Eine neue Friedensbewegung?
Dr. Peter Strutynski, Kassel, im Gespräch mit der Zweimonatszeitschrift »antifa«
antifa: Die Frage Krieg und Frieden hat sich in den vergangenen Monaten deutlich zugespitzt. Die Konflikte finden nicht mehr nur in Asien oder Afrika statt, sondern nähern sich bedrohlich Europa, insbesondere in der Ukraine. Viele Menschen in unserem Land sind beunruhigt. Im Verhältnis zu dieser zunehmenden Kriegsgefahr scheint die Friedensbewegung recht leise zu sein. Liegt das möglicherweise an Problemen der Einschätzung zum Konflikt in der Ukraine?
Peter Strutynski: Wir müssen hier unterscheiden: Es gibt nicht die Friedensbewegung, sondern viele einzelne Organisationen, die ihre jeweiligen Schwerpunkte und – gewiss auch – in Nuancen unterschiedliche politische Einschätzungen haben. Ich kann daher nur für den Bundesausschuss Friedensratschlag und mit ihm für zahlreiche Basisfriedensinitiativen sprechen. Wir haben in verschiedenen Stellungnahmen deutlich gemacht, dass die Verantwortung für die Krise in der und um die Ukraine beim Westen zu suchen ist, insbesondere im jahrelangen Bemühen von EU und NATO, die Ukraine in das westliche Lager zu bringen und Russland zu schwächen. Dafür lässt der Westen in der Ukraine auch mal fünfe gerade sein und toleriert die faschistischen Kräfte in der ukrainischen Übergangsregierung, die sich ganz offen auf ihre antisowjetischen und antisemitischen Wurzeln beziehen. Wir haben sowohl bei den Ostermärschen als auch anlässlich des Tags der Befreiung am 8. und 9. Mai und bundesweit am 31. Mai Aktionen gemacht, mit denen wir auf diesen Skandal aufmerksam machten. Für uns gilt: Keine Toleranz gegenüber Faschos! Und Sicherheit in Europa nur mit und nicht gegen Russland!
antifa: Eine große Mehrheit der deutschen Bevölkerung spricht sich in Befragungen gegen Auslandseinsätze aus. Bundespräsident Gauck hat jedoch nichts Eiligeres zu tun, als für mehr Kriegseinsätze der Bundeswehr im Ausland zu plädieren. Wie reagiert die Friedensbewegung darauf?
Peter Strutynski: Es ist ja nicht nur Gauck. Ähnliche Brandreden haben auf der Münchner Sicherheitskonferenz auch Außenminister Steinmeier (SPD) und Verteidigungsministerin von der Leyen (CDU) gehalten. Das Problem ist, dass die dahinter stehende Strategie, Auslandseinsätze zur Verteidigung wirtschaftlicher Interessen (»unsere« Rohstoffe und freie Handelswege) durchzuführen, schon seit dem Ende der Blockkonfrontation in den Verteidigungspolitischen Richtlinien und den Weißbüchern der Bundesregierung formuliert wird. Aus diesem Grund ist die Bundeswehr zu einer »Armee im Einsatz« umgebaut worden. Die Friedensbewegung macht seit Jahr und Tag dagegen Front – und kann sich dabei auf den Mehrheitswillen der Bevölkerung stützen.
antifa: In einigen Städten finden in diesem Zusammenhang so genannte »Montagsdemonstrationen« statt, die sich von den traditionellen Gruppen der Friedensbewegung abwenden und sehr widersprüchliche »Bündnisse« darstellen, von Anhängern rechtspopulistischer Parteien bis hin zu nationalistischen Gruppen, aber auch pazifistischen Verbänden. Sind diese »Montagsdemonstrationen« ein Zeichen der Umorientierung oder eher ein Versuch einer »Ein-Punkt«-Querfront-Strategie?
Peter Strutynski: »Pazifistische Verbände« als Bündnispartner der Montagsdemos habe ich bisher eigentlich nicht entdecken können. Zahlreiche Berichte über Teilnehmer und Reden bei diesen Montagsdemos haben mich in meiner kritischen Haltung bestätigt. Für die Friedensbewegung muss gelten, dass es keine Gemeinsamkeit mit Rechtsradikalen und Querfront-Ideologen geben kann – wie »offen« oder »unpolitisch« diese sich auch geben. Ich habe nie richtig verstanden, dass manche Friedensfreunde und Politiker der Linkspartei in diesen Demos die Chance für eine »neue« Friedensbewegung glauben sehen zu müssen. Allerdings: Die Montagsdemos sind in einer Situation eingefädelt worden, in der die Friedensbewegung tatsächlich mobilisierungsschwach ist. Die richtige Antwort von uns sollte sein: Selbst mehr Aktivitäten zu entfalten und sich wieder verstärkt in der Öffentlichkeit zu zeigen.
antifa: Neben den realen Kriegen beteiligt sich die deutsche Regierung an der Vorbereitung vieler weiterer Kriege – die Rüstungsexporte insbesondere in diktatorische Regime oder »unsichere Staaten« sind im vergangenen Jahr in ungeahnte Höhen gestiegen. Wie kann die Friedensbewegung auf diese Form von Kriegspolitik antworten?
Peter Strutynski: Generell: Die Friedensbewegung wirkt in erster Linie aufklärerisch. Zum Rüstungsexport gibt es die ganz klare Position: Stopp aller Waffenexporte! Wir müssen sehen, dass der verstärkte Export von Waffen und militärischem Know-how zu den tragenden Säulen der neuen Strategie der Bundesregierung gehört. Sie will damit Regimes, die aus geopolitischen Gründen für Deutschland interessant sind, in die Lage versetzen, sich besser am Kampf gegen den »Terrorismus« zu beteiligen. In der neuen Afrika-Strategie der Bundesregierung und in anderen Dokumenten wird das mit »Ertüchtigung« umschrieben. Unsere Antwort darauf muss in der Intensivierung der Kampagne gegen Waffenexporte einschließlich der Rüstungsproduktion sowie der Aufklärung über die wahren imperialen Absichten der Regierung oder der EU oder der NATO bestehen.
Peter Strutynski ist Sprecher des Bundesausschuss Friedensratschlag Kassel. Das Gespräch führte Ulrich Schneider. – Aus: »antifa«, Juli/August 2014, S. 5.
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2013-02: Wo sind sie geblieben?
2012-11: 100 Jahre Baseler Sozialistenkongress