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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Einer, der störte

Horsta Krum, Berlin

 

Am 14. Januar 1892 wurde Pastor Martin Niemöller geboren

 

Nach dem Abitur meldete er sich zur Marine und wurde Kommandant eines U-Bootes. Die Weimarer Republik, das Ende des Ersten Weltkrieges und Preußens empfand er als eine Katastrophe. So handelte er konsequent, als er sich weigerte, U-Boote als Reparation an England zu übergeben. Er quittierte seinen Dienst, wurde schließlich Pastor, denn Preußen und die protestantische Kirche gehörten für ihn zusammen; als Pastor wollte er seinem Volk dienen.

Konsequent, kompromisslos ist er immer geblieben, zunächst in der »Bekennenden Kirche«, die er 1934 mit Gleichgesinnten gründete, und zwar als Opposition zu den hitler-treuen »Deutschen Christen«. Diese, so sagte Niemöller später, ersetzten das christliche Kreuz durch das Hakenkreuz und den Stammbaum durch die christliche Taufe, indem sie getaufte Juden aus kirchlichen Ämtern ausschließen wollten.

Niemöller predigte leidenschaftlich, temperamentvoll und deutlich, so dass ihm schließlich der Prozess wegen »Kanzelmissbrauch« und »Widerstand gegen die Staatsgewalt« gemacht wurde. Aber die Richter konnten ihn nicht verurteilen, denn seine deutsch-nationale Gesinnung war untadelig geblieben, und seine scharfe Opposition richtete sich gegen die Deutschen Christen, nicht aber gegen den Staat oder gegen Hitler.

Ein stichhaltiger Haftgrund lag also nicht vor, aber nach dem Willen Hitlers sollte der Angeklagte in Zukunft weder predigen noch sich sonst öffentlich äußern. Also wurde er 1938 zum »persönlichen Gefangenen« Hitlers erklärt und als solcher im Konzentrationslager Sachsenhausen eingeliefert, später nach Dachau verlegt, wo er bis zur Befreiung blieb. Dass er die sieben Jahre Konzentrationslager verhältnismäßig gut überstand, lag sicherlich daran, dass ihm der schreckliche Lageralltag, an dem so viele Häftlinge physisch und psychisch zerbrachen, weitgehend erspart wurde. Niemöller blieb deutsch-national und konservativ.

Erst 1945, als er die schrecklichen Verbrechen der Nazi-Herrschaft erkennt und die Mitschuld der überwältigenden Mehrheit der Deutschen, vor allem auch der Kirchen, denkt er um, oder, wie es in der Kirchensprache heißt: er tut Buße, und auch das konsequent und leidenschaftlich.

Er kehrt in die Kirche zurück, deren Pastor er ja bis vor sieben Jahren gewesen ist. Da hat es zwar personellen und strukturellen Wechsel gegeben, aber es »herrscht überall eine kaum noch zu verbergende Politik der Restauration und Reaktion.« Im Mittelpunkt stehe die »Heimatkirche«, die rechtlich verfasste Kirche von vorgestern … Die entscheidenden Gesichtspunkte, die sachlich im Vordergrund stehen müssten, wie die Behandlung der Schuldfrage und damit die Predigt von Buße und Glaube, werden nicht ernst genommen«, klagt er im Sommer 1946 in einem privaten Brief. [1]

Er muss zunächst in Bayern bleiben, da der öffentliche Verkehr zusammengebrochen ist und das Auto, das er zur Verfügung gestellt bekam, nach kurzem Gebrauch fahruntüchtig geworden ist. Es hat »mich persönlich bewegt, dass ich in meiner bayrischen Notheimat jener ersten Monate als nicht vorhanden betrachtet und behandelt wurde, so dass ich mich des Eindrucks nicht erwehren konnte, dass diese Leute, wenn sie sich über meine Befreiung überhaupt gefreut haben, sicher nur das eine Gebet im Blick auf mich gebetet haben: ›Herrgott, bewahre uns davor, dass dieser fatale Mensch zu uns zurückkehrt!‹«

Auch außerhalb Bayerns versuchen die »Amtsbrüder«, ihn von einflussreichen kirchlichen Stellen fernzuhalten, ihn »auf ein totes Gleis zu schieben« heißt es weiter in demselben Brief. »Der Wille, die Erkenntnisse der vergangenen zwölf Jahre mit ihren Konsequenzen ernst zu nehmen, ist sichtlich nicht vorhanden ...«

Er wird Leiter des kirchlichen Außenamtes, denn das Vertrauen der ausländischen Kirchen zu der evangelischen Kirche in Deutschland muss nach 1945 wieder hergestellt werden. Niemöller knüpft als »Botschafter der besseren Deutschen« neue Beziehungen. In Deutschland und im Ausland stellt er die Schuldfrage und diskutiert über die Zukunft Deutschlands, erreicht sogar materielle Unterstützung der arm gewordenen Kirche in Deutschland. Diese kann ihn also doch nicht ganz abtun – bis sie ihn 1956 von diesem Posten absetzt.

