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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Eine Reflexion zur Voigt-Grossman-Debatte

Victor Grossman

 

Etwas nervös war ich, als sich diese Debatte näherte: Begegnungen zweier Meinungen in Rede und Widerrede – so häufig in Oberschulklubs in meiner USA-Heimat – gab es in der DDR gar nicht und auch seit 1990 kaum. Doch mein "Gegner", Sebastian Voigt von BAK Shalom, war höflich, ja freundlich, und seine Anhänger hielten sich mit Zwischenrufen zurück, zumal die "auf meiner Seite" in der Mehrzahl waren. Nun, freundlich oder nicht, manches stellte ich dabei fest.

Etliches, was uns Linken klar und richtig erscheint, ist für andere gar nicht selbstverständlich, zum Beispiel, daß in jedem Land widersprüchliche Kräfte existieren. Viele pauschalisieren schnell Israel, die USA, "Islam" oder gar Deutschland. Man hört da Stammtischbegriffe: "der Franzose", "der Ami", "der Türke" und immer noch "der Jude"! Da ist manchmal Geduld sehr nötig!  

Die Rolle der UdSSR vor und nach 1945, so kompliziert sie war, wird sehr einfach – und einseitig – von Menschen angesehen, die ihre Bildung vom BRD-Schulsystem und ihr Wissen von ZDF und RTL, von Bild, Focus oder einem Großvater in Wehrmachtsuniform bezogen haben. Auch die primitivsten Ansichten darf man nicht als "dumm" oder "reaktionär" abtun. Bei einer Auseinandersetzung ist die Anerkennung auch der tragischsten Wahrheiten nötig – neben den festesten Grundsätzen. Offenheit und Ehrlichkeit können Menschen gewinnen. Kriechen und Kübeln von Mea-Culpa-Asche erreichen aber auch nichts.

Die Antisemitismus-Vorwürfe des "BAK Shalom" dürfen nicht abgetan werden, denn in der Tat: sobald die Nazis wittern, daß sie Gefühle gegen Israels Politik mißbrauchen und "die Juden" an sich angreifen können, da springen sie sofort ein. Auch von einigen "Linken" hörte ich erschreckende Töne gegen "die jüdische Lobby", ja sogar – wie von Hitler – Töne von einem "Weltkomplott" der Juden. Wir bekämpfen den Kapitalismus, der, wie seine Gegner, aus allen ethnischen und religiösen Herkünften stammt. "Jüdische Kapitalisten" zu beschimpfen bleibt ignorant, schädigend – und beleidigend!

Das gilt aber genauso für Islamophobie gegen Türken, Araber oder alle Muslime. Jeder echte Linke müßte sich verpflichtet fühlen, auch im Alltag gegen beide Krankheiten vorzugehen.

Dummen Antiamerikanismus gibt es auch, der aber sehr selten links anzutreffen ist. Man kann gegen den Konsumdruck und die Kitschkultur der USA sein, nicht aber gegen alle Amerikaner oder eine Kultur, die viel Wundervolles geschaffen hat. Doch gegen eine fürchterliche Politik muß man kämpfen, ob sie wirtschaftlichen Imperialismus oder militärische Horroreinsatze beinhaltet. Wo bleibt da BAK Shalom?

Ihr Problem ist, daß sie von der Ablehnung des Antisemitismus zur Verteidigung der schlimmsten Exzesse der israelischen Unterdrückung übergingen und zu einer üblen Islamophobie beitragen, die besonders gefährlich wird, weil so viele muslimische Familien Europa bewohnen. Sie kann die Saat zu einer faschistischen Welle stärken – wie früher gegen Juden. Und BAK Shalom macht mit! Von der Ablehnung eines primitiven, gefahrlosen Antiamerikanismus schaltet sie um auf eine Position, welche die schlimmste Weltmachtpolitik, ja, eigentlich die von George Bush unterstützt, die also rechts von Schröder und gegen die Mehrheit der Amerikaner steht. Sebastian Voigt bejahte sogar den Irakkrieg!  

Einzelansichten soll man mit Fakten und Argumenten begegnen. Wo sie jedoch organisiert auftreten, wie bei BAK Shalom, wird mir beängstigend klar, daß sie trotz einiger Vokabeln eindeutig einer rechten Ecke angehören, nicht der Linken. Ich muß sogar vermuten, daß diese Gruppe mißbraucht wird, bewußt oder unbewußt, um die wachsende Kraft der Linken zu schwächen und zu spalten.

14. Dezember 2008

 

 

Mehr von Victor Grossman in den »Mitteilungen«: 

2008-07: Eine Meinung über die »Israelfrage«

2008-04: Martin Luther King jr. – in memoriam