und Fehler, aber nicht die Wurzeln« und mit seinen Äuße­rungen während einer Podiumsdebatte im Rahmen einer KPF-Bundeskonferenz in Weimar – jener Stadt, in deren Nähe sich das Konzentrationslager Buchenwald befand, in dem auch Kurt die Befreiung vom Faschismus erlebte. 

Sprecherrat und Redaktion

 

Kurt-Julius Goldstein am 12. März 2005 in Weimar:

Erst muss ich mal sagen, dass ich mich richtig freue, heute hier zu sein. Aus zwei Gründen: Vor 60 Jahren, am 11. April, bin ich das erste Mal hier unten in Weimar gewesen. Da hatte nachmittags um drei der Genosse Hans Eiben im Lager verkündet: Kameraden, wir sind frei! 11. April, Tag der Selbstbefreiung des Lagers. Ihr könnt euch schwer vorstellen, was in einem Menschen wie mir und denen, mit denen ich da zusammen war, so vorgegangen ist, als der Hans Eiben das verkündete. Da fing ein neues Leben an. Wir sind dort zunächst rumgetanzt wie die Irren. Das ist der erste Grund, warum ich mich freue, hier heute in Wei­mar zu sein, und dann freue ich mich ganz besonders, in einem Saal zu sein, wo man mal richtig sagen kann: Genossinnen und Genossen!

Für mich ist Antifaschismus Humanismus in Aktion. Das ist möglicherweise eine Formulie­rung, mit der nicht jeder einverstanden ist.

Als der zweite Weltkrieg zu Ende war, der Hitlerfaschismus und ähnliche faschistische Re­gimes besiegt waren, und als dann Bilanz gezogen wurde, da ist im Dezember 1948 in der UNO die universelle Deklaration der Menschenrechte beschlossen worden. Das ist eigent­lich das Programm, in dem der Humanismus in Aktion festgeschrieben worden ist. Und wenn es gelänge, diese universelle Deklaration der Menschenrechte zum Regierungspro­gramm in allen Ländern zu machen, die diese Deklaration unterschrieben haben, dann hät­ten wir eigentlich schon das, was wir am 19. April 1945, oben auf dem Appellplatz im Schwur von Buchenwald beschlossen haben. Unser Band der Antifaschisten geht von ganz weit links bis nach ganz weit rechts, wenn wir das richtig verstehen.

Ich hab in Spanien, als ich dort im Spital Politkommissar war, einen Chefarzt gehabt, der war 1933 Deutsch-Nationaler. 1934 – in dieser Aktion gegen die SA – als Hitler den Röhm und die ganzen SA-Führer hat umbringen lassen, da hat der ja auch aufgeräumt in den Kreisen der Deutsch-Nationalen, der Hugenberg-Partei, die mit ihm im Bündnis war. Und da hat er auch den Vorsitzenden der Reichstagsfraktion der Deutsch-Nationalen, Oberfoh­ren, umbringen lassen. Das war ein Freund von diesem Chefarzt Dr. Glaser.

Der hat mit uns dann in den Interbrigaden gekämpft. Und wenn wir da nicht in unseren Kreisen Genossinnen und Genossen gehabt hätten, die solche Leute angenommen und überzeugt haben, bis dahin, dass sie mit uns mit der Waffe in der Hand gegen den Faschis­mus kämpften, dann hätten wir den und viele andere nicht gehabt.