Denn immer deutlicher äußert sich Niemöller gegen die Regierung der Bundesrepublik unter Kanzler Konrad Adenauer. Bereits die Gründung der Bundesrepublik kritisiert er mit dem Satz »in Rom gezeugt und in Washington geboren« – ein Satz, der von der New Yorker Herald Tribune« Dezember 1949 gedruckt wurde.

Der Protestant Niemöller greift den Katholiken Adenauer an, der ein Gesamt-Deutschland von vornherein unmöglich mache, indem er die Bundesrepublik mit ihrem Grundgesetz schaffe, sie an die USA anlehne, sie bewaffne und sogar Atomwaffen auf deutschem Boden dulde und dadurch die Spaltung Deutschlands und Europas vertiefe und eine friedliche Zukunft zwischen Ost und West verhindere. »Die Trennung Deutschlands wurde der Anfang für eine Friedensarbeit … Wer Frieden sagte, war Kommunist, und dem Odium bin ich ja auch nicht entgangen …« [2]

Adenauer muss ihn zur Kenntnis nehmen, z.B.: »Ich kann nur sagen, dass Herr Niemöller in geradezu unverantwortlicher Weise sich gegen die Ehre und das Ansehen seiner Mitmenschen versündigt. Dass er dem deutschen Volke schwersten Schaden zufügt.« [3]

Als der Bundestag im März 1958 die Ausrüstung der Bundeswehr mit atomaren Waffen beschließt, beteiligt er sich in England am ersten Ostermarsch und gehört danach zu den Gründern des Ostermarsches in Deutschland. »Eine Regierung, die die Errichtung von Abschussrampen und die Lagerung von atomaren Massenvernichtungsmitteln auf deutschem Boden gestattet, ist eine landesverräterische Regierung.« [4]

Im selben Jahr beginnt auch die Debatte über die Notstandsgesetze, die die bürgerlichen Freiheiten und die demokratischen Befugnisse des Parlaments erheblich einschränken wollen. Er vergleicht diese Gesetze mit den Ausnahmegesetzen der Hitler-Zeit. Viele der in der Bundesrepublik mit politischen Dingen befassten Männer seien »nicht vorteilhafter als Hitler zu beurteilen … Niemand der mit den Notstandsgesetzen befassten Parlamentarier sollte das Amt eines Bundestagsabgeordneten bekleiden dürfen, ohne vorher vierzehn Tage in Hiroshima zugebracht zu haben.« [5]

Seine temperamentvolle und leidenschaftliche Sprache, die bereits Hitler fürchtete, hat Niemöller nicht verloren. Im Januar 1959 sagt er in Kassel: »Jedes Mittel, womit man seinen Gegner kleinkriegen kann, kann angewandt werden. Und darum ist heute die Ausbildung zum Soldaten … die Hohe Schule für Berufsverbrecher. Mütter und Väter sollen wissen, was sie tun, wenn sie ihren Sohn Soldat werden lassen. Sie lassen ihn zum Verbrecher ausbilden … Wir können unsere Stimme abgeben bei einer Wahl, weiter können wir nichts tun, und im übrigen müssen wir hinnehmen, was kommt … [6] Nach dieser Rede, die noch viele andere Elemente enthält, erhebt der damalige Verteidigungsminister der Bundesrepublik Franz Josef Strauß Klage gegen ihn.

Hitler hatte versucht, Martin Niemöller zum Schweigen zu bringen, indem er ihn verhaften ließ. Adenauer verunglimpfte ihn. Die Kirche stellte ihn ins Abseits. Strauß versuchte, ihn zum Schweigen zu bringen, indem er Klage gegen ihn erhob – ohne Erfolg, die Klage verlief im Sande. Weder Hitler, noch die Kirche, weder Adenauer noch Strauß haben Niemöller bis zu seinem Tode 1984 zum Schweigen bringen können. Aber das, wogegen er konsequent und leidenschaftlich kämpfte, hat sich beharrlich durchgesetzt – das alles und noch Schlimmeres.

 

Anmerkungen:

[1] Diesen Brief, aus dem auch die folgenden Zitate stammen, schrieb er am 22. Juni 1946 an seinen Freund Hans Asmussen.
[2] Hannes Karnick, Wolfgang Richter, Niemöller - Was wurde Jesus dazu sagen?, 1986, S. 102.
[3] Ebd. S. 108.
[4] Zeitschrift Junge Kirche, November 1964.
[5] Ebd., Mai 1964.
[6] Karnick/Richter, S. 142.

 

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