Eine souveräne Entscheidung
Egon Krenz, Dierhagen
Die Abschaffung der Todesstrafe in der DDR, so hieß es aus gegebenem Anlass in verschiedenen Medien, darunter dem neuen deutschland, sei aus außenpolitischen Erwägungen im Zusammenhang mit dem Besuch von Erich Honecker bei Bundeskanzler Helmut Kohl erfolgt. Dies behaupteten altbundesdeutsche Medien schon 1987. Sie stritten darüber, wem das Verdienst zukomme, der SPD oder der CDU? Weder noch. Es war eine souveräne Entscheidung der DDR. Während einer Besichtigung der faschistischen Hinrichtungsstätte im Zuchthaus Brandenburg hatte Honecker Mitte der siebziger Jahre angeregt, die Todesstrafe abzuschaffen. Seine Initiative scheiterte damals, weil die sowjetische Führung mahnte, dass 1949 die Todesstrafe in die Verfassung der DDR aufgenommen worden war, um die schlimmsten Nazi- und Kriegsverbrecher mit dem Tode bestrafen zu können. Es sei falsch, diese antifaschistische Mission zu vergessen. Nachdem Gorbatschow KPdSU-Generalsekretär geworden war, beauftragte Honecker mich, die Abschaffung der Todesstrafe erneut mit der sowjetischen Seite zu konsultieren. Die Antwort: Solange in den USA hingerichtet werde, gäbe es für die sozialistischen Länder keinen Grund, die Todesstrafe abzuschaffen. Ungeachtet dessen gab Honecker mir den Auftrag, für den Staatsrat eine Vorlage zur Abschaffung der Todesstrafe auszuarbeiten. Dies war Teil einer Justizreform, die auch die Bildung einer Zweiten Instanz für Rechtsmittel gegen Entscheidungen der Senate des Obersten Gerichts und eine umfassende Amnestie für Straftäter enthielt. Dies erfolgte ohne Einfluss von Kohl (CDU) oder Vogel (SPD).
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