Die Nazis marschieren wieder auf unseren Straßen, und gestern hat der Bundestag eine Verschärfung des Versammlungsgesetzes beschlossen. Die meinen, damit können sie De­monstrationen der Nazis verhindern. Ich glaub, das ist nur eine kleine Seite an dem Pro­blem. Die Hauptseite des Problems ist doch, dass nach 1945 im größeren Teil Deutsch­lands nicht nur keine Auseinandersetzung mit dem Hitlerfaschismus, seiner Ideologie und seiner Politik und mit seinen Verbrechen stattgefunden hat, sondern dass in den Westzo­nen und in der Bundesrepublik das ganze Nazigesindel wieder in alle Funktionen gekom­men ist. Ich hab eben daran erinnert, dass in Wunsiedel, dort wo der Heß geboren ist, die Neonazis immer zu Ehren von Heß Demonstrationen machen. Dort hatte ein Bündnis bis hin zum CSU-Landrat diese Demonstrationen verbieten wollen. Dann sind die Nazis bis an das oberste deutsche Gericht, an das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, gegangen. Dort haben die Herren Richter, Bundesrichter, höchste Rechtsinstanz dieses Landes, dort haben die die Demonstrationsfreiheit für ein so hohes Gut erklärt, dass man auch zu Ehren von Herrn Heß in Wunsiedel demonstrieren darf. Nicht genug damit. Heß war für den Hitler der Stellvertreter. Ich muss also fragen: Wann darf man für diesen Teppichfresser, den Hit­ler, selbst demonstrieren? Ein Film zu seinen Ehren ist ja in diesen Wochen schon gelau­fen. In Bochum hat die Stadtverwaltung beschlossen, eine Synagoge wieder aufzubauen. Die städtischen Organe und die Landesorgane bis zum Landesverwaltungsgericht haben die Demonstration der Nazis gegen den Bau der Synagoge verboten. Da sind die dann auch wieder nach Karlsruhe gegangen, und das Bundesverfassungsgericht hat wieder die Demonstrationsfreiheit als ein so hohes Gut eingestuft.

Also, wenn ich diese Herren Richter heute sehe, dann erinnere ich mich an das Reichsge­richt und seine Schandtaten vor 1933, die den Nazis die Wege geebnet haben. Auf der an­deren Seite kann man natürlich 1930, 1931, 1932, 1933 in Deutschland nicht in jeder Be­ziehung vergleichen mit der Situation, die wir heute haben. Es gibt sowohl national als auch international Bedingungen, die es schwer machen, so etwas zu wiederholen, wie die Nazis es getrieben haben.

Ich will noch zu einem Problem ein Wort sagen, das die Genossinnen und Genossen hier im Raum ja sicherlich bewegt. Ich bin 1928, kurz nach Ostern in die sozialistische Arbeiter­jugend eingetreten. Ein Bürgersöhnchen, ein Sohn aus wohlhabender Familie. Ich hab die Fronten gewechselt und bin also in die Organisation der Arbeiterklasse gegangen, und das ist 77 Jahre her, und in diesen Jahren habe ich gelernt, dass man ohne in einer Partei aktiv zu sein, für die Ziele, die wir uns gesetzt haben, nicht richtig wirken kann.

Wenn ich mir unser Land heute ansehe, dann sage ich, dass es eigentlich aus heutiger Sicht nur die PDS sein kann. Deshalb müssen wir erfolgreich in ihr darum kämpfen, dass sie wieder eine richtige sozialistische Partei wird, die unter den jetzigen Bedingungen im 21. Jahrhundert für den Sozialismus kämpft. In dieser Partei müssen wir alle sein. Auch die, die vor Ärger schon ausgetreten sind. Die müssen wieder reinkommen und die, die noch nicht drin sind, die müssen wir reinholen und müssen dann dafür sorgen, dass nicht die Brüder Brie und der, der sich im Bundestag entschuldigt hat, die Richtung bestimmen, sondern dass die anderen die Orientierung in der Partei geben. Aber dafür muss man rich­tig aktiv in der Partei sein, dafür müssen wir alle kämpfen, in der Partei und mit der Partei.

Ich hab neulich ein Gespräch im Fernsehen mit der Moderatorin Maischberger gehabt. Ich hab ganz bewusst in diesem Gespräch erzählt, dass ich 1933 im Februar einem Nazi aufs Maul gehauen hab. Ich stand dort an der Theke. Der kam mit einem Glas Bier rein und fragte die Wirtstochter: Hilde, werden bei dir auch Säue getränkt? Das habe ich das erste Mal bewusst überhört. Als er das ganz laut noch einmal wiederholte – und das habe ich dort im Fernsehen so erzählt – hab ich den Aschenbecher, der dort auf dem Tisch stand, genommen, und weil man frechen Kindern manchmal auch auf den Mund schlägt, hab ich dem den Aschenbecher aufs Maul gehauen und dann lag er vor mir. Ich hab das ganz be­wusst erzählt, weil ich deutlich machen wollte, dass es Situationen gibt, wo man auch Gewalt anwenden muss und Gewalt anwenden darf. Aber man muss das nicht zum Prinzip machen, muss nicht immer, wenn man Demonstrationen hat, diese mit einer Schlägerei mit der Polizei beenden – das muss nicht sein. Es ist besser, wenn es nicht so ist. Aber es gibt Situationen, wo man auch Gewalt anwenden muss.

Ich komme zu meinem Problem Vaterland, das bewegt mich schon seit Jahrzehnten. In Spanien haben wir gesungen, »Wir im fernen Vaterland geboren ...« Erinnert ihr euch an das Spanienlied? Und im anderen Lied haben wir gesungen »... doch wir haben die Heimat nicht verloren«. Hier in Thüringen bin ich 1945 in den Apriltagen mit meinem Freund und Genossen Erich Loch aus Essen rumgefahren, um für die 21.000, die wir oben im Lager hatten, Lebensmittel und Bekleidung ranzuschaffen. Wir fuhren mit einem Auto. Da haben uns auf den Straßen immer mal Leute, Weiblein und Männlein, in Wehrmachtsuniform an­gesprochen, die wollten ein Stück mitgenommen werden oder – ich rauchte – sie fragten, ob sie die Kippe haben könnten oder eine Zigarette oder ein Stück Brot. In den ersten Ta­gen, wenn ich euch das mal auf hochdeutsch sagen darf, haben wir die mit dem Arsch nicht angesehen, weil: wir haben die noch als unsere Feinde betrachtet. Und dann, so am zweiten, dritten oder vierten Abend, wir lagen im Bett nebeneinander, der Erich und ich, da haben wir darüber gesprochen, ob unser Verhalten denen da draußen gegenüber, die wir bis jetzt mit dem Arsch nicht angesehen haben, ob unser Verhalten denen gegenüber rich­tig ist. Und das Ergebnis dieses Gesprächs von zwei Buchenwaldern war, dass unser Ver­halten gegenüber denen da draußen nicht richtig ist, denn wir würden ja nicht ewig da oben auf dem Berg bleiben. Wir wollten ja aus dem Lager raus, in unsere Heimat und da wollten wir mit denen da draußen das neue Deutschland aufbauen, das neue, bessere Deutschland. Da mussten wir mit denen reden, mussten wir die als unsere Landsleute be­trachten. Da mussten wir versuchen, sie für uns zu gewinnen und das haben wir dann gemacht.

1947 bin ich mit einem Kreis Auschwitz-Überlebender, in der Mehrheit Genossen, zu­sammengewesen und wir wollten das internationale Auschwitz-Komitee gründen. Da waren zwei Auschwitz-Überlebende. Einer stammte aus Polen, der andere aus Frankreich, und ich war da als Deutscher.

Und dann sagt einer von den beiden zu mir: Kurt, wir kennen dich ja, tut uns ganz leid – aber du als Deutscher bist hier nicht richtig. Da stand ein anderer Kum­pel daneben und sagte: »Du musst doch wohl nicht richtig ticken im Kopf. Wenn der nicht in Jawischowitz gewesen wäre, dann würden wir nicht leben«. Ich war ihr Kapo in Jawischo­witz. Also, ich hab auch erlebt, wie man als Deutscher nach 1945 völlig zu Recht im Aus­land angesehen war. 1971 oder 1972 habe ich als Vizepräsident des Internationalen Auschwitz-Komitees in Frankfurt/Main in einem evangelischen Gemeindehaus gesessen. Es begrüßte uns ein Oberkirchenrat und sagte, wir Deutschen seien das Volk der Mörder. Da hat es bei mir getickt. Wir Deutschen das Volk der Mörder! Dann habe ich mich beim Herrn Oberkirchenrat entschuldigt dafür, dass ich ihm widersprechen muss. »Herr Oberkir­chenrat, ich bin Deutscher, Jude und Kommunist. Und ich bin einmal ausgebürgert worden. Ausgebürgert von den Nazis. Ich will das kein zweites Mal erleben. Wenn also wir Deut­schen das Volk der Mörder sind, was bin ich dann da? Auch einer von den Mördern? Ich bin doch ein Opfer. Also können wir uns darauf verständigen, dass es leider viele in Deutschland gab, die das Morden mitgemacht haben, aber dass es auch nicht so wenige gab, die sich denen in den Weg gestellt haben; dass, als die Nazis 1938 ihr Pogrom gemacht haben, es dort eine Partei in Deutschland gab, die einen Beschluss gefasst hat gegen dieses verbrecherische Tun der Nazis. Die Kommunistische Partei, die aufgerufen hat, helft euren jüdischen Mitbürgern. Und das haben deutsche Genossinnen und Genos­sen in den Städten verteilt, diesen Aufruf der Partei, und sind dafür in das KZ und auch aufs Schafott gegangen. Das sind auch Deutsche gewesen«.

So viel Verständnis ich auch für andere Gefühle hinsichtlich der Deutschen habe, denn die deutschen Militaristen und Faschisten haben ja Tausende unserer Genossinnen und Ge­nossen umgebracht, so ändert das doch aber nichts daran, dass, wenn wir in diesem Land etwas ändern wollen, wir die Menschen für uns gewinnen müssen. Dieses Land, da können wir nichts dran ändern, in dem sind wir geboren, das ist unser Vaterland, meine Heimat.

Wer 1945 geglaubt hat, jetzt sind wir befreit vom Faschismus und dann die ganze Zeit in diesem Land in den westlich besetzten Zonen – amerikanische, englische, französische Zone – gelebt hat, der hat dann erlebt, wie es in der Bundesrepublik gekommen ist, dass die ersten Organisationen, die dort wieder erlaubt worden sind, die Unternehmerverbände waren. Ich bin im März 1946 in meine Heimat, ins Ruhrgebiet, zurückgegangen und hab das dann dort erlebt. Ich kam aus der sowjetischen Besatzungszone und hatte gerade hier die ersten Schritte hin auf die Vereinigung von SPD und KPD mitgemacht. Ich muss sagen, ich hab bei den Sozialdemokraten erlebt, dass die große Masse der sozialdemokratischen Genossinnen und Genossen und Funktionäre das mitgemacht haben und dass es auch ei­nige gab, die das nicht wollten, die von Hannover aus, von Schumacher, beeinflusst waren. Und dann bin ich in den Westen gekommen und wir haben die Vereinigung vorbereitet. Dort gab es auch eine Bewegung in diese Richtung. An der Spitze stand der ehemalige so­zialdemokratische Reichstagsabgeordnete Kupsch, und seine rechten und linken Mitarbei­ter waren junge Leute aus der SPD. Jedenfalls hatten wir für Solingen eine Konferenz der Vereinigung von KPD und SPD vorbereitet, und die haben die Engländer verboten. Ich sag das, weil es bei uns ja auch vor ein paar Jahren die Diskussionen zu diesem Thema gege­ben hat und dort die Petra Pau eine alte SPD-Genossin gefunden hatte, die ihr vorgeweint hat, wie schlimm das damals gewesen sei und die liebe Petra Pau hat das geglaubt, hat der mehr geglaubt als uns, die wir das ja auch miterlebt haben. Aber das gehört alles zu den Erfahrungen, die man so mit sich rumschleppt, und die einen dazu bringen, hinsichtlich der nationalen Frage eine ganz bestimmte Position einzunehmen und ich bleib dabei: Wir ha­ben in Spanien recht gehabt, als wir gesungen haben »... wir im fernen Vaterland geboren«, und es ist immer noch unser Vaterland geblieben. Wir sind dahin zurückgekommen, wir wollten das Hakenkreuz im Vater Rhein versenken in einem unserer Lieder. Ist uns nicht ganz gelungen, sonst hätten wir jetzt nicht den Ärger mit denen.

Aus: Mitteilungen, 4/2005, S. 1-4.

 

Kurt Goldstein: Defizite und Fehler, aber nicht die Wurzeln (2000)

Als einer, der auch heute noch die DDR trotz ihrer Defizite und Mängel für die bessere Alternative gegenüber der BRD hält, sage ich: Nein, die wesentlichen Ursachen für Nazis im Osten liegen nicht in der DDR!

Die heute 16-, 18- oder 20jährigen, die Ausländer durch die Straßen jagen und Menschen mit einer Brutalität totschlagen, die mich an die SS-Wächter meiner KZ-Zeit erinnert, waren zur Wende Kinder. Sie hatten ihre ersten Jahre in einem Staat verbracht, dem es an vielem mangelte, an einem aber nicht: Sicherheit der Lebensplanung. Kindergarten, Schule, Ausbildung, Beruf oder Studium, auf jeden Fall ein Arbeitsplatz – das war selbstverständlich. Und jetzt erlebten sie als Heranwachsende das Gegenteil. Selbst wer einen Ausbildungsplatz gefunden hat, weiß nicht, ob er nach der Lehre Arbeit findet.  Selbst wer einen Arbeitsplatz hat, weiß nicht, wie lange. Unsicherheit macht aggressiv, lässt nach Schuldigen suchen. Und Kader-Nazis, die nach der Wende fast ausschließlich aus dem Westen kamen und auf diesem Boden der Unsicherheit ihre Strukturen aufbauten, zeigten ihnen die angeblich Schuldigen: Ausländer, Menschen anderer Hautfarbe, Behinderte, Obdachlose, natürlich auch Linke.

Dass auch Ältere, die in der DDR geprägt wurden, so denken, bloß nicht so handeln, ist kein Gegenbeweis. Für sie brach eine Welt zusammen, an der sie manches nicht mochten, die ihnen zu wenig an politischer Demokratie und Freiheit bot, auch kaum Erfahrungen im Zusammenleben mit anderen Kulturen, in der aber Arbeitsamt und Sozialhilfe Fremdwörter waren. Liebe Genossinnen und Genossen, ihr werdet mir glauben, dass ich damit nichts entschuldigen will, dass ich auch nicht das geringste Verständnis für Totschläger und »Totdenker« habe und null Toleranz für die Feinde der Toleranz fordere, aber hier liegen für mich die entscheidenden Ursachen.

Noch etwas: Es ist medien- und politiküblich, den Antifaschismus in der DDR herabsetzend als »verordnet« zu bezeichnen. Natürlich war er verordnet. Wie sollte es auch anders sein in einem Land, dessen Menschen zu 90, 95 Prozent bis fünf nach zwölf Hitler die Treue gehalten hatten? Ich bin mir auch der Defizite dieses Antifaschismus bewusst. Der Völkermord an den Juden wurde nicht in seiner ganzen Tiefe erfasst, der Völkermord an den Sinti und Roma kaum thematisiert, der nichtkommunistische Widerstand lange unterbewertet. Und ganz verheerend war die 1953 von der SED-Führung verfügte Auflösung der VVN mit der aberwitzigen Begründung, der Nazismus wäre in der DDR mit Stumpf und Stiel ausgerottet.

Das alles ist wahr. Wahr ist aber auch, dass es diese Erziehung zum Antifaschismus, die Vermittlung seiner Werte wie Menschlichkeit, Toleranz, Völkerfreundschaft gab und diese Werte bei vielen sich bis heute erhalten haben. In der BRD Adenauers dagegen waren die Beamten Hitlers, die Generale, die Wehrwirtschaftsführer, die Lehrer und Richter nach einer kurzen Schampause staatstragende Elemente. Das sollte sich nicht auf das geistige Klima in der Gesellschaft ausgewirkt haben und nicht bis heute nachwirken?

Ich bin sehr dafür, dass die PDS ihre Vergangenheit und die Geschichte der DDR aufarbeitet. Aber dann bitte in Gänze und nicht nur in den Teilen, die in das heute verordnete Geschichtsbild passen.

(Mitteilungen, 12/2000. Erschienen in Die Landeszeitung, herausgegeben von der PDS Berlin, Nr. 17, Oktober 2000, S. 2, Kontrovers: Rechtsextremismus im Osten –  Hauptursachen in der DDR? Auch enthalten in: Klartexte, Beiträge zur Geschichtsdebatte, Verlag am Park, 2009, S. 264-265.